[2279]
Autograph: Zürich StA, E II 365, 47-49 (Siegelspur)
Renato hat sich über Bullingers Brief [Nr. 2245]gefreut und schätzt den offenen Austausch
über das Abendmahl (coena). —Auch er räumt dem Glauben einen Platz in der Abendmahlsfeier
ein, zumal dieser den Gläubigen zum Mahl (coena) veranlasst. Doch die Gemeinschaft
mit Leib und Blut Christi ist schon längst vor dem Abendmahl durch den Glauben bewirkt.
Ohne Glauben würde niemand zusammen mit anderen am Brot und am Wein teilhaben. Deshalb
die Ermahnung: "Jeder prüfe sich selbst"[1Kor 11, 28]. Denn käme man zum Mahl ohne
oder mit einem verminderten Glauben, würde man zu seinem eigenen Schaden unwürdig am
Mahl teilnehmen. Im Grunde geht der Glaube der religiösen Zeremonie (libatio) voran. Ohne
Glauben versteht niemand, was es bedeutet, den Leib und das Blut Christi zu empfangen.
Deshalb sollte auch nicht die Erinnerung an Leib und Blut Christi mit deren Empfang verwechselt
werden, zumal dieser bereits zuvor (nämlich durch den Glauben) stattgefunden hat.
—Bullinger soll nicht denken, dass Renato Neues lehren will. Vielmehr fürchtet er sich, Behauptungen
ohne Schriftzeugnis zu äußern: Eine List des Teufels, um die christliche Frömmigkeit
zu beeinträchtigen. "Im Mahl", so Bullinger,' "werden zugleich Zeichen (signa),
Symbole (symbola) und Wort (verbum) dargereicht, so dass die Seele des Christen nicht anders
als gespeist werden kann." Und so ist es tatsächlich. Doch nicht nur der Anblick von Brot und
Wein, sondern auch die Teilnahme an frommen Versammlungen, das Gebet, die Predigt, die
Danksagung, all dies nährt den Glauben. Sollte Bullinger dies mit der Speisung vom Leib und
Blut Christi meinen, dann muss er sich bewusst sein, dass sich diese [Erfahrung]keineswegs
auf das Abendmahl beschränkt. — Glaubt denn Bullinger wirklich nicht, dass auf Anordnung
Christi die Mahlzeit (epulum) mit der Zeremonie (libatio) [des Abendmahls] verbunden wurde?
Paulus scheint doch im Zusammenhang mit der [von den Korinthern] missbrauchten
Mahlzeit betont zu haben, dass [er das, was er ihnen mitteilte], vom Herrn empfangen hatte.
Und von wem könnte man denn besser als von den Aposteln die geeignete Abendmahlsordnung
erfahren? Schenkt man außerdem alten Zeugnissen Glauben, soll sogar bis in die Zeit Tertullians
die Mahlzeit mit der Zeremonie verbunden gewesen sein. Man bedenke ferner, dass nicht
einmal Paulus die Mahlzeit abschaffte, als diese von den Korinthern missbraucht wurde. Vielmehr
setzte er dafür eine Ordnung fest. Schließlich wäre es abwegig, nur schon im Hinblick
auf das Wort "Mahl" dieses auf eine Kostprobe (degustatio) von Brot und Wein beschränken
zu wollen. — Renato möchte aber Bullinger nicht lästig fallen. Wenn er nochmals über das
Mahl schreibt, dann deshalb, weil im religiösen Bereich nur durch wiederholte Behandlung
einer Angelegenheit die Wahrheit richtig zum Vorschein kommt. — In Trient sollen sich noch
einige Kardinäle, Bischöfe und Abte ohne ersichtlichen Grund aufhalten. — Die evangelischen
[reichs]freien Städte Deutschlands sollen vom Krieg heimgesucht sein. Bullinger möge darüber
berichten und seine Meinung dazu äußern. —Grüße. —[P.S.:] Der Pfarrer von Chiavenna,
Agostino Mainardi, bedankt sich für die übersandte [,,Orthodoxa Tigurinae ecclesiae
confessio"] und übermittelt Grüße, besonders an [Konrad] Pellikan.
[Gedruckt: Petrus Dominicus Rosius a Porta, Historia Reformationis Ecclesiarum Raeticarum, Bd. 1/2, Chur 1771 (bzw. Lindau 1777), S. 109-112; Graubünden, Korr. I 86-89, Nr. 63; Renato, Opere 151-154, Nr. 7.]