Projektseite Bullinger - Briefwechsel © Heinrich Bullinger-Stiftung
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[2620]

Peter Simler
an Bullinger
Kappel am Albis,
12. Oktober 1546

Autograph: Zürich StA, E II 440, 150f, Nr. 22 (Siegelspur) Ungedruckt

[1]Simler hat nichts dagegen einzuwenden, dass Bullinger seinen Sohn Heinrich [d.J.] statt in Kappel künftig in Zürich unterrichten lässt, wenn es für Heinrich am besten ist. Nur soll Bullinger dies nicht deshalb tun, um Simler und seine Frau [Verena, geb. Huser] zu entlasten! Auch wenn sie streng zu Heinrich gewesen sind, ist ihnen dieser sehr lieb geworden. Simlers Frau dachte, Heinrich bliebe bei ihnen in Kappel, bis Josias [aus Basel]zurückkommt. Jetzt sind sie beide schon 14 Tage lang ohne Schüler, was ihnen sehr ungewohnt ist! Wenn Bullinger wünscht, kann er Heinrich wieder zu ihnen schicken. [2] Heinrich ist gottesfürchtig und aufrichtig. Er hat nicht hinter dem Rücken seiner [Haus]mutter Kleinigkeiten gekauft oder getauscht, was ihm verboten war. Wenn er um Geld bat, musste er den Grund anführen. Die kleinen Fehler, die er hat, sind typisch für die Jugend: Unbekümmertheit und einfache Manieren bei Tisch und sonst. Das kommt daher, dass er oft träumt. Er wird sich noch bessern. [3] Über die Kosten für Heinrichs Aufenthalt in Kappel, für die Zeit, die über Josias' Aufenthalt bei Bullinger hinausgeht, wird Simler mit Bullinger in Zürich persönlich übereinkommen. Es eilt nicht. [4]Jetzt muss man mit den heimgesuchten [deutschen Protestanten] Mitleid haben und durch Gebet und reinen Lebenswandel abwenden, dass Gott [die Eidgenossen] durch [Kaiser Karl V.]strafe. Bullinger und seine Hausgenossen seien dem Herrn empfohlen.

Gnad unnd frid von Gott. Wirdiger, geliebter her unnd gfatter 1 , das ir Heinrichen 2 von deswegen by üch behalten wellend, das ir achtend, die schul Zürich syge nun wol für inn, 3 kan ich nit wider 4 , dann 5 ich allzit geneygt wär, üwern unnd aller üwern kinden nutz ze fürderen. So fer ir aber vermeintind, die schul ze Cappel im nutz sin, so bedörffend ir inn nit darumm heim 6 7 nemmen, das ir mich unnd min husfrowen unrowen entladind 8 . Er ist uns beyden lieb unnd werd gsin 9 , wie wol wir inn dick ubel gehandlet 10 habend - aber umb sines nutzes willen. Min frow seyt, sy hett vermeint, ir hettind inn by uns gelassenn, bis das unser Josias 11 heim kommen wär. Darumb, lieber her gfatter, so ir noch 12 vermeintind, die schul ze Cappell wol für inn sin, so schickend unns inn wider, so ist er unns von hertzen lieb

23 Dieser Brief wurde zusammen mit Brief Nr. 2621 von einem Augsburger Nachbarn Hallers nach Zürich befördert; s. Nr. 2621,1-4.
1 Siehe dazu Nr. 2604, Anm. 4.
2 Heinrich Bullinger d.J.
3 Siehe Nr. 2604,7-9.
4 kan ich nit wider: kann ich nichts dagegen einwenden.
5 da, weil.
6 damit.
7 Verena, geb. Huser.
8 unrowen entladind: einer Last entledigt. — Dies bezieht sich auf Nr. 2604,9-11.
9 gewesen.
10 dick ubel gehandlet: streng behandelt (haben).
11 Josias Simler. — Er studierte damals in Basel; s. Nr. 2604, Anm. 4.
12 danach.

unnd gott willkumm. Unnd das ich schrib, sind nit wort; es gat von hertzen! Wir wellend im das best thun umb zimliche 13 besöldung. Es ist mir dise 14 tag 14 gar ungwon gsin, das ich keinen knaben gehept han, unnd wellt allwegen lieber die han, die minen unnd ich iren gewonet hett, dann frömbde. Thund harinn, das ir vermeinend des knaben besten nutz sin. Unnd ob 15 ir (wie sin wirt 16 ) an dem knaben findent, das ir welltint gebessert sin, so gebent den mangel minem alter unnd siner jugent zu.

Ich schik üch ein frommen, gotzförchtigen, waarhafften knaben 17 , der hinder miner frowen als siner muter 18 nit umb ein angster gekrämlet noch gemertzelet 19 , dann sy im des nit gestattet, noch kom 20 pfennig in sinem gwalt gelassen hett. Unnd so er gellt gefordert, hett er vorhin müssen anzeigen, worzü ers bruchen welle. Andere mengel sind kintlich, namlich langsame, unsorgsame 21 unnd bürische 22 sitten, zun zyten ob dem tisch unnd darnäbett. Die werdent mit der zyt gebessert. Ich han an im gewaret 23 , das vil des selben davon kompt, das er vil fantisiert 24 , dann er stunet 25 unnd sich selbs vergißt. Aber ich hoff (die sach stand nit übel umb inn) a , er werd sich dermaß schicken (ob im gott das leben gunt 26 ), das wir sinen werdint erfröwt.

Der rechnung des ußgebens halb unnd umb den tisch, das er lenger by mir dann Josias by üch gsin ist, 27 wil ich früntlich unnd tugentlich mit üch abkommen 28 , so ich selbs persönlich zu üch komme. Es lit nit an angendem schaden. 29 Denen dingen gschicht allwegen 30 wol rat.

Das sol unns jetz allen zum höchsten angelegen sin, das wir uns den grossen jamer der verkümberten lüten 31 lassent zu hertzen gon unnd die verdienten straff gottes mit besserung des lebens unnd andächtigem gebett

a Klammern ergänzt.
13 angemessene.
14 Heinrich Bullinger d.J. hatte sich mit den restlichen Schülern ab dem 26. September zur Prüfung nach Zürich begeben; s. Nr. 2604, Anm. 20.
15 wenn, falls.
16 wie sin wirt: was der Fall sein wird.
17 Gemeint ist immer noch Heinrich Bullinger d.J., der gemäß Nr. 2604,22f, damals seine Sachen in Kappel holen ging und demzufolge Überbringer des vorliegenden Briefes war.
18 Im übertragenen Sinne zu verstehen: für die Zeit, die er in Simlers Familie lebte.
19 nit umb ein angster gekrämlet noch gemertzelet: weder für zwei Pfennige kleine Dinge gekauft noch (mit den Mitschülern) getauscht hat. — Der Angster war eine Münze im Wert von 2 Hellem oder 2 Pfennigen; s. 511 339. —Zu "chrämelen"
und "merzelen" s. SI III 816 und IV 432.
20 kaum.
21 unbekümmerte.
22 einfache und ehrliche (im Gegensatz zu den verfeinerten städtischen Sitten); s. SI IV 1527.
23 an im gewaret: an ihm bemerkt, festgestellt.
24 träumt.
25 hängt seinen Gedanken nach.
26 gönnt.
27 Dies bezieht sich auf Nr. 2604,13-18.
28 übereinkommen.
29 Sinngemäß zu verstehen: Es eilt nicht.
30 jeweils, immer.
31 verkümberten lüten: heimgesuchten Menschen. — Gemeint ist die deutsche Bevölkerung, die den Krieg miterlebte.

ableinend 32 , gott bittende, das er uns selbs vätterlich straff unnd nit inn die hend des grusamen wüterichs 33 kommen lasse. Gott welle üch mit sampt üwer eeren hußfrowen 34 unnd allem gsinnd 35 langwirig 36 in sinem willen erhalten.

Datum ze Cappel, am 12. tag octobris 1546.

U[wer]w[illiger] Petrus Simler, predicant zu Cappel.

[Adresse auf der Rückseite:] Dem wirdigen, wolgeleerten heren, m. Heinrichen Bullinger, predicanten Zürich, minem lieben herren und gfattern b .