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VOLKSERZÄHLUNGEN UND VOLKSDICHTUNGEN


AUS DEM ZENTRAL-SUDAN

HERAUSGEGEBEN VON LEO FROBENIUS

1924

VERLEGT BEI EUGEN DIEDERICHS / JENA



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TITEL- UND EINBANDZEICHNUNG VON F.H. EHMCKE

MIT 2 KARTENBEILAGEN

114. Jägerlegende

Ein Jäger, der sechs Kinder hatte, ging immer in den Busch und jagte mit so viel Glück, daß das Wild aus Angst das Revier verließ. Als nun der Jäger wiederkam, fand er kein Wild mehr, nur eine Leopardenfährte traf er und die verfolgte er, und als er den Leoparden sah, wollte er ihn töten. Doch der drehte seinen Kopf zu dem Jäger und sagte: "Töte mich nicht." Der Jäger steckte den Pfeil in den Köcher und folgte dem davoneilenden Leoparden. Als dieser ein Tier fand und es erschlug, nahm der Jäger seinen Pfeil wieder und schoß auf den Leoparden. Im gleichen Augenblick durchlief ein Zittern den Körper des Jägers; sein Penis und Skrotum fielen zur Erde und er verwandelte sich in eine Frau. Vor Schreck lief der Jäger in den Busch. In einem Kukabaum (Adansonia), in dem ein großes Loch war, versteckte er sein Jagdgerät, gürtete sich seine kurze Jacke als Schurz um und ging zum nächsten Ort. Einige Knaben tanzten am Wege; die fragte er nach des Jägers Haus und ging dorthin. Der Jäger des Ortes nahm die Frau, von der er nicht wußte, daß sie früher auch ein Jäger war, auf und gab ihr ein Haus. Da kam ein Freund und sagte: "Was hast du für eine schöne Frau hier? Willst du die nicht heiraten?" "Ja, das werde ich auch," erwiderte der Jäger - heiratete die Frau und sie ward schwanger von ihm und gebar ihm im Laufe der Jahre fünf Kinder. Die Söhne aber, die die jetzige Frau als Mann in erster Ehe gehabt hatte, glaubten, ihr Vater sei im Busch gestorben, brachten ihm Totenopfer und begannen selbst im Busch zur Jagd zu gehen. Der als Frau lebende Jäger sagte nun eines Tages zu seinem Erstgeborenen: "Nimm einen Topf mit Bohnenbrei. Ich träumte heute nacht von einem alten Kukabaum draußen im Busch. Gehe dorthin, opfere die Bohnen, steige auf den Baum, dann wirst du ein Loch sehen; was du auch darin findest, bringe es mit." Der Sohn ging mit den Bohnen und ging lange, lange, bis er an den Baum kam. Da opferte er die Bohnen, stieg hinauf, fand das Loch, darin Bogen, Köcher und Pfeil, einen Lederschurz und eine Trinkkalebasse. Das alles nahm er, ging heim und brachte es seiner Mutter. Die sagte: "Lege alle deine Kleider ab,



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nimm dies und gehe zur Jagd." Der Jüngling tat es und hatte stets Glück bei der Jagd. Eines Tages kam eine Botschaft, daß sich alle Jäger des Landes zu einer großen Jagd vereinigen wollten. Der Jüngling mit dem ererbten Jagdgerät ging auch hin, ebenso die fünf Söhne des verschollenen Jägers. Am vierten Tage, als sie wieder hinauszogen zur Jagd, kamen die fünf Brüder hinter dem Jüngling zugehen. Verwundert sagte der älteste zu den andern: "Seht, ist das nicht unseres Vaters Jagdschurz, ist das nicht sein Bogen, ist das nicht seine Trinkkalebasse ?" Sie stellten den Jüngling zur Rede. Der behauptete, die Sachen von seiner Mutter erhalten zu haben. Die anderen Jäger kamen dazu, und man beschloß, den Fall in der Stadt zu schlichten. Am nächsten Tage wurde dem König die Sache vorgetragen. Der fragte dann den Jüngling: "Die fünf Brüder sagen, dein Jagdgerät wäre das ihres Vaters. Du sagst, du hättest es von deiner Mutter. Gut! Wir wollen deine Mutter rufen!" Die Frau wurde geholt und gefragt. Da fing sie an zu weinen und sagte: "Ihr alle habt den großen Jäger gekannt", und sie erzählte die Geschichte ihrer Verwandlung. Dann bat sie ihre ersten fünf Söhne in ihre Heimat zurückzukehren und befahl ihren selbstgeborenen zweiten fünf Söhnen jährlich ein jeder den anderen fünf Kauri als Geschenk zu geben. Seit dieser Zeit zahlt jeder Borgumann auch noch in unseren Tagen jedem Beri-Berimann, wenn er ihn zu Neujahr trifft, neun Kauri.


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