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[645]

Hans Vogler an
Bullinger
St. Gallen,
6. September 1535

Autograph: Zürich StA, E lI 351, 174 (Siegelspur) Ungedruckt

Ist gesund und freut sich über Bullingers Wohlbefinden. Aus Venedig wurde bestätigt, daß der Kaiser Tunis erobert hat; [Cheireddin] sei aber entkommen. Eine Seuche rafft in St. Gallen - wie offenbar auch in Zürich - viele Menschen hin. Hat Mitleid mit den entmannten Priestern. Bürgermeister [Eberhard Zangmeister] aus Memmingen setzt nach dem Esslinger Städtetag große Hoffnungen auf den [Schmalkaldischen] Bund. Die beiden Zürcher Trompeter sind von Vadian abgewiesen worden; vielen mißfällt das unerlaubte Betteln. Wünscht Bullingers Haus vor Unbill verschont. Hat gehört, daß [Konrad] Pellikan und Leo [Jud] nächstens nach St. Gallen kommen. Bullinger kann neue Nachrichten Hans [...]mitgeben. Grüße.

Gott mitt unns durch sinen sun. Amen etc.

Min herr unnd bruder, wissend unnsser gsonnthaitt, welches wir 1 , so es gottes will, mitt hertzen gernn vernämend etc.

Min herr doctor 2 , wir wissend uch nitt sonders nüwes, dann dem fümampsten koffman 3 alhie (alls ir villichtt vor wissend) ist von Venedig und noch ab ainem ortt glichlich geschribenn, dem er nun me glouben giptt wie vormals, das k[aiserlich] m[aieste]t Thunis eroberett 4 . Fürnämlich: Alls er angfaren, die find suchen wellen, syge er in ain innsel gfarnn, die selben erobrett, darinn der Barbarrossa selpst gelegen 5 . Us der selbigen innsel vylen uff dem mer schaden beschechenn, vyl schiffung darinn gelegen, daß man hart darzu komen. Alls nun Barbarossa gesechen hab die sach verlornn, hab er ainen list gebruchtt (daß zu achten, er nitt am strit gwessen), habe by 400 pfärt genomen

1 zu ergänzen mit: auch von euch.
2 Joachim Vadian.
3 Unbekannt.
4 Zum Tunis-Feldzug von Kaiser Karl V. vgl. oben Nr. 520, 4-8 und Anm. 3-5.
5 Gemeint ist wohl die Festung Goletta; Cheireddin, genannt Barbarossa, befand sich allerdings in der Stadt Tunis. Vgl. Brandi I 314.

und hinwegk entrunnen 6 . Was sidhar beschechen, wais ich nitt, oder was zu glouben ist etc.

Ittem alhie zu Santt Gallen ist die kranckhait fast by fylen, der rott schaden und wis 7 , vyl kindly sterben, och frowen, wenig mann. Gott trost alle und wende alles übel von uns zu sinem lob. Amen.

Ittem vyl gschray, wie fast es by uch sterbe, ettlich tags 40 menschen, alls ich nitt glouben 8 .

Ittem mich erbarmen die pfaffen, den man die hoden ushowtt 9 ; wärend es mönch.

Ittem alls min her doctor ain burgermaister von Mämigen 10 , der alhie gsin uff aim hochtzitt, gfragt dess tags halb zu Essligen der stetten 11 , sol er im geantwurt fil gutz, mitt achtung, in stille, das sich ir punt, ob gott wil, fast meren 12 etc. Zu dem werd andrer fromer och nitt vergessenn.

Ittem die bed trumetter 13 uwer sind hie gsin, hettend ger wörk 14 gheptt. (Der Stücheler 15 ist fast reder 16 gsin.) Dem selben ist von mim bern doctor geantwurt, er hab ettlich, so er gernn daby, nitt da. Alsso abgwisen. Vyl habend ab bettlen ain misfallen, wo es nitt us ordnung oder sendung air oberkait beschichtt. Och die sag, der gross 17 hab grett, sin frow ligg tod kranck. M[ine]g[nedigen] h[erren] habend im gonnen 18 hinwegk, wais nitt etc. Doch kentt man wol. Alsso hat der Stücheler sy mit der trumen 19 mitt wenigen wider zur statt us plaiten 20 .

Min frow 21 und ich grüssend üwer gantz hus und pittend von gott ernstlich, daß er üch nach sinem willen vor gaystlicher und liplicher pestelentz behüten welle. Das wirdt er thon.

6 Cheireddin floh über den Landweg, als die kaiserlichen Truppen gegen Tunis zogen und in der Stadt Christensklaven die Herrschaft übernahmen (vgl. ebd., S. 315).
7 Mit dem roten und weißen Schaden ist gemeint: Durchfall mit und ohne Blutabgang (SI VI 1744f).
8 Zum ersten Hinweis auf die Pest in Zürich in unserem Briefband vgl. das Schreiben des Johannes Lang vom 19. August (oben Nr. 630).
9 Kurz zuvor, am 29. August, hatten die Gebrüder Roggenbach, die Anführer der sogenannten Solothurner Banditen, bei Biberist (Kt. Solothurn) den Leutpriester Johann Jakob Würzgarter überfallen, mißhandelt und seine Geschlechtsteile verstümmelt (vgl. Schmidlin 336f und unten Nr. 667, 13f). Daß dies kein Einzelfall war, geht aus dem Brief Hallers an Jakob Bedrot vom 5. Sept. 1535 hervor (vgl. oben Nr. 643, Anm. 13).
10 Eberhard Zangmeister.
11 Vom 22. bis zum 25. August 1535 hatte in Esslingen ein Schmalkaldischer Städtetag stattgefunden (vgl. Fabian, Städtetage III 267-298).
12 sich sehr vergrößern werde.
13 Trompeter (SI XIV 1057-1059). — Weiter nicht bekannt.
14 Flachs oder Hanf (Grimm XIV/I 2 318).
15 Stücheler, auch Steicheler, von St. Gallen, tritt in den Quellen als Unterhalter und Spaßmacher in Erscheinung; so war er z. B. — von Vadian autorisiert - im August 1547 am Schützenfest in Zürich, um für Kurzweil zu sorgen (s. Vadian BW VI 645); vgl. auch Zimmerische Chronik, hg. v. Karl August Barack, 2., verb. Aufl., Bd. III, Freiburg i. Br. und Tübingen 1881, S. 422f.
16 Sprecher (SI VI 576f).
17 Wohl einer der beiden Trompeter.
18 gegönnt, geschenkt (SI II 332f).
19 Trommel (SI XIV 1018-1021).
20 begleitet.
21 Appolonia, geb. Baumgartner.

Zu letst, ob in kürtze Pellican und Mayster Löw 22 har 23 wellend, als mir min her doctor in ghaim gsagt.

Habend ir wil oder nüwe zitung, schribend uns wider by zöger, dem gutten Hanssen 24 . Ich mocht liden, das er sich Zürich nider lies, alls mich etwas willens bedunckt.

Actum S. G[allen], yl, uff mentag vor Zurycher kilwy 25 anno 35. jar.

U[wer]williger Hans

Vogler. Grützend mir min her Rösten, mayster Kasparn 26 , Hans Müllern, Rordorffern, ja hand ir der wyl.

[Adresse auf der Rückseite:] An min sonnders geliepten hernn unnd frünndtt M. Hainrychen Bulligem, predyger [zu Zürych]a .