Projektseite Bullinger - Briefwechsel © Heinrich Bullinger-Stiftung
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[3003]

Bullinger
an Oswald Myconius
Zürich,
30. August 1547

Autograph: Zürich StA, E II 342, 176 (Siegelspur) Zusammenfassung: Henrich, Myconius BW 986, Nr. 1101

[1]Bullinger erhielt Myconius' Brief vom 23. August [Nr. 2997], nicht aber die gewünschte Ausgabe [der Satiren] von Persius. Deshalb bittet er Johannes Gast erneut, diese zu beschaffen. - [2] Am 24. August versicherte eine Gesandtschaft Kaiser [Karis V.] dessen Freundschaft vor dem Zürcher Rat und erklärte, der Kaiser wolle ein Bündnis mit allen Eidgenossen, mit dem Herzogtum Mailand und mit allen übrigen kaiserlichen Gebieten in Italien schließen. Was soll man zu solchen leeren Versprechen sagen? Die Zürcher antworteten, dass sie dies bei Gelegenheit mit allen Eidgenossen besprechen wollten, da das alle anginge. -[3]Die gottlosen kaiserlichen Soldaten sind jetzt nach Kempten, Isny, Memmingen und Ravensburg gelangt. Von der armen heimgesuchten Bevölkerung werden gewiss bald Klagen zu hören sein. Der Kaiser soll zu dieser Truppenverlegung durch die große Teuerung um Augsburg gezwungen worden sein. Doch dahinter steckt wohl ein geheimer Plan. Myconius soll raten! Bullinger hatte bereits aus einem an den Zürcher Rat gerichteten Brief des Basler Rats vom Bericht des aus Wien zurückgekehrten Boten [...]erfahren. Er ist aber für Myconius Aufmerksamkeit dankbar. - [4] Die [von Myconius gesandte] und in Hebräisch verfasste Aussage ist für Bullinger und [Konrad Pellikan] nicht recht verständlich. Theodor Bibliander hat sie noch. nicht gesehen. Die Sterndeuter hatten ja Kaiser Maximilian I. einen Sieg in der Schlacht gegen die Eidgenossen bei Dornach prophezeit ... Demnach sind deren Prognosen nur hohles und verächtliches Geschwätz! Dies in Eile. -[5]Beiliegend zwei deutsche Gedichte, die aus Ulm geschickt wurden und beweisen, wie bissig Johannes Hoffmeister, dieser obskure Colmarer Mönch und angebliche "Freund" Bullingers, war. Seine "Freundschaft" hat er in albernen Büchern zum Ausdruck gebracht, die Bullinger ignorierte. -[6]Grüße an alle und auch von allem, Kollegen.

S. D. Tuas 23. augusti datas 1 recepi, sed Persium 2 , quem a Gastio postularem, nuspiam vidi. Oro igitur, ut adhuc comparet mihi talem Persium, qualem postulavi.

Caesaris 3 legatio 24. augusti Tiguri coram senatu 4 amicitiam caesaris obtulit et foedus, quod ille cupiat cum omnibus Helvetiis 5 et cum ducatu Mediolarum, imo omnibus aliis in Italia ditionibus caesareanis connectere. Quid multis? Polliciti sunt hommes isti tantum non aureos montes! Nostri responderunt hoc negotium pertinere ad omnes Helvetios, cum quibus suo loco et tempore consultare velint. 6

1 Brief Nr. 2997.
2 Eine bei Johannes Gast bestellte Satiren-Ausgabe des Persius; s. Nr. 2984,7-10.
3 Karl V.
4 Vermutlich vor dem Geheimen Rat (s. diesem s. HBBW XIX 27 und Anm. 90), da in den Ratsprotokollen (Zürich StA, B II 69) weder unter Mittwoch dem 24.
August noch unter den drei folgenden Ratssitzungen davon die Rede ist!
5 Vgl. Nr. 3004,58f.
6 Die Akten der folgenden, am 22. November 1547 in Baden begonnenen Tagsatzung (veröffentlicht in EA VI/id 885- 891) enthalten nichts Entsprechendes.

Milites isti impii et nepharii his diebus venerunt Cambodunum 7 , Isnam, Memmingam et Ravenspurgam. 8 Expectamus in horas querelas miserorum. Cogitur caesar in has urbes sua illa praesidia collocare. Circum Augustam omnia carissimo sunt precio, nec habet miles, quod sufficiat alendis ventribus. Deinde arbitror etiam latere mysterium. 9 Tu divina. Quae scribis de eo, qui 10 fuit Viennae, pridem audivi, nam magistratus vester nostro omnia perscripsit. Ea legi. Ago tamen tuae diligentiae magnas gratias.

Elementa illa Hebraica 11 non satis recte agnoscimus. Theodorus 12 nondum vidit. Astrologi fausta Maximiliano 13 praedixerant, dum conserent manus Helvetii cum caesareanis ad Dornachum. Ego itaque iudicia astrologorum tanti facio, quanti vanissimorum et vilissimorum nugivendorum. Festinanter haec scribo.

Mitto duo carmina Germanica, 14 quae ex Ulma accepi. Tu lege et vide, quam virulentus sit nebulo monachus ille Colmariensis bannes Hoffmaisterus

7 Kempten.
8 Vgl. Nr. 3001,17-23. -Nach Ravensburg kam erst Anfang November 1547 spanisches Kriegsvolk, das zuvor in Biberach gelegen hatte; s. Nr. 3040, Anm. 6.
9 9 Da der Kaiser die Truppen näher an Konstanz und an die Schweiz rücken will.
10 Der unbekannte Bote, der von Wien nach Basel zurückkehrte; s. Nr. 2997,18-27.
11 Die Rede ist hier von der in Hebräisch verfassten Stelle in Nr. 2997,35-38, die zunächst Bucer fehlerhaft abschrieb und daraufhin auch Myconius. - Mit dem Plural "agnoscimus" meint Bullinger sich selbst und Konrad Pellikan.
12 Theodor Bibliander.
13 Kaiser Maximilian I. -Hier wird auf seine Niederlage in der Schlacht von Dornach (Kt. Solothurn) am 22. Juli 1499 angespielt, mit der die Eidgenossen den Schwabenkrieg für sich entschieden. Zu der Angabe, dass die Astrologen Maximilian einen Sieg in dieser Schlacht voraussagten, s. Petermann Etterlin, Kronica von der loblichen Eydtgnoschaft, Basel 1507 (VD16 E4110), f. CXV,r.: "begab es sich uff den zwen und zweintzigosten tag des hewmonatz [= Juli], das die, so dan mit der kunst der Astronomy umgand, die man nempt staerensecher, den schwebschen pünd überredt, fürgeben und sy überkommen hatten, das sy sich eins spils [gemeint ist ein Angriff gegen die Eidgenossen] understundent [= unternähmen], dem sy nit mochten statt thun
[= dem sie nicht gewachsen waren]. Namend zu ynen die welschen gard, so domalen im Landt umbschwäbt [...], wann [=denn] si waren undericht [nämlich von den Astrologen], ir glück soltte oben stan und der Eydtgenossen hoffart ein end haben": Johannes Stumpf; Eidgenössische Chronik, Zürich 1548 (VD16 S9864; BZD C396), Bd. 2, f. 449r.: "Künig Maxirniliano ward durch die Sternensäher geradten, daß er die Eydgnossen anderwert sölte angreyffen. so wurde er sig haben, dann das gestirn, das im glück und den Eidgnossen unglück anzeigte, ware schon aufgängen und vorhanden". Eine detaillierte Beschreibung der Schlacht findet sich ebd., f. 386v.-387r.
14 Dazu ist nichts Sicheres bekannt. Vermutlich ist eines dieser beiden von Hoffmeister verfassten Lieder identisch mit dem in Nr. 2978, Anm. 87, angeführten Pasquillus Germanicolatinus (VD16 ZV 27523), auch wenn im Brieftext nicht von zweisprachigen, sondern nur von "carmina Germanica" die Rede ist. Einen Hinweis auf das zweite "carmen" liefert vielleicht die Abschrift eines von Martin Frecht angefertigten Auszuges aus einem an ihn gerichteten und im Oktober [1547] verfassten Brief eines Arztes namens Wolfgang Moll (Zürich ZB, Ms A 43, 351 - zu dieser Quelle s. Nr. 3076, Anm. 9): "lam Monachus ille [d.h. Hoffmeister] cantilenam fertur composuisse, valde acerbam et impiam in totum Lutheranismum,

15 , singularis amicus meus! Amicitiam enim suam, qua me complectitur, libris ineptissimis aeditis testatus est. 16 Sed merito nebulonem contemno vanissimum.

Vale et saluta fratres omnes. Te salutant fratres omnes. Tiguri, 30. augusti 1547.

Bullingerus.

[Adresse auf der Rückseite:] Praestantissimo viro d. Osvaldo Myconio, fratri suo longe charissimo. Basel. 17

scurriliter et salse commemorans, quae inde vitia enata sint. Sed ex abusibus (substantiam, ut aiunt, non tollentibus) voluit odiosiorem facere doctrinam Lutheri, quae Christi est. Huic scurrili carmini hic militans M. Wittenbergensis graviter respondit. Ad manum nunc illa habere non licuit, alioqui misissem. Recognovit [eine Anspielung auf die Dialogorum libri duo, die 1546 (VD16 H4245) "recogniti" veröffentlicht wurden] scurra ille et edidit, quae ohm [1538; s. VD16 H4243] in lutheranos nominatim scripsit. In summa o grec fuit; quem si origenicus auditor aliquis vult salvare, videat, ne se perdat! De occultis ecclesia iudicat." Das "M." dieses Auszuges kann kaum Melanchthon bezeichnen, da weder in dessen Briefwechsel noch unter seinen Publikationen eine derartige Schrift belegt ist. Es wird eher als "magister" zu deuten sein. 1549 ist ein Arzt namens Wolfgang Moll in Lauingen bezeugt; s. RAG Nr. 1115523266). Dort aber hatte Ende September 1546 Thomas Naogeorg Zuflucht gefunden (s. HBBW XVII 429, Anm. 64), ehe das Städtlein am 13. Oktober von den Kaiserlichen eingenommen wurde (s. HBBW XVIII 124 und Anm. 7). Dieser könnte also der in Molls Brief erwähnte "m[agister] Wittenbergensis" gewesen sein, zumal er auch später die gegen die Protestanten gerichteten lateinischen Verse des Hoffmeister-Verehrers Johannes Pedioneus (s. dazu Nr. 3023, Anm. 29) ausführlich und anhand lateinischer Verse widerlegte (VD16 K967 aus dem Jahre 1548); s. Leonhard Theobald, Das Leben und Wirken des Tendenzdramatikers der Reformationszeit Thomas Naogeorgus seit seiner Flucht aus Sachsen, Leipzig 1908, S. 13-15; Karl Heinz Burmeister, Johannes Pedioneus Rhetus (ca. 1520- 1550). Biographie - Werkverzeichnis - Briefe, in: Humanistica Lovaniensia XX, 1971, S. 129-133. Die von Moll erwähnte "cantilena" Hoffmeisters könnte ihrerseits identisch mit dem in Vadian BW VII 119-126 abgedruckten antiprotestantischen deutschen Gedicht sein, da dieses in etlichen Formulierungen Ähnlichkeiten mit dem oben erwähnten Pasquillus Germanicolatinus aufweist.
15 Damals in Ulm; s. Nr. 2885, Anm. 10.
16 Bullinger bezieht sich hier auf Hoffmeisters Schrift Verbum dei carnem factum assertio von 1545 (s. dazu HBBW XV 339, Anm. il; XVI 416,10f mit Anm. 3f), die er nicht widerlegte (s. HBBW XVII 172,16f).
17 Über der Adresse schrieb Myconius einen an Hieronymus Gunz gerichteten Brief ab, den Johannes Haller am 24. August 1547 in Augsburg verfasst hatte. Dieser Brief enthält Angaben zur Lage in Augsburg, zu den aufgebrachten Landsknechten, die am 23. August ihren Sold von Nicole Madruzzo forderten, zu Philipp von Hessen und zu dem bevorstehenden Eintreffen des Kurfürsten Moritz von Sachsen und des Königs Ferdinand I. zum Augsburger Reichstag. Unter der Adresse kopierte Myconius den Auszug eines an Celio Secondo Curione gerichteten Briefs aus Augsburg vom gleichen Tag wie Hallers Brief. Absender dieses zweiten Briefes wird Francesco Stancaro gewesen sein, der zwischen Januar und April 1547 bei Curione gewohnt und sich