Projektseite Bullinger - Briefwechsel © Heinrich Bullinger-Stiftung
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[2301]

Oswald Myconius an
Bullinger
Basel,
1. Dezember 1545

Autograph a : Zürich StA, E II 336, 220 (neu: 238)(Siegelspur) Ungedruckt

Die ganze schwenckfeldische Angelegenheit ist nun also erledigt. Der Braunschweiger Krieg ist beendet, denn nun hat sich auch die Festung [Rietberg]ergeben. Nach seinem Sieg [über Herzog Heinrich von Braunschweig] eilte Landgraf [Philipp von Hessen] zur Festung und forderte ihre Übergabe, wobei er Wälle bauen und Geschütze heranfahren ließ. In Abwesenheit des Burgherrn [Graf Otto IV. von Rietberg]forderten die Feinde drei Tage Bedenkzeit, mussten aber vier bedeutende Männer als Geiseln stellen. Da keine untertänige Antwort erfolgte, ließ der Landgraf die Geiseln vor die Burg führen und forderte die Ergebung; ansonsten wolle er die Geiseln aufhängen lassen und die Burg mit Gewalt einnehmen. Diese ergab sich schließlich. Unter den Geiseln befand sich auch (Bullinger soll nicht lachen) Russ von Reischach. Die Geschütze wurden nach Kassel zurückgeführt, und das Heer wurde entlassen. Über die Kriegsabkommen weiß Myconius noch nichts, da die Straßburger Kriegsherren, die an allen Beratungen teilgenommen haben, noch nicht wieder zurückgekehrt sind. Vor dem 5. Dezember soll in Frankfurt der [Schmalkaldische] Bundestag stattfinden. Angeblich ist Russ [von Reischach] in den letzten Tagen durch Neuenburg [am Rhein] gezogen. Die Protestanten haben zwischen [König Franz I. von] Frankreich und [König Heinrich VIII.] von England vermittelt, doch hat [Karl V] die ganze Angelegenheit an sich gerissen. Er wird von den Antwerpenern erwartet, wo auch die französischen und englischen Gesandten ankommen sollen. Ein spanischer Bischof oder Kardinal [Pedro de Malvenda], der von [Karl V]nach Italien gesandt ist, ist durch [Basel]gereist. Dessen Sekretär [...]sagte zu [Johannes] Gast, Papst [Paul III.], der König von Frankreich und der Kaiser hätten ein Bündnis gegen den

versehen, sondern mit einem Vorwort "Ad Patres, qui deum in synodo Tridentina timent"(f. a[i],v.-c[iij],r.). Außerdem enthält die Schrift eine "Praefatio ad Latomum"(f. c[iij],v.-c[iv],v.).
29 Zur Erkrankung des Trierer Bischofs s. oben Nr. 2277, lOs und Anm. 13.
30 Zu den Reformbemühungen des Trierer Bischofs s. Benedikt Caspar, Das Erzbistum Trier im Zeitalter der Glaubensspaltung bis zur Verkündigung des Tridentinums
in Trier im Jahre 1569, Münster 1966 — Reformationsgeschichtliche Studien und Texte 90, S. 62-67.
31 Dieser Brief wie auch Myconius' Brief vom 1. Dezember (Nr. 2301) wurde Johannes Herwägen und Johannes Oporin mitgegeben; s. unten Nr. 2303; 2304, 31f.
a Mit Unterstreichungen und einer Randbemerkung Bullingers; s. Anm. b.

König von England geschlossen; ferner sei das [Zweite]Regensburger [Religions]gespräch nicht ernstzunehmen. Sechs von [Malvendas] Dienern sind auf Schloss Gösgen in der Herrschaft Solothurn gefangen, weil sie zwei Fuhrmänner misshandelten und einen von ihnen beinahe getötet hätten. Es heißt, die Spanier hätten das Fuhrgeld verweigert. Matthias Held soll am [kaiserlichen] Hofe wieder aufgenommen worden sein. Kurz nach Ostern soll er gesagt haben, er wisse, dass er bald wieder am Hofe beliebt sein und [Nicolas Perrenot von] Granvelle seines Amtes enthoben werde. Diese teilweise in Erfüllung gegangene Prophezeiung bedeutet nichts Gutes für Granvelle. Myconius schrieb, wenn er sich recht erinnert, über den neulich von den Türken verweigerten Waffenstillstand. Nun hört man aus Österreich, dass dieser für fünf Jahre geschlossen wurde. Falls Bullinger Sicheres aus Schwaben darüber gehört hat, möge er es mitteilen. [Karl V] soll im Sinne haben, [Herzog Heinrich von] Braunschweig zu befreien, und zwar mit Hilfstruppen von [Franz I.] und [Paul III.]. Zudem sollen laut dem [Basler]Rat auf Veranlassung des Papstes 1'500 neapolitanische Reiter, die für Braunschweig bestimmt waren, durch Württemberg gezogen sein. Nun ziehen sie zum Kaiser. Was Bullinger über den Marchese [Alfonso d'Avalos] von Mailand schrieb, ist unerhört! Gern wüsste Myconius, was in dem übergebenen Brief steht. Die [Protestanten] weichen von ihrem Weg ab! Myconius erklärte gerade [von der Kanzel], dass der Glaube wie nie zuvor in 14 Jahren erkaltet sei. Wie steht es damit in [Zürich]? Christus spende seinen heiligen Geist!

S. Mittamus igitur in totum Schwenkfeldii negocium; 1 equidem bona pace fruor in Christo vero deo et vero homine.

Belli praeterea Brunschvicensis finis adest. Nam arx munitissima illa 2 dedita est nullo fere negocio. Res in hunc modum acta: Post victoriam 3 a domino datam landgravius 4 quantis potuit itineribus, contendit ad arcem ob trepidantem adhuc hostem et tempus peropportunum; nam arx in paludibus iacet, quocirca inaccessibilis est, bombardis maxime, tempore pluvio et nivoso. igitur advenit, ut se dedant nisi pati velint graviora. Simul autem aggeres fecit et viam tormentis adigendis munivit. Aberat dominus arcis 5 et hostes rebus suis non satis fidebant. Petunt igitur tres dies consultationi. Quos quidem Hessus ita concessit, si quatuor ex se non postrema note dent obsides. His acceptis per spacium illud agitur pax. Iam tempus elapsum, responsum nullum paulo pacatius; quare Hessus obsides cum lictoribus et carnifice 6 laqueis in collum iniectis ad arcem admovit propius, ni se dedant, hos confestim suspensum in et arcem vi expugnandam. Fuit autem inter obsides Ruff de Rischach 7 (cave rideas). Itaque sunt

1 Bezug auf Bullingers Brief vom 27. November 1545, oben Nr. 2298, 4-12.
2 Nicht die Festung Wolfenbüttel, die seit 1542 unter Kontrolle der Schmalkaldener stand, sondern Burg Rietberg in der Grafschaft Rietberg; vgl. nämlich PC III 675, Nr. 641; Amerbach Korr. VI 204. —Siehe bereits oben Nr. 2300, Anm. 21.
3 Zum Sieg des Schmalkaldischen Bundes über Herzog Heinrich d.J. von Braunschweig-Wolfenbüttel s. oben Nr. 2289, 34-42.
4 Philipp von Hessen.
5 Otto IV. von Rietberg.
6 Unbekannt.
7 Russ von Rischach (Reischach) dürfte identisch mit dem in HBD 24, 15f (zum 3. November 1535) erwähnten Rudolph von Reischach sein: "Novembris 3. egimus causam contra convitia Rodolph. a Ryschach" (über den Handel selbst ist laut HBD, aao, Anm. 2, nichts überliefert). Möglicherweise kommt er auch in einer Quelle aus dem Jahr 1546 in PC IV/1 79,

ad deditionem specie illa suorum et periculo compulsi. Non sensit ergo vel ictum tormentorum arx, et dedita est! Ex itinere reductae sunt bombardas Cassellam, exercitus dimissus 8 . De conditionibus nondum comperi, quod duces Argentinenses 9 , qui omnibus consiliis interfuerunt, adhuc non redierunt. Indicta sunt comitia toti foederi Smalcaldico Francfordiam in diem proximum ante nonas decembris. 10 Habeo, qui dicant Rüffium illum diebus superioribus per Nuvenburgam 11 transiisse cum bacillo albo 12 , cetera fere nudum. Hactenus de bello Brunsvicensi.

Interposuerant se Protestantes inter Gallum 13 et Anglum 14 et bene sperare caeperant; 15 sed cesar 16 tantum effecit, ut illis reiectis ipse negocium illud totum sibi sumpserit, 17 ut audio: Prorsus Hispanice! Expectatur ab Antverpianis, 18 quo et legati Galli et Angli dicuntur adventuri. 19

Transiit hac Hispanus. 20 Nescio episcopus sit an cardinalis. Magnus est apud cesarem, a quo etiam mittitur in Italiam. Huius secretarius 21 dixit Gastio papam 22 Gallum et cesarem musse foedus contra Anglum. 23 Ex illius 24 ministris 6 tenentur captivi in arce Gösken 25 ditionis Solodornensis, 26 quod

Anm. 3 zu Nr. 59, vor. —Er stammte wohl aus dem oberbadischen Geschlecht der Grafen und Freiherren von Reischach, doch ist ganz ungewiss, ob er derjenige Russ von Rischach war, der um 1520 eine Frau namens Margarethe heiratete (s. Kindler von Knobloch III 427. 455). Ungewiss ist auch eine etwaige Identität mit Russ von Rischach, geb. vor 1519, gest. 1562, Truppenführer und Leutnant Markgraf Albrechts von Brandenburg-Kulmbach im Zweiten Markgrafenkrieg (1552— 1555); s. Moritz von Sachsen PK VI 202. 348.403. 1231 (Reg.).
8 Zur Entlassung der schmalkaldischen Truppen s. oben Nr. 2287, Anm. 17.
9 Gemeint sind Hauptmänner von straßburgischen Truppen, deren Teilnahme am Braunschweiger Krieg belegt ist; s. PC III 675, Nr. 641; Amerbach Korr. VI 204.
10 Zum Schmalkaldischen Bundestag in Frankfurt s. oben Nr. 2285, 70-77 und Anm. 37.
11 Neuenburg am Rhein.
12 Weiße Stäbe sind seitdem 15. Jahrhundert Zeichen der Kapitulanten, Zahlungsunfähigen und Verwiesenen. Sie werden bei der strafweisen Abbitte und als Zeichen freiwilligen Gnadenbittens getragen; s. HRG IV 1841f, s.v. Stab; SI X 1010.
13 Franz I.
14 Heinrich VIII.
15 Zu den von den deutschen Protestanten geleiteten Verhandlungen zwischen England und Frankreich s. oben Nr. 2278, 23-27.
16 Karl V.
17 Zu den parallel vom Kaiser geleiteten Verhandlungen zwischen Franzosen und Engländern und den anwesenden Gesandten s. Potter 402-409.
18 Kaiser Karl V. hielt sich vom 18. November bis zum 1. Dezember 1545 in Antwerpen auf; s. Stälin 578.
19 Die Verhandlungen zwischen den Kaiserlichen und den Franzosen fanden vom 18. bis 24. November in Antwerpen statt; s. Potter 405f. — Zu den Namen der Unterhändler s. oben Nr. 2278, Anm. 27, sowie Johannes Sleidan, De statu religionis et reipublicae Carob V. caesare, Genf, Thomas Courteau, 1559, f. 268v. 271r.
20 Bischof Pedro de Malvenda; s. oben Nr. 2299 und Anm. 4; 2300, 2-29.
21 Unbekannt.
22 Paul III.
23 Ein Gerücht.
24 Gemeint ist Pedro de Malvenda.
25 Nieder-Gösgen (Kt. Solothurn).
26 Siehe dazu oben Nr. 2299, 4-8.

duos aurigas pessime tractarent; alter enim ad mortem fere caesus est b . Volat 27 vecturae precium Hispanos negasse, etc. Dixit idem secretarius de colloquio Ratisbonensi 28 meras nugas esse; id quod equidem facile credo, nam Hispanico ingenio nec faveo nec confido. Fertur d. Matthiam Heldum denuo recepisse in aulam. 29 De quo illud audivi, non diu post festum paschatis 30 ° ipsum dixisse: "Equidem novi me propediem fore charissimum in aula et Granvelam 31 suspendendum." Vaticinium ex parte completum; caveat Granvela! Sic luditur in aulis imperatorum et regum. Malus tollat istos, ut quies adveniat, quantum profuerit ecclesiæ domini!

Si recte memini, scripsi nuper a Turcis negatas nobis inducias. 32 Nunc ex Austria narratur factas in annum quintum. 33 Si quid habes hic certi ex Suevia, facito me certiorem. Rumor est cesarem animo esse liberandi Brunsvicensem 34 non solum tamen, sed una cum auxiliis Galli et pape. Fert idem rumor 1'500 equites Neapolitanos excitatos a papa diebus hisce transiisse Wirtembergam. Iter fuisse ad Brunsvicensem, verum in itinere tardasse, atque nunc recta proficisci adc cesarem. 35 Ex mysteriis 36 hoc postremum est senatus nostri; quamobrem rogo, si quid forte audisti, renuncies.

Quale scripsisti de marchione Mediolanensi 37 per vitam nunquam audivi! Miror itaque valde, quid literae commissa contineant.

Nostrum est a coepto itinere in domino haud declinare et subinde precari, ut dominus tueatur ecclesiam suam, et magis magisque hortari ad poenitentiam populum. Nescio, quid tu apud tuos experiaris. Ego clamavi hodie,

b Randbemerkung Bullingers, wegen des engen Einbandes nur teilweise lesbar: [M]ale tractarunt [in] itinere ob[vi]am venentes.
c ad cesarem am Rande nachgetragen.
27 Gemeint ist: Volat rumor. —Vgl. aber oben Nr. 2299,4.
28 Zum Zweiten Regensburger Religionsgespräch s. oben Nr. 2221, Anm. 5.
29 Ein Gerücht. Matthias Held hatte sich 1540 vom Hof zurückgezogen und in Köln niedergelassen; s. Leonard Ennen, Der Reichsvicekanzler Dr. Matthias Held, in: Annalen des historischen Vereins für den Niederrhein, insbesondere die alte Erzdiöcese Köln, Heft 25, Köln 1873, S. 142. 144.
30 5.April 1545.
31 Nicolas Perrenot von Granvelle.
32 Eine solche Mitteilung von Myconius an Bullinger ist nicht bekannt. Siehe vielmehr oben Nr. 2278, 18f.
33 Der Waffenstillstand wurde für anderthalb
Jahre am 10. November 1545 in Adrianopel geschlossen; s. Johann Wilhelm Zink-eisen Geschichte des osmanischen Reiches in Europa, Bd. 2: Das Reich auf der Höhe seiner Entwickelung, 1453-1574, Gotha 1854 — Geschichte der europäischen Staaten, S. 860f; Hammer-Purgstall III 272; PC III 697, Nr. 650; Austro-Turcica 76-83, Nr. 28f. —Die angebliche Dauer von fünf Jahren in PC III 691, Nr. 645, ist falsch.
34 Heinrich von Braunschweig.
35 Zu italienischen und spanischen Truppen in Deutschlands. leyd III 315; Merkwürdige Aktenstücke aus dem Zeitalter der Reformation, hg. v. Ch[ristian] Gotthold Neudecker, Nürnberg 1838, S. 514.
36 Mögliche Anspielung auf 2Thess 2, 7.
37 Alfonso d'Avalos, Marchese del Vasto (Guasto), Statthalter von Mailand. — Bezug auf oben Nr. 2298, 27-35.
38 Der Brief von d'Avalos an die Eidgenossen; s. oben Nr. 2298, Anm. 16.

quantum potui, timorem domini intra annos 14 non fuisse tepidiorem, imo fere nullum, quam hodie in civitate nostra. Largiatur Christus spiritum sanctum suum! Fiat.

In domino vale. Kalendis decembris, Basilea, anno 1545.

Tuus Os. Myconius.

[Adresse auf der Rückseite:] D. Heinricho Bullingero, ministro Christi optimo atque doctissimo, fratri in domino venerando suo. Z[urich]d. 39