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DIE ERZÄHLUNGEN AUS DEN TAUSEND UND EIN NÄCHTEN

VOLLSTÄNDIGE DEUTSCHE AUSGABE IN SECHS BANDEN

ZUM ERSTEN MAL NACH DEM ARABISCHEN URTEXT DER CALCUTTAER AUSGABE AUS DEM JAHRE 1839

ÜBERTRAGEN VON ENNO LITTMANN

BAND 3

IM INSEL-VERLAG


DIE GESCHICHTE VON DEM MANNE. DER DIE GOLDENE SCHÜSSEL STAHL, AUS DER ER MIT DEM HUNDE GEGESSEN HATTE

Es war einmal ein Mann; der war tief in Schulden und in arge Not geraten. Da verließ er Weib und Kind und zog planlos in die weite Welt hinaus; und er wanderte immer weiter, bis er nach einer Weile zu einer Stadt mit hohen Mauern und mächtigen Bauten gelangte. Er ging hinein, elend und gebrochen, vom Hunger gequält und vom Wandern ermattet. Dann schlich er durch eine der Hauptstraßen, und dort sah er eine Schar vornehmer Leute dahingehen. Denen folgte er, bis sie in ein Haus eintraten, das einem Königspalaste glich. Er trat mit ihnen ein, und sie gingen weiter, bis sie vor einem Manne standen, der am oberen Ende eines Saales dasaß, in großer Pracht und majestätischer Macht; und rings um ihn standen die Diener und Eunuchen, als ob er einer von den Söhnen der Wesire wäre. Und als er die Leute kommen sah, erhob er sich vor ihnen und empfing sie ehrenvoll. Der Arme aber, von dem wir erzählen, erschrak über jene Pracht und staunte über das, was er sah. — —«

Da bemerkte Schehrezâd, daß der Morgen begann, und sie hielt in der verstatteten Rede an. Doch als die 344. Nacht anbrach, fuhr sie also fort: »Es ist mir berichtet worden, o glücklicher König, daß der Arme, von dem wir erzählen, über jene Pracht erschrak und staunte über das, was er sah, über das schöne Haus und all die Eunuchen und Diener. Deshalb wich er zurück, verwirrt und bestürzt und um sein Leben besorgt, bis er sich schließlich allein in einem



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Winkel niedersetzte, fern von den Leuten, so daß niemand ihn sehen konnte. Und während er dort hockte, kam plötzlich ein Mann mit vier Jagdhunden; die waren mit mancherlei Seide und Brokat bedeckt, und um den Hals trugen sie goldene Halsbänder mit silbernen Ketten. Jener Mann band jeden einzelnen von ihnen an einer für ihn bestimmten Stelle fest; dann ging er fort, holte für jeden Hund eine goldene Schüssel, die voll köstlicher Speisen war, und stellte für jeden einzelnen seine besondere Schüssel hin. Darauf ging er wieder fort und ließ sie allein; der Arme aber begann die Speisen mit hungrigen Augen zu betrachten, und gern wäre er zu einem der Hunde vorgerückt, um mit ihm zu essen, aber die Furcht vor ihnen hielt ihn zurück. Doch plötzlich sah einer der Hunde ihn an, und da Allah der Erhabene dem Tiere Kenntnis von dem Zustande des Armen verliehen hatte, so trat es von der Schüssel zurück und gab ihm ein Zeichen; alsbald kam der Mann herzu und aß, bis er satt war. Wie er dann wieder gehen wollte, machte ihm der Hund ein Zeichen, er solle die Schüssel mit dem, was noch von der Speise darin war, für sich mitnehmen, und schob sie ihm mit der Pfote hin. Der Arme nahm die Schüssel. verließ das Haus und ging seiner Wege, ohne daß jemand ihm folgte. Dann wanderte er weiter, bis er zu einer anderen Stadt kam; dort verkaufte er die Schüssel, erwarb mit dem Erlös einen Warenvorrat und begab sich damit in seine Stadt zurück. Nun verkaufte er, was er mitgebracht hatte, und bezahlte die Schulden, die auf ihm lasteten; sein Besitz ward immer größer, und er lebte in wachsendem Wohlstande und in lauter Glück. Eine ganze Weile lang blieb er in seiner Stadt; aber dann sagte er sich doch: ,Ich muß nun zu jener Stadt reisen, dorthin, wo der Besitzer der Schüssel wohnt; ich will ihm ein schönes und geziemendes Geschenk bringen und ihm den Preis der Schüssel



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bezahlen, die mir einer seiner Hunde geschenkt hat.' Er nahm also ein Geschenk, wie es ihm angemessen war, und auch den Preis für die Schüssel, brach auf und reiste immer weiter, Tag und Nacht, bis er zu jener Stadt kam. Als er darinnen war, wanderte er, auf der Suche nachdem Manne. durch die Straßen dahin; doch als er schließlich zu der Stätte kam, an der jener gewohnt hatte, fand er nichts als Trümmer, die verfallen waren, und krächzende Rabenscharen; Haus und Hof waren leer, alles war anders ringsumher, und ihre Stätte kannte er nicht mehr. Da erbebten ihm Herz und Sinn, und er sprach das Dichterwort vor sich hin:

Die Kammern stehen leer; geschwunden sind die Schätze,
Wie aus den Herzen Wissen und Gottesfurcht entschwand.
Das Tal ist anders worden; darinnen die Gazellen
Sind nicht wie einst, der Hügel ist's nicht, der einst dort stand.

Und ein anderes Dichterwort:

Bei Nacht erregte Su'das' Schatten mir die Seele
Vor Tag; die Freundesschar schlief in der Wüste dort.
Und als das Nachtgebild, das zu mir kam, ,nich weckte,
Da fand ich leer die Luft und fern den Wallfahrtsort.

Als nun jener Mann die Trümmer erblickte, die verfallen waren. und sah, wie die Hände des Schicksals offenbar mit ihnen verfahren, und wie er von der früheren Pracht nur noch die Spuren fand, da war ihm alles durch den Anblick bekannt. Wie er sich umwandte, sah er einen armen Mann in einem Zustande, der die Haut erschaudern machte und dem selbst der härteste Felsen Mitleid entgegenbrachte. Zu dem sprach er: ,Du da, wie hat des Geschickes Hand sich gegen den Herrn dieses Hauses gewandt! Wo sind seine leuchtenden Vollmonde



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all und die glänzenden Sterne zumal? Was ist der Grund des Unheils, das mit dem Bau sein Spiel getrieben, so daß nur noch die Mauern davon übrig blieben?' Da antwortete jener ihm: ,Er, der Arme, den hier dein Auge erblickt, er ist es, der über das, was ihn entblößt hat, seine Seufzer gen Himmel schickt. Weißt du nicht, daß in den Worten des Gottesgesandten eine Lehre liegt für den, der sich durch sie belehren läßt, und eine Mahnung für den, der sich die rechte Leitung gewähren läßt, jene Worte, die er, dem Allah Segen und Heil spende, gesagt hat: Siehe, es ist ein Recht Allahs des Erhabenen, daß er nichts in dieser Welt erhöht, es sei denn, daß er es wieder erniedrige? Wenn du fragst, was der Grund dieses Unglücks war, so ist doch der Wandel der Zeit nicht wunderbar. Ich war der Herr dieses Hauses, ich habe es aufgerichtet, gebaut und besessen. Mein waren die leuchtenden Vollmonde all und die stolze Pracht zumal, mein die schimmernden Kleinode darinnen und die strahlend schönen Dienerinnen. Doch nun ist der Wechsel der Zeit gekommen und hat die Diener und den Besitz von dannen genommen; er hat mich in meinen jetzigen Zustand gebracht und mich durch die Schicksalsschläge, die er verborgen hielt, elend gemacht. Doch diese deine Frage hat sicherlich einen Grund; drum laß das Staunen und tu ihn mir kund!' Und der Mann, von Schmerz fast wie gebannt, machte ihn mit der ganzen Geschichte bekannt. Dann fügte er hinzu: ,Ich bin mit einem Geschenke, wie es das Herz begehrt, zu dir gekommen, und auch mit dem Preise deiner goldenen Schüssel, die ich von dir genommen. Durch sie ward ich reich, nachdem ich die Armut gekannt; durch sie baute ich mein Haus wieder auf, das vorher so öde stand; sie war es, durch die alle Sorge und Not von mir schwand.' Aber der Alte schüttelte den Kopf, weinte und klagte, seufzte und sagte: ,Du da, ich glaube, du



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bist von Sinnen! So etwas tut ein verständiger Mann nicht. Wie wäre es möglich, daß ich eine goldene Schale, die einer von unseren Hunden dir geschenkt hätte, wieder an mich nähme! Es wäre seltsam, wenn das, was mein Hund gegeben hätte, wieder zu mir käme! Wäre ich auch von grimmigster Not und Sorge beschwert, bei Allah, ich nähme nichts an von dir, und hätte es auch nur eines Nagelspans Wert! Zieh dorthin, von wannen du kamst, wohlbehalten und unversehrt!' Da küßte der Mann dem Alten die Füße und wandte sich zur Heimkehr, indem er ihn pries; und dann, als er sich von ihm trennte und Abschied nahm, sprach er diesen Vers:

Nun sind sie alle fort, die Menschen und die Hunde;
Drum ruhe auf den Menschen und den Hunden Friede!

Doch Allah weiß es am besten!

Ferner erzählt man


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