Projektseite Bullinger - Briefwechsel © Heinrich Bullinger-Stiftung
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Einleitung

Der vorliegende Band enthält den aus dem Jahr 1544 überlieferten Briefwechsel des Zürcher Antistes, eines damals vierzigjährigen Vaters von sieben Kindern, 1 welcher der dreizehn Jahre zuvor in der Schlacht bei Kappel erlittenen Niederlage noch mit Schmerzen gedachte. 2 1544 war ein Jahr, in dem die Lebensmittel im oberrheinischen Gebiet gegen Jahresende knapp wurden 3 , wohl nicht so sehr wegen einer schlechten Ernte als vielmehr infolge des Krieges, den Kaiser Karl V. von Mai bis September gegen Frankreich geführt hatte.

Die 227 Briefe dieses Jahres übertreffen den Briefwechsel des Vorjahres um 104 Stücke; ein deutliches Indiz dafür, dass sich Bullingers Korrespondentennetz nicht nur Jahr um Jahr weiter ausdehnte, sondern im Falle einzelner Korrespondenten auch intensivierte. Dies trifft 1544 vornehmlich auf Ambrosius Blarer in Konstanz, Johannes Gast in Basel, Johannes Calvin in Genf und Eberhard von Rümlang in Bern zu.

Während 1543 die Korrespondenz zwischen Blarer und Bullinger zwanzig Briefe umfasst, zählt man im Jahre 1544 achtundvierzig, also mehr als das Doppelte (wobei der größere Teil der erhaltenen Briefe aus Blarers Feder stammt). Dies ist Ausdruck einer stets wachsenden politischen Profilierung Bullingers auf zürcherischer, ja sogar auf eidgenössischer Ebene, einschließlich Berns. Im Briefwechsel zwischen Bullinger und Blarer ging es 1544 hauptsächlich um ein geheim zu haltendes Bündnis zwischen Konstanz und der Eidgenossenschaft, wobei möglicherweise eine finanzielle Unterstützung für Konstanz durch die Eidgenossen erhofft und als Gegenleistung die Preisgabe des Geheimnisses über ein von Konrad Zwick - einem Vetter Blarers - erfundenes Kriegsgerät an die Eidgenossen (oder an die Zürcher allein?) erwogen wurde. 4 Diese Pläne, für die nicht nur Blarer, sondern auch Bullinger großes Interesse hegte (obgleich dies aus dessen spärlich überlieferten Briefen weniger deutlich als im Falle Blarers ersichtlich ist), führten am 11. Mai 1544 zu einem geheimen Treffen der beiden Männer im entlegenen Dorf Stammheim. 5 Der Briefwechsel lässt ferner die überraschende Beobachtung zu, dass Entwürfe von Blarers Hand, die Bullinger übermittelt wurden, in Antworten der gesamten Eidgenossenschaft an Kaiser und Reichsstände wiederverwendet wurden! 6 In der Korrespondenz sind außerdem Ratschläge Blarers für Missiven zu finden, die

1 Nr. 1838, Anm. 19.
2 Nr. 2010, 83f.
3 Nr. 2046, 51-53; 2054, 39-44 mit Anm. 34.
4 Nr. 1892f. 1904. 1917. 1919. 1948. 1961. 2041. 2054. - Zu Zwicks "Kriegskunst" s. zusammenfassend Nr. 2054, Anm. 99; ferner 2056, 13-40.
5 Siehe Nr. 1904, 19-21; 1906, 2-21. 54-56.
6 Nr. 1890 mit Anm. 25.

die Eidgenossen an König Franz I., an Straßburg oder an die Abgeordneten eines künftigen Städtetags richten sollten. 7 Der Reichstag in Speyer, der bereits erwähnte Krieg gegen Frankreich und die damit verbundenen Nachrichten über eidgenössische Söldner, der Braunschweiger Handel 8 und der Konflikt zwischen Ulrich von Württemberg und den benachbarten Reichsstädten Esslingen und Schwäbisch Gmünd 9 sind weitere politische und militärische Themen, die in diesem vielfältigen Nachrichtenaustausch häufig vorkommen.

Ein anderer wichtiger Korrespondent des Jahres 1544 ist Johannes Gast. Den Anlass dazu gab die seit Anfang Jahr getrübte Beziehung zwischen Bullinger und dem Basler Antistes Oswald Myconius, der Ende 1543 zwei den Zürchern missfallende Predigten über das Abendmahl gehalten hatte (noch Ende 1544 wusste Myconius zu berichten, dass die Zürcher nach wie vor über ihn erzürnt seien)10 . Obschon die beiden Antistites sich 1544 weiterhin schrieben (sechzehn Briefe sind erhalten, fünf weniger als aus dem Jahre 1543), verlagerte sich der Schwerpunkt von Bullingers Korrespondenz mit Basel auf die Person von Johannes Gast. Von acht Briefen aus dem Jahre 1543 steigt 1544 die Zahl auf das Dreifache an. Die Hauptanliegen dieses Briefwechsels sind politischer und literarischer Natur. Der Krieg gegen Frankreich und die daran beteiligten eidgenössischen Söldnertruppen werden öfters erwähnt. Gast leiht außerdem Bullinger Bücher aus seiner reichhaltigen Bibliothek aus; andere werden eigens für Bullinger angeschafft. Auch Nachrichten über Neuerscheinungen in Basel, u. a. aus der Druckerei Johannes Oporins (darunter eine Pasquillen-Ausgabe)11 , werden nach Zürich übermittelt. Ebenfalls deutlich wird, dass Gast, angespornt durch das damals laufende Zürcher Projekt einer Gesamtausgabe der Werke Zwinglis, den Plan zu einem ähnlichen Vorhaben für Oekolampads Schriften in Basel hegte; 12 einen Plan, der offensichtlich wegen fehlender Anteilnahme der Öffentlichkeit 13 bald aufgegeben werden musste. Von besonderem Interesse ist die durch den vorliegenden Band vermittelte Neuerkenntnis über einen Oekolampad-Druck - eine Predigtreihe über das Klagelied Jeremias -, der bislang gemäß der im Kolophon zu findenden Angabe auf Ende 1545 datiert wurde und nun dank eines Briefes von Gast an Bullinger auf Ende 1544 umdatiert werden konnte. 14

Ein dritter, bedeutsamer Korrespondent Bullingers wird im Laufe des Jahres der in Bern lebende und aus Winterthur stammende Zwinglianer

7 Siehe z. B. Nr. 1882f; 2054, 140-162.
8 Siehe dazu die Literaturangaben unten Nr. 1945, Anm. 11.
9 Siehe Nr. 2030. 2036. 2044.
10 Nr. 1916, Anm. 2.
11 Nr. 2029. 2038.
12 Nr. 1848. 1859. 1873. 1942.
13 Vgl. Nr. 2038, 9f.
14 Nr. 2038 mit Anm. 6.

Eberhard von Rümlang. Von 1544 sind elf Briefe erhalten, im Unterschied zu lediglich einem aus dem Jahre 1543. In seinen Briefen erweist sich Rümlang in kirchenpolitischen Angelegenheiten (wo er offenbar erfolgreicher ist als in seinem Privatleben) als ein besonders scharfsinniger Taktiker. Zum zwinglischen Lager - der militärische Terminus sei in diesem Fall gestattet, da man in dieser Auseinandersetzung sogar handgreiflich wurde 15 - zählten der Pfarrer Erasmus Ritter, der seit April in Bern wirkende Helfer Johannes Wäber, 16 der Ratsherr Hans Rudolf von Graffenried, der schon genannte Seckelschreiber und Buchzensor 17 Eberhard von Rümlang sowie vermutlich der Seckelmeister Sulpitius Haller und der Gerichtsschreiber Hans von Rütte (der Ende 1544 über Rümlang eine großformatige Zürcher Bibel in Zürich zu erwerben suchte)18 . Der bucerischen Partei gehörten die Pfarrer Peter Kunz (gest. am 11. Februar 1544), Beat Gering und der Antistes Simon Sulzer, der Schulmeister und Katechet Thomas Grynäus 19 - dessen Stelle Eberhard von Rümlang im Januar 1547 antreten sollte -, der Großmünsterdiakon Konrad Schmid und der größte Teil der Berner Patrizier 20 an. Die Lage der Berner Zwinglianer war damals höchst kritisch. 21 Die Gegenpartei versuchte, Bucer als Vermittler zwischen den Stadtpfarrern und den meist unschlüssigen Ratsherren 22 nach Bern zu locken. Sulzer reiste tatsächlich im Juni 1544 zu Bucer nach Straßburg. 23 Dass die Berner Zwinglianer letzten Endes im Jahre 1548 doch noch siegten -ein Sieg, für den wichtige Voraussetzungen in Bern Anfang Dezember 1544 geschaffen werden konnten 24 -, ist zum Teil Eberhard von Rümlang zu verdanken. Unermüdlich übermittelte er wichtige Nachrichten über die letzten Entwicklungen nach Zürich und scheute sich nicht, den ein wenig jüngeren Bullinger zu ermahnen und ihm Ratschläge zu erteilen, um der zwinglischen Partei Berns besser zur Seite stehen zu können. 25 Dabei bediente Rümlang sich anscheinend hauptsächlich der offiziellen Postboten zwischen Bern und Zürich, um keinen Verdacht bei den Gegnern zu erwecken (während Ritter und Wäber sich bewusst hüteten, zu oft nach Zürich zu schreiben)26 . Auf Rümlangs Anregung geht der von Bullinger dem Kleinen Rat in Zürich abgerungene Brief an den Berner Rat zurück, ein Brief, der der zwinglischen Partei in Bern und vor allem den Ratsherren Mut einflößte 27 und schließlich dazu beitrug, dass

15 Nr. 2025, 4-19.
16 Nr. 1872. 1898.
17 Nr. 1841, Anm. 45.
18 Nr. 2034. 2040. 2055.
19 Nr. 2017 mit Anm. 8 und 14.
20 Nr. 1989, 19-21.
21 Nr. 2017, 4-19; 2025, 24-38.
22 Nr. 1989.
23 Nr. 1938, 15f.
24 Nr. 2039. 2051. 2055.
25 Nr. 2025.
26 Siehe nämlich Nr. 2057.
27 Nr. 2025. 2034. 2039.

der Kleine Rat Berns sich am 5. Dezember entschloss, keine neue theologische Disputation in Bern - eine Forderung der Gegenpartei 28 - abzuhalten. 29 Dies wiederum gab der zwinglischen Partei den Anstoß, eine "Entbuceranisierung" des Berner Katechismus zu versuchen. 30

Ein vierter, immer bedeutender werdender Korrespondent Bullingers ist Johannes Calvin. Während aus dem Jahr 1543 ein einziger Brief zwischen ihm und dem Zürcher erhalten ist, sind uns 1544 acht bekannt. Hauptgegenstand dieser Korrespondenz sind ihre jeweiligen Schriften, die sie einander zukommen ließen. 31 Noch öfter aber wird in ihren Briefen der Austausch junger Leute zwischen Genf und Zürich angesprochen. Den einen sollte der Aufenthalt in der Fremde Kenntnisse in der deutschen, den anderen in der französischen Sprache verschaffen. Die Ende September erschienene Attacke Luthers gegen die "Sakramentarier"32 veranlasste ferner Calvin gegen Jahresende, das Abendmahlsthema anzuschneiden. Dabei erteilte er Bullinger Ratschläge für dessen Antwort auf Luthers Angriff -Ratschläge, die in mancher Hinsicht, jedoch nicht dem Ton nach bemerkenswerterweise denen von Bucer glichen. 33 Zudem äußerte er zum ersten Mal den Wunsch nach einem gemeinsamen Gespräch über die Abendmahlsangelegenheit: Calvin würde sich gerne - und sei es auch nur einen halben Tag lang - mit Bullinger darüber unterhalten, um ihn zu überzeugen, dass seine Skepsis ihm, Calvin, gegenüber unbegründet sei. 34 Hier ist schließlich noch zu erwähnen, dass Calvin in einem dieser Briefe 35 in Zürich Fürsprache für den alten Amtskollegen Guillaume Farel einlegte. Dieser hatte damals einmal mehr mit dem widerspenstigen Jean Chaponneau in einer die Kirchenzucht betreffenden Angelegenheit zu tun. 36

Nun zur angedeuteten Erweiterung von Bullingers Briefnetzwerk. Das Jahr 1544 gibt Bullinger die Gelegenheit, neue Kontakte zu knüpfen, sei es mit Gelehrten oder Studenten, die Zürich besuchten oder sich auf der Durchreise befanden (in diesem Zusammenhang sind die Niederländer Georg Cassander, Cornelis Wouters, Albert Hardenberg, die Ostfriesen Enno Cirksena und Gerhard thom Camph, der aus dem habsburgischen Gäu gebürtige Joachim Mynsinger und der Ungar József Bódog/Macarius zu erwähnen), sei es durch Briefkontakte, die entweder von anderen (Beispiele dafür liefern der damals in Ostfriesland tätige Pole Johannes a Lasco, der ehemalige Sekretär von Erasmus, Gilbert Cousin/Cognatus aus Nozeroy, und der aus

28 Nr. 2017. 2025. 2039.
29 Nr. 2051.
30 Nr. 2055 mit Anm. 24.
31 Nr. 1891. 1914. 1955.
32 Siehe unten bei Anm. 103.
33 Vgl. Nr. 2035 mit 2028 und 2031.
34 Nr. 2035.
35 Nr. 2035.
36 Nr. 2022. 2023. 2053.

Lothringen stammende Domprediger in Augsburg Wolfgang Musculus) oder von Bullinger selbst (wohl durch andere dazu veranlasst) initiiert wurden (wie im Falle des Augsburger Ratsherrn Hans Welser, 37 des mit Hardenberg verwandten niederländischen Abtes Johannes Reekamp und des Pfalzgrafen Ottheinrich). Der Kontakt zu Ottheinrich entstand durch einen neu gewonnenen Korrespondenten namens Adam Bartholomäus, Superintendent und Hofprediger des Pfalzgrafen in Neuburg an der Donau, mit dem Bullinger durch Vermittlung eines wegen Ehebruchs aus Stammheim geflüchteten Pfarrers, Lorenz Meyer/Agricola aus Winterthur, in Verbindung trat ... Mit der einen oder anderen hier erwähnten Person ergab sich ein Briefwechsel, der sich als langfristig und rege erwies, wie etwa derjenige mit Musculus.

1544 beobachtet man die Auswirkungen einiger der im Jahre 1543 neu aufgenommenen Beziehungen Bullingers; so z. B. im Falle der beiden Hessen Johannes Pincier und Wigand Happel (Happels Briefwechsel enthält u. a. interessante Mitteilungen über den in Marburg lehrenden Juristen Johann Oldendorp)38 , die sich 1544 mit Hingabe dreier Zürcher Studenten annahmen, diesen auch Geld liehen, sich dabei aber nur den Unmut des in Frankfurt am Main weilenden Zürcher Druckers Christoph Froschauer d. A. zuzogen. 39 Ein weiteres Beispiel ist der nicht mehr erhaltene, aber bezeugte Brief des in Kronstadt (Siebenbürgen) lebenden Martin Hentius. Dorthin, so Myconius, würde er sich selbst lieber zurückziehen, als in einem dem Kaiser völlig unterworfenen Deutschland zu leben! 40 Hentius' Brief an Bullinger begleitete ein Exemplar der 1542 wiederaufgelegten "Kosmographie" des Johannes Honterus, 41 mit welchem Bullinger - durch Hentius dazu angeregt - 1543 einen brieflichen Kontakt zu knüpfen versuchte, jedoch vergebens. 42

Die in diesem Band veröffentlichten Briefe beinhalten zudem Auszüge aus anderen Briefen, die heute verschollen sind. Hier sei auf Briefzitate von Johannes Brenz 44 an Gast, 43 von Kaspar Hedio an Myconius, von Melanchthon an Martin Frecht 45 und von Musculus an Blarer 46 verwiesen. Beim Lesen dieser Korrespondenz entdeckt man zugleich, wie die Briefschreiber die Meinungen oder Angaben der anderen in ihren Briefen wiederverwenden Die vorlieprende Edition versucht dies anhand interner Querverweise

37 Nr. 1962, 39f.
38 Nr. 1984, 12f. 47-56.
39 Nr. 1984 mit Anm. 18.
40 Nr. 1935, 21-23.
41 Nr. 1935 mit Anm. 1. - Zur ebenfalls verschollenen Antwort Bullingers s. Nr. 1959 mit Anm. 4.
42 HBBW 13, Nr. 1780.
43 Nr. 2001, 13-25.
44 Nr. 1835, 13-22.
45 Nr. 2026, 8-13. -Vgl. ferner Nr. 2030, 28-34.
46 Nr. 2052, 11-14.

hervorzuheben. Manchmal übernimmt Bullinger stillschweigend einen schönen Satz aus einem empfangen Brief in einem Brief an einen Dritten. 47

Mitte März, Ende August und Anfang September sind intensive Phasen der Korrespondenz zu beobachten, in denen zum Teil vier bis fünf Briefe pro Tag verfasst wurden. Während der Monate März und April und insbesondere von Ende August bis Ende Oktober wurden die meisten Briefe geschrieben. Die in den günstigen Jahreszeiten reisenden Studenten oder Gelehrten sowie die Frankfurter Frühjahrs- und Herbstmessen boten geeignete Gelegenheiten, Briefe weiterzubefördern. Doch darf dabei nicht übersehen werden, dass in gewissen Fällen (so z. B. zwischen Bullinger und Blarer sowie wahrscheinlich zwischen Bullinger und Rümlang oder Bullinger und Vadian) auch offizielle und private Boten herangezogen wurden.

Für das Jahr 1544 sind aus diesem Briefwechsel drei Briefe innerhalb von fünf Tagen aus den verschiedensten Teilen des damaligen Europas erhalten - ein Mittelwert, der ein klein wenig aufzurunden ist (sieben Briefe innerhalb von zehn Tagen), wenn man die noch bevorstehenden dreißig Jahre zwischen 1545 und Bullingers Todesjahr 1575 in Betracht zieht.

Bereits das bisher Gesagte deutet an, wie aufschlussreich Bullingers Briefwechsel ist. Zusammen mit dem zeitgenössischen Briefwechsel Melanchthons (der sich allerdings über eine kleinere Zeitspanne erstreckt) stehen wir hier vor den für den Historiker des 16. Jahrhunderts bedeutendsten epistolarischen Quellen, und zwar in allen Bereichen der damaligen Zeit, sowohl in politischer, kultureller, kirchenhistorischer, mentalitätsgeschichtlicher, biographischer wie wirtschaftlicher, ja manchmal sogar meteorologischer 48 und astronomischer 49 Hinsicht.

Betrachten wir nun den Stoff dieses Bandes aus einem thematischen Blickwinkel.

Die politische Ebene

In der ersten Jahreshälfte sind der Reichstag in Speyer und die Kriegsvorbereitungen Kaiser Karls V. gegen König Franz I. -Monarchen, die von Bullinger und anderen seiner Korrespondenten als Feinde Christi wahrgenommen wurden 50 - wiederholter Gegenstand des Briefwechsels. Von Juni bis September wird hauptsächlich das Kriegsgeschehen verfolgt; dabei erwecken

47 Nr. 1933 mit Anm. 10.
48 Siehe z. B. Nr. 1990, 23.
49 Siehe z. B. Nr. 1923, 20-23.
50 Nr. 1941, 22-25. -Vgl. ferner Nr. 1947, 13-15; 2028, 17f. - Bucer und Calvin brauchten die Bezeichnung "Sardanapel" für Franz I. (Nr. 1895 mit Anm. 29; CO XII 295. 492); Bucer vergleicht diesen ferner mit dem stolzen Moab (Nr. 2028, 14f).

auch der Verbündete des Kaisers, der englische König Heinrich VIII., und seine Belagerung von Boulogne-sur-Mer die Aufmerksamkeit. Erstaunlicherweise findet die Gefangennahme des protestantischen Abenteurers und kriegerischen Grafen Wilhelm von Fürstenberg nur geringen Nachhall im Briefwechsel. 51 Bald erregten wiederum die Friedensverhandlungen, dann der am 18./19. September geschlossene Friede von Crépyen-Laonnois und dessen (vor allem in Bezug auf die Eidgenossenschaft) ungewisser Inhalt die Gemüter. 52 Wenn schon früher im Jahr einige - unter ihnen Bullinger - im Falle eines Sieges des Kaisers über Frankreich einen kaiserlichen Angriff gegen die protestantischen Gebiete Deutschlands befürchteten, 53 begegnet man gegen Jahresende der Angst, dass der Kaiser Konstanz und die Eidgenossen unmittelbar angreifen würde 54 . Diese Furcht - die sich später, 1548 im Schmalkaldischen Krieg, als zum Teil begründet erweisen sollte - schwand jedoch vor Jahresende. 55 Vom Spätsommer an finden sich in den Briefen Nachrichten und Befürchtungen bezüglich des künftigen Reichstags in Worms.

Durchgehend werden in diesen Briefen Fragen in Bezug auf die eidgenössischen Söldner erörtert: Fragen über ihre Anwerbung; 56 über die für die Eidgenossenschaft gefährliche interne Spannung, die durch Berns Weigerung, den innerschweizerischen Söldnern den Durchzug durch Berner Territorium zu gewähren, verursacht wurde; 57 Fragen über das Wohlergehen der Söldner im französischen Heer 58 und später, im Oktober, nach ihrem verlustreichen Vorstoß gegen die englischen Truppen, die Heinrich VIII. in Boulogne-sur-Mer zurückgelassen hatte, über ihr Schicksal; 59 Fragen schließlich über ihre Rückkehr in die Heimat und über die gegen sie - wenn es sich dabei um Einwohner eines protestantischen Kantons handelte - getroffenen Maßnahmen 60 sowie über ihre abermals verzögerte Besoldung durch Frankreich 61 . Man erfährt sogar, dass es in Zürich einen Ratsherrn gegeben haben soll, der sich freute, dass so viele aus dem Zürcher Gebiet sich trotz des Verbots als Söldner anwerben ließen. 62

51 Nr. 1987f. 1990. 1992. 1994.
52 Nr. 1979, 11f; 1988, 17-20; 1990, 23-26; 1992, 4-8; 1996f; 2010, 69-78; 2016, 17-25; 2018, 3-6; 2027, 12-14; 2044, 68-71 mit Anm. 41; 2046, 4f.
53 Nr. 1874, 20-28; 1878, 11-18; 1879, 2-55; 1895, 46-58; 1906, 42-44. - Vgl. ferner für eine spätere Zeit das von Myconius geäußerte Bedenken in Nr. 2046, 6-10.
54 Nr. 2041, 17-41. 50-54 mit Anm. 24. - Zu ähnlichen, früher im Jahr geäußerten Befürchtungen s. Nr. 1917.
55 Nr. 2054, 30-38. 44-77.
56 Nr. 1885 mit Anm. 14; 1937, 7-17; 1943, 15-19. 24-29; 2029, 16-19; 2030, 5f.
57 Nr. 1891, 10-16.
58 Nr. 1974, 13-16; 1990, 10-13, 22f.
59 Nr. 2018; 6-8; 2027, 7-11; 2029, 11-15; 2030, 6-11.
60 Nr. 2038, 1-3.
61 Nr. 2044, 65-71 mit Anm. 41.
62 Nr. 1932.

Natürlich sind die Türken ein wiederkehrendes Thema, insofern das Osmanische Reich eine Bedrohung für die damalige Christenheit darstellte, und zwar nicht allein auf der östlichen Flanke des Reiches, sondern zusätzlich im Mittelmeergebiet. 63 In Wien soll ein nicht näher bekannter Mann tagein, tagaus die Einnahme der Stadt durch die Türken prophezeit haben. 64 Merkwürdig genug, um hier erwähnt zu werden, ist Gasts Anschauung: Er erhoffe sich von der Türkengefahr Gutes für das Evangelium ... 65 Was er sich dabei vorstellte, bleibt offen.

Über das politische Leben Zürichs erfahren wir verhältnismäßig wenig, ja sozusagen nichts. Aus den Briefen geht allein hervor, dass Bullinger eine gute Beziehung zu den Persönlichkeiten der Stadt pflegte: zu den Bürgermeistern Diethelm Röist und Johannes Haab; zum Stadtschreiber Werner Beyel; zum Seckelmeister Hans Rudolf Lavater -wie Röist Pate eines Kindes Bullingers 66 -, der im November kurz vor dem Ableben des schwer erkrankten Röist zum Bürgermeister ernannt wurde. Wichtig genug, um hier erwähnt zu werden, scheint uns die Angabe, dass es 1544 in Zürich über fünfzig Schüler gab, die vom Almosenwesen, und rund vierzig, die vom kirchlichen Stipendium lebten; 67 ferner, dass man in Zürich gegenüber den Leuten vom Land Zurückhaltung übte und dass diese, wenn sie alt und gebrechlich wurden, nur mit Mühe einen Platz im "Spital" beanspruchen konnten. 68

Der kulturelle Bereich

Es würde zu weit führen, alle in diesem Briefwechsel vermittelten Nachrichten und Angaben über neu verfasste Schriften aufzuzählen. Einige davon sind heute vermutlich gar nicht mehr erhalten, so z. B. ein in diesem Jahr erwähntes sapphisches Gedicht von Johannes Winter aus Andernach, 69 eine unbekannte frühere Ausgabe des "Pasquillus theologaster" von Celio Secondo Curione 70 oder das Manuskript der für Pfalzgraf Ottheinrich angefertigten deutschen Übersetzung des Kommentars über die Offenbarung von Sebastian Meyer. 71

Hier seien nur zwei damals erschienene Schriften, die viel von sich reden machten, sowie zwei laufende Publikationsvorhaben kurz angeführt.

Unter den Veröffentlichungen erregte das satirische und bissige Gedicht auf den lutherischen Theologen Andreas Osiander, das Ende August ohne

63 Nr. 1878. 1932. 1941. 1969. 1973. 1985. 2001.
64 Nr. 2041, 56-58.
65 Nr. 2004, 5f.
66 Nr. 1932 mit Anm. 2; 2018, 13.
67 Nr. 1960.
68 Nr. 1954, 19-22.
69 Nr. 1862, 16f; 1883, 26-28.
70 Nr. 1891 mit Anm. 17.
71 Nr. 1999, 41f.

Autoren- und Druckerangabe erschienen war 72 und bisweilen den Eidgenossen zugeschrieben wurde, 73 große Aufmerksamkeit und Aufregung. Das Gleiche trifft auf Osianders Werk Coniecturae de ultimis temporibus ac de fine mundi zu. 74 Dort wird das Ende der Welt auf das Jahr 1688 angesetzt. Bullinger und Vadian sind sich einig: So etwas hätte nie veröffentlicht werden dürfen! 75

Unter den laufenden Projekten kommt hier manches über die ersten Vorarbeiten an der Gemeiner loblicher Eydgnoschafft stetten, landen und volckeren Chronick des zu dieser Zeit in Stammheim wohnenden Pfarrers Johannes Stumpf zum Vorschein - eine Chronik, die erst drei Jahre später (1547) in Zürich erscheinen sollte. Dabei entdeckt man die bislang verkannte Mitwirkung des an der Geschichte leidenschaftlich interessierten Bullinger, der Stumpf mit Material und Nachrichten versah, diesem seine eigenen Überlegungen zuteil werden ließ und ihm die Hilfe bzw. die Beteiligung anderer Gelehrter, wie die des Johannes Kessler und Joachim Vadian aus Sankt Gallen 76 oder - wer hätte dies gedacht? -des Propstes Jakob Buß aus Luzern 77 , vermittelte. Die Tafeln dieser "Eidgenössischen Chronik" werden schon 1544 erwähnt, doch ist die entsprechende Stelle nicht aufschlussreich genug, um daraus etwas über die Arbeit des dort nicht genannten Malers Heinrich Vogtherr zu folgern. 78

Durch die vorliegende Korrespondenz wird auch die Bearbeitung eines anderen wichtigen Werkes beleuchtet, nämlich die damals in Zürich unternommene Gesamtausgabe der Schriften Zwinglis. Spätestens Anfang Mai wurden diese allmählich gedruckt oder zumindest für den Druck vorbereitet. 79 Bereits im März wissen die Basler und Straßburger von dem Projekt. Während Gast sich darauf freut, 80 befürchtet Bucer das Wiederaufflammen des Streites zwischen Luther und den Eidgenossen. 81 Andere hegen ähnliche Bedenken, wie z. B. Martin Frecht. 82 Ja, selbst Ambrosius Blarer mahnt indirekt zu Vorsicht und Klugheit. 83 Spätestens Mitte Juni waren Band 4 (der zuerst gedruckte der Gesamtausgabe, der kein Vorwort besitzt), ein Teil des Bandes 2 (in dem eines der drei Vorworte das Datum des 31. März trägt) und vielleicht schon Band 3 (mit einer Vorrede vom 17. Juni) erschienen. Kurz vor dem 25. Juni hatte Bullinger das Inhaltsverzeichnis

72 Nr. 1963 mit Anm. 10.
73 Nr. 2032, 10f. -Vgl. ferner Nr. 2028, 106f.
74 Nr. 1963 mit Anm. 5.
75 Nr. 1973.
76 Nr. 1960. 1973. 1989. 1993. 2003.
77 Nr. 2020 mit Anm. 15.
78 Nr. 1993, 18.
79 Nr. 1910.
80 Nr. 1873.
81 Nr. 1886. 1895. 1977.
82 Nr. 1963, 28-30; 1971, 20-69.
83 Nr. 2007, 22-25; 2016, 3-6.

der Gesamtausgabe seinem Basler Korrespondenten Johannes Gast übermittelt; dieser machte daraufhin Zusatzvorschläge, die jedoch in der ersten Ausgabe nicht berücksichtigt wurden oder nicht mehr berücksichtigt werden konnten. 84 Bullinger seinerseits wurde beauftragt, bis zu Weihnachten 1544 einen Verfasser für Zwinglis Biographie zu finden. Daher wandte er sich an Vadian. 85 Dieser winkte ab: Solch eine Biographie sei verfrüht; sie könne von zeitgenössischen Augenzeugen - wie Johann Jakob Ammann und Rudolf Collin - zwar handschriftlich verfasst, jedoch nicht veröffentlicht werden, weil dadurch die Gegner auf den Plan gerufen würden und es zu Spannungen mit weltlichen Obrigkeiten kommen könnte. 86 Was damit gemeint ist, wird noch deutlicher vom vertrauten Freund Ambrosius Blarer geäußert: Nicht so sehr wegen Luther als vielmehr wegen der Landbevölkerung Zürichs, bei der Zwingli oft in schlechtem Ruf stünde, sollte auf eine Biographie Zwinglis verzichtet werden! 87 Bullinger - der eine Zeitlang die Möglichkeit erwogen hatte, diese Vita selbst zu schreiben 88 -ging schließlich auf dieses Argument ein; 89 und so kam es, dass dieser Ausgabe keine Biographie Zwinglis beigefügt wurde. Ansonsten hatte Bullinger -wie er es ausdrücklich betonte -wenig mit dieser Veröffentlichung zu tun. 90 Der fünfzehn Jahre jüngere Amtskollege zu St. Peter in Zürich, Rudolf Gwalther, war deren Hauptbearbeiter. Er übersetzte die deutschen Schriften Zwinglis ins Lateinische und wurde davon so sehr beansprucht, dass er kaum mehr lateinische Reime schreiben konnte. 91 Er verfasste ebenfalls die Vorreden, die Bullinger überprüfend las. In einem Fall wissen wir, wie Bullinger eine dieser Vorreden (vermutlich die vom 30. Oktober in Band 2) und überhaupt Gwalthers Arbeit an dieser Ausgabe lobte. 92

Nebenbei sei hier mitgeteilt, dass man zu Bullingers Schriften, die 1544 erschienen, recht vieles erfährt, sei es über ihre Abfassung, über die Wahl der Adressaten der Widmungsepisteln, über ihre Übersetzer oder ihren Druck. Von diesem Briefwechselband an werden alle Schriften Bullingers in das Register aufgenommen, so dass der Zugang zu den diesbezüglichen Informationen erleichtert wird.

In den Briefen des vorliegenden Bandes wird ferner über das im Februar 1544 in Rom gefundene Grab von Kaiser Flavius Honorius (384-423 n. Chr.) und dessen Gattin Maria (gest. 407/408) sowie über den dabei entdeckten Grabschatz berichtet. Spätestens Anfang April, 93 möglicherweise

84 Nr. 1937.
85 Nr. 1910.
86 Nr. 1930.
87 Nr. 2007, 26-34.
88 Nr. 1971, 47-49.
89 Nr. 2010, 10-14.
90 Nr. 1971, 46f.
91 Nr. 1950, 11-13.
92 Nr. 2010, 6-9.
93 Nr. 1886, 46-53.

schon früher, erfuhr Bullinger davon. Dank der ihm zugesandten Meldungen verfasste er vor dem 11. April einen ersten Bericht dazu, dem er eine Deutung hinzufügte und den er Blarer zukommen ließ. 94 Nach dem 14. April trafen aber die aus Rom kommenden Georg Cassander und Cornelis Wouters, "docti et amatores antiquitatum", in Zürich ein. 95 Mit Hilfe ihrer Angaben und Aufzeichnungen konnte der Historiker Bullinger eine weitere und ausführlichere Mitteilung zu diesem interessanten Fund verfassen, die er u. a. wiederum Blarer 96 und Vadian in Sankt Gallen 97 sandte; eine Mitteilung, die sich heute - infolge des vom Bibliomanen Melchior Goldast (1578-1635) am Nachlass Vadians verübten Diebstahls - in der Universitätsbibliothek Bremen befindet.

Über einen weiteren, nicht weniger interessanten Fund werden wir zusätzlich unterrichtet: In der französischen Landschaft von Troyes wurden auf freiem Felde, in einem Versteck oder vielleicht vergraben, mehr als 80'000 "goldene Pfennige" (wohl aus dem Mittelalter) entdeckt. Deren Inschrift vermochte Gast nicht zu entziffern 98 , und wir konnten dazu leider auch nichts Weiteres ermitteln.

Kirchenhistorisches

Dem oben geschilderten, wiederauffiammenden Streit zwischen Zwinglianern und Buceranern in Bern kommt unter dieser Thematik eine wichtige Stellung zu.

Wiederholt wird über den Kölner Reformationsversuch und über das von Bucer, Melanchthon, Hermann von Wied und anderen 1543 verfasste Kölner Reformationsbuch - das "Einfaltigs Bedencken"99 - berichtet. Bullinger, der, wie vermutlich auch Blarer 100 , in diesem "Bedencken" einen ersten Schritt in Richtung Reformation erkannt haben mag, bewertet mit scharfen Worten die kompromisslose Verurteilung dieses Versuches durch den "antipapa"Luther. Darüber - so Bullinger -können sich die Feinde des alternden Erzbischofs, nämlich die Theologen und Kanoniker von Köln, die sich - laut Bucer - durch die Nähe und den Sieg des Kaisers gestärkt fühlten, 101 sowie alle Ungläubigen 102 nur freuen.

Ein anderes, vielleicht noch wichtigeres Thema als die zwei zuvor genannten ist in diesem Zusammenhang der Abendmahlsstreit, der seit August 1544 durch die Abfassung und den darauffolgenden Druck von Luthers

94 Nr. 1892, 56-59; 1893, 36f.
95 Pellikan, Chronikon 161f.
96 Nr. 1899, 15f.
97 Nr. 1896, Beilage.
98 Nr. 1990, 11-14; 1997.
99 Siehe dazu Nr. 1838, Anm. 15.
100 Nr. 2044, 3-15.
101 Siehe Nr. 2031, 56-60.
102 Nr. 1985, 5-16. -Vgl. ferner Nr. 1990, 56-58.

"Kurtz bekentnis 103 ungedämpft erneut in der Öffentlichkeit ausgebrochen war (für Bucer jedoch war es klar, dass die Eidgenossen mit ihrem Verhalten diese Offensive verursacht hatten)104 . Obwohl die Schrift Ende September gedruckt wurde, konnte Bullinger sich erst Mitte Dezember und nur mit Mühe ein Exemplar davon beschaffen 105 (zuvor aber hatte er schon manches darüber erfahren)106 . Die Gegner Zwinglis versuchten anscheinend, die Exemplare dieses Druckes schwer auffindbar zu machen, 107 und wenn sie eines besaßen, wie z. B. in Bern, hielten sie es geheim. 108 Das Büchlein mit seinen "anathemata"(Bannflüchen, Verwünschungen)109 , in dem Zwingli für seine Aussage über das Heil der Heiden scharf verurteilt wird. 110 erregte dermaßen die Gemüter, dass ein Johannes Wäber in Bern die in dieser Schrift ausgesprochenen Verurteilungen als "schweyn dreck" und die Schrift selbst als "süwbuch"bezeichnete. 111 Ja, sogar der gemäßigte Myconius musste einen Vergleich zwischen den "anathemata" Luthers und denen des Papstes ziehen." 112 Ehe Bullinger die Schrift selber einsehen konnte, wurden ihm aus allen Himmelsrichtungen Ratschläge erteilt, wie darauf zu antworten sei, und dies auch von Personen, die die Schrift noch gar nicht gelesen hatten. Diesbezüglich schrieben ihm Johannes Hospinian und Johannes Gast aus Basel, 113 Martin Bucer und Johannes Sturm aus Straßburg, 114 Johannes Calvin aus Genf, 115 Ambrosius Blarer aus Konstanz 116 sowie Eberhard von Rümlang aus Bern, 117 der das Buch gelesen hatte und dessen Ratschlag, Luthers Schrift gemeinsam mit der Antwort der Zürcher nachzudrucken (so dass alle die Frechheit von Luthers Schrift zur Kenntnis nehmen könnten), tatsächlich (im März 1545) befolgt wurde. Bullinger war nämlich wie manch anderer der Meinung, Luthers Büchlein könne die Augen vieler öffnen, 118 weil sie dadurch erkennen würden, dass Luther und seine Meinungen zu hoch eingeschätzt würden, 119 und dass Luther von einem ähnlich teuflischen Geist besessen sei wie jenem, der einst König Saul plagte 120 ...

103 Siehe dazu Nr. 1971, Anm. 20.
104 Nr. 1977; 2028, 36-43. -Vgl. ferner Nr. 2036, 19-22. - Für Bullinger war selbstverständlich Luther der Urheber aller Verwirrung; s. Nr. 1971, 62-64.
105 Nr. 2037 mit Anm. 3.
106 Siehe dazu die Verweise in Nr. 2040, Anm. 13.
107 Nr. 2055, 18. - In der Tat hatte nicht nur Bullinger, sondern hatten auch die Basler, die Konstanzer und die Ulmer Mühe, an ein Exemplar heranzukommen.
108 Nr. 2055, 18-20; 2057, 23-26.
109 Siehe Nr. 2028 mit Anm. 47; 2046, 25-30.
110 Nr. 2028, 89-91 mit Anm. 36; 2031, 37-40; 2037, 45-49; 2045 mit Anm. 7.
111 Nr. 2057, 28f.
112 Nr. 2046. 25. - Siehe ferner Nr. 2021, 26f. - Parallelen zwischen Luther und Papst finden sich auch bei Bullinger; s. 1985, 7f; 1998, 20-22; 2037, 7-9.
113 Nr. 2021, 32-36; 2045, 9-12.
114 Nr. 2028, 69-84; 2032, 6-9. 12f.
115 Nr. 2035.
116 Nr. 2048, 4-7.
117 Nr. 2051, 35-39; 2055, 34-39.
118 Nr. 1985, 11-16; 2040, 30f. -Vgl. ferner Nr. 2007, 47-49.
119 Nr. 2037, 36-42. -Vgl. ferner 2007, 47-49.

Bei diesem Streit merkt man, wie sehr Bucer und Bullinger gegeneinander aufgebracht waren, obgleich sie in ihren Briefen Zurückhaltung übten. Blarer, der Freund beider, äußerte Bullinger gegenüber sein volles Vertrauen in Bucer: Dieser suche allein die Ehre Christi, dessen außergewöhliches Werkzeug er sei. 121 Doch gelang es dem jüngeren Bullinger offensichtlich nicht immer, sich gegenüber dem Straßburger Theologen zu mäßigen, dessen Einigungsbemühen 122 er streng und unbarmherzig beurteilte . So soll er gesagt oder geschrieben haben, Bucer hätte für seine Unaufrichtigkeit Prügel verdient - was dem Betroffenen bekannt wurde. 123 Offenbar hatte der Zürcher Antistes sein Vertrauen in Bucer so sehr verloren, dass er an der Übermittlung seiner Briefe an andere durch Bucer zweifelte. 124 Bullinger unterstützte sogar einen Studenten aus Winterthur, der sich weigerte, am Abendmahl in Straßburg teilzunehmen -eine Provokation in Bucers Augen, als wäre die Kirche in Straßburg nicht Gottes Kirche! 125

Durch das ganze Jahr 1544 hindurch zieht sich ein weiterer Streit, derjenige mit dem Katholiken Johannes Cochläus, in den nicht nur Bullinger involviert war, sondern zugleich Wolfgang Musculus, ein Bullinger im Laufe des Jahres liebgewordener Korrespondent 126 -wenngleich beide Männer in der Abendmahlsfrage nicht einer Ansicht waren. Cochläus versuchte, auch die Luzerner in diesen Streit gegen Zürich hineinzuziehen, 127 indem er ihnen seine zweite Schrift gegen Bullinger widmete 128 - was Myconius mit großer Sorge erfüllte 129 .

Es kommen weitere kirchliche Angelegenheiten im Briefwechsel vor, wie der durch Jean Chaponneau in Neuenburg (Neuchâtel) entfachte Streit über die Kirchenzucht; 130 wie die sich damals der Reformation zuwendende Pfalz 131 sowie die Grafschaft Mömpelgart, die Graf Christoph von Württemberg (der sich im April 1544 in Mömpelgart niederließ)132 dem lutherischen Protestantismus zuzuführen begann 133 -eine Entwicklung, die Matthias Erb in Reichenweier Sorgen bereitete, 134 während der in Colmar tätige Augustiner Johann Hofmeister diese Veränderung selbstverständlich als erfreulich

120 Nr. 2010, 23-26. -Vgl. ferner Nr. 2045, 3f. 16f; 2055, 3f.
121 Nr. 2044, 25f.
122 Nr. 2010, 40; 2037, 50-54.
123 Nr. 2049 in fine.
124 Nr. 1958, 2-18.
125 Nr. 1874, 14-16; 1895, 27-39.
126 Nr. 2010, 52f.
127 Nr. 2014, 3.
128 Nr. 1999, Anm. 12.
129 Nr. 2046, 11-18.
130 Nr. 2022f. 2035. 2053.
131 Nr. 1988, 13f.
132 Nr. 1875, 43-45.
133 Nr. 1841, 203-216; 2004, 7-11.
134 Nr. 2012, 37-40.

bewertete 135 . Durch die neugewonnenen Kontakte zu Johannes a Lasco und zuvor zu Hermann Aquilomontanus wurde Bullinger nun zusätzlich über die Lage der ostfriesischen Kirche informiert. Ferner wird an einer Stelle über die sich in Gefahr befindlichen Waldenser der Provence berichtet. 136 Das in Trient geplante Konzil (das erst im Dezember 1545 zu tagen beginnen sollte) kommt auch einmal zur Sprache; 137 desgleichen die Mission der Jesuiten in Indien. 138 Der Zürcher Antistes erwähnt nur ein einziges Mal und ohne nähere Angaben die Zürcher Herbstsynode 139 - für uns heute merkwürdig, doch vermittelte man zu dieser Zeit ungern Nachrichten über interne Angelegenheiten seines Wohnortes, umso mehr, wenn man dort eine wichtige Stellung innehatte.

Die Täufer sind abermals Gegenstand der Korrespondenz, 140 und zwar nicht allein im Zusammenhang mit David Joris, der sich im April 1544 unter einem falschen Namen (Johann van Bruck) als Kaufmann in Basel niederließ - während ihn alle in den Niederlanden oder Friesland vermuteten. 141 Von besonderem Interesse ist in diesem Zusammenhang die Korrespondenz des Johannes Gast, der ausgerechnet in diesem Jahr eine Schrift verfasste, in der er eine Anzahl von Erzählungen über Täufer gesammelt und veröffentlicht hatte. 142 In einem seiner Briefe setzte Gast sogar eine in seinem Buch begonnene Geschichte über den Täufer Hans Regesser fort. 143 Ebenfalls interessant ist die von Bucer gezogene Parallele zwischen der Heftigkeit, die Luther den eidgenössischen "Sakramentariern" entgegensetzte einerseits, und der Heftigkeit, welche die Protestanten den Täufern entgegenbrachten andererseits 144 - jedoch zog Bucer keine weiteren Schlüsse aus seiner Beobachtung.

Biographgraphisches

Der Briefwechsel ist voll von biographischen Angaben, von denen manche als Gerücht angesehen werden müssen. Hier sei der bislang unbekannte Ohnmachtsanfall, dem Cochläus in Eichstätt während der Messfeier zum Opfer gefallen sein soll, erwähnt. 145 Auf die in diesem Band enthaltenen biographischen Details zu Guillaume Postel 146 und zum Zürcher Arzt Jakob

135 Nr. 2012, Anm. 25.
136 Nr. 2035.
137 Nr. 2056, 6-8.
138 Nr. 1969 mit Anm. 31.
139 Nr. 2018, 9f.
140 Nr. 1833; 1842, 47-49; 1866, 11-13. 31-35. 56f. 62-65 und Anm. 21. 23; 1903; 1921, Anm. 41; 1956, 47f (s. auch Nr. 1933 mit Anm. 17); 1964; 1997; 2001, 13-19; 2010, 30f; 2042; 2046 mit Anm. 6.
141 Nr. 1883, 22-26; 1886, 20-22.
142 Nr. 1848 mit Anm. 11; 1886, 23f.
143 Nr. 1900, 10-29.
144 Nr. 2049.
145 Nr. 1963, 31-34; 1970, 11-13; 1973.
146 Nr. 1969, 30-32.

Ruf 147 sei ebenfalls verwiesen; desgleichen auf die schlechten Lebensbedingungen von Johannes Rhellikans Witwe (eine Hospinian/Wirth aus Stein am Rhein) in Biel; 148 auf die arbeitsbedingten gesundheitlichen Probleme ihres Bruders Christian, der in Aarau unterrichtete; 149 auf Rümlangs persönliche Pläne und Erwartungen; 150 auf Melanchthons prekär gewordene Lage in Wittenberg 151 oder auf Bucers rührendes Bekenntnis über seine Grundeinstellung Luther gegenüber 152 .

Ein versteckter Verweis auf den späteren Schulmeister Sittens, den damals neunzehnjährigen Johannes von Schallen, konnte ebenso ermittelt werden: Dieser Tischgänger Thomas Platters unterrichtete in Basel das Lautenspiel und war indirekt schuld daran, dass ein junger Zürcher Student, Kaspar Schneeberger, der bei Myconius Kostgänger war, ohne Wissen seiner Eltern Schulden machte, 153 um dieses Instrument erlernen zu können. Man begegnet außerdem in diesen Briefen dem aufgebrachten Leonhard Hospinian/Wirth aus Stammheim, der fest entschlossen war, Basel zu verlassen und nach Ungarn zu ziehen, weil die Rechtsangelegenheit, die schon seit längerem seine Beziehung zu seiner 1541 geheirateten Gattin (der Witwe Anna Meyer des Druckers Valentin Curio/Schaffner) belastete, nicht seinen Erwartungen gemäß verlief. 154 Uns unbekannt war zudem der Hinweis, der auf den betroffenen Kaspar Megander selbst zurückgeht, nämlich dass jener gemeinsam mit Melanchthon in Pforzheim bei Georg Simler gelernt habe. 155 Erwähnt sei schließlich das traurige Ende eines abtrünnigen protestantischen Pfarrers in Houssen (bei Colmar), das natürlich Anlass zu einer willkommenen Moralisierung gab. 156

Und was erfährt man über Bullingers private und häusliche Angelegenheiten? Nur weniges (wie im Falle Zürichs). Was über ihn zu entnehmen ist, stammt fast ausschließlich aus den Briefen der anderen -typisch für jene Zeit! Je größer die Verantwortung, desto größer der Einsatz für die Sache, der man sich annimmt; dabei treten die privaten Angelegenheiten in den Hintergrund. Im Juni 1544 erfahren wir von einem Schwächeanfall Bullingers durch Überanstrengung; 157 möglicherweise gelangte die Nachricht darüber bis nach Ostfriesland, wo sie Anlass zu einer besorgten Mahnung gab: Bullinger solle besser zu sich schauen, lautete der Rat. 158 Man vernimmt

147 Nr. 1961f. 1970f. 1976.
148 Nr. 1954. 2021.
149 Nr. 1954. 2021.
150 Nr. 1989, 25f; 2017, 26-31; 2055, 51-55.
151 Nr. 1990. 1994. 2007. 2010. 2016. 2042. 2044. 2046.
152 Nr. 2028, 48-68.
153 Nr. 1856.
154 Nr. 2009. 2013. 2015.
155 Nr. 1931.
156 Nr. 1990, 44-50.
157 Nr. 1932, 7f.
158 Nr. 1956, 76.

zusätzlich, dass Anna Bullinger im September zur Badekur in Baden weilte und dass sie bei ihrer Rückkehr - wie dies einst üblich war -ein Geschenk erhielt; 159 dass die vierzehn- und zwölfjährigen Töchter Anna und Elisabeth im Spätsommer einige Zeit in Bremgarten verbrachten, 160 vielleicht bei den Verwandten Marti und Werner Bullinger aus Brugg, die 1542 bzw. 1544 nach Bremgarten übergesiedelt waren; 161 dass vermutlich schon das zehnjährige Söhnchen Heinrich Abschriften für den Vater anfertigte, 162 und dass Bullinger wiederholt und nachdrücklich seinen Neffen Josua, der das Kürschnerhandwerk erlernen sollte, an Blarer nach Konstanz empfahl. 163 ***

Es bleibt die angenehme Pflicht des Dankens. Zunächst sind wir dem Schweizerischen Nationalfonds (SNF) und der Zürcher Landeskirche, die die Edition von Heinrich Bullingers Briefwechsel seit Jahren finanzieren und damit die Veröffentlichung dieser bedeutsamen und lehrreichen Quellen ermöglichen, zu größtem Dank verpflichtet. Besonderen Dank schulden wir dem Leiter des Instituts für Schweizerische Reformationsgeschichte, Peter Opitz, für die stetige und wirksame Unterstützung, die er uns in jeder Hinsicht zuteilwerden lässt. Auch unseren lieben Kolleginnen und Kollegen desselben Instituts sei an dieser Stelle herzlich gedankt. Unser Dank richtet sich zudem an all die anonym gebliebenen Personen, die unsere Arbeit in den Archiv- und Bücherbeständen der Schweiz und im Ausland durch ihre freundlichen Hinweise und Angaben erleichterten oder bereicherten. Hier seien ferner die Namen (ohne Titel) all jener in alphabetischer Ordnung aufgezählt, die wir in den Fußnoten dieses Bandes dankend erwähnen: Jan-Andrea Bernhard aus Castrisch, 164 Marlis Betschart aus Winterthur, 165 Silke-Petra Bergjan aus Zürich, 166 Andreas Butz aus Stuttgart, 167 Monika Butz aus Basel, 168 Silvio Corsini aus Lausanne, 169 Joachim J. Halbekann aus Esslingen, 170 Roland E. Hofer aus Schaffhausen, 171 Stefan Jäggi aus Luzern, 172 Michael Kuthe aus Konstanz, 173 Michael Matthäus aus Frankfurt am

159 Nr. 2002, 31-34.
160 Nr. 1979.
161 Nr. 1979, Anm. 13.
162 Nr. 1958, 13-15.
163 Nr. 1986. 2010.
164 Nr. 1881, Anm. 2.
165 Nr. 1972, Anm. 28.
166 Nr. 1999, Anm. 8.
167 Nr. 2004, Anm. 8.
168 Nr. 2058, Anm. 1.
169 Nr. 1891, Anm. 17.
170 Nr. 2036, Anm. 13.
171 Nr. 1832, Anm. 4. 11.
172 Nr. 2010, Anm. 39.
173 Nr. 2027, Anm. 5. 7; 2041, Anm. 18. 40.

Main, 174 Kurt Jakob Rüetschi aus Luzern, 175 Hans-Peter Schifferle aus Zürich, 176 Barbara Studer aus Bern, 177 Cécile Vilas aus Zofingen, 178 Gilberto Zacchè aus Modena 179 sowie unseren Kolleginnen und Kollegen von der Briefwechselausgabe Martin Bucers in Erlangen (Reinhold Friedrich und Wolfgang Simon)180 und von der Melanchthon-Forschungstelle in Heidelberg (Matthias Dall'Asta, Heidi Hein und Christine Mundhenk)181 . Schließlich gilt unsere Anerkennung Marianne Stauffacher, der Leiterin des Theologischen Verlags Zürich, die die Publikation und Distribution dieser im Auftrag des Zwinglivereins herausgegebenen Bände in alle vier Himmelsrichtungen wohlwollend betreut und gewährleistet.

Reinhard Bodenmann 182

174 Nr. 1980, Anm. 19.
175 Nr. 1851, Anm. 1; 1937, Anm. 3; 1950, Anm. 1.
176 Nr. 2057, Anm. 23.
177 Nr. 1947, Anm. 32; 2025, Anm. 9; 2034, Anm. 1. 3.
178 Nr. 1932, Anm. 11.
179 Nr. 1969, Anm. 13.
180 Nr. 2028, Anm. 2.
181 Nr. 1881, Anm. 12; 1980, Anm. 1.
182 Für ihr aufmerksames und kritisches Lesen dieser Einleitung sei Beat Jenny (Liestal), Margrit Keller (Brugg), Peter Opitz (Zürich), Kurt Peter Schädeli (Wichtrach) und Judith Steiniger (Zürich) ein herzlicher Dank ausgesprochen.