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[535]

Peter Rümeli an
Bullinger
Frauenfeld,
27. Februar [1535]

Autograph: Zürich StA, E II 441, 45 (Siegelspur) Ungedruckt

Berichtet auf Ersuchen Bullingers über den Pfarrer von Frauenfeld, Michel von Üsigen, und über dessen anstößige Reden, die von verschiedenen Zeugen gehört wurden. Mehrere glaubwürdige Leute beschuldigen den Pfarrer außerdem, in Tübingen Ehebruch begangen zu haben. Er hetzt die Edelleute gegen die Prädikanten auf, doch wer rechtschaffen ist, durchschaut ihn. Rümeli dankt für Bullingers Beistand in einer persönlichen Angelegenheit.

a vor opido gestrichenes oppido.
b Die Namen und der Schluß des Satzes stehen auf der rechten Blattseite untereinander.
13 Siehe oben Nr. 532, Anm. 2.
14 Leonhard Hospinian.
15 Stein am Rhein (Kt. Schaffhausen).
16 Kempten (Allgäu). — In diesen Zusammenhang gehört wohl ein undatierter und unsignierter Brief Zwicks, in dem dieser eine nicht genannte Person unter Hinweis auf eine vorausgegangene Unterredung dazu auffordert, mit Bullinger und anderen Zürcher Gelehrten über eine Anstellung von Hospinian als Schulmeister von
Stein zu verhandeln (Zürich StA, E II 441, 65).
17 Zur Redensart vgl. Adagia, 1, 4, 30 (LB II 161f).
18 Theodor Bibliander.
19 Leo Jud.
20 Gervasius Schuler.
21 Thomas Gaßner.
22 Zu den Stellungnahmen von Theologen aus mehreren oberdeutschen Reichsstädten vgl. Seidel 79-81.
1 Die Erwähnung Michels von Üsigen als Pfarrer von Frauenfeld (unten Z. 3) ermöglicht die Datierung auf 1535 (vgl. Anm. 3).

Salutem et conscientie pacem per Christum.

Besonder lieber herr und vatter, ich füg uch ze wissen 2 uff üwer begären, das her Michel von Üsigen 3 , pfarer zu Frowenfeld, öffenlich geprediget hat, Maria sye ein furbitterin, sy hab dem schlangen das houpt zerträtten 4 , und wer sy in allen nötten nit fur ein helferin erkenne und a anrüfe, den halt er fur ein kätzer. Das hand zwen predicanten und andere gloubhafte personen gehört, glich b nach Nicolai 5 geschehen. Item in dem ersten sontag in der fasten 6 , man müß nachlassung der sünd durch das furbitt des priesters in der bicht, die man nempt die orenbicht, erlangen, und wär nit bichte, der wärd nit sälig. Dan Christus habe wol die sünd hin gnomen, ja als vil als am[!] im stande. Item er hat am domstag nach esto mihi 7 öffenlich in Heinrich Capelers 8 huß im oberen stublin gredt: "Hier ist oder stat c der man, der, wie wol er klein ist, groß unglück kan anrichten." Das hat einer uf unser siten und der statknecht uf irer syten ghört 9 , und ist gemeldet von einem gsessnen 10 radt Frowenfeld. Aber einer hat in versprochen 11 und gredt, er hab es nur in schimpf wiß 12 geredt. Also hat im wyter niemant nach gefraget. Es lyt ein brief 13 hinder den schultheß Federlin 14 , der zeigt an, wie er ein biderman von Tübigen sin wyb hab hinweg gfürt etc. 15 , von gloubwirdigen lüten geschriben. Es hat ouch der

a und übergeschrieben.
b glich übergeschrieben.
c oder stat übergeschrieben.
2 gebe euch Nachricht (SI I 702).
3 Der aus Württemberg stammende, sonst immer nur "Herr Michel" genannte Geistliche war im August 1534 als Pfarrer nach Frauenfeld berufen worden. Zuvor hatte er im Kloster Kreuzlingen gepredigt (s. Blarer BW I 487f. 537). Weil er sich dort beleidigend über die Eidgenossen geäußert hatte, wurde er im Januar 1536 nach längerer Haft aus der Eidgenossenschaft vertrieben (s. EA IV/1c 607 1; Zürich StA, A 205. 1, Nr. 153; A 277. 1, Nr. 3f; B IV 6, f. 148. 215). Die Herkunftsbezeichnung "von Üsigen" läßt vermuten, daß es sich um den 1525 in Tübingen immatrikulierten Augustinermönch "Michel Sibolt ex Yesingen" (von Tübingen-Unterjesingen?) handeln könnte (s. Tübingen, Matrikel I 252, Nr. 33).
4 Vgl. Gen 3, 15.
5 6. Dezember 1534.
6 14. Februar 1535.
7 11. Februar 1535.
8 Ein Heini Kappeler von Frauenfeld war 1536 Statthalter und Mitglied des Kleinen Rates (s. HBLS IV 454). Wahrscheinlich handelt es sich um den 1543
verstorbenen Gerber Heinrich Kappeler; vgl. Zur Familiengeschichte des Geschlechts der Kappeler in Frauenfeld, anno 1910 aus den Quellen geschöpft und bearbeitet von F. Schaltegger, Thurgauische Kantonsbibliothek Frauenfeld, Ms Y 413, S. 8f. 11.
9 Die Namen der beiden Zeugen sind nicht bekannt.
10 vollzählig versammelten (SI VII 1750).
11 entschuldigt (SI X 782-785).
12 im Scherz (SI VIII 784).
13 Ein solcher Brief scheint nicht erhalten zu sein.
14 Hans Heinrich Federli d. A., gest. 1549, von Frauenfeld, ein Anhänger der Reformation, war vielleicht schon 1527 und 1532, sicher aber jedes zweite Jahr zwischen 1534 und 1548 Schultheiß von Frauenfeld. Im Müsserkrieg (1531) befehligte er als Hauptmann das Thurgauer Fähnlein. Bullinger begegnete ihm 1536 in Zürich (s. Zürich StA, E II 355, 79), doch scheint er nie mit ihm korrespondiert zu haben. — Lit.: HBRG II 358; ASchweizerRef II. III, Reg.; EA IV/1b-e, Reg.; Ernst Leisi, Geschichte der Stadt Frauenfeld, Frauenfeld 1946, S. 229.
15 Über die Michel von Üsigen zur Last gelegten Verfehlungen ist nichts Näheres bekannt.

doctor uß der Ow 16 zu einem frummen gloubwirdigen man gredt, es syge war, er syge am chorgricht gsessen, do man das wyb hab von irem man gscheiden, die hab gredt, er hab irs an gethon, das sy im müß nach gan, aber durch im medicum wider curiet syge, da d sy im spinn figend 17 worden. Was her Cunrat Schreyvogel hat vonn im gseit, ist uch on zwifel wol wissent 18 . Solliche und andere reden stoßt er offenlich uß und hat zum alten kilchherren 19 gredt uf dem weg von Tobel gen Frowenfeld, sy habend wol umb ein rock wermer dan wir von dem landtsfryden 20 etc. Item er e hab keinem kein wyb hingfürt, sy sie selbs nachi gloffen, und er wette es noch thun und keiner weren, sy were eins webers oder eins anders wyb etc. Wie erlich er huß halte mit einer dirnen, die im ein meßpfaf im huß helt durch die fasten, weist mengklich 21 . In summa, es ist ein frävenlicher, böser mensch, der wenig schaden dem evangelio thut mit sinem leeren 22 und üppigen leben, aber die edellüt mächtig, wo er kan, wider die predicanten ufwist 23 und verhetzt. Doch was rechtsinnigs ist, das gloubt im nit, so lichtfertig ist er in sinen worten etc.

Ceterum, lieber herr, ich danck uch üwer müg und arbeit minet halben nülich gehabt 24 , und wo ich söllichs und anders möcht mit minen armen diensten beschulden 25 , wet ich bereit und willig sin. Hie mit empfilch ich mich üwer liebe und vätterliche trüw.

Datum Frowenfeld, 27. februarii.

Petrus Rymelin,

allzit u[wer]w[illiger] diener.

[Adresse auf der Rückseite:] Dem wolgelerten, frummen M. H[einrich]] Bull[inger], sinem lieben herren.

d da übergeschrieben.
e er übergeschrieben.
16 Gemeint ist wohl Dr. iur. Johannes Roming (Röming, Raming, Ranning), gest. 1542, Hofrichter des Abtes und Chorherr zu Niederzell/Reichenau. Roming war 1523 als Nachfolger des Generalvikars Johannes Fabri von Tübingen nach Konstanz berufen worden, hatte dieses Amt aber offenbar nur bis 1524 inne. Ob es sich bei ihm um den Nürnberger Humanisten Johannes Romming von Bayreuth handelt, der 1510 in Köln zum Magister promovierte und sich 1516 in Ingolstadt erneut immatrikulierte, ist ungeklärt (vgl. Gustav Bauch, Die Nürnberger Poetenschule 1496-1509, in: Mitteilungen des Vereins für Geschichte der Stadt Nürnberg 14, 1901, S. 431, 56-60). — Lit.: Die
Kultur der Abtei Reichenau. Erinnerungsschrift zur zwölfhundertsten Wiederkehr des Gründungsjahres des Inselklosters 724-1924, Erster Halbbd., München 1925, S. 450f; Vögeli, Schriften II/lI 1074, Anm. 430 und Reg.
17 spinnefeind.
18 bekannt (Grimm XIV/II 772f).
19 Hans Frei, der evangelisch gesinnte, im August 1534 abgesetzte Vorgänger Michels von Üsigen, vgl. Sulzberger 2; HBBW IV, S. 452, Anm. 17.
20 d. h. die Altgläubigen seien dank dem Friedensschluß von 1531 in einer besseren Lage als wir; zur Redensart vgl. SI VI 824.
21 Näheres darüber ist nicht bekannt.
22 Lehren.
23 aufwiegelt.
24 Vgl. oben Nr. 533, 2-4 mit Anm. 3.
25 vergelten (SI VIII 660).