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[2279]

Camillo Renato an
Bullinger
Chiavenna,
2. November 1545

Autograph: Zürich StA, E II 365, 47-49 (Siegelspur)

Renato hat sich über Bullingers Brief [Nr. 2245]gefreut und schätzt den offenen Austausch über das Abendmahl (coena). Auch er räumt dem Glauben einen Platz in der Abendmahlsfeier ein, zumal dieser den Gläubigen zum Mahl (coena) veranlasst. Doch die Gemeinschaft mit Leib und Blut Christi ist schon längst vor dem Abendmahl durch den Glauben bewirkt. Ohne Glauben würde niemand zusammen mit anderen am Brot und am Wein teilhaben. Deshalb die Ermahnung: "Jeder prüfe sich selbst"[1Kor 11, 28]. Denn käme man zum Mahl ohne oder mit einem verminderten Glauben, würde man zu seinem eigenen Schaden unwürdig am Mahl teilnehmen. Im Grunde geht der Glaube der religiösen Zeremonie (libatio) voran. Ohne

31 Bullingers Mitteilungen über den Tag zu Baden; s. oben Nr. 2271, 26-35.
32 Die nach Mailand abgeordneten Gesandten aus Zürich, Luzern, Uri und Schwyz; s. oben Nr. 2271, 26-30.
33 verumne sit necne: Damit bezieht Myconius sich auf die von Bullinger angedeuteten Rüstungen in Italien; s. oben Nr. 2271. 29f und Anm. 12.
34 Dieselbe Nachricht findet sich im Brief der Dreizehn von Basel an die von Straßburg, 29. Oktober 1545 (PC III 665, Nr. 627). Im Brief des Rates von Konstanz an Zürich vom 20. Oktober 1545 (Zürich
StA, A 205/1, Nr. 198) wird berichtet, dass ca. 4'000 Mann von Pisa, Florenz und Lucca auf dem Weg nach Mailand waren.
35 In dem nicht erhaltenen Brief Bullingers an Myconius von September 1545; s. oben Nr. 2252, 26-30 und Anm. 24.
36 Alfonso d'Avalos, Marchese del Vasto (Guasto).
37 Theodor Bibliander.
38 Unbekannt.
39 Dieser Brief wurde zusammen mit Gasts Brief (Nr. 2277) befördert; s. Z. 9 und Anm. 8.

Glauben versteht niemand, was es bedeutet, den Leib und das Blut Christi zu empfangen. Deshalb sollte auch nicht die Erinnerung an Leib und Blut Christi mit deren Empfang verwechselt werden, zumal dieser bereits zuvor (nämlich durch den Glauben) stattgefunden hat. Bullinger soll nicht denken, dass Renato Neues lehren will. Vielmehr fürchtet er sich, Behauptungen ohne Schriftzeugnis zu äußern: Eine List des Teufels, um die christliche Frömmigkeit zu beeinträchtigen. "Im Mahl", so Bullinger,' "werden zugleich Zeichen (signa), Symbole (symbola) und Wort (verbum) dargereicht, so dass die Seele des Christen nicht anders als gespeist werden kann." Und so ist es tatsächlich. Doch nicht nur der Anblick von Brot und Wein, sondern auch die Teilnahme an frommen Versammlungen, das Gebet, die Predigt, die Danksagung, all dies nährt den Glauben. Sollte Bullinger dies mit der Speisung vom Leib und Blut Christi meinen, dann muss er sich bewusst sein, dass sich diese [Erfahrung]keineswegs auf das Abendmahl beschränkt. Glaubt denn Bullinger wirklich nicht, dass auf Anordnung Christi die Mahlzeit (epulum) mit der Zeremonie (libatio) [des Abendmahls] verbunden wurde? Paulus scheint doch im Zusammenhang mit der [von den Korinthern] missbrauchten Mahlzeit betont zu haben, dass [er das, was er ihnen mitteilte], vom Herrn empfangen hatte. Und von wem könnte man denn besser als von den Aposteln die geeignete Abendmahlsordnung erfahren? Schenkt man außerdem alten Zeugnissen Glauben, soll sogar bis in die Zeit Tertullians die Mahlzeit mit der Zeremonie verbunden gewesen sein. Man bedenke ferner, dass nicht einmal Paulus die Mahlzeit abschaffte, als diese von den Korinthern missbraucht wurde. Vielmehr setzte er dafür eine Ordnung fest. Schließlich wäre es abwegig, nur schon im Hinblick auf das Wort "Mahl" dieses auf eine Kostprobe (degustatio) von Brot und Wein beschränken zu wollen. Renato möchte aber Bullinger nicht lästig fallen. Wenn er nochmals über das Mahl schreibt, dann deshalb, weil im religiösen Bereich nur durch wiederholte Behandlung einer Angelegenheit die Wahrheit richtig zum Vorschein kommt. In Trient sollen sich noch einige Kardinäle, Bischöfe und Abte ohne ersichtlichen Grund aufhalten. Die evangelischen [reichs]freien Städte Deutschlands sollen vom Krieg heimgesucht sein. Bullinger möge darüber berichten und seine Meinung dazu äußern. Grüße. [P.S.:] Der Pfarrer von Chiavenna, Agostino Mainardi, bedankt sich für die übersandte [,,Orthodoxa Tigurinae ecclesiae confessio"] und übermittelt Grüße, besonders an [Konrad] Pellikan.

[Gedruckt: Petrus Dominicus Rosius a Porta, Historia Reformationis Ecclesiarum Raeticarum, Bd. 1/2, Chur 1771 (bzw. Lindau 1777), S. 109-112; Graubünden, Korr. I 86-89, Nr. 63; Renato, Opere 151-154, Nr. 7.]