Projektseite Bullinger - Briefwechsel © Heinrich Bullinger-Stiftung
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Einleitung

Bullingers Briefwechsel des Jahres 1534 wird von zwei großen, sich gegenseitig durchdringenden Ereignissträngen geprägt: einerseits von der Rückeroberung und beginnenden Reformation Württembergs durch Herzog Ulrich, andererseits von den Bemühungen um eine Einigung zwischen Lutheranern und Zwinglianern in der Abendmahlsfrage.

Die erste Jahreshälfte wird beherrscht von Nachrichten über den Zerfall des Schwäbischen Bundes, den Krieg Philipps von Hessen und Ulrichs von Württemberg gegen König Ferdinand und über die Rückgabe des Herzogtums an Ulrich aufgrund des Vertrages von Kaaden. Ab Jahresmitte treten Bullingers vielfältige Bestrebungen in den Vordergrund, auf die Reformation in Württemberg Einfluß zu nehmen. Die mit der Stuttgarter Abendmahlskonkordie vermeintlich erreichte Einigung zwischen den beiden vom Herzog eingesetzten Reformatoren, dem Lutheraner Erhard Schnepf und dem Zwinglianer Ambrosius Blarer, läßt aber alte Gegensätze aufbrechen und fordert die Zürcher zur Stellungnahme heraus. Für Bucer ergibt sich die Notwendigkeit, zu einer Übereinkunft mit Wittenberg zu gelangen; vom September an entfaltet er daher - von Melanchthon ermuntert - eine eifrige Vermittlertätigkeit. Die Zürcher, zur Mitarbeit gedrängt, verzichten auf die Teilnahme an einer Theologenzusammenkunft in Konstanz, legen jedoch im Hinblick auf Bucers Verhandlungen mit Melanchthon ein auch von anderen Schweizer Kirchen mitgetragenes Abendmahlsbekenntnis vor. Der entschiedene Widerspruch aus Bern gegen jegliches Abrücken vom einfachen, symbolischen Abendmahlsverständnis Zwinglis stellt aber eine Annäherung in Frage.

Das weitere Geschehen in Europa tritt im Vergleich zu jenem um Württemberg deutlich zurück. Der Politik Frankreichs begegnet Bullinger durchwegs mit Mißtrauen; auch der Gesandte du Bellay vermag ihn nicht umzustimmen. Die Pariser Protestantenverfolgungen im Anschluß an die «Affaire des placards» zum Jahresende scheinen Bullinger schließlich recht zu geben. Im Südwesten wächst ein für Genf, Savoyen und Bern folgenschwerer Konflikt heran. Angesichts der von Savoyen ausgehenden Bedrohung Genfs, die durch die Aufdeckung einer Verschwörung konkrete Gestalt annimmt, sieht sich das verbündete Bern zum Handeln gezwungen; seine Vermittlungsversuche sind jedoch so wenig erfolgreich, daß im Herbst der Gedanke an eine kriegerische Auseinandersetzung aufkommt.

Wesentliche innereidgenössische Konflikte bleiben in diesem Jahr aus. Der Modus vivendi der konfessionellen Parteien wird kaum gestört. Nur gerade die Nachwirkungen der Rekatholisierung Solothurns, von denen vor allem Bern betroffen ist, finden im Briefwechsel merklichen Widerhall. Deutlicher treten die Angelegenheiten der Reformierten selbst hervor: Religiöse Außenseiter wie Schwenckfeld und Claude d'Aliod beunruhigen die reformierten Städte, ein Bestechungsskandal im Berner Rat erregt Aufsehen, Karlstadts Berufung nach Basel führt zu einer vorübergehenden Verstimmung

zwischen Bullinger und Oswald Myconius. Nach wie vor arbeiten Bullinger, Myconius und Berchtold Haller beharrlich, wenn auch erfolglos, an der Verbesserung der politischen Beziehungen zwischen Zürich und Bern.

Manchmal fällt ein Schlaglicht auf Kirchenpolitik und Kirchenleben in Zürich, so etwa im Zusammenhang mit den von der Synode eingeleiteten Verfahren gegen unbotmäßige Pfarrer. Zur Dauerbelastung scheinen die im säkularisierten Kloster Rüti verbliebenen Mönche zu werden; ihr ungebärdiges Treiben macht u. a. dem Ortspfarrer und dem Klosterpfleger schwer zu schaffen.

Bullingers Autorität, seine Stellung als Treuhänder des zwinglischen Gedankengutes und als Sprecher der Reformierten, hat sich gefestigt - dies zeichnet sich in diesem Briefjahrgang deutlich ab, nicht zuletzt in der Anerkennung, die seine theologische Publizistik findet. Aufschlußreich ist auch die quantitative Betrachtung seiner Korrespondenz: Die Zahl der erhaltenen Briefe ist im Vergleich zum Vorjahr von 145 auf 189 angestiegen. 46 neue Korrespondenten - unter ihnen Simon Grynäus, Simon Sulzer und Johannes Stumpf - treten in Erscheinung. Ein Schwerpunkt liegt erwartungsgemäß im süddeutschen Raum. Bucer und Ambrosius Blarer, die wichtigsten der außereidgenössischen Briefpartner, sind noch stärker als im Jahr zuvor vertreten. Doch Haller in Bern, Myconius in Basel und Vadian in St. Gallen bleiben die Eckpfeiler in Bullingers Korrespondentennetz.

Wir danken an dieser Stelle allen, die zur Herausgabe des Bandes beigetragen haben: Dem Schweizerischen Nationalfonds und der Evangelisch-reformierten Landeskirche des Kantons Zürich für die großzügige Unterstützung der Edition; dem Theologischen Seminar der Universität Zürich und dem Institut für Schweizerische Reformationsgeschichte, deren Infrastruktur uns zur Verfügung stand; dem Personal des Staatsarchivs und der Zentralbibliothek Zürich und weiterer Archive und Bibliotheken; Herrn Jean Rott, der den Briefwechsel zwischen Bullinger und den Straßburgern durchgesehen hat; Frau Dr. Ruth Jörg und Herrn lic. phil. Bernhard Bonsack für die philologische Beratung und Hilfestellung bei der Bearbeitung der frühneuhochdeutschen bzw. lateinischen Texte; Herrn lic. theol. Rainer Henrich für den großen Einsatz bei der Drucklegung und bei der Herstellung des Registers; schließlich dem Beauftragten des Zwinglivereins, Herrn Prof. Dr. Rudolf Schnyder, der die Edition gegenüber dem Schweizerischen Nationalfonds vertritt und der uns stets mit Rat und Tat zur Seite stand. Hans Ulrich Bächtold, Kurt Jakob Rüetschi, Matthias Senn, Endre Zsindely †