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[2441]

Matthias Erb an
Bullinger
Reichenweier,
1. Mai 1546

Autograph: Zürich StA, E II 361, 156 (Siegelspur) Ungedruckt

Einem Unterlehrer [...] an einer Schule [in der Grafschaft Reichenweier] wurde von Fürst [Georg von Württemberg] der Besuch seiner Heimat Ravensburg gewährt. Er möchte allerdings nicht direkt durch den Schwarzwald reisen, sondern durch die Schweiz und über Zürich, um die dortigen Landschaften und Sitten kennenzulernen. Erb nutzt die Gelegenheit, um durch diesen dem Pythagoras ähnlichen Weltenbummler einen Brief zu übermitteln. Erb hat Bullingers wohlwollenden Brief [Nr. 2424] mit der von der Witwe [Marta, geb. Blarer] des Erasmus [Schmid]ausgestellten Quittung am 23. April erhalten. [Kurfürst Friedrich II.] von der Pfalz hatte im [letzten] Winter die deutsche Messe nach Wittenberger Vorbild eingeführt. Nun hat er diese wiederum durch eine einfache Abendmahlsfeier ersetzt. Man sagt daher, die Messe sei gleichzeitig in Frankfurt und in der Pfalz abgeschafft worden. Bilder und Heiligenfiguren wurden jedoch nicht entfernt. Es geht das Gerücht um, dass Graf Wilhelm von Fürstenberg ein Heer von 12'000 Soldaten ausgehoben habe. Damit wolle er im Namen des Kaisers [Karl V.] das Piemont für Herzog [Karl III.] von Savoyen zurückerobern. Sollte dies stimmen, hätten die Berner Grund zur Sorge. Die geächteten und verbannten Adeligen, die den Braunschweiger Verbrecher [Herzog Heinrich] unterstützt hatten, verwüsten Sachsen und Hessen mit Bränden und Räuberbanden. Die Teilnehmer des [Zweiten Regensburger Religions]gesprächs glauben, dass sie bald vom Kaiser zurückgerufen werden. [Am Konzil] zu Trient wird diskutiert, ob die hebräische oder die griechische Bibel zu bevorzugen sei. Dem Gerücht, dass [Johannes Hoffmeister]gefangen genommen worden sei, schenkte Erb zunächst keinen Glauben. Nun aber wollte ein von Regensburg nach Colmar Reisender [...] mit jemandem [...] um zehn Kronen wetten, dass dies wahr wäre. Erb wird Bullinger auf dem Laufenden halten. Als der Kaiser den [Landgrafen Philipp] von Hessen bei ihrem Treffen in Speyer fragte, wann er alle in den [Schmalkaldischen] Bund gelockt haben würde, antwortete dieser, dass ihm nur noch eine Person fehle, und zwar der Kaiser; worauf hin dieser erwiderte, dass er

k Klammern ergänzt.
24 Anna, geb. Adlischwyler.
25 Die Kirche St. Nikolaus.
26 Johannes Marbach.

sich irregeleiteten Menschen nicht anschließen werde. Morgen wird Erb in einer Angelegenheit des Fürsten [Georg] nach Straßburg reisen. Darüber vielleicht später mehr. Grüße, auch an [Rudolf] Gwalther und [Konrad] Pellikan.

Gratia domini tecum. Adolescens hic, scholae nostrae hypodidasculus 1 , 2 cupidus visendi patriae suae a favore principis 3 impetrato noluit recta perque compendium Hercyniae sylvae 4 ad suos Ravenspurgenses b ascendere, sed per Helvetiam, quo regionis montuose situm, mores et studia ceu per transennam videret 5 , maxime vero Tigurum, inclitam Helvetiorum urbem. Per hunc ergo habens certam occasionem scribendi (qui veluti Pythagoras 6 alienas lustrat terras) c nolui te vacuis manibus salutaret, ne vel illum erronem putares vel me tui oblitum.

Tuae litterae 7 mihi reddite sunt cum quitantia viduae Erasmi 8 23. aprilis 9 , locupletissimum benevoientiae tuae tuique pii et bene adfecti animi erga me testimonium, quibus respondere pro dignitate (tametsi tu me acriter obiurgans putas frustra excusare meam inscitiam)10 impar sum, etc.

Palatinus 11 missam Germanicam, quam cum omni cultu instituerat hisce hybernis mensibus ad normam Wittenbergensem, superiori heptomada omnino abrogavit, coene institutum ad simplicissimam formam restituens 12 unde natum nunc vulgo dicterium: "Die meß ||156v. zu Franckfurt und die meß in der Pfaltz habend mit einander uffgehört." Adhuc tamen illic prostant idola, etc.

Constans fama est comitem Wilhelmum a Furstenberg scribere exercitum 12 millium gregariorum militum, quem caesaris 13 nomine, ut aiunt, ducturus sit in regionem Pedemontanam 14 , Sabaudiensem ducem 15 patrie restituturus d , 16 quod, si verum, metuendum non nihil Bernatibus. 17

a suae über der Zeile nachgetragen.
b Ravenspurgenses über der Zeile nachgetragen.
c Klammern ergänzt. —d In der Vorlage restiturus.
1 =hypodidascalus.
2 Unbekannt.
3 Georg von Württemberg-Mömpelgard.
4 Hier der Schwarzwald; s. Dasypodius, Dic. 262.
5 Vgl. Adagia 3, 1, 49 (ASD II/5 65f, Nr. 2049).
6 Zu Pythagoras' Wanderjahren s. DNP X 648—653.
7 Bullingers Brief vom 16. April (Nr. 2424).
8 Erasmus Schmids Witwe Marta, geb. Blarer: s. dazu Nr. 2424,26f.
9 Siehe Erbs Empfangsvermerk in Nr. 2424, Anm. d.
10 Vgl. dazu Nr. 2424,1—5.
11 Kurfürst Friedrich II. von der Pfalz.
12 Siehe aber Nr. 2450,39—42. — Zur Kirchenordnung von Ende April, mit der
Kurfürst Friedrich II. seine Reformbestrebungen fortführte, s. Hans Rott, Friedrich II. von der Pfalz und die Reformation, Heidelberg 1904 —Heidelberger Abhandlungen zur Mittleren und Neueren Geschichte 4, S. 60f. 132—142 (Druck der Kirchenordnung), bes. 135f; Hasenclever, Kurpfalz 48—54.
13 Karl V.
14 Das Piemont war seit Februar 1536 von den Franzosen besetzt. — Zur damaligen Anwerbung von Truppen durch Friedrich II. (nicht Wilhelm) von Fürstenberg, die allerdings nicht für das Piemont bestimmt waren, s. PC IV/1 107, Nr. 78.
15 Karl III. von Savoyen.
16 Zu diesem Gerücht s. HBBW XV 690,17f; oben Nr. 2319 und Anm. 19; PC IV/1 70, Nr. 51. Diese Nachricht sandte

Nobiles proscripti 18 (qui latroni Brunsvigico 19 faverant) e et eiecti flammis et latrociniis Saxoniam et Cattos pervastant. 20

Colloquentes 21 putant rursus per caesarem convocandos. 22

Tridenti disputant, utra Biblia, Hebraea an Graeca, suscipiant et preferant. 23

Monachum Colmariensem 24 iamdiu esse captum fama loquebatur, sed tum ridebam. Nunc vero vires acquirit eundo 25 : Pridie enim quidam 26 e Reginospurgo 27 veniens Colmariam dissipavit famam verissimam volens cum alio quodam 28 certare pro decem coronatis, si non ita haberet. Comperta veritate te eius rei certiorem faciam.

||156a Cattorum princeps, 29 caesarem Spirae conveniens, 30 ab eo rogatus, quando omnes in suum faedus 31 pertraxisset. Cattus respondit facetia: "O herr, der keiser, es manglet mir nit mer dan noch ein man." Caesare percunctante, qui esset, respondit: "E[ure] K[aiserliche] M[ajestät] hette ich auch gern under die fromme leut." Subridentem ferunt caesarem dixisse: "Nein, nein, ich khum nit under die verwürten leute." At Cattus in pace dimissus ad suos rediit, etc.

Cras, ni dominus antevorterit, petam Argentoratum. in causis nostri principis. Inde forte plura, quae alias scribam.

Vale tuis cum domesticis ac ecclesia dei. Salutabis Gvaltherum, Pellicanum ac reliquos sanctos, etc.

Raptim, Richenvillae, kalendis maii 1546.

Tuissimus Erbius.

[Adresse auf der Rückseite:] Pietate atque doctrina eximio viro d. Henrycho Bullingero, ecclesiae Tigurinorum antistiti [fide]lissimo g , pa[trono ac domi]no observando.

e Klammern
f ergänzt. — quodam über der Zeile nachgetragen.
g Hier und unten Textverlust durch Entfernung des Verschlussbandes.
Erb auch Ambrosius Blarer zu; s. Nr. 2449,4—6. —Zu den Verhandlungen Fürstenbergs mit dem Schmalkaldischen Bund wie auch mit dem Kaiser s. Wagner, Fürstenberg 265—267.
17 Die Berner hatten nämlich im Winter 1535/36 ebenfalls große Teile des Herzogtums Savoyen besetzt.
18 Gemeint ist hier wohl der Kreis um Otto von Rietberg und Christoph von Landenberg; vgl. PC IV/1 68, Nr. 49. 79, Nr. 59.
19 Herzog Heinrich d.J. von Braunschweig-Wolfenbüttel.
20 Die Anhänger Herzog Heinrichs griffen Sachsen und Hessen nicht an, stifteten aber Unruhen und Auseinandersetzungen
im Herzogtum Braunschweig; s. PC IV/1 86—89, Nr. 63.
21 Die Teilnehmer am gescheiterten Zweiten Regensburger Religionsgespräch.
22 Ein Gerücht. Vgl. Nr. 2429,17f.
23 Die Frage der Bibelfassungen wurde am 3. April 1546 besprochen; s. CT V 58—67; Jedin, Trient 57. 70. 76—82.
24 Der Augustiner Johannes Hoffmeister.
25 Vgl. Vergil, Aeneis, 4, 175.
26 Unbekannt.
27 Regensburg.
28 Unbekannt.
29 Philipp von Hessen.
30 Zu diesem Treffen s. Nr. 2406, Anm. 25.
31 Gemeint ist der Schmalkaldische Bund.