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12996]

Bullinger
an Ambrosius Blarer
Zürich,
23. August 1547

Autograph: St. Gallen Kantonsbibliothek Vadiana, Ms 35, 263 (Siegelspur) Teildruck und zusammenfassende Ubersetzung: Blarer BW II 650f, Nr. 1469

[J]Bullinger hat Blarers Brief vom 22. August [Nr. 2995] erhalten. Er teilt dessen Meinung zum Antwortschreiben Kaiser Karls V. [an die Eidgenossen vom 28. Juli]und vertrat auch die gleiche den Zürcher Ratsherren gegenüber. Es steckt nicht viel hinter den schönen Worten dieses Briefes! Die andere Angelegenheit [betreffend die von Konstanz betriebene Politik]will auch Bullinger auf sich beruhen lassen. Gott möge alle Versäumnisse wieder gut machen! [2]Bullinger hat den von Hieronymus Hürus übermittelten Brief Blarers [Nr. 2987] auch erhalten. Hürus ist ein überaus feinfühliger, gelehrter, gottesfürchtiger und geschickter Mensch, dem er allerdings infolge des Zürcher Schützenfestes und des großen Besucherandrangs nur wenig Gesellschaft leisten konnte. Wenn möglich, wird er ihm einen Brief mitgeben. [3] Er wird sich auch der Angelegenheit des [vom Konstanzer Geheimen Rat an König Heinrich II. gerichteten]Briefs annehmen und dafür sorgen, dass der französische Bote [Sébastien de l'Aubespine] sich umsichtiger verhält. [4] Weder aus Chur noch aus Bern (wo man offensichtlich in Verhandlungen [mit Frankreich]steht) sind verbürgte Nachrichten mitzuteilen. [5] Wenn doch nur der gottlose Graf von Büren, Maximilian von Egmont, wirklich gefangen wäre! Sollte Blarer Verbürgtes darüber erfahren, möge er es umgehend mitteilen. Es ist nichts anderes zu erwarten, als dass die kaiserlichen Söldner sich so schlecht benehmen, bis sie sich selbst vernichten. Zurzeit aber fungieren sie als Deutschlands Rute, ehe sie selbst heimgesucht werden. [6] Sultan Suleiman hat eine prunkvolle Gesandtschaft nach Frankreich abgefertigt, die in Lyon von einigen Zürchern (die am letzten Samstag [20. August] zurückkamen) gesehen wurde. [7] Gewiss ist, dass Karl V. und Heinrich II. ihren gegenseitigen Pflichten nicht nachkommen. Wer sollte ihnen dann noch vertrauen? Selig sind diejenigen, die mit Fürsten nichts zu tun haben! In Lyon kursiert das Gerücht, wonach Heinrich II. und Papst Paul III. eine schwere Niederlage gegen England erlitten hätten. Deshalb würden nun [die durch Heinrich II. angeheuerten] Landsknechte von Landrecies nach Boulogne ziehen. [8] Das Zürcher Schützenfest wird morgen oder übermorgen zu Ende gehen. [9] Gott möge die blutigen Angriffe der mächtigen Könige vereiteln und die Seinen durch seine Barmherzigkeit erretten! [10] Gruß an das ganze Hauswesen. Blarer soll häufig schreiben. [11][P.S.:]Bullinger wird Sebastian Schertlins Brief [Nr. 2990] beantworten, sobald er Anlass und die nötige Zeit dazu hat.

Fürgeliepter herr und vertruwter brüder, üwer schryben, 22. augusti uußgangen,' 1 hab ich empfangen. Hallt gäntzlich von des keysers 2 antwort, wie ir darvon urteylend. Hab es ouch vilen miner herren anzeigt. Es sind gute wort

40 Vorliegender Brief wurde von dem oben in Z. 39-4 1 erwähnten Jungen überbracht.
1 Blarers Brief Nr. 2995.
2 Karl V. — Die Rede ist hier von Karis Antwort an die Eidgenossen vom 28. Juli; s. Nr. 2967, Anm. 21. —Bullinger bezieht sich hier auf Blarers Aussage in Nr. 2995,3-5, wonach der Antwort des Kai-

und nüt darhinder. 3 Des andern handels halb 4 wöllend wirs blyben lassen. Gott verlieh uns, das alles, das versumpt ist, widerbracht 5 werde.

D. Hieronymus Hüruß 6 hat mir üwern brieff überantwort. Sag üch danck. Es ist ein wunderfiner mensch, geleert, gottsförchtig und wolkonnend 7 . Ich hab imm wenig früntschafft 8 bewisen. Schafft die unmuß des schiessens 9 und überfaal 10 der lüten. By imm wil ich wyter schriben, kan ich yemer 11 .

Des brieffs 12 halb und das dester sorgsammer gehandlet werde vomm f[rantzösischen] botten, wil ich versähen 13 .

Von Chur 14 habend wir nut gewüsses noch. Bernn ist in ettwas handels 15 (aber noch nut gewüsses) a , alls man gesagt hat.

O wölte gott, das der gottesfind von Büren 16 gefangen were! Erfarend ir gewüsses, lassend michs wüssen. Keins andern versäch man sich 17 dann das die keyserischen kriegslüt kein tugend thun werdent, biß sy sich zu thodt blutend 18 . Jetzund sind sy des tütschen landts ruten. Bald wird die ruten in offen geworffen. 19

Der Türgg 20 hat sin gwalltige 21 bottschafft in Franckrych gehept. Die habend ettlich unser burger (sind erst sampstags 22 von Lyon kummen), gesähen.

a Dieses und das nächste Klammerpaar ergänzt.
zu entnehmen sei, dass die alten Rechtssatzungen nicht an die zwischen Maximilian I. und den Eidgenossen ausgehandelte Erbeinung vom 7. Februar 1511 (s. dazu Nr. 3004. Anm. 24) angepasst wurden.
3 Zu diesem Sprichwort s. TPMA XIII 237, Nr. 84.
4 Betreffend die von Konrad Zwick und Thomas Blarer betriebene Politik; vgl. Nr. 2995,6-8.
5 wieder gut gemacht; s. SI V 734. - Anspielung auf Nr. 2995,8f.
6 Zu diesem Konstanzer Ratsherrn s. Nr. 2987, Anm. 4. Er übermittelte Blarers Brief vom 12. August; s. Nr. 2987,1-6; Nr. 2995,10.
7 geschickt. -Vgl. Nr. 2987,1-6.
8 Gesellschaft; s. SI 11308.
9 Schafft die unmuß des schiessens: Grund dafür ist der wegen des Schützenfestes erfolgte Zeitmangel. - Zum Schützenfest s. Nr. 2958, Anm. 22.
10 Andrang.
11 nur. -Bullinger vertraute ihm am folgenden Tag den höchst vertraulichen Brief Nr. 2998 an.
12 Gemeint ist der Mitte Juli von Konstanz an König Heinrich II. von Frankreich gerichtete
Brief (s. dazu Nr. 2955, Anm. 12 und Anm. 14), der dem französischen Gesandten, Sébastien de l'Aubespine, mitgegeben wurde. Letzterer ließ unvorsichtigerweise das Schreiben auf einem Tisch seiner Badener Herberge liegen: s. Nr. 2987,17-26.
13 Vorsorge treffen.
14 Nämlich vom dort abgehaltenen Bundestag des Gotteshausbundes; s. Nr. 2964, Anm. 3. -Bullinger geht in diesem Abschnitt auf Nr. 2987,47f, ein.
15 Siehe dazu Nr. 2993, Anm. 4.
16 Maximilian von Egmont, Graf von Büren. -Bezugnahme auf Nr. 2995,12-16.
17 sich keins andern versächen: nichts anderes erwarten: s. SI VII 566.
18 0 biß sy sich zu thodt blutend: bis sie sich selbst vernichten. -Vgl. Nr. 3002,14-21.
19 Vgl. z.B. Jes 9, 3f.
20 Sultan Suleiman I.
21 prunkvolle. - Diese nicht näher bekannte Gesandtschaft könnte in Zusammenhang mit dem Ableben Franz' I. und der Krönung (s. dazu Nr. 2924, Anm. 29) des neuen Königs Heinrich II. gestanden haben, zumal dieser sogleich nach dem Tod seines Vaters dem Sultan mehrere Gesandtschaften zukommen ließ; s. André

Es ist gewüß, das keyser und Franckrych 23 einandren weder trüw noch hold sind 24 ; wer sol dann inen vertruwen? Selig sind, die mitt fürsten nut ze thun habend! 25 Unser burger sagend, das der könig uß Franckrych und bapst 26 an Engelland übel verloren 27 habind; allso ist die sag zu Lyon. Dorumb zühind die landtsknecht 28 von Landersy 29 uff Bolonga 30 .

Das schiessen 31 gadt morn oder übermorn uß.

Oremus dominum, ut is potentium monarcharum cruentos conatus infringat et nos, in ecclesia sua sanctum suum nomen invocantes, propter misericordiam suam servet. Amen.

Salutat te et totam domum tuam domus mea et amici omnes. Vale aeternum et me ama, ut soles, et scribe frequenter. Tiguri, 23. augusti anno 1547.

Bullingerus tuus.

D. Schertlinum, cuius literas 32 accepi et pro quibus magnas ago gratias, diligenter salutabis. Scribam ei, ubi argumentum et otium permiserint. 33

Clot, Soliman le Magnifique, Paris 1983, S. 410; Jean Chesneau, Voyage de Paris en Constantinople, hg. y. Lisa Pochmalicki, Genf 2019, S. 13. 15. Laut Annie Berthier, Sources et documents sur Soliman le Magnifique et son époque dans les fonds de manuscrits de la Bibliotheque nationale de Paris, in: Soliman le Magnifique et son temps, hg. y. Gilles Veinstein, Paris 1992, S. 36, sind in der Bibliotheque nationale Bestände mit Berichten zu den Besuchen von fremden Gesandten in Frankreich (darunter auch des Osmanischen Reichs) vorhanden.
22 20. August.
23 König Heinrich II.
24 einandren weder trüw noch hold sind: den gegenseitigen Pflichten nicht nachkommen; s. SI XIV 1634. -Vgl. dazu Nr. 2995,24f.
25 Vgl. Ps 146 (Vuig. 145), 3.
26 Paul III.
27 an Engelland verloren: gegenüber England verloren. - Eduard VI. war damals König von England. - Hier wird ein falsches Gerücht übermittelt.
28 Gemeint sind die Landsknechte, die Heinrich II. angeheuert hatte; s. Nr. 2971, Anm. 18, und Nr. 2994,19f.
29 Landrecies, Dep. Nord.
30 Boulogne-sur-Mer. - Die Stadt war im September 1544 von den Engländern eingenommen worden. Die Rückgabe der
Stadt an Frankreich wurde in dem im Juni und Juli 1546 ausgehandelten Friedensvertrag von Ardres (Pas-de-Calais) beschlossen. Da aber Franz I. die im Vertrag vorgesehene Zahlung an England nicht leisten konnte, verpfändete er vorläufig die Stadt an die Engländer. 1547 versuchte dann sein Sohn, Heinrich II., sie zurückzuerobern, doch vergeblich. Erst mit dem am 24. März 1550 unterschriebenen Vertrag von Outreau (Pasde-Calais) erfolgte ihre Rückgabe an Frankreich; s. Cloulas, Henri II 167f. 264-267. 270f. -Einige der damals angeheuerten Söldner wurden gegen die protestantische pro-englische Partei Schottlands eingesetzt. Sie erreichten etwa am 6. oder 7. Juli die Gewässer vor St. Andrews und kehrten in der ersten Augusthälfte siegreich nach Frankreich zurück. Unter den Gefangenen befand sich John Knox; s. Correspondance des nonces en France. Dandino, Della Torre et Trivultio. 1546-1551, hg. y. Jean Lestocquoy, Rome/Paris 1966 - Acta nuntiaturae Gallicae 6, S. 221f; John Ridley, John Knox, Oxford 1968, S. 60-66; Le Fur, Henri II 211f.
31 Siehe oben Anm. 9.
32 Brief Nr. 2990 vom 14. August.
33 Bullinger hatte Sebastian Schertlin im Verdacht, ein Doppelspion zu sein; s. Nr. 2998,5-7.

[Adresse auf der Rückseite:] Clarissimo viro d. Ambrosio Blaurero, Constantiensis ecclesiae ministro fidelissimo, fratri charissimo suo. Constantz.