Projektseite Bullinger - Briefwechsel © Heinrich Bullinger-Stiftung
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[1836]

[Ambrosius Blarer] an
Bullinger
[Konstanz],
5. Januar 1544

Autograph: Zürich StA, E II 357, 59f; [Beilage:] 61-64 (Siegelspur) Teildruck und zusammenfassende Übersetzung: Blarer BW II 230f, Nr. 1057

Bullingers offensichtliche Zuneigung ihm gegenüber lässt ihn diesen umso mehr verehren; versteht Bullingers Meinung zur doppelten Zensur und bittet um göttlichen Beistand bei der Entscheidungsfindung; es lässt sich nicht für alle Staaten und Kirchen eine gleiche Lösung finden -Bullinger soll mit ihnen für ein gutes Urteil und den Geist der göttlichen Weisheit bitten. Unterstützt nun Biblianders Vorhaben, da Luthers Name doch nicht erwähnt werden soll; betet, dass Bullingers Vorgehen gegen [Johannes] Cochläus erfolgreich sein möge. Begrüßt Bullingers Absicht, seinen Lukaskommentar Hans Welser zu widmen, auch wenn dieser kein Latein versteht; der ehemalige Bürgermeister Wolfgang Rehlinger verstünde zwar etwas Latein, aber an seiner evangelischen Gesinnung ist zu zweifeln, außerdem erwägt er einen

c Teilweise auf das nicht mehr vorhandene Verschlussband geschrieben.
20 Sultan Suleiman I.
21 Nicht belegt.
22 Person nicht ermittelt; vgl. auch Myconius' Brief an Bullinger vom 1. Dezember 1543, HBBW XIII 329, 18-23.
23 Brief von Unbekannt an Bonifacius Amerbach,
fehlt (Amerbach, Korr. VI, S. 7, Anm. 1).
24 Papst Paul III.
25 Vgl. Oswald Myconius an Calvin, 16. Januar 1544, in Corr. des réformateurs IX, 151, Nr. 1326. -Es handelt sich dabei um eine Falschmeldung.
26 Theodor Bibliander.

Umzug, eine Widmung lohnt sich daher nicht; Welser hingegen ist ein gläubiger und beliebter Mann. Neujahrswünsche und Grüße, besonders an [Diethelm] und [Jakob] Röist. [Beilage:] [Konrad Zwick]verwunderte sich sehr, dass Bullinger von seiner Sache [einer "Kriegskunst"] erfahren hat, hat ihm aber erlaubt zu bestätigen, dass diese Kunst in Konstanz vorhanden sei, sein Name soll jedoch verschwiegen werden. Stimmt zu, dass die Sache geheim zu halten sei. Er möchte dabei aber sichergehen und vermeiden, dass Zwick gerade aus seiner Gutheit heraus die Sache verrät, zumal nun König [Ferdinand]und Landgraf [Philipp von Hessen]mit ihm in Verbindung getreten sind. Zwick sollte daher verpflichtet werden, diesen seine Kunst vorläufig nicht zu offenbaren, was wohl am besten durch den französischen [König Franz I.] oder einen eidgenössischen Ort geschähe. Da der Kaiser [Karl V.] wieder einen großen Angriff gegen [Franz I.] vorbereitet - die Konsequenzen für die Eidgenossenschaft im Falle eines Sieges wären nicht auszudenken -, wäre es für die Franzosen wichtiger, dass der Kaiser nicht in Besitz der Kriegskunst kommt, als dessen Hauptleute abzuwerben. So würde Zwick im Vorteil sein und seine Kunst geheim bleiben; Bullinger soll in aller Stille bei den Verhandlungen helfen. Falls mit [Franz I.] verhandelt würde, muss dies vor den Kaiserlichen geheim gehalten werden, da diese sonst auch mit Zwick in Verhandlung treten würden. Blarers und Zwicks Name sollen bei Verhandlungen nicht erwähnt werden. Ein prominenter Mann am königlichen Hof möchte persönlich von dieser Sache profitieren; Bullinger soll Gott bitten, Zwick vor einem Fehlschritt zu bewahren, er ist zu gutmütig. Auch [Simon]Grynäus hatte eine ähnliche Erfindung gemacht, die hoffentlich mit ihm gestorben ist; er sagte, dass er den Fürsten nicht traue, die Kunst aber an eine Reichsstadt weitergeben würde. Der Bote ist bereits bezahlt. Grüße.

S. Summam erga nos fidem et charitatem tuam, venerande et observandissime Bullingere, ut magis atque magis clarissimis argumentis colligo, sic venerabundior subinde omnibus visceribus meis complector et exosculor. Teneo vero nunc sententiam tuam 1 , quid in utraque censura 2 statuendum, tenendum, ferendum et sequendum putes, et dominum precabor, quam possum a , fidelibus votis, ut ne hic a suae voluntatis beneplacito vel latum unguem 3 aberrare nos b ferat. Variant hic summorum virorum etiam hac nostra aetate iudicia, et aliis civitatibus et ecclesiis alia conveniunt, et quod aliis immodicum est, aliis vix est satis, ut opus plane videam exactissimo iudicio et divinae sapientiae spiritu, quem una nobiscum impetrare nostris nunquam cessabis.

Theodori nostri 4 conatus adeo non improbo, ut adiutos omnibus modis cupiam, postquam Lutheri nomen suppressum audio; hoc enim solum metuebam, ut incommodare multis nominibus posset. 5 Quae in Cochlaeum parturis, 6 Christum precor, ut felicissime parias.

a In der Vorlage quampossum.
b nos am Rande nachgetragen.
1 Bullingers Antwort auf Blarers Brief vom 22. Dezember [1543] (HBBW XIII, Nr. 1829) ist nicht erhalten.
2 Ende Dezember 1542 berichtete Blarer vom Vorhaben Konstanz', eine doppelte (geistliche und weltliche) Zensur einzuführen; vgl. HBBW XIII 345-347, 22-84 mit Anm. 16.
3 Vgl. Adagia, 1, 5, 6 (ASD II/1 482-484, Nr. 406).
4 Theodor Bibliander.
5 Zum Gerücht von einer Schrift Biblianders gegen Luther s. HBBW XIII 347, Anm. 24.
6 Blarer bezieht sich wohl auf die im März 1544 erschienene Antwortschrift Bullingers (HBBibl I 159) auf Cochläus' Schrift "De canonicae scripturae et catholicae ecclesiae autoritate"; s. HBBW XIII 341 mit

Consilium de luculentissimis tuis in Lucam commentariis Ioanni Welsero dedicandis maximopere placet, 7 nec dubito, quin magnam apud vere c pium virum gratiam hac causa initurus sis, quantumvis non intelligat Latine. Rhelingen apud Augustam 8 multi sunt, verum Wolfgangus Rhelingerus, qui anno ab hinc tertio consulem egit quemque tecum fuisse puto, 9 Latine mediocriter doctus, sed astutissima vulpecula est nec Christum syncere quaerere a plaerisque bonis putatur et iam alio demigrare, si potestas sibi fiat, statuit. 10 Proinde nullum operaeprecium te ista inscriptione facturum existimarim. Welserus d autem, Christi caussae faventissimus, dignus plane vir est, quem boni omnes venerentur. 60

|| Bene vale, anime mi, in Christo Iesu, aeterno patris verbo, qui tibi tuaeque coniugi 11 caeterisque omnibus charis tuis nominibus ineuntis anni auspicia felicissima omnique caelesti benedictione refertissima esse velit, id quod omnes mei vobis optant, quos nostris verbis amantissime salutabis, inprimis consulem Röstium 12 cum filio 13 etc. Iterum iterumque vale.

5. ianuarii anno 1544.

[Adresse darunter:]c Praestantissima pietate erud[itioneque] viro d. Heinricho Bullin[gero, Tiguri]censis ecclesiae antistiti [vigilantissimo], d. et fratri suo [colendo]. Zürich. 61

|| [Beilage:]

Ewer schreiben am letsten blatt 14 hab ich meinem lieben vetter 15 gelesen; der hat sich ab dem, das euch die sach 16 fürkommen, sehr verwundert, wellte ye gern wissen, durch wen euch sölichs angelangt; hab ich alles dissimuliert. Am andern hat er bewilliget euch anzuzögen, das ain söliche kunst hie zu Costentz vorhanden und das die selbig durch ettlich kriegserfarnen besichtiget

c Vor vere gestrichenes virum.
d Welserus korrigiert aus Welserum.
e Teilweise auf das nicht mehr vorhandene Verschlussband geschrieben.
Anm. 18f. 347f. 91-97; s. auch unten Nr. 1839 mit Anm. 3.
7 Bullingers Lukaskommentar (HBBibl I 173) mit der Widmung an den Augsburger Bürgermeister Hans Welser erschien im August 1546.
8 in Augsburg.
9 Rehlinger hatte 1537 einen Brief Jakob Meyers an Bullinger überbracht; s. HBBW VII, Nr. 1000, 3-15, sowie Nr. 997, 1-5 mit Anm. 2.
10 Enttäuscht von dem Schmalkaldischen Bund bemühte sich Rehlinger ab 1537 um
eine Annäherung Augsburgs an die kaiserliche Partei, was in der Stadt vermehrt auf Widerstand stieß. Nachdem er Ende Dezember 1543 sein Bürgerrecht aufgegeben hatte, erhielt er am 14. Januar seine erbetene Entlassung und zog nach Straßburg. Während Blarers Aufenthalt in Augsburg 1539 gehörte Rehlinger zu seinen Feinden; s. Roth, II 446f; III 216-220.
11 Anna, geb. Adlischwyler.
12 Diethelm Röist.
13 Jakob Röist.
14 Vgl. oben Anm. 1.
15 Konrad Zwick.
16 Die von Zwick erfundene "Kriegsrüstung"; s. HBBW XIII, Nr. 1829, 104-198, bes. Anm. 32.

und für gantz gewisß und gerecht 17 erkennt worden sey, wie ich dann selbs auß treffelichen ursachen wol glauben mag. Daneben aber hat er mich gebetten, noch zur zyt seinen nammen nitt zu melden; darum, so ir mir desshalb weyter schreiben wurden, wellend seines nammens gschwigen.

Ferrer vernym ich, das wir baid in dem allem ainhellig seind, namlich das die sach gefarlich, das gott ze bitten und vor augen ze haben, das diß sach weder kais[er]f 18 , konig 19 noch fursten oder andern zu offnen, das iren guten worten und zusagen nitt zu glouben, sonder zu warten seye, bys gott etwan durch ain gmaine oder sondere 20 not der seinen (deren wir uns teglich zu versechen) dise sach an tag bringen welle.

Und diewyl aber an dem, das die kunst nitt offenbar werde, vyl gelegen, so wellt ich doch warlich gern helffen, mittel und weg suchen, dardurch die eroffnung verhindert werden möchte. Derhalben hab ich ouch ewern rath und gut beduncken vernemen wellen. Dann wiewol ich meinem vetter billich alles guts vertrauwen mag, noch danecht 21 ist er und wir alle menschen, und die weyl dann der konig und landt[grauff]g 22 mitt im in handlung kommen, 23 muß ich sorgen usß ettlichen ursachen, er möchte etwan irrsgen 24 und h (wie manchem mehr beschechen) verfürt werden.

||62 Darum hab ich gedacht, sölichs zufürkommen, das gut sein möchte, wa weg funden wurden, das sich myn vetter verpflichte, dise kunst dem kaiser und konig Ferdinando zum wenigsten etlich jar lang nitt zu eroffnen; dann wa diß by im erlangt, wurde er als dann all ander handlungen abschlachen und die sach ersytzen 25 lassen, das sonst mitt bitten unnd vermanen schwärlich bescheche. So waiß ich aber warlich niemands, von des wegen fruchtbarlicher gehandelt möchte werden, dann denn Frantzosen 26 oder etwan ain comun 27 in der aidgnoschafft.

Dann dieweyl am tag, was der kaiser gegen dem Frantzosen vorhat, und wie mir yetz geschriben worden, 28 das er annemme 29 alles, was kriegen welle, und das er gedenck, den Frantzosen mitt vier hauffen gwaltiklich, und alls starck er seye, anzugreyffen und mittler zeyt all hendel anzustellen 30 mitt schönen, glatten worten, byß er den Frantzosen ausmache 31 , und aber daneben wol zuvermuten, wa ime gelingen 32 , was er gegen ainer aidgnoschafft fürnemmen wurde, so gedüchte mich, es were dem Frantzosen vyl

f Rand beschnitten.
g Wort nicht ausgeschrieben.
h Verbessert aus uns.
17 zuverlässig und geeignet.
18 Karl V.
19 Ferdinand I.
20 alle oder einzelne betreffende.
21 dennoch.
22 Philipp von Hessen.
23 Im Falle Philipps ist vielleicht an Sebastian
Aitinger zu denken; vgl. HBBW XIII 348f, 119-126 mit Anm. 42.
24 in die Irre gehen.
25 liegen, ruhen.
26 König Franz I.
27 ein Ort.
28 Nicht in Blarer BW.
29 anwerbe, in den Dienst nehme.
30 auszusetzen.
31 besiege.
32 falls ihm dies gelingen sollte.

mehr von nöten zuverhüten, das seine widerwertige 33 ain söliche kunst nitt in ir hend brechten, dann mitt grossem gut und gellt dem kaiser seine hoptleut absetzen und ansich bringen, mitt anderm dergleichen etc.

So hab ich nun gedacht, wann min vetter durch ain sölichen weg im selbs i nutz schaffen und aber die kunst nichts dest weniger in gehaym blyben, möchte er durch sölichen weg k als den aller besten, diß sach zu verhalten zevermögen sein 34 . ||63 Wa nun ir ouch vermainten, das gut were, der gstallt handlung fürzenemmen, und ir darinn by den Frantzösischen oder sunst etwas furderen und erfaren köndten, das möchten ir thain 35 und mich sölichs, oder ob ir sonst uff ander weg oder durch andere personen achtetend zuhandlen sein, förderlich wissen lassen, damitt nichts versumpt werde. Gott geb gnad und gunst, das alle ratschleg zu seinen ehren dienen!

Wa aber diser sach halber an den Frantzosen etwas gelangen sollte, müste es in aller still und gehaim behalten werden; dann sollte es die kaiserischen fürkomen, das der Frantzoß der sachen wissen hette, wurden sy, wie gantzlich zuvermuten, mitt meinem vetter dest ylender handlen und den andern fürkommen.

Item so sind zum höchsten gebetten, wann ir diß sach by yemand schrifftlich oder mundtlich handlend oder anzögen wellend, das ir weder meines vetters noch meinen namen darinn vermärind 36 .

Trachtend der sach mitt fleyß und anruffung gottes gnad und gaist nach; dann es würt gewiss etwas grosses daran gelegen sein. Ich waiß, das darinn nitt gefyret 37 würt und nunmehr alltag weyter nachstrengen 38 und handlung sich zutragen würt; dann ich waiß ainen nammhafften 39 an des königs hof, der gar hytzig in diser sach ist und hofft ouch für sein person groß gnad und danck zubeholen. Derhalb mir sehr angst hinder der sach, wünsch etwa, das ich gar nichts drum wisste. Bitten gott hertzlich für meinen vetter, das er inn erhalte und nitt verfaren 40 lasse; dann diß seind warlich meines erachtends schwär und häl 41 sachen. Ich halt inn für ain mann gottes und ains grossen verstands; aber groß leut thaind ouch etwan groß unschick 42 , wie wol ich inn gewisß des geyts 43 unschuldig waiß, und hett er hundert tunnen gold, 64 || so zweyfelt mir nitt, er wurds zu gemainem nutz und fürderung guter sachen in gemain alles 44 verwenden. Aber damitt möcht er nun dest eh verfürt werden, so er sich in seinem gewissen unschuldig und allso gesinnet findt, das er nitt das sein, sonder gemaine wolfart sucht. Ich darff nitt alles schreiben, was ich waiß. Gott behüt inn und unß alle, lasß unß nitt in versuchung gefürt

i im selbs am Rande nachgetragen.
k weg verbessert aus wegen.
33 Gegner.
34 zu bewegen sein, diese Sache geheim zu halten.
35 tun.
36 erwähnt.
37 geruht.
38 Gegnerschaft, Anschläge, Feindseligkeit.
39 Unbekannt.
40 verirren.
41 glatte, schlüpfrige.
42 Vgl. Wander III 76, Nr. 694: Grosse Leute, grosse Fehler; kleine Leute, kleine Fehler.
43 Habsucht.
44 alles zusammen.

werden; grosse anbieten und verhaissungen seind vorhanden um diß sach, und ist blut und flaisch ain schalck 45 .

Der from Gryneus 46 hat ouch etwas dergleichen köndt; ist, hoff ich, mitt im abgestorben; 47 sagt zu mir, er trauwte der fürsten mutwillen nicht, aber ainer reychstatt were er bedacht, sölichs zu eroffnen; dann die selbigen fiengen kain krieg an, sonder gedechten sich und die iren allain vor unbillichem gewallt zu entschütten. 48 Nitt waiß ich, ob diß kunst der seinen gleich ist oder daher kompt oder nitt; es ist ain grausam sach. Der truw gott fügs alles nach gnaden. Amen.

Ir sollt von disem brieff kain trinckgelt noch bottenlon geben; ich habs aussgericht.

Dem theuren christlichen herrn Rösten 49 und seinem sun 50 , ouch des 51 hausfrauwen 52 , wellt von mir vyl dienst, gutz und grutz sagen mitt wunschung vyl gnadrycher, gloubreycher und dultreycher jar mitt allem gutem; ich beger ir aller getruw, glöbig fürpitt.

Datum den funfften jenners anno 1544.