Projektseite Bullinger - Briefwechsel © Heinrich Bullinger-Stiftung
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Kapitel 

Einleitung

Das Jahr 1535 ist -bezogen auf den Bullinger-Briefwechsel - kein Jahr der großen Ereignisse, im Gegensatz zum vorangegangenen, besonders aber zum nachfolgenden Jahr. Gleichwohl spiegeln die Briefe, die wir in diesem Band vorlegen können, sehr eindrücklich zwei interessante Entwicklungszüge, die im Jahre 1536 im militärischen wie im politisch-kirchlichen Bereich ihren sichtbaren Abschluß finden werden: Im politischen Geschehen um Genf nimmt im Herbst des Jahres die Spannung zwischen Bern und Savoyen derart zu, daß am Jahresende der Krieg nicht mehr abzuwenden ist - ein Krieg, der bekanntlich die Eroberung der Waadt durch Bern und die Befreiung Genfs zur Folge hat. Die Diskussion um das Abendmahl erbringt trotz unablässiger Vermittlungsbemühungen der Straßburger keine Annäherung der lutherischen und zwinglischen Positionen, wohl aber einen Schulterschluß der Reformierten; nach klärenden Gesprächen der Zürcher mit den Bernern und Baslern einigt man sich noch vor Ablauf des Jahres auf die Basler Konferenz, auf der im Februar 1536 das Erste Helvetische Bekenntnis Tatsache werden sollte.

Das politische und religiöse Weltgeschehen bleibt in diesem Briefband im Hintergrund. Nur gerade der Tunis-Feldzug des Kaisers und die Nachrichten über die Täuferherrschaft im fernen Münster, die zur allgemeinen Erleichterung im Juni ihr Ende findet, oder einige Unternehmungen des französischen Königs - besonders sein Werben um die deutschen Protestanten - finden ihren gewichtigen Niederschlag. Gelegentlich rücken auch Nachrichten zum Fortgang der Reformation im Herzogtum Württemberg oder zu Bündnisangelegenheiten im Deutschen Reich in den Mittelpunkt.

Der politische Frieden in der Eidgenossenschaft ist noch immer äußerst verletzlich. Im Thurgau wächst der gegenreformatorische Druck, während im Westen die reformierten "Solothurner Banditen" mit Gewalttaten erneut für Unruhe und gestörte Beziehungen unter den eidgenössischen Orten sorgen. In Appenzell entladen sich latente Spannungen in stürmischen Auseinandersetzungen um Ammann Ulrich Eisenhut.

Sehr akzentuiert beleuchten die Briefe die Anliegen und Probleme der reformierten Kirchen selbst. In Basel streiten Myconius und Karlstadt um die Berechtigung des theologischen Doktorgrades, in Bern kämpft Haller gegen die Zweckentfremdung der Kirchengüter und in Schaffhausen entflammen im Herbst heftige Kontroversen zwischen Pfarrern und Täufern, wobei diese sogar beim Bürgermeister Rückhalt zu finden scheinen. Bullinger ist stets mit einbezogen, wird informiert, um Rat gefragt, um Hilfe gebeten. Erheblichen Raum nehmen die beharrlichen Werbeversuche von Graf Georg von Württemberg ein, der sich am liebsten Leo Jud als Reformator für seine elsässische Herrschaft Reichenweier ausgeliehen hätte; das Unterfangen endet mit der Entsendung von Erasmus Schmid. Neben und zwischen den vorherrschenden Themen vermitteln die Briefe auch dieses Jahrganges unzählige Daten zu den Vorgängen im näheren und weiteren Umfeld Bullingers, geben Aufschluß

über dessen publizistische Wirksamkeit und leuchten ins Persönliche und Häusliche hinein.

Die Brief- und Korrespondentenstatistik zeigt, daß die Zahl der überlieferten Briefe im Vergleich zum Vorjahr wiederum angestiegen ist, nämlich von 189 auf 206. Ein Sechstel davon stammt von Bullingers Hand. Auffallend ist die weite räumliche Ausdehnung des Korrespondentennetzes; Absendeorte wie Köln oder Tübingen fallen ins Auge. Aber das Schwergewicht liegt am Oberrhein und in der reformierten Eidgenossenschaft. Unter den 63 Briefpartnern (hinzu kommen drei Kollektive) treten in diesem Jahr 25 Schreiber bzw. Briefempfänger neu in Erscheinung, unter ihnen Gelehrte wie Philipp Melanchthon und Melchior Volmar oder Politiker wie Thomas Blarer in Konstanz und Hans von Waldkirch in Schaffhausen; mit dem Churer Pfarrer Johannes Comander bahnt sich eine langjährige Brieffreundschaft an. Der Grundstock in diesem vielfältigen, ständigem Wechsel unterworfenen Kreis wird von fünf Korrespondenten gebildet: Berchtold Haller in Bern, Johannes Zwick in Konstanz (an Stelle des nach Württemberg berufenen Ambrosius Blarer), Oswald Myconius in Basel sowie Joachim Vadian und Hans Vogler in St. Gallen. Diese stehen für über die Hälfte der Briefe und sichern so eine gewisse Kontinuität im Korrespondentengefüge des Bullinger-Briefwechsels.

Ergänzend sei darauf hingewiesen, daß die drei Bearbeiter am 13. Juni 1990 an der Jahresversammlung des Zwinglivereins in Zürich über den Bullinger-Briefwechsel des Jahres 1535 referiert haben; die Vorträge finden sich abgedruckt in: Zwingliana XVIII/4+5, 1990/91, S. 331-348.

Hans Ulrich Bächtold, Rainer Henrich, Kurt Jakob Rüetschi