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[2977]

Georg Frölich
an Bullinger
[Augsburg],
4. August 1547

Autograph: Zürich StA, E II 346, 228 (Siegelspur) Ungedruckt

[1] Die Antwort des Augsburger Rates [vom 4. August]auf das Schreiben des Zürcher Rats [vom 28. Juli]betreffend Johannes Haller wird Bullinger bestimmt auch zum Lesen erhalten. Haller möchte noch einige Wochen in Augsburg bleiben, da die Predigt nicht verboten wurde, zumal Kaiser Karl V. den aktuellen Stand der Religionssache bis zur allgemeinen Reform unangetastet lassen will. Die Beleidigung Andersgläubiger ist bei Todesstrafe verboten. Die

5 Laut a Porta, op. cit., S. 42, wurde diese Schändung im Juni 1547 verübt. Angesichts der Angaben dieses Briefes wird eher Juli richtig sein.
6 Gemeint ist ganz Graubünden, bestehend aus dem Gotteshausbund, dem Oberen oder Grauen Bund und dem Zehngerichtebund.
7 Der Beitag, der am 27. Juli in Chur zusammengekommen war; s. Nr. 2964. Anm. 3.
8 Der Vorname dieses Jungen aus einem der zahlreichen Zweige der Familie Paravicini ist unbekannt. - Er kann nicht identisch mit Bartolomeo Paravicini sein,
der schon 1544 nach Zürich zum Studium gekommen war (s. Nr. 2902, Anm. 1), noch wird er der Sohn des etwas später in Caspano zum Pfarrer ernannten Raphael Paravicini gewesen sein (s. Nr. 3016, Anm. 5).
9 Siehe Carl Camenisch, Carlo Borromeo und die Gegenreformation im Veltlin, mit besonderer Berücksichtigung der Landesschule in Sondrio, Chur 1901, S. 41.
10 Siehe oben Anm. 4.
11 Fideris (Prättigau, Kt. Graubünden), wo Haab sich im Juli aufhielt; s. Nr. 2964,[5]. - Haab wird vermutlich der Übermittler dieses Briefes gewesen sein.

[Protestanten] versprechen sich nichts von einer solchen Reform, zählen aber auf Gottes Vorsehung. Haller schwebt nicht in größerer Gefahr als irgendein anderer Bürger. Frölich wird ihm nach Kräften beistehen, obwohl er am meisten verhasst ist. Bischof Otto Truchsess von Waldburg will ihn sogar wegen der Veröffentlichung der "Epitome belli [papistarum]" beim Kaiser anklagen! -[2]Der geschwächte, untätige Kaiser verschiebt alles auf den [am] 1. September [beginnenden Reichstag]. Deutschland ist an seinem Leid selbst schuld und wird elend zerbröckeln. Bullinger bete für Frölich, der Gottes Beistand besonders nötig hat. - [3] Gruß, auch an die Kollegen und an die Obrigkeit. In Eile zwischen zwei Sitzungen. -[4] Hans Schöner hat überhaupt keinen triftigen Grund, sich zu beschweren. Er hat sich selbst in sein Unglück hineingeritten! Die Kapelle, um die es [in dein Rechtsstreit mit Augsburg] geht, gehört ihm nicht. Er hat sich auch unnötigerweise mit einer Leibwache versehen und es abgelehnt, nach Augsburg zurückzukehren. Stattdessen hat er Hilfe beim Bischof von Mainz, Albrecht von Brandenburg, gesucht. Zudem hat er eine unbegründete Schmähschrift ["Warhafftige anzaigung"] gegen den Augsburger Rat veröffentlicht. Daher darf er nichts mehr von Augsburg erwarten.

Furgeliebter gunnstiger herre unnd bruder, was minen gnädigen herrn von Zurch von wegen herr Johann Hallers, unnsers gemainen lieben bruders, zu antwurt 1 geschriben, wurdt meiner herren brief 2 zu erkannen geben, welcher euch on zweiffl nit verhalden pleibt. Er 3 will noch ettlich wuchen plieben, dann die predig wurdt gar nit gewöhret 4 , sonnder der kayser 5 will, das es mit der religion, wie die ytzt ist, bis uff gemaine reformation 6 pleibe! Unnd ist bei leib unnd leben verpotten, niemand darvon wegen zu belaidigen. Est quidem spes nobis non de reformatione, sed de domini divina ordinatione 7 . Frater Hallerus non periclitabitur plus quam quilibet civis hic. Ego ipsi, quantusquantus sum, adfuturus sum, quamquam sciam me plus odii et periculi ferre quam ullus Augustanorum. Episcopus enim Augustanus 8 publice me propter editam belli epitomen 9 infamat et minatur mihi caesaris iuditium.

1 Als Antwort auf das Schreiben des Zürcher Rats an den Augsburger Rat vom 28. Juli; s. Nr. 2969, Anm. 5.
2 Der Brief des Augsburger Rats an den Zürcher Rat ist wie vorliegender Brief vom 4. August (Zürich StA, A 202.1, Nr. 25 - auf Pergament). Darin wird ausgeführt, dass es noch keinen Grund gäbe, in Augsburg die Predigt einzustellen, da Kaiser Karl V. öffentlich verboten habe, "niemannd inn, noch vor den Khirchen, noch sonnst, der Religion halb arger mainung anzusprechen, noch vil weniger zu belaidigen". Zudem wird mitgeteilt, dass der Rat mit Haller vereinbart hat, dass Letzterer noch weitere fünf bis sechs Wochen bleibt, um keinen Anstoß zu erregen. Der Rat verspricht zudem, geeignete Sicherheitsmaßnahmen für Haller zu treffen und ihm einen Begleitschutz für die Heimreise zu gewähren. Der Brief erwägt
aber auch die Möglichkeit, Haller länger zu beschäftigen, falls es dank Gott zu besseren Verhältnissen kommen sollte.
3 Haller. - Zu dessen abweichenden Meinung und Beurteilung der Lage vgl. Nr. 2970,69f; Nr. 2972; Nr. 2973,15-20.
4 verwehrt.
5 Karl V.
6 Vgl. HBBW XIX 234,23-25; 283,1-3.
7 Hier ist Gottes Vorsehung gemeint.
8 Otto Truchsess von Waldburg.
9 Die Rede ist von der Epitome belli papistarum contra Germaniam atque patriam ipsam caesare Carob V. duce, s.l. 16. September 1546, 6 Bl. in-4 (VD16 E1837), und von deren deutscher Fassung Am kurtzer bericht dess Pfaffen Kriegs, den kaiser Carl der fünft wider Teütsche Nation und das Vaterland gefürt hat imm M.D.XLVI jare, äussern Latin verteutscht, [Augsburg 1546], 8 Bl. in-4

Caesar infirmatur hic 10 neque agitur quidquam, sed cause omnes ad 1. septembris 11 prorogatae et suspensae sunt. Summa: Germania sua ipsius culpa vim passa est et misere quassabitur. Ora dominum pro Laeto fratre, qui certe auxilio domini prae aliis afflictis maxime opus habet.

Vale. Salveant singuli fratres et domini Tigurini. Raptim inter consultandum 4. augusti 1547.

Hanns Schöner 12 hat furwar ainigen füg 13 nit ze clagen; unnd wann ich uff mein gewissen sagen sollt, so het er solich eilend ime selbs mutwillig zugericht. Die capell 14 , darvon er meldet, ist so wenig sein als mein gewest. Er ist überflüssig verglait 15 worden, hat nit herein 16 gewolt, sonnder sich an die pfaffen zuo Mentz 17 gehenckht unnd ain gar schmehlich ungegründt buch 18 wider amen rate im druckh lassen ußgeen. Darumb waiß ich seiner sach gar kamen rate. Er wurdt hie nichts erlangen!

Tuus G. L.

(VD16 E1838), die etwa Mitte Oktober 1546 erschienen war; s. Roth, Augsburg III 4041 und Anm. 931; Voigt, Geschichtschr. 691-693. Roth berichtet, dass in der Augsburger Stadtrechnung unter dem 2. Oktober 1546 die Ausgabe von 31/2 Gulden für den Druck einer Schrift verzeichnet sei, eine Ausgabe, die Roth mit dem Druck der Epitome in Verbindung bringt. Sollte Roths Vermutung zutreffen, wäre Frölichs Beteiligung an der Veröffentlichung der Epitome nicht bestreitbar. Er könnte sogar deren Verfasser sein. Als Verfasser kämen allerdings nach Roth auch der Augsburger Stadtarzt Gereon Sailer oder der damals in Augsburg wirkende Pfarrer Sebastian Lepusculus in Frage. - Vielleicht erschien die Epitome in Basel; vgl. Gilly, Spanien 220, Anm. 367.
10 Siehe dazu Nr. 2983, Anm. 3.
11 Angesprochen ist der künftige Reichstag; Nr. 2952, Anm. 6.
12 Uber dessen Angelegenheit hatte Bullinger in einem nicht erhaltenen Brief an Frölich oder vielleicht auch an den Augsburger Rat geschrieben; vgl. nämlich Nr. 2881,13-17; Nr. 2891,14-21; Nr. 2935,20-25; Nr. 2945,2-7; Nr. 2963,4-9.
13 Grund.
14 Die Schönerkapelle in Augsburg, deren Abbruch das Zerwürfnis Schöners mit der Stadt Augsburg besiegelt hatte; s. HBBW XVII 307, Anm. 1.
15 überflüssig verglait: unnötigerweise von
einer Garde begleitet; s. Grimm XXV 406 s.v. vergeleiten. - Zu dem hier Geäußerten konnte nichts Näheres ermittelt werden.
16 D.h. in die Stadt. - Schöner mied Augsburg und andere Reichsstädte aus Furcht vor seinen Gegnern (s. HBBW XVII 308,15-19), weshalb er sich seit August 1546 meist in Zürich aufhielt.
17 Mainz. - Siehe dazu eine Mitteilung Gereon Sailers an Landgraf Philipp von Hessen vom 26. Dezember 1543 über Wolfgang Rehlinger und dessen Verwandten Hans Schöner: "Zuvor haben [in Augsburg] die alten burgermaister das paumaisterampt versehen. [Dann] hat er [Rehlinger] ain verdorbnen schwager [Schöner] gehabt, den er und andere seine freundt ernoren haben missen. Den hat er zum paumaister, und also ain neues ampt und neues ausgeben gemacht. Sollicher, sein schwager, hat sich aus der stadt zu dem pischof von Mientz und wais yetzo nit wahin gethan; doch schreibt er pose puchlach [böse Bücher] wider die von Augsburg" (Lenz III 339f, Anm. 1). - Bischof von Mainz war damals Albrecht von Brandenburg (bis zu seinem Tod am 24. September 1545) gewesen. Sein Nachfolger war ab dem 20. Oktober 1545 Sebastian von Heusenstamm; s. HBBW XV 615, Anm. 8.
18 Hans Schöners Warhafftige anzaigung von 1543 (VD16 534631); s. dazu HBBW XVII 308, Anm. 26.

[Adresse auf der Rückseite:] Dem ehristennlichen hochgelerten herrn Henrichen Bullinger, der ehristennlichen gemaind Zurch vorgeern 19 , ze hannden.