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Kapitel 

[2116]

Johannes Gast an
Bullinger
Basel,
19. März 1545

Autograph: Zürich StA, E lI 366, 236 (Siegelspur) Teildruck und zusammenfassende Übersetzung: Gast, Tagebuch 70f

Karlstadts Gespenst hat tragische Folgen für Gast! Am Donnerstag wurde er in den Rat bestellt, wo ihm ein Brief vorgelesen wurde, den er vor acht Jahren an einen Genfer [Sigismund ...] geschrieben hatte. Darin war vom damaligen bedenklichen Zustand der Basler Kirche die Rede, der durch Karlstadts Umtriebe und die Rückkehr der Papisten in Basel verursacht wurde. Demzufolge wurde Gast seines Amtes als Diakon enthoben. Er weiß nicht, ob er sich an [die Zürcher]oder an die Straßburger wenden soll. In Basel will er keinesfalls bleiben. 17 Jahre lang diente er dieser Kirche, und fünfmal stand er den Pestkranken bei. Seine Frau [Apollonia, geb. Glaser] ist Wöchnerin, und er hat sechs Kinder. Er hat ein Abgangszeugnis mit Erwähnung bestimmter Punkte gefordert. Bullinger soll ihn beraten und für ihn beten.

S[alutem] in domino, Bullingere charissime.

En tragediam mihi ex larva Carolstadii 1 conflatam. Die jovis 2 vocatus sum ad senatum; adfuerunt frequentes senatores. Nescivi causam. Litere mihi praelectae sunt, quas ante 8 annos 3 scripseram ad Genevensem quendam 4 de corrupto ecclesiae nostri statu in haec verba: "Der Carolstadt leyt uns allewegen im spillen. 5 das wir nuit kynnen ußrichten; die laster gondt im schwanck 6 die bäpstler a nemen za, kommen wider." Et propter haec verba offitio diaconatus privatus sum. 7 Quid iam mihi sit agendum, ignoro; nescio, quo me vertam, an ad vos vel ad Argentoratenses, cum quibus mihi per omnia non convenit. Nolo amplius nostris inservire propter illam contumeliam mihi inustam, etsi me restituerent in pristinam dignitatem. Fratribus cras indicabo meam calamitatem, qui lepore meticulosiores sunt. Inservii nostris 17 annis; 8 pestilentialis aer quinquies nostros infecit iis annis, et omnibus auxilio fui, qui aegrotarunt. Iam domi habeo puerperam 9 et 6

a In der Vorlage bästler.
1 Andreas Karlstadt; s. HBBW XIV 261, 16 und Anm. 9.
2 D.h. an demselben Tag, als Gast den Brief schrieb, da der 19. März 1545 ein Donnerstag war; s. Gast, Tagebuch 70. 218.
3 D.h. im Jahr 1537. — Diesen Brief Gasts konnte Paul Burckhardt, der Herausgeber von Gasts Tagebuch, nicht ermitteln.
4 Dieser wird von Gast als "nobilis Dominus Sigismundus" bezeichnet; s. Gast, Tagebuch 218f. Damit könnte Sigismund Stier (Taurus) gemeint sein; s. Gast, Tagebuch
71, Anm. 204. In diesem Fall müsste "Genfer" (Z. 4) im Sinne von "damals in Genf wohnend"interpretiert werden.
5 leyt ... im spill: "liegt ... im Widerspiel". d. h "steht ... im Wege": s. SI X 163.
6 gondt im schwanck: sind im (vollen) Gange.
7 Siehe auch unten Nr. 2123, 22-27.
8 Gast befand sich bereits im Sommer 1528 in Basel. Spätestens seit Mai 1529 war er dort Diakon zu St. Martin; s. Gast, Tagebuch 55.
9 Gasts Ehefrau Apollonia, geb. Glaser. Sie gebar am 23. Februar 1545 eine Tochter,

liberos 10 et expellor. O ingratitudinem plusquam belluinam! Consule igitur tu, 11 quid mihi agendum. Postulavi ab illis literas mee abitionis. Parati sunt dare. lussi hos articulos, si vellent, adiicerent. 12

Vale in domino et ora pro me, ut crucem hanc ferre aequo animo possim.

Basilea, 19. martii 1545.

Tuus Gastius

ex animo.

[Adresse auf der Rückseite:] Domino Heinrycho Bullingero, suo charissimo fratri. Zurich.