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[2167]

Joachim Vadian an
Bullinger
St. Gallen,
28. Mai 1545

Abschrift von Johann Rudolf Stumpf: Zürich StA, E II 351, 17r.-18r.

Vadian hat aus Bullingers innerhalb kurzer Zeit geschriebenem zweiten Brief [nicht erhalten] verstanden, was dieser [Johannes]Stumpf zuliebe von ihm möchte; er wird sich Mühe geben, Bullinger und Froschauer zufriedenzustellen. Hofft, Klarheit in die Geschichte des "Thurgaus" bringen zu können. Hat keinen Zweifel daran, dass der gebildete und scharfsinnige Stumpf Froschauer etwas Wertvolles anbieten wird. Vadian zweifelt nicht, dass [Stumpfs "Eidgenössische Chronik"]ausführlich sein wird. Allein schon [Stumpfs Bearbeitung des]"Thurgaus" lässt solch eine Vermutung zu. Vadian wird sich bemühen, seine handschriftliche Arbeit [Stumpf] zum versprochenen Termin [August 1545] zu übergeben. Er schickt das gelehrte Buch des [Johannes a] Lasco"zurück. Das zweite wird folgen, sobald die Freunde es durchgelesen haben. Von einem Freund [Hieronymus Sailer]4 erhielt er aus Antwerpen die widerlichen Löwener [,,Artikel"], mit denen [Karl V] seinen Zorn angeblich rechtfertigt, wobei diese Schrift wohl von dessen Hof und nicht vom Kaiser selbst veranlasst wurde. [Nicolas de Perrenot, Herr von] Granvelle und [Kardinal Gaspar de Avalos von Santiago de]Compostela machen [Louis de Flandre, Herrn von Praet]b5 dafür verantwortlich. Bullinger soll Bürger-

a In der handschriftlichen und gedruckten Vorlage: Laschi.
b In der handschriftlichen und gedruckten Vorlage: Fradello statt Pradello.
1 Siehe oben Nr. 2161, Anm. 1.
2 Der von Stumpfs Hand geschriebene Entwurf zum "Thurgau", heute in St. Gallen Kantonsbibliothek (Vadiana), Ms 28.5.1, veröffentlicht in Vadian DHS 11,1-3,7 (s. dazu DHS II, S. XXXVI und Anm. 1. LXXXII, 17-19).
3 Wohl die "Defensio verae doctrinae" gegen Menno Simons und weitere ungedruckte Schriften, u.a. die "Erotemata", die Bullinger im April 1545 erhalten hatte; s. oben Nr. 2150, 32-37.
4 Der Kaufmann Hieronymus Sailer war seit 1540 in Antwerpen; s. Conradin Bonorand, Hieronymus Sailer aus St. Gallen, Schwiegersohn des Augsburger Großkaufherrn Bartholomäus Welser, und seine Tätigkeit im Lichte seines Briefwechsels mit Vadian, in: Zwa 20, 1993, 103-125, biers. 111. Er wird wohl der Verfasser des unten im Auszug zitierten Briefs aus Antwerpen an einen Bürger St. Gallens sein, zumal die in diesem Auszug enthaltene
Aussage: "Keiß. Maiestat erzeigt sich id vast partheysch uff der pfaffen syten"(Vadian BW VI 419) sich fast wortwörtlich in Sailers Brief an Vadian vom 14. Juli 1545 wiederfindet: "Der kayser erzeigt sich gar zu parteysch auff dess babst seyten" (Vadian BW VI 436). —Demzufolge ist derjenige, der von Vadian in seinem unten angeführten Auszug als N. wiedergegeben ist, Vadian selbst.
5 Louis de Flandre, Herr von Praet (Praat), geb. 25. November 1488 in Brügge, gest. 7. Oktober 1555. Immatrikuliert am 8. Februar 1501 an der Universität Löwen, wo er Erasmus traf. 1507 Teilnahme am Geldernkrieg. Von 1515 bis 1522 Verwalter Karls V. in Gent. Von 1523 bis 1549 Verwalter Karls V. zu Brügge und dem umgebenden Freistaat. 1517 in Karls V. Geheimem Rat. Er diente Karl V. öfters. 1536 im Staatsrat. Oktober 1540 Finanzrat. Oktober 1544 Gouverneur von Holland, Zeeland und Utrecht. Sein großer Einfluss auf Karl V. und dessen Schwester Maria von Ungarn, wie auch sein hochmütiger Charakter brachten ihm die Gegnerschaft mancher Höflinge ein. Der Titel "de Praet" (daher "Pradell" vom Altfranzösischen

meister [Johannes] Haab bitten, die französische Fassung dieser "Artikel"6 zu überprüfen. [P.S.:]Nachrichten: Man misstraut den Monarchen und dem Antichristen und Anstifter aller Rüstungen [Paul III.], die [Gewalt anwenden], da sie sich mit der Wahrheit nicht schützen können. Aus Antwerpen schreibt [Hieronymus Sailer] an einen [St. Galler]Bürger [...], dieser solle N. [Vadian]übermitteln, [Karl V.]stehe auf dem Reichstag [zu Worms] zu parteiisch auf der Seite der Pfaffen und habe vor seinem Abschied aus [Brabant] etliche Glaubensartikel drucken lassen und bei Strafe verfügt, dass man sich an diese zu halten habe. Seinem Brief legte [Sailer] ein auf Latein und Französisch verfasstes Exemplar dieser [,,Artikel"]für N. [Vadian] bei, mit der Bitte, diesem ferner mitzuteilen, er vermute, dass [Paul III.], [Karl V.] und [Franz I.] etwas gegen England aushecken, weshalb nun wohl mit [Sultan Suleiman I.]ein Frieden für etliche Jahre ausgehandelt wird. [Sailer]hofft aber, dass die Eidgenossen und die Reichsstädte den Kaiser von einem solchem Angriff abschrecken, wenn sie sich zum Angriff bereit halten. Soweit [Sailer]. König Ferdinand (I.] soll mit Wissen von [Karl V] einen Friedensvertrag mit [Sultan Suleiman J.]auf fünf Jahre geschlossen haben. Durch [Pauls III.] Vermittlung soll ferner England mit Frankreich wieder ausgesöhnt sein, doch kennt man keine Einzelheiten über dieses Abkommen. Glaubwürdige Quellen aus Ungarn und Österreich berichten, dass [Suleiman L] mit einem starken Heer Richtung Norden über die Walachei und Siebenbürgen gegen den König von Polen [Sigismund I.] ziehe. Stimmt dies, ist es mit dem Frieden [für die Protestanten] vorbei. Denn dann ist zu vermuten, dass [Paul III.][Suleiman I.] dazu bewogen hat, die an Polen grenzenden Fürsten, [Joachim II. Hector] von Mark [Brandenburg und Hans von Küstrin von Neumark-Brandenburg], [Philipp J. und Barnim IX.] von Pommern, [Johann Friedrich J. und Moritz] von Sachsen, in Schrecken zu versetzen und sie von ihren im Inneren des Reiches liegenden Bundesverwandten abzutrennen, um diese samt den [Reichsstädten] besser besiegen zu können.

[Gedruckt: Vadian BW VI 418-420, Nr. 1397; Teildruck: Vadian DHS II LIX.]

"praetel" aus lat. "pratulus") resultierte aus seiner Heirat mit Josine van Praat am 23. Oktober 1517 in Brügge. —Lit.: Michel Baelde, De collaterale raden onder Karel V en Filips 11(1531-1578). Bijdrage tot de geschiedenis van de centrale instellingen in de zestiende eeuw, Brüssel 1965 — Verhandelingen van de Koninklijke Vlaamse Academie voor Wetenschapen, Letteren en Schone Kunsten van België, Klasse der Letteren, Jg. 27, Nr. 60, S. 327f (mit weiterer Lit.); Contemporaries II 41f (mit weiterer Lit.); Martin Lunitz, Diplomatie und Diplomaten im 16. Jahrhundert. Studien zu den ständigen Gesandten Kaiser Karis V. in Frankreich, Konstanz 1987, S. 227-229.
6 Vadian hatte offensichtlich den lateinischfranzösischen Druck dieser Schrift erhalten: s. oben Nr. 2153, Anm. 6.