Projektseite Bullinger - Briefwechsel © Heinrich Bullinger-Stiftung
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[359]

Oswald Myconius an
Bullinger
Basel,
20. April 1534

Autograph: Zürich StA, E II 343, 54r.-v. (Siegelspur) Ungedruckt

Hat gerne zu den zwei Fragen Bullingers Erkundigungen eingeholt und klagt über die schwere Zeit. Der bevorstehende Krieg: [Philipp von]Hessen wird vor Pfingsten in Württemberg sein. Der [französische] König und der [Herzog von]Lothringen binden durch ihre Heere die Habsburger im Elsaß und in Breisach. Bayern wappnet sich gegen einen Einfall von Österreich oder Böhmen her. König Ferdinand hat kriegserprobte Heerführer, aber kein Geld für Truppen. Der Wojwode [Zápolya]hat ganz Ungarn besetzt. [Philipp von] Hessen ist durch Ferdinands Bedrohung zu den Kriegsvorbereitungen getrieben worden, die zugunsten von [Herzog Ulrichs] Fürstentum [Württemberg] und der evangelischen Sache und wunderbarerweise vor der habsburgischen Gegenseite so lange verborgen geblieben sind. Über Erasmus und Luther urteilt Myconius gleich negativ wie Bullinger. Zitiert die Beschimpfung von [Hieronymus] Emser und Oekolampad aus einer ihm von Markus Bertschi mitgeteilten Stelle eines Lutherwerks. Bittet um Bullingers Hilfe bei der Suche nach einem für den Kirchendienst geeigneten Mann. Wolfgang Kuchimeister kann ihm seinen Sohn senden. Bittet um Nachrichten von der Tagsatzung.

S. De duobus istis, quae scribis 1 , libenter cognovi. Sed bone deus, quam miseria! Non est amplius, quod dicam.

De bello futuro sic res habet: Princeps Hessorum a 2 ante pentecosten 3 erit in ducatu Wirtenbergensi cum exercitu, imperator huius exercitus dux est Brunsvigensis 4 , praeter hunc sunt duces comites et nobiles, viri profecto magni. Causa 5 per se favorem habet omnium. Pecuniae magnus numerus est, miles multus, machinae bellicae multae, adparatus totus, qualem esse decet. Rex 6 et, ut quidam aiunt, Lotharingus 7 exercitum habent coniunctim latitantem fere et per hoc munitantem, si primi domus Austriae, hoc est b Sungaudienses, Alsatici, Brisacenses c 8 ad defendendum Wirtenbergam proripere se pararent. Dux Bavariae 9 triplici exercitu cavebit, ne ex Austria seu Boemia quis obsit. Is duces quinque 10 dicitur ingenti pecunia ab imperatore Hispano

a Von Princeps Hessorum bis silentium esse (Z. 27) von Bullinger leicht gekürzt am 24. April an Vadian (Nr. 364) mitgeteilt. Abweichungen sind nachfolgend unter der Sigel BV verzeichnet:
b hoc est fehlt in BV.
c BV fügt ein: etc.
1 Oben Nrn. 350 und 356.
2 Philipp von Hessen.
3 24. Mai 1534.
4 Offenbar handelt es sich um eine Fehlinformation: Im von Philipp von Hessen geführten Kriegszug wird als Feldherr keiner der Herzoge von Braunschweig (Philipp I. zu Grubenhagen, Erich I. zu Calenberg, Heinrich IX. d. J. zu Wolfenbüttel, Otto I. d. Ä. von Lüneburg in Harburg, Franz von Lüneburg in Gifhorn oder Ernst III. d. Bekenner von Lüneburg in Celle) erwähnt, s. Wille 170f. Zum Durchsickern von Nachrichten über die
Kriegsvorbereitungen Philipps von Hessen und über die Gegenmaßnahmen Ferdinands s. Wille 154. 172f.
5 Die Wiedereinsetzung des durch Österreich vertriebenen Herzogs Ulrich von Württemberg, s. Wille und Keller.
6 König Franz I. von Frankreich.
7 Claude de Lorraine, erster Herzog von Guise, 1496-1550, ein Truppenführer, Vater von François de Lorraine, Herzog von Guise, der Kardinäle Charles und Louis de Lorraine und Großvater von Maria Stuart, s. PC II 208 (vgl. S. IX); Grande Encyclopédie 22, Paris 1885, S. 567.
8 Sundgauer (Süd-Elsaß), Elsässer und Breisacher (Baden-Württemberg).
9 Herzog Wilhelm IV. von Bayern.
10 Gemeint sind vielleicht dem Wahlbund (vom 24. Oktober 1531 zu Saalfeld von Bayern, Hessen und Kursachsen gegen die Anerkennung der Wahl Ferdinands I. als

abstraxisse 11 Hostis d autem . paratum quidem nunc demum novit, sed quo tendat, iamdum haesitat. Duces habet dictis, ut quidam aiunt, exercitatiores 12 verum carent , milite, quod Ferdinandus summa laboret paupertate e 13 . Rumor est item Widam Hungarum 14 illum regnum occupasse poenitus Ferdinando occluso f 15 . Motus est Hessus, quod minis plus quam horrendis a Ferdinando exagitatur, et nisi ad hunc modum rem adgrederetur, actum esset de principatu suo, de iusticia evangelii, actum esset g de omnibus, qui h hactenus a principe 16 dependerunt i , tantaeque k turbae per Germaniam essent futurae - ita Ferdinandus impellitur cum per se tum per pfaffos -, quantae vix unquam sunt conspectae 1 . Quare deus est orandus, ut suis faveat et adsit misericorditer m . Miraculum, quod hic video, illud est, rem tanto tempore n institutam - nam o a quinque fere annis, quamvis iam duobus integris in actu fuerit p - nemine conscio praeter eos, qui tractarunt, adhuc hostem et alios latere, postquam etiam exercitus ad exeundum in procinctu est q . Absque deo non videtur tam longum silentium esse. Nam, quae nos scribimus, praeter paucissimos nemo novit, quare velim etiam apud te contineri, quousque sic profuerit. Hactenus de bello.

De Erasmo et Luthero idem sentio, quod tu de altero 17 . Profuerunt initio, nunc nemo nocet perniciosius. Alter superbus et insolens est, alter amarus et ambitiosus. Deus, opto, faveat, imo emendet utrosque. De Oecolampadio interpres Lutheri mitius quiddam habet 18 , quam tu scribis 19 . Ita enim ait: «Et ego plane persuasus sum Emserum 20 et Oecolampadium et similes his ictibus

d-e Der Abschnitt Hostis bis paupertate ist in BV übersprungen.
f Ferdinando occluso in BV ausgelassen.
g BV setzt et für actum esset.
h-i BV: qui dependent a principe.
k-l Der Abschnitt tantaque bis conspectae ist in BV übersprungen.
m et adsit misericorditer fehlt in BV.
n BV gibt iam quinquennio für tanto tempore.
o-p Von nam bis fuerit am Rande nachgetragen, in BV übersprungen.
q BV verdeutlicht zu ad irrumpendum in procinctu astat.
römischer König) nahestehende Fürsten wie Philipp I. von Braunschweig-Grubenhagen, Franz von Braunschweig-Lüneburg in Gifhorn, Wolfgang von Anhalt-Köthen, Gebhart VII. und Albrecht VII. von Mansfeld, s. Keller 8-11. 45. Näheres ist nicht bekannt.
11 Näheres ist nicht bekannt.
12 Auf Habsburgs Seite führten Pfalzgraf Philipp, von Pfalz-Neuburg, seit 1532 Statthalter in Württemberg (Wille 171f; Keller 65f) und nach seiner schweren Verwundung Dietrich Spät (Keller 67) den Oberbefehl.
13 Der geldbedingte Truppenmangel auf habsburgischer Seite wird auch sonst bestätigt,
s. Wille 172. 174f und Keller 65. 68.
14 Johannes Zápolya (Szapolyai János), Wojwode (ungarisch: Wajda) von Siebenbürgen und König von Ungarn.
15 Ähnliches berichtet Capito, s. oben S. 116, 20.
16 Wohl Herzog Ulrich von Württemberg.
17 Vgl. oben S. 127, 25-35.
18 Möglicherweise bezieht sich Myconius auf eine diesbezügliche Aussage Bucers. Bucer äußerte sich nämlich einige Tage später auch Bullinger gegenüber sehr günstig über Oekolampad und dessen milde, verständnisvolle Beurteilung Luthers, s. unten S. 137f, 7-21.
19 Vgl. oben S. 127, 29-31.
20 Hieronymus Emser, 1478-1527, aus Weidenstetten bei Ulm, studierte von 1493 bis 1499 in Tübingen und Basel. Noch vor 1502 erhielt er die Priesterweihe. 1504 las er in Erfurt und in Leipzig. Nach seiner Promotion zum Lizentiaten des kanonischen Rechts wurde er 1505 Geheimsekretär und, vier Jahre danach, Hofkaplan bei Herzog Georg von Sachsen. Der Humanist Emser war anfänglich kirchlichen Reformen nicht abgeneigt, nahm gegen Tetzel Stellung und unterhielt bis zum Jahr 1519 gute Beziehungen zum Wittenberger Kreis. Im Anschluß an die Leipziger Disputation aber

horribilibus et quassationibus subito extinctos esse» 21 . Haec tantum legi indicante Marco nostro Bersio. Miror, si aliter sit in exemplari Lutherano 22 . Equidem iurare ausim Lutherum persuasum spiritum sanctum non esse nisi apud se et || 54v. suos. Dies declarabit omnia 23 . Deus largiatur nobis suam veritatem 24 .

Caeterum opus habemus opera tua: Indigemus viro docto, cordato, prudenti. Si quem noveris, qui ad subsidium ecclesiae nostrae queat dari, quantocyus indicabis, vel ex tuis vel aliunde 25 . Diligentiam adhibe, nam sic est neces[se] r .

Wolfgang Kuchimeister 26 der , tischmacher, wott mir sin sun 27 schick[en]s ; enbüttend 28 imm, so es kumlich 29 , ye belder, ye lieber, so will

r, s Randtext im engen Einband nicht zugänglich.
wandte er sich offen gegen Luther. Mit einer ersten Schrift, in der er Luther mit Hus und den Hussiten in Verbindung brachte, und dessen scharfer Entgegnung im September 1519 begann eine lange und bittere Kontroverse zwischen dem «Emserschen Steinbock» und dem «Stier zu Wittenberg». Emsers Streitschriften richteten sich indessen auch gegen Karlstadt, Zwingli und andere Reformatoren. Der weitaus überwiegende Teil der an die 50 nachgelassenen Publikationen Emsers ist der kirchlichen Kontroversliteratur zuzurechnen. Auf Veranlassung des Herzogs gab Emser 1527 ein in Anlehnung an Luthers Bibel übersetztes und anhand der Vulgata revidiertes Neues Testament heraus. - Lit.: Gustav Kawerau, Hieronymus Emser. Ein Lebensbild aus der Reformationsgeschichte, Halle 1898. - SVRG 61; Heribert Smolinsky, Hieronymus Emser, in: Katholische Theologen der Reformationszeit I, hg. v. Erwin Iserloh, Münster i. W. 1984. - Katholisches Leben und Kirchenreform im Zeitalter der Glaubensspaltung 44, S. 37-46; Heinrich Grimm in: NDB IV 488 f; Franz Lau in: RGG VI 462; Erwin Iserloh in: LThK III 855f; Josef Steinruck in: TRE IX 576-580; Contemporaries I 429 f.
21 Zitiert in freier lateinischer Übersetzung aus Luthers «Von der Winkelmesse und Pfaffenweihe», 1533, S. WA XXXVIII 204, Z. 26-28.
22 Bullinger zitiert im Brief vom 24. April (unten S. 145, 56-59) den genauen Wortlaut der Luther-Stelle, welche Myconius hier nur auf Grund einer Mitteilung des Markus Bertschi wiedergegeben hat.
23 Vgl. 1 Kor 3, 13.
24 Vgl. Ps 43, 3.
25 Bullinger empfahl Andreas Karlstadt (s. unten S. 143, 21-27), der am 1. Juli 1534 zur Entlastung von Paul Phrygio als Professor an der Universität und als Pfarrer
am St. Peter in Basel angestellt wurde, vgl. Karl Gauß, Basilea Reformata, Basel 1930, S. 94.
26 Wolfgang Kuchimeister, wie schon sein Vater Möbelschreiner (Tischmacher) in Zürich, scheint ein tüchtiger, initiativer Mann gewesen zu sein, vgl. unten S. 219, 4f. 1533 schloß er mit der Metzgerzunft für den Bau ihres Zunfthauses einen Gesamtarbeitsvertrag («samenthafft verdingen», «verdingwerch»), was ihm der Rat auf Antrag der Zimmerleutezunft verbot, wie auch 1557 das Bleichen von Tüchern auf seiner Wiese. Er gehörte zu den drei ersten Verordneten, die als Experten die 1548 eingeführte Meisterprobe (einen Kasten mit eingesetztem Fuß und einen Tisch) zu begutachten hatten. Er saß nie im Rat. - Lit.: Quellen zur Zürcher Zunftgeschichte, bearb. unter Mithilfe von Hans Nabholz von Werner Schnyder, Bd. 1, Zürich 1936, S. 213. 262. 294f.
27 Sein Sohn ist wahrscheinlich Balthasar Kuchimeister (Kuchenmeister), geb. 1520 [?], der 1546 kurze Zeit Hirzel und Weiach versah, am 27. November 1546 Pfarrer in Knonau wurde (Zürich StA, E I 30.66, Nr. 12) und vom Frühling 1551 (ebenda E I 30.75, Nr. 8) bis zu seinem Tod im März 1566 (ebenda E I 30.45, Nr. 7; Graubünden, Korr. II 691) Pfarrer in Flaach (alle Orte im Kt. Zürich) war. Wegen unbedachter politischer Äußerungen wurde er 1555/56 mit Haft (vgl. Jakob Rüeger an Bullinger, 3. Januar 1556, Zürich StA, E II 375,481) und 1562 mit Geld gebüßt. Bullinger empfahl ihn im Sommer 1534 nochmals an Myconius (s. unten Nr. 399), dessen Kostgänger er vermutlich wurde. An der Universität Basel war Kuchimeister nicht immatrikuliert. - Lit.: LL XI 233; Pfarrerbuch 395.
28 entbietet, lasset ihm sagen (SI IV 1869).
29 gelegen, passend (SI III 285f).

ich inn versuchen 30 , wie er mir geschriben heb 31 . Per ocium ei scribere non licuit.

Quae in his comitiis 32 acta sunt, ubi noveris, ad me perscribito, ut videam, quomodo legati consonent aut dissonent 33 .

Vale.

Raptim Basileae, 20. aprilis anno 34.

Os. tuus t .

[Adresse darunter:] Domino Heinricho Bullingero, docto pioque fratri in domino suo. Zürich.