Projektseite Bullinger - Briefwechsel © Heinrich Bullinger-Stiftung
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52

BERCHTOLD HALLER AN
BULLINGER
[Bern],
28. Dezember [1531]

Autograph: Zürich StA, E II 343, 44 1/3 fol. S., sehr gut erhalten, mit Siegelabdruck Gedruckt: Füssli I 89-91

Entschuldigt sich wegen seiner früheren Klagen und Fragen, berichtet über neue Bestrebungen hinsichtlich der Exkommunikationsordnung in Bern, bittet um Bullinger: Hilfe für Megander und um Nachrichten über den angeblichen Zuzug von Zürcher Söldnern nach Frankreich.

Gratiam et pacem a domino.

Non dubito, cordatissime Huldrice [!], quin a Funckio Bernate 2 meas acceperis litteras 3 quibus ita morosum atque molestum tibi proculdubio me facio, quod malis Berchtoldum nunquam novisse, quam sua ignorantia a suisque neniis et quaestiunculis ita onerari et urgeri; sed certe charitas erga me tua iam dudum mihi perspecta a cogitationibus huiusmodi retrahit. Quod igitur in multis tuo consilio tuaque ingenii dexteritate [!] b indigeo atque expostulo, non graveris vel per Funckium vel hoc nuncio 4 respondere; singula enim sunt, quae movebuntur, quibus citra longam meditationem satisfacere nequeo.

Hac hora accipio a parochis quibusdam, quod ministri excommunicationem verbi a senatu impetrare nituntur 5 . In promptu sunt, quae olim ad me scripseras ea de re 6 , que item ante annum Oecolampadius 7 in comitiis Aroensibus legatis christiane olim civitatis obtulerat 8 . Locutus sum et ego Aroe prima augusti huius

a Aus sue ignorantie unvollständig korrigiert: das zweite e blieb.
b vor dexteritate gestrichen tua [?].
1 Siehe oben, S. 205, Anm. 1.
2 Wahrscheinlich Meister Hans Funk, geb. vor 1470 in Zürich, gest. vor 1545, hervorragender Glasmaler. Seit 1499 in Bern wohnhaft, nahm er 1504 am Zürcher Freischießen teil (Glückshafenrodel I 182); 1519 Mitglied des Großen Rates in Bern (ABernerRef 495. 1102). Funk gilt als bedeutendster bernischer Glasmaler seiner Zeit; er lieferte Scheiben zu profanen und kirchlichen Zwecken. Den Rückgang seines Gewerbes in der Reformationszeit verspürte er zunächst kaum; er nahm auch weiterhin Bestellungen aus benachbarten katholischen Orten an. Funks Leben endete tragisch: 1539 erstach er im Streit einen Glasmaler, floh nach Zürich und lebte dort in Verbannung. Er starb möglicherweise bereits 1539/40, jedenfalls vor seiner Frau, die 1545 als Witwe erscheint. Ob ihn Bullinger bereits 1528 in Bern kennengelernt hat, oder erst bei der Übergabe von Hallers Brief, läßt sich nicht sagen. — Lit.: Hans Lehmann, Die Glasmalerei in Bern am Ende des 15. und Anfang des 16. Jahrhunderts, in: Anzeiger für schweizerische Altertumskunde, NF, Bd. XVI, 1914, S. 306-324; Bd. XVII, 1915, S. 45-65. 136-159. 217-240. 305-329; Bd. XVIII, 1916, S. 54-74. 135-153. 225-253; HBLS III 360; Schl. 6843-6845.
3 Der Brief ist nicht erhalten geblieben.
4 Unbekannt.
5 Nämlich auf der auf den 9. Januar 1532 festgesetzten Synode. — Zur Frage des Bannes und zur Vorgeschichte dieser Aktion s. oben S. 207, Anm. 7.
6 Siehe oben Nr. 39.
7 Siehe oben S. 197, Anm. 1.
8 Der Text des Protokolls über das auf dem Burgrechtstag in Aarau vom 27. September 1530 gehaltene, die Kirchenzucht betreffende Referat Oekolampads ist u. a. gedruckt: Oekolampad BA II 782 (weitere Angaben über Manuskripte und Drucke s. ebenda, Anm. 1).

anni cum Oecolampadio 9 , et certe eo veneramus, quod ritus noster in mulctandis malis non adeo absurdus illi videbatur, nisi quod contendebat suum scripture et verbo viciniorem alienumque esse debere a functione nostra, quod ordinatis a magistratu iudicibus assideremus; sic enim ecclesie adimi auctoritatem et totam reiici in magistratum, nosque et verbum nostrum ob hanc judiciariam functionem odiosos reddi. At ego spero senatum nihil immutaturum, nisi prius a fratribus etiam aliarum ecclesiarum consilia susceperimus 10 .

Megander 11 noster adhuc quiescit, ad cuius causam probe diluendam te quoque expecto 12 Velim tamen priores litteras omnino igni commendares, ne per alios, quibus id tu crederes, male de me suspicari posset; nolim enim quempiam facile offendere 13 .

Ceterum audimus hic et Tigurinos Gallorum regi milites admisisse; quod si ita fuerit, statim actum erit per totam Helvetiam de verbo dei. lusserat dominus Imm Hag 14 , ut a te veritatem percontarer 15 . Obsecro igitur per communem nobis Christum, respondeas ad omnia. Pellicanum 16 urge, ut et ipse credat, si que fuerint annotationum suarum excuse 17 .

9 Zur Besprechung zwischen Oekolampad und Haller s. Oekolampad BA II 901.
10 Von einem weitern Vorstoß in dieser Angelegenheit ist nichts bekannt, vgl. u. a. Kurt Guggisberg, Bernische Kirchengeschichte, Bern (1958), S. 153. 179.
11 Siehe oben S. 214f, Anm. 53.
12 Meganders Streit mit der Obrigkeit (s. oben S. 229,18f und S. 236,10ff) wurde schließlich durch die Vermittlung Wolfgang Capitos auf der Berner Synode vom 9. bis 14. Januar 1532 geschlichtet (ABernerRef 3279; vgl. Guggisberg, aaO, S. 1470; Otto Erich Strasser, Capitos Beziehungen zu Bern, Leipzig 1928. —QASRG IV, S. 77-82).
13 Bullinger scheint diesem Wunsch entsprochen zu haben; der letzte, diesem vorausgegangene Brief ist jedenfalls nicht erhalten geblieben.
14 Sicherlich Peter Im Haag, gest. 1564, Sohn des Ratsherrn Gilg Im Haag, wurde 1514 Mitglied des Großen Rates, 1517 des Kleinen Rates, war 1518-1522 Landvogt zu Bipp. 1528 wurde er Bauherr, dann Venner für je vier Jahre: 1529, 1536, 1546 und 1554. Im Haag war am Oberländerfeldzug 1528 (s. Z IX 584,2), an beiden Kappeler Kriegen und den darauffolgenden Friedensverhandlungen sowie an zahlreichen Ratsabordnungen beteiligt (ABerner Ref. Reg.). Als Freund der Reformation stand er zu Zwingli in freundschaftlicher Beziehung (s. Z XI, Reg.); seine Ehrlichkeit und große Erfahrung werden von Zwingli anerkennend erwähnt (Z IX 401,3). Im Haag war einer der beiden Berner Abgeordneten, mit denen sich Zwingli im August 1531 am Ende der Tagsatzung in Bremgarten vertraulich unterhalten hatte (HBRG III 48). Über seinen Tod schreibt Johannes Haller in seiner Chronik: «Den 3. October 1564 starb Herr Peter im Hag, alt Venner,... ein frommer gottsförchtiger Mann und der ersten einer, so das Evangelium hie helfen fürderen», (zitiert Z IX 115, Anm. 11). Als Abgeordneter auf den Tagsatzungen vom Juni, Juli und August 1531 berichtete Im Haag den zürcherischen Gesandten in vertraulichen Gesprächen über die Verhandlungen, politischen Auseinandersetzungen und Gegensätze im Berner Rat. Da diese Informationen jedoch durch eigene Parteinahme gefärbt und gewissermaßen gefälscht waren, trugen sie dazu bei, daß in Zürich die Politik Berns verkannt und für Zürich günstiger dargestellt wurde, als sie in Wirklichkeit war. Bullinger kannte Im Haag wahrscheinlich seit der Berner Disputation von 1528. Im Sommer 1531 traf er ihn wohl öfters während der Tagsatzung in Bremgarten; das letzte Gespräch der Berner mit Zwingli fand in Bullingers Haus statt (s. oben). Im Zweiten Kappeler Krieg hielt sich Im Haag als Venner mit den bernischen Truppen wieder in Bremgarten auf (HBRG III 184).—Lit.: HBRG 11192; Peter Lauterburg, Die Informationstätigkeit der zürichfreundlichen Berner. (Zwei Beispiele aus dem Jahr 1531), in: Zwa XII 207-221; LL IX 375; HBLS IV 337.
15 Die Nachricht war falsch; Zürich hielt an seinem in weiten Kreisen unpopulären Verbot des Reislaufens fest.
16 Siehe oben S. 201f, Anm. 11.
17 Wie auch andere, drängte Haller auf die Herausgabe von Pellikans Kommentaren zum Alten Testament, von diesen erschien im August 1532 der erste Band (freundliche Mitteilung von Herrn Christoph Zürcher, Biel).

Vale et perpetuo barbariei parce.

28. decembris.

Tuus ex animo et ad aram

B. Hallerus c

[Adresse auf der Rückseite:] An Meister Heinrich Bullinger, predicanten ze

Zürich, sinem günstigen und eerenden herren.

c daneben eine Bemerkung von späterer Hand über den Abdruck bei Füssli.