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Kapitel 

ERZÄHLUNGEN AUS DEM WESTSUDAN

HERAUSGEGEBEN VON LEO FROBENIUS

1922

VERLEGT BEI EUGEN DIEDERICHS/JENA



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TITEL- UND EINBANDZEICHNUNG VON F.H. EHMCKE

MIT DREI TAFELN

119. Das Kind der ungeliebten Frau

Ein Mann hatte drei Frauen. Zweien von ihnen hatte er Namen gegeben, der dritten nicht. Die eine nannte er Ueni-nogo (in Bammana: Allakabung "Gott groß"), die zweite nannte er Uene-guda (in Bammana: Allade-bammara "Gott der Wächter"). Diese beiden Frauen liebte er. Die dritte Frau liebte er nicht; und deshalb hatte er ihr auch keinen Namen gegeben. Wenn sie kochen wollten, gab er den beiden geliebten Frauen feines Korn, der dritten aber nur Mehl von rotem Korn. Er bevorzugte die zwei mit den Namen überall und setzte die dritte überall zurück.

Eines Tages sagte er: "Meine Frauen sollen zum Markt gehen, einzukaufen." Den beiden geliebten gab er gute Bohnen, daß sie daraus guten Bohnenkuchen machen könnten, der auf dem Markte sehr gesucht war. Die dritte, namenlose Frau kam und bat: "Gib mir auch etwas, damit ich es mir für den Markt bereiten kann." Darauf sagte er: "Ich habe keine Bohnen mehr. Willst du vielleicht Mais haben?" Die namenlose Frau sagte: "Ja, bitte gib mir." Darauf gab der Mann ihr verdorbenen Mais. Als sie den empfangen hatte, ging sie in den Busch und suchte sich wohlschmeckende Blätter. Sie bereitete aus dem Mais einen Brei und tat eine aus den Blättern hergestellte feine Sauce dazu. Damit ging sie auf den Markt.

Die beiden wohigeliebten Frauen kauften für ihre Bohnenbällchen Reis und allerhand Leckereien. Die namenlose Frau kaufte für ihren aus verschimmeltem Mais bereiteten Brei aber eine legende Henne. Die anderen Frauen verzehrten den Reis und die Leckereien. Das Huhn der namenlosen Frau aber legte 10 Eier, und aus den 10 Eiern schlüpften 10 Kücken aus. Dann legte das Huhn noch 10 Eier und brütete daraus abermals 10 Küken aus. Die namenlose Frau nahm von dem beginnenden Hühnerreichtum



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13 Küken und kaufte dafür eine Ziege. Die Ziege warf Junge und wieder Junge. Eines Tages nahm die Frau von den jungen Ziegen neun junge Tiere und verkaufte sie gegen eine Kuh. Die Kuh ging in der Herde und war bald trächtig.

Die beiden wohigeliebten Frauen blieben kinderlos. Die namenlose Frau gebar aber ihrem Manne eines Tages einen Sohn. Der Mann sah den Jungen der ungeliebten Frau nicht an und gab ihm keinen Namen. Die Kuh warf ein Kühlem und einen kleinen Bullen. So ging das weiter. Die namenlose Frau kaufte ihrem Jungen, als er herangewachsen war, eine Sklavin, und die gebar drei Kinder, zwei Mädchen und einen Knaben.

So kam es, daß der Sohn der namenlosen ungeliebten Frau gar bald gegenüber dem Gehöft des Vaters sein eigenes Gehöft hatte. Das Gehöft des Vaters war alt, die Häuser alt; es war wenig darin. Das Gehöft des ungeachteten Sohnes der namenlosen, ungeliebten Frau bestand aus neuen, schönen, festen Häusern. Er hatte Frauen, Kinder, Sklaven darin und besaß viele Hühner, Ziegen, Schafe und Rindvieh. Eines Tages ging die namenlose, ungeliebte Frau zu ihrem Manne und sagte: "Wir waren zu dreien deine Frauen. Zweien gabst du Namen. Mir gabst du keinen Namen. Den anderen beiden gabst du gutes Mehl. Mir gabst du schlechtes Mehl. Die anderen beiden blieben unfruchtbar, ich brachte dir einen Sohn. Da du mich aber nicht liebtest, achtetest du auch meinen Sohn nicht und gabst ihm keinen Namen. Mein Sohn hat von dir nichts erhalten, nicht einmal einen Namen. Mein Sohn ist aber wohlhabend geworden und gediehen durch meine Sorge. So will ich ihm einen Namen geben. Mein Sohn soll heißen: Uende-nongoma" (in Bammana: Allah-benfe = "Gott liebt mich").

So sieht man oft, daß ungeliebte Weiber die besten Mütter der besten Kinder sind, und daß geliebte Weiber nichts sonderlich Gutes in der Welt können.


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