Projektseite Bullinger - Briefwechsel © Heinrich Bullinger-Stiftung
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[374]

Bullinger an
Johannes Fries und
Konrad Geßner
Zürich,
12. Mai 1534

Autograph a : Zürich ZB, Ms F 37, 488r.-v. (Siegelspur) Übersetzung: Hanhart 30f

Hat keine Briefe von Fries und Geßner erhalten. Berichtet über den Kriegszug Philipps von Hessen zur Wiedereinsetzung von Herzog Ulrich von Württemberg. Man erwartet eine Schlacht und befürchtet Unannehmlichkeiten bei einem Sieg Ferdinands I. Bullinger wünscht Nachrichten von Geßner und Fries über ihre Studiensituation und ihre Professoren. Christoph [Froschauer] hat ihren Vorschlag, das Stipendium ihm nach Frankfurt mitzugeben, übermittelt. Sie werden allerdings nur die verfallende Rate bekommen. [Peter]Kolin wird das übrige erzählen. Grüße.

Gratiam et pacem a domino.

Nullas a vobis recipimus literas 1 , filii charissimi, id quod tabellariorum an vestra culpa fiat, nescimus. Monemus tamen, posthac vel seduliores vel prudentiores sitis dispicientes, quibus committatis epistolas.

Res nostrae bene habent - melius habiturae, si tranquillius ageret Germania, in qua maximum bellum excitavit Ferdinandus rex, qui Wirtembergensem ducatum nullo dicitur possidere titulo 2 . Nam ad recuperationem eius Huldrychus dux et princeps Hessorum post tot aequas iuris postulationes frustra iam aliquot annis appellatas magnis exercitibus et expeditione incredibili armantur 3 . Nos nihil aliud quam famam in dies maximae cladis expectamus 4 . Nam et Ferdinandus probe instructus nihil vel cedit vel detrectat. Dominus Iesus pacem nobis restituat et oppressis ipsumque observantibus subveniat! Verum non est, quod hic nostri causa turbemini. Nihil nobis negotii cum istis, quamquam facile ominamur haud plurimum nobis commodaturum, si rex vincat, qui ut evangelio iniquior, ita dominandi libidine longe corruptissimus est.

Iam et illud vehementer miramur, quod de studiis vestris, de professoribus et amicis istic apud vos nihil scribitis. Age, scire cupimus, quae sint studia vestra, qui preceptores. A Christophoro 5 intelleximus consilium vestrum de mittenda pecunia, nempe quod velitis istam bibliopolae nostro dari, id quod ad nundinas autumnales Franckfordiae futuras 6 faciemus, sed ea lege,

a Mit Unterstreichungen und Randbemerkungen von J. H. Hottinger.
1 Die letzten noch erhaltenen Briefe von Geßner und Fries an Bullinger sind datiert am 14. April 1533 (HBBW III Nr. 210), bzw. 14. Mai 1533 (HBBW III Nr. 224).
2 Nach der Niederlage Herzog Ulrichs von Württemberg im Krieg gegen den Schwäbischen Bund war das Herzogtum im Jahre 1520 Karl V. als einem Erzherzog von Österreich zugesprochen worden. Ferdinand I. regierte zunächst als Statthalter. In den Brüsseler Teilungsverträgen von 1522 kam dann auch Württemberg
mit den übrigen deutsch-habsburgischen Ländern in den Besitz Ferdinands; zur Entwicklung im einzelnen s. Wille 10-18.
3 Zu den Kriegsvorbereitungen Philipps von Hessen s. oben Nr. 351. 359. 363. 365. 368.
4 Das Treffen, das den Kriegszug zugunsten Philipps von Hessen entscheiden sollte, fand am 13. Mai 1534 bei Lauffen und Kirchheim statt. Als Schlacht können die Scharmützel freilich nicht bezeichnet werden, s. Wille 180-182, Heyd 454-469.
5 Christoph Froschauer.
6 Die Frankfurter Herbstmesse in der ersten Hälfte des Monats September.

qua nos prioribus literis nunciavimus nihil missuros, nisi quod iam ipsum, quod vocant, temporis ratum iusserit, wenn es ye zu den fronfasten verfallt und verfallen ist. Caeterum si vel istud vobis fuerit incommodum vel studia non talia, qualia sperabamus 7 , redire licet, atque iterum ea lege, ut doctiores et meliores redeatis. Mementote, filii charissimi, quod alimini ecclesiastico stipendio. Ecclesiae ergo prodesse studete.

Valete.

Tiguri, 12. maii 1534.

Salvos vos volunt fratres et stipendiarii caeteri.

Heinrychus Bullingerus

nomine praefectorum studio collegii.

Caetera optimus vir Kolius 8 aut, si mavultis, Carbonius enarrabit.

7 Bullinger erinnert sich vielleicht der kritischen Berichte von Geßner und Fries über die Studiensituation in Bourges (HBBW III 105, 1-17. 127, 13-39).
8 Peter Kolin (Collinus, Cholinus, Carbonius), gest. 1542, entstammte einer Zuger Familie, zu der Bullinger während seiner Kappeler Zeit in Beziehung getreten war: Der Nonne Anna Kolin im Zisterzienserinnenkloster Frauenthal (Kt. Zug) hatte er mehrere Werke, u. a. die 1524 in Kappel gehaltene Vorlesung über den Römerbrief, mit einer Widmung versehen zukommen lassen (s. HBD 16, 8; Staedtke 270f, Nr. 28. 272, Nr. 30). Ein weiteres Werk Bullingers, die «Früntliche Ermanung zur Gerechtigheit», 1526 (HBBibl I 2), war aller Wahrscheinlichkeit nach an den Zuger Bannerherrn Wolfgang Kolin gerichtet (s. Staedtke 281f, Nr. 54). Peter Kolin lernte die alten Sprachen bei Konrad Pellikan und studierte als Stipendiat des französischen Königs in Frankreich. 1528 oder 1529 war er als Gehilfe Melchior Volmars in Orléans, wo Theodor Beza zu seinen Schülern gehörte. Vielleicht folgte er Volmar Ende 1530 nach Bourges. Pellikan und Volmar waren es offenbar, die Kolin schon bald im evangelischen Geist beeinflußten. Ob Geßner und Fries im Frühjahr 1533 Kolin in Bourges noch angetroffen haben, ist ungewiß; in ihren Briefen an Bullinger (HBBW III Nr. 210 und 224) wird er nicht erwähnt. Der Adresse eines Pellikan-Briefes vom 6. März [1534] (Zürich ZB, Ms F 47, 260r.-261r.) läßt sich dagegen entnehmen, daß Kolin vorübergehend
als Schulmeister in Zug gewirkt haben muß. Wegen seiner evangelischen Gesinnung lief er Gefahr, sein französisches Stipendium zu verlieren, doch war er 1534 bei seiner Rückkehr nach Paris (s. die vorliegende Stelle) offenbar noch imstande, Geßner einen Teil dieses Stipendiums auszuleihen (s. unten S. 459, 45f). Kolin scheint dann nach Zürich gekommen zu sein, wird er doch 1535 als Pfarrer in Witikon genannt. Ein erneuter Aufenthalt in Paris wurde 1539 beendet. 1540 wurde Kolin Provisor für Griechisch an der Lateinschule des Großmünsters, und 1542 übernahm er das Pfarramt in Schwamendingen. Zusammen mit Johannes Fries verfaßte er das lateinisch-deutsche Wörterbuch, das 1541 versehen mit einer Widmung an Kolins Landsmann und Freund, den Zuger Werner Steiner, bei Froschauer erschien. Kolin war auch an der Übersetzung der Bibel vom Griechischen ins Lateinische beteiligt (s. HBBibl I 115). Außer mit Pellikan stand er auch mit Jud und Bullinger in brieflichem Kontakt. Bullinger berichtete Ambrosius Blarer am 12. Dezember 1542, daß Kolin an der Pest gestorben sei (Blarer BW II 165). Beza veröffentlichte 1580 eine Kurzbiographie Kolins in seinen «Icones». - Lit.: Misc. Tig. I/II 46; Willy Brändly, Peter Kolin von Zus, in: Zwa IX 150-171; Albert Iten, Tugium Sacrum. Der Weltklerus zugerischer Herkunft und Wirksamkeit bis 1952, Stans 1952, S. 285; Zürcher 293f; Wyss, Jud 228; Pfarrerbuch 235; HBLS IV 527.

||488v. Salvum te, Frisie, vult Nicolaus Wyß cum uxore Barbara 9 , Springlius 10 cum uxore 11 , te, Gesnere, frater germanus 12 , Andraeas patruus 13 etc.

[Adresse daneben:] Ioanni Frisio Lutetiae et Conrado Gessnero apud Bituriges, agentibus optimae spei adolescentibus ad manus proprias.