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[2102]

Pfarrer und Lehrer von Zürich an
die Pfarrer von Neuenburg
Zürich,
12. März 1545

Autograph von Bullingers Hand: Archives de I'Etat de Neuchâtel, Fonds de la Sociétés des pasteurs et ministres neuchâtelois, 1PAST-10.21 (Siegelspur) a

Die Zürcher haben die Schreiben der [Neuenburger Pfarrer] vom 22. /21.11 Februar [Nr. 2086 und 2087]Anfang März erhalten, wie auch die vor einigen Monaten zur gleichen Angelegenheit verfassten Briefe 2. Letztere wurden nicht beantwortet, weil die [Zürcher Pfarrer] sie spät erhielten und deshalb eine Antwort als überflüssig erachteten. Nun doch noch in Kürze die erwünschte Meinung: Die Pfarrer von Landschaft und Stadt Zürich üben unter sich zweimal jährlich während ihrer [Frühlings- und shrbst]synode eine ähnliche [Kirchen]zucht aus wie die Neuenburger. Abgeordnete der Pfarrer und des Rats präsidieren die Synode. Zu Beginn wird um Gottes Beistand gebeten. Nach Verlesung der Namen der Kollegen erkundigt man sich nach den Abwesenden. Während einer [Abendmahlsfeier]verpflichten sich die neuernannten Pfarrer, das Evangelium aufrichtigen Herzens zu predigen. Daraufhin trägt der [Antistes] vor, wie ein Pfarrer zu lehren und zu leben hat und fordert jeden auf bei der Bewertung der [Kollegen] mit gesundem Menschenverstand vorzugehen und sich nicht von

13 2Thess 2, 1.
a Mit Randbemerkungen von späteren Händen.
1 Siehe Nr. 2087, Anm. 1.
2 Siehe dazu oben Nr. 2086, Anm. 4.

Affekten leiten zu lassen. Nachdem sich der Antistes zurückgezogen hat, erkundigt sich einer der Präsidierenden bei den Kollegen über ihn, ob dieser vielleicht der Kirche geschadet habe. Wenn nicht, wird er gelobt. Wenn ja, wird er verhört und, nachdem er [den Saal] wieder verlassen hat, entscheiden die Brüder, wie er ermahnt werden soll. Genauso geht man schon seit Jahren mit jedem einzelnen [Pfarrer] vor, und zwar in Anlehnung an die [Heilige]Schrift und an das Beispiel der [Alten Kirche]. Die Schriften von Kaiser Justinian [J.][der "Codex Iustinianus", die Institutiones" und die Digesten" des "Corpus iuris civilis"] u.a. zeigen, dass dies schon vor tausend Jahren auf diese Weise gehandhabt wurde. Bestätigt hat sich dieser Brauch ferner durch seine Gemeinnützigkeit für die Zürcher Kirche, so dass seine göttliche Einrichtung nicht zu bezweifeln ist. [Chaponneau] bezieht sich in seinen Thesen viel auf die brüderliche Liebe. Möge diese bei ihm auch wirksam werden, indem er sich den Brüdern anschließt und sich der Zensur unterwirft! Steht seine Sache gut, wird er gelobt; wenn nicht, wird er ermahnt. [Salomon] sagt doch, dass die Schläge der Freunde den Küssen der Heuchler vorzuziehen seien [Spr 27, 6]! Wie oft haben rechtschaffene Menschen auf ihre Rechte verzichtet, um sich ihren Brüdern anzuschließen! Wie man [Chaponneau] das Recht auf eine eigene Meinung zugesteht, soll er eine solche auch den Brüdern gestatten. Möge er die Ermahnung und die Bitte der Zürcher berücksichtigen! Alles soll der Erbauung dienen. Die Zürcher empfehlen sich den Gebeten der [Neuenburger]. Beiliegend die von Gwalther aus dem Deutschen ins Lateinische übersetzte [,,Orthodoxa Tigurinae ecclesiae confessio"], mit der die Zürcher jüngst auf Luthers [,,Kurtz bekentnis"]geantwortet haben.

[Gedruckt: CO XII 45f, Nr. 622.]