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[2280]

Joachim Vadian an
Bullinger
St. Gallen,
2. November 1545

Abschrift von Johann Rudolf Stumpf: Zürich StA, E II 351, 21v.—22v.

Bullinger hat Camillo Renato [oben Nr. 2245] auf gelehrte, [Martin] Borrhaus [oben Nr. 2273]auf freimütige Weise geantwortet. In seiner maßlosen Gier nach Neuem scheint Borrhaus sich mehr den [Kunstgriffen] Kaspar [Schwenckfelds] hingegeben als von seiner Urteilskraft Gebrauch gemacht zu haben. Vadian las Borrhaus' "In Salomonis ... ecclesiastis

1 Ein entsprechendes wörtliches Zitat lässt sich in Bullingers Brief nicht nachweisen.

[concionem] commentarius" [Basel, Robert Winter 1539; VD 16 B 6741] und merkte schon damals, dass dessen nachlässige und komplizierte Schreibweise sogar für Gelehrte schwer verständlich ist. Bullinger handelt also richtig, wenn er den sonst gelehrten Mann zu mehr Hellsichtigkeit ermahnt, zumal dieser selbst dazu aufruft. Vadian bedauert, dass er die [Kleine Chronik]der Abte, die bald fertig sein wird, infolge seiner Amtsgeschäfte nicht zu dem [ursprünglich]versprochenen Termin [s. oben Nr. 2159]liefern konnte. Ihm gefällt aber, dass Bullinger umsichtig sein Urteil aufspart, bis er das ganze [Werk]kennt. Vadian hofft, dass die Behandlung der Abte Bullinger mehr gefallen wird als [die bereits geschickten Texte (s. oben Nr. 2257) "Von dem Mönchsstand" und "Vom heiligen Gallus, vom Anfang, Stand und Wesen seines Klosters"], in denen er nichts Neues bringt, auch wenn er der Meinung ist, dass es sich doch für den gemeinen deutschen Leser lohnt, diese Texte zur Kenntnis zu nehmen. In der Abhandlung über die Abte hält Vadian sich sehr zurück, damit ihm nicht vorgeworfen werden kann, er habe seinen Gefühlen freien Lauf gelassen. Doch will er sich dabei nicht auf einen bloßen Katalog beschränken, weil solche Listen für die Nachwelt wertlos sind. In seiner Schrift über den "Thurgau" [s. oben Nr. 2154, Anm. 2], in der Vadian einen großen Teil der einheimischen Geschichte darzustellen gedenkt, wird er auch zeigen, wie die reichen Klöster ihr ursprüngliches Ziel mit der Zeit aufgegeben haben. Der Sieg des [Landgrafen Philipp von] Hessen hat alle Frommen erfreut. Man hofft, dass der Kölner [Bischof Hermann von Wied] sich friedlich durchsetzen kann und dem Mainzer [Bischofs]sitz ein gemaßigterer [Bischof] zuteilwird als je zuvor. Gewiss haben die [dummen] "Antronier" [s. Adagia, 2, 5, 68 (ASD II/3 450, Nr. 1468)]berechtigte Gründe, sich zu fürchten! Denn manche halten es sogar für sicher, dass auch Herzog [Wilhelm IV.] von Bayern zu den [Evangelischen] übergehen wird. Vadian fürchtet aber, dass die Fürsten allzu nachgiebig mit dem Brandstifter [Herzog Heinrich von Braunschweig] verfahren. Der Vollzug des alten [Brauchs, den Schuldigen] seines Augenlichts zu berauben und ihn auf angemessene Weise zu bestrafen, wäre für solche verdorbenen deutschen Fürsten angebracht! Wenn man [Herzog Heinrich]nicht bestraft, wird es niemals Ruhe vor den Bösen geben. Bullinger soll nur weiterschreiben, auch wenn er etwas vorzuschreiben oder auszusetzen hätte. Grüße an alle Kollegen.

[Gedruckt: Vadian BW VI 463f, Nr. 1423.]