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[700]

Hans Vogler an
Bullinger
St. Gallen,
13. Dezember 1535

Autograph: Zürich StA, E lI 351, 173 (Siegelspur) Ungedruckt

Eine englische Gesandtschaft ist auf dem Bundestag in Schmalkalden und führt möglicherweise - wie Württemberg, Augsburg und Pommern -Aufnahmegespräche; die Tagung wurde wegen der Verspätung von Johann [Friedrich, Kurfürst von Sachsen] verlängert. [Gerwig] Blarer, der Abt des Klosters Weingarten, soll von Hans Thomas [von Rosenberg]entführt worden sein. Um Mailand wird gerüstet. Kaspar [Nasal] und [Ulrich] Stoll haben seiner Frau geraten, mit dem Transport nach Zürich noch zuzuwarten. [Ulrich] Eisenhut, der sich in Voglers Haus in Altstätten aufhält, wollte das Fußeisen nach Einsiedeln bringen. Die Appenzeller werden am 14. Dezember eine Landsgemeinde durchführen; Landammann Broger und Weibel [Bernhard Tanner] werden wohl im Amte bleiben. Das beiliegende Schreiben für [Theodor] Bibliander kommt durch [Eberhard]Zangmeister aus Augsburg. Hofft, an Weihnachten in Zürich zu sein; wundert sich über Bullingers Schweigen. Möchte Neues über Genf hören. Grüße.

Min dienst, was ich ernn vermöcht, üch zuvor etc.

Min herr und bruder. von erst acht ich 1 , ir vor wissend filfaltig dess tags Schmalckalden 2 etc. Doch sagt mir och ain ratzfründ 3 von Costentz, daß der künig von Engelland gwiss sin bottschaft daselpst habe 4 , fillicht och in irnn punt begert. Dann der tag syg zu wittrer volstreckung 5 dess puntz, zu dem och denen zu lieb, die vor nitt darinn, und aber jetz darin begern, als Wirttemberg, Ogspurg, Bomerenn und ander stett 6 . Es syg och gwiss darum der tag volstreckt a worden bishar allain hertzog Hansen zu lieb, damit er wider von Wienn haruff selpst in aigner person komen mög 7 etc. Gott erlös andre und geb, daß man es in siner forcht bruche etc.

a in der Vorlage volstreck.
1 nehme ich an (SI I 80).
2 Zur Tagung des Schmalkaldischen Bundes vom 6. bis zum 24. Dezember 1535 vgl. Die Schmalkaldischen Bundesabschiede 1533-1536. Mit Ausschreiben der Bundestage und anderen archivalischen Beilagen, bearb. und hg. v. Ekkehart Fabian, Tübingen 1958. —SKRG VIII, S. 59-78.
3 Unbekannt.
4 Zur Gesandtschaft Heinrichs VIII. s. oben Nr. 698, Anm. 11.
5 Verlängerung (Grimm XII/II 720f).
6 Zum Programm des Bundestages (Verlängerung, Aufnahme neuer Mitglieder,
Religionsprozesse) vgl. Gerd Dommasch, Die Religionsprozesse der rekusierenden Fürsten und Städte und die Erneuerung des Schmalkaldischen Bundes, 1534-1536, Tübingen 1961. — SKRG 28, S. 64f. Zu den aufnahmewilligen Fürsten und Städten vgl. Die Schmalkaldischen Bundesabschiede 1533-1536, aaO, S. 70f.
7 Johann Friedrich, Kurfürst von Sachsen, war im Oktober zu König Ferdinand gereist und traf erst am 12. Dezember, aus Wien kommend, in Schmalkalden ein; vgl. Otto Winckelmann, Über die Bedeutung der Verträge von Kadan und Wien (1534-1535) für die deutschen Protestanten, in: Zeitschrift für Kirchengeschichte 11, 1890, S. 230-235, und PC II 315.

Ittem es sol gwiss der aptt von Wingarten 8 enett Rafenspurg etc. von Hans Thoman 9 hinweg gfürt und gfangen worden 10 ; wo hin, waist man nit, doch sagt man, daß er allweg der recht handler syge wider ettlich. Er sol kurtzlich mit 20 pfärt gen Wien griten sin 11 , fil durch in ghandlet. Etwarn 12 gedunckt, er hab underschloff in Wirttemberg; villicht werd er Hessen och zu sechen 13 . Es ist eben der apt, welchem der lantgraff 14 im krieg uff die achseln gschlagen, gsagt: "Äptly, was wärs, wenn wir zu dir komen wären?" Diser apt ist ain Plarer 15 von Costentz, als ich hör, dem apt von Ainsidlen nach gfrünt 16 .

In Mayland rüst man sich gwiss haimlich und bhend 17 .

Item maister Kaspar 18 und meister Stoll 19 habend mir frowen 20 so fil graten, jetz nit gen Zurich, bis sy ir zu wissen thon. Sy hat die fur abgschlagen 1

8 Gerwig Blarer, von Konstanz, 1495-1567, ein Sproß der Adelsfamilie der Blarer von Girsberg, war ein entschiedener Verteidiger der katholischen Kirche. Nach einer ersten Ausbildung im Kloster Weingarten bezog Gerwig Blarer 1515 die Universität Freiburg, schloß 1517 als Baccalaureus artium ab, studierte ab 1518 in Wien und erwarb sich 1519 in Ferrara den Titel eines Lizentiaten des kanonischen Rechts. Im Jahre 1520 wurde er zum Abt des Klosters Weingarten gewählt. Als Klostervorsteher war der gesellige Gerwig Blarer zwar ein schlechter Haushalter, doch als Kirchenpolitiker, etwa als Vertreter der Prälaten im Schwäbischen Bund, auf Reichstagen, oder aber durch seine vielfältigen Beziehungen zu geistlichen und weltlichen Würdenträgern, war er einflußreich. 1530/31 wurde er kaiserlicher und königlicher Rat sowie Hofkaplan, 1547 zudem Abt des Klosters Ochsenhausen. Dem Papst Julius II. diente er als Legat, und Kaiser Karl V. machte ihn 1556 zum Kommissar am Reichskammergericht. — Lit.: Gerwig Blarer BA I, bes. S. XIII-XXXIX; Kindler von Knobloch I 101; HBLS II 266.
9 Hans Thomas von Rosenberg, gest. 1539, aus fränkischem Rittergeschlecht, dessen Burg Boxberg 1523 im Rahmen einer Aktion des Schwäbischen Bundes gegen Landfriedensbrecher zerstört worden war, suchte sich nach erfolglosen Bemühungen um Rückerstattung oder Entschädigung (u. a. mit einer gedruckten Supplikation auf dem Regensburger Reichstag 1532) durch Plünderungen, Überfälle und
Erpressung an einzelnen Mitgliedern des Bundes schadlos zu halten. Ein Versuch von Jakob Sturm im Jahre 1538, zwischen Rosenberg und einigen oberländischen Städten zu vermitteln, schlug fehl. — Lit.: Josef Frey, Die Fehde der Herren von Rosenberg auf Boxberg mit dem Schwäbischen Bund und ihre Nachwirkungen (1523-1555), Diss. phil. Tübingen 1925 (Maschinenschrift); ders., Die Fehde der Herren von Rosenberg auf Boxberg mit dem Schwäbischen Bund, insbesondere mit Ulm (1523-1555), in: Ulmer Historische Blätter 1, 1924/1925, Nr. 10, S. 6-8. Nr. 11, S. 1-3. Nr. 13, S. 3-7. Nr. 15, S. 3-6. Nr. 16, S. 3-5; PC II 536-538; PA I-IV, Reg.
10 Eine Entführung fand nicht statt; doch das Gerücht machte noch im Frühjar 1536 die Runde (vgl. Gerwig Blarer BA I 275, Nr. 434, und Frey, in: Ulmer Historische Blätter, aaO, Nr. 13, S. 4).
11 wohl zu König Ferdinand.
12 Manche.
13 sich des Hessen annehmen (vgl. SI VII 584).
14 Philipp, Landgraf von Hessen.
15 Vgl. oben Anm. 8.
16 verwandt (SI I 1305f). —Ludwig II. Blarer, Abt des Klosters Einsiedeln, gehörte der Linie der Blarer von Wartensee an.
17 Über die Aktivitäten um Mailand vgl. auch oben Nr. 627, 13-15 und Nr. 698, 19-22 mit Anm. 5.
18 Kaspar Nasal.
19 Ulrich Stoll.
20 Appolonia, geb. Baumgartner.
21 den Transport abgesagt.

Ittem Appenzeller sach 22 stat alsso: Isenhut ist in minem hus zu Altstetten, gen uch gret 23 . Als erm rat Apenzell gschriben 24 , daß er das ysen gen Ainsidlen tragen welt; als er har gen S. Gallen zu mir kam und über etlich tag inhe 25 wolt, hab ich mit gottes hilff imm das mit ernstlichen worten beredt, daß er wisse, wie gott die berg kilchen ghalten 26 , dessglich, ob er das ysen zu air ewigen zügnus dem land oder den sinen dahar hencken welt 27 etc., so fil, daß er welt das schriben underwegen glassen. Patt ich in, daß er in ghaim mir frowen das ysen zu ghalten gäbe. Das er gethon etc.

Und uff jetz zinstag 28 habend die Apenzeller aber 29 ain grosse gmaind angesechen, ernstlich; dann filen fil ding zu schwär bedunck, namlich das onmässig spilen erlopt; wellentz nit haben. Wie wol man acht, der aman Broger und der waibel 30 , so yetz sind, blibend 31 . Gott schick es zu sinen eren. Amen.

Item disen biligenden b[rieff] kompt von Mämingen har, vom Zangmaister 32 , von Ogspurg im überantwurt. Ghört dem Theodor 33 . Haissend dem knaben 34 1 batzen gen; hab ich verhaissen.

22 Vgl. dazu oben Nr. 627, 29-48; 674, 2-26; 683, 2-22.
23 im Vertrauen gesagt.
24 Nicht erhalten.
25 hinein, nach Einsiedeln.
26 Voglers Argument bleibt unklar.
27 Eisenhut hatte wohl die Absicht, das Fußeisen, das ihm der Schlosser nach der Flucht abgenommen hatte (vgl. oben Nr. 683, 13f), in der Wallfahrtskirche von Einsiedeln gleichsam als Votivgabe aufzuhängen. — Vogler glaubte bereits am 17. November, Eisenhut hätte es nach Appenzell zurückgeschickt (vgl. ebd., Z. 18).
28 14. Dezember 1535.
29 wieder.
30 Bernhard Tanner.
31 Ulrich Broger und Tanner waren am 28. November 1535 an die Stelle von Landammann Heinrich Baumann und Landweibel Cristen Wyser gewählt worden (vgl. Büchler 40). Zur Landsgemeinde vom 14. Dezember vgl. Appenzeller Urk. II 11111, Nr. 2004.
32 Eberhard Zangmeister, 1476 bis 1539, stammte aus wohlhabendem Handwerkergeschlecht Memmingens. Zum Kaufmann herangebildet - von 1505 an leitete er die Handelsgesellschaft seines verstorbenen Onkels -, übernahm er ab 1509 zunehmend politische Ämter, wurde
1516 in den Rat gewählt, war 1520/21 und 1524/25 Zunftmeister der Kramerzunft sowie von 1526 bis 1536 Bürgermeister im jährlichen Wechsel mit Hans Keller (vgl. [Ascan] Westermann, Die Memminger Ammänner und Bürgermeister, in: Memminger Geschichts-Blätter 20, 1935, S. 29). Zangmeister wuchs in der Reformation zum Führer der reformatorisch gesinnten (zwinglischen) Partei heran und vertrat Memmingen an zahlreichen Reichs- und Städtetagen, an Tagungen des Schwäbischen wie auch des Schmalkaldischen Bundes, z. B. 1526 am Reichstag zu Speyer, 1529 am Tag in Schmalkalden, im Dezember 1534 zusammen mit Gervasius Schuler an der Theologenzusammenkunft in Konstanz (vgl. auch HBBW IV, S. 456, Anm. 16) und im April 1535 am Kreistag in Worms. —Lit.: Ascan Westermann, Eberhart Zangmeister. Ein Lebensbild aus der Memminger Reformationszeit, Memmingen 1932. — Einzelschriften zur Geschichte der Familie Zangmeister 4).
33 Theodor Bibliander. — Gemeint ist vielleicht der nicht erhaltene Brief von Bonifacius Wolfhart, den Bibliander gegenüber Myconius um die Jahreswende mehrfach erwähnt (s. Zürich StA, E II 340, 68. 79b. 75).
34 Unbekannt.

Wills got, so wil ich uff wienachten ongfar lugen 35 , was ir thügend. Mich wundert, daß ir mir nit schribend, wie wol nächster 36 bott 37 sagt, ir hettend in ghaissen wider komen; da waren ir nit anhaimsch 38 . Sind ir min find, so sagend mirs.

Item wie es um Jenff 39 stand.

Grüssend mir frowen 40 och mir alles hus, och min her Rösten, maister Kasparn und ander.

Yn yl, Sant Gallen, uff mentag, den 13. tag december anno 35. jar.

[Adresse auf der Rückseite:] An min gelieptte[n]b hernn und fr[ündt]c , M. Hainrichen B[ullinge]rn d , prediger z[u Zür]ich e .