Projektseite Bullinger - Briefwechsel © Heinrich Bullinger-Stiftung
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[1746]

Oswald Myconius an
Bullinger
Basel,
14. Mai 1543

Autograph: Zürich StA, E II 343a, 268 (Siegelspur) Ungedruckt

Freut sich über Bullingers Genesung und ist dankbar, einen solchen Freund zu haben. Hat dessen sämtliche Werke und auch einige von Vadian durch ihn erhalten und einzig die anonyme Schrift [,,Anklag und ernstliches ermanen gottes"]selbst gekauft. Dankt für die Beantwortung seiner Frage zur Kirchenzucht -diese wird in Basel etwas anders gehandhabt - und bedauert, dass ihm Bullinger betreffend [ein unvollständiges Exemplar von] Appian nicht helfen kann. Der von Myconius empfohlene spanische Minorit hat es anscheinend nicht gewagt, Bullinger aufzusuchen; will keine Mönche mehr empfehlen. Bucer, bisher in Bonn, ist auf Ostern zum Bischof von Münster [Franz von Waldeck]berufen worden und wird danach bald heimkehren; das Kind [Martin], das ihm [Wibrandis Rosenblatt] geboren hat, ist gestorben. Einen Bericht über die Niederlage Marias [Statthalterin der Niederlande] [bei Sittard] wird Gast wie versprochen geschickt haben; Myconius fügt leihweise einen Bericht Farels über die Vorgänge in Metz bei; falls Gast die Epitaphien auf [Albert]Pigge, [Johannes] Fabri, [Johannes] Eck und [Konrad] Treger nicht übermittelt hat, soll Bullinger diese ebenfalls noch erhalten. Hedio schreibt, Graf [Philipp IV.] von Hanau[-Lichtenberg] sei zur Einführung der Reformation bereit, wenn er gelehrte [Theologen]finde; gemäß Hedio soll der türkische [Sultan Suleiman I.] dem französischen [König Franz I.] über ein Friedensangebot von Kaiser [Karl V.] und [König] Ferdinand berichtet haben, das der Türke jedoch abgelehnt habe; außerdem habe letzterer Herzog [Karl] von Orléans eine Tochter des polnischen Königs [Sigismund I.] samt Ungarn angeboten, was jedoch angesichts der Heirat von [Sigismund II. August]mit Ferdinands Tochter [Elisabeth]unglaubwürdig scheint. Myconius ist besorgt über den bevorstehenden Aufenthalt des - von ihm persönlich zwar geschätzten -französischen Gesandten Maurus [Antoine Morelet du Museau] in Basel, da einige Basler Familien für dessen Werbungen anfällig sein könnten. An [John] Butler wurde geschrieben, König [Heinrich VIII.] habe 60 Schiffe gekauft, die er gegen Frankreich oder Spanien verwenden könnte; auch Schottland versucht er zu unterwerfen. Myconius will vom Vorgehen der Straßburger [zugunsten der Protestanten in Metz] erst berichten, wenn er Genaueres weiß. Erkundigt sich nach dem Nürnberger Reichstag. Grüße; hat das von [Rudolf] Gwalther übersandte Büchlein

i Daneben Vermerk von Bullingers Hand: Des papsts ynryten zu Ferrar 1543.

[,,Argumenta omnium ... capitum"]erhalten, konnte ihm aber noch nicht schreiben. Empfiehlt zwei evangelisch gesinnte Walliser; der eine ist ein Neffe von Georg Ab der Flü [Supersaxo], der andere ein Domherr von Sitten.

S. Bene est, quod revaluisti; l nam valetudo tua in primis est mihi curae. Deinde gratias agere pro ingentibus tuis beneficiis in praesens supersedeo, gratulor vero mihi, quod talem amicum habeo, qui pro me nihil non facit. Deum quaeso, ut eo possim uti ac frui in ipsius etiam commodum feliciter in annos vitae meae et ego aliquando reipsa docere gratum erga a te animum; plus satis enim in me beneficus es. Dominus reponat.

De libris scriptis a te dubitas 2 , an omnes mihi dederis; equidem omnes, quos scio, habeo, nec istos solos, sed et domini Vadiani quosdam idque ex tuo beneficio. Possem magnum recensere catalogum, si foret opus; sed arbitror narranti ac adserenti mihi te dare fidem. Unum emi, quem Germanice scripsisti sine nomine de maioribus nostris (titulus nunc non occurrit), 3 praeterea nullum.

De corripiendis flagitiis satisfecisti, 4 prout vestra est ratio; nostra paululum alia est propter excommunicationis, qua utimur utcunque, speciem. De Appiano 5 cogor desperare, quod dolet; author est enim non malus.

Non displicet, quod minorita Hispanus ad te non venit; 6 timuit forsitan, ne dederim literas Bellephorontis[!]7 . Age, deinceps in commendandis monachis quietus ero.

Bucerus hactenus fuit Bonnae. 8 Ad paschatis festum 9 vocatus est ab episcopo Monasteriensi 10 ; post aliquot dies domum veniet. Obiit infantulus 11 , quem absenti pepereratb uxor posterior 12 .

a Vor erga gestrichenes possim[?].
b Korrigiert aus peperat
1 Zu Bullingers angeschlagener Gesundheit vgl. oben Nr. 1724, 38-42; 1725, 22-27; 1733, 3-5.
2 Myconius bezieht sich auf einen nicht erhaltenen Brief Bullingers.
3 Gemeint ist Bullingers 1528 anonym in Zürich erschienene Schrift "Anklag und ernstliches ermanen gottes [...]"(HBBibl I 3; HBSchr VI 33-79).
4 Myconius hatte am 15. Februar um Stellungnahme zur Frage der Kirchenzucht gebeten; s. oben Nr. 1720, 45-65.
5 Vgl. zuletzt oben Nr. 1720, 87 mit Anm. 30.
6 Der spanische Minorit (Martin de Villafana?) war am 17. Februar von Myconius
an Bullinger empfohlen worden; s. oben Nr. 1722, 1-5.
7 Nach der von Homer erzählten Sage überbrachte Bellerophon unwissend sein eigenes Todesurteil; s. Adagia, 2, 6, 82 (LB II 608).
8 Vgl. zuletzt oben Nr. 1720, 66-71.
9 25. März.
10 Franz von Waldeck. — Zur erfolglosen Werbung des Bischofs um eine Zusammenkunft mit Bucer vgl. Lenz II 115-119. 131; Varrentrapp, Reformationsversuch 148; Pollet, Relations I 120.
11 Martin (der Name ist genannt im Brief von Adrian Blauner an Konrad Hubert, 17. Juni 1543, Straßburg Stadtarchiv, AST, Nr. 154, 115).
12 Wibrandis Rosenblatt. — Vgl. oben Nr. 1720, 71 mit Anm. 22.

Bellum et stragem, quam passa est Maria, Gastius misit; 13 ita enim apud me pollicitus est. De Metensibus habes hic manum Farelli; 14 ea, postquam satis legeris, remittito. Epitaphium item Pighii 15 , Fabri 16 , Eccii 17 et Tregeri 18 annon idem Gastius misit? Quae non habes, significato; mittam enim. 19

Scripsit nuperrime Hedio 20 de Hanoio comite 21 , Argentinensibus vicino, spem bonam esse; amico enim in aurem dixisse 22 , si viros doctos nancisci queat, permissurum se doctrinam iustificationis, communionem utriusque speciei et connubium 23 . Idem scripsit accepisse se literas a comite quodam, 24

13 Am 24. März hatten die Truppen der niederländischen Statthalterin Maria von Ungarn bei Sittard ein Gefecht gegen Herzog Wilhelm von Jülich verloren (s. Henne VIII 75-86; Heidrich, Erbfolgestreit 84f). Ein von Johannes Gast übersandter Bericht über dieses Ereignis liegt nicht vor.
14 Die Rede ist vom ausführlichen Bericht über die Vorgänge in Metz, den Guillaume Farel am 20. April an Myconius gesandt hatte (Corr. des réformateurs VIII 320-330, Nr. 1222).
15 Albert Pigge (Pighius), von Kampen (Overijssel), geb. um 1490, gest. 1542, promovierte 1509 in Löwen zum Magister und studierte anschließend Theologie. Nach einem Aufenthalt in Paris (1518-1522) begab er sich nach Rom, wo er 1525 Geheimkämmerer seines früheren Lehrers Papst Hadrian VI. wurde. Nachdem ihn dessen Nachfolger Clemens VII. 1535 zum Propst in Utrecht ernannt hatte, trat er als Kontroverstheologe in Erscheinung; literarisch setzte er sich besonders mit Calvin und Bucer auseinander. Seine Lehre von der doppelten Gerechtigkeit war auch im eigenen Lager umstritten. —Lit.: C. G. van Leijenhorst, in: Contemporaries III 84f; Heribert Smolinsky, in: LThK 3 VIII 294f.
16 Johannes Fabri.
17 Johannes Eck. — Polemische Epitaphien auf Eck fanden (z. T. bereits vor dessen Tod) weite Verbreitung; vgl. MO X 583, Nr. 202; Vadian BW VI 132, Nr. 1239 = Blarer BW II 122f, Nr. 943; Tres orationes funebres in exequiis Ioannis Eckii habitae. hg. v. Johannes Metzler, Münster 1930. — Corpus Catholicorum 16, S. XXXV.
18 Konrad Treger (Träyer, Dreiger, Treiger. Trey[g]er), von Freiburg i. Ue., geb. um 1480, gest. 1542, studierte als Augustinereremit
in Paris und Freiburg i. Br., wo er 1516 zum Dr. theol. promovierte. 1514 war er Prior in Freiburg i. Ue., 1517-1525/26 in Straßburg; ab 1518 amtete er als Provinzial der rheinisch-schwäbischen Ordensprovinz. Im Zusammenhang mit den reformatorischen Umwälzungen in Straßburg geriet er 1524 vorübergehend in Haft, nachdem er u. a. eine Warnung an die Eidgenossen vor der neuen "hussitischen" Lehre veröffentlicht hatte. Nach seiner Freilassung kehrte er ins schweizerische Freiburg zurück. 1526 nahm er an der Badener, 1528 an der Berner Disputation teil. — Lit.: Hellmut Zschoch, in: BBKL XII 438-442; Heribert Smolinsky, in: LThK 3 X 210f; Kathrin Utz Tremp, in: Helvetia Sacra IV/6 117-119.
19 Die Gedichte liegen nicht vor.
20 Der Brief Kaspar Hedios scheint nicht erhalten zu sein.
21 Graf Philipp IV. von Hanau-Lichtenberg, 1514-1590, hatte bereits kurz nach seinem Regierungsantritt 1538 den evangelischen Prediger Theobald Groscher berufen. 1545 führte er mit Unterstützung von Bucer und Hedio die Reformation ein. —Lit.: Alfred Matt, in: NDBA XV 1401; Timotheus Wilhelm Röhrich, Mittheilungen aus der Geschichte der evangelischen Kirchen des Elsasses, Bd. 2, Straßburg-Paris 1855, S. 64-97; MBW XII, S. 222f.
22 Adagia, 1, 3, 47 (LB II 131).
23 die Priesterehe.
24 Der betreffende Brief scheint nicht erhalten zu sein, vgl. jedoch die parallele Mitteilung im Brief Hedios an Ambrosius Blarer vom 20. April (Blarer BW II 181). Für freundliche Auskünfte zu Hedios Korrespondenz danken wir PD Dr. Reinhard Bodenmann, Ambilly.

quibus significet Turcam 25 a Constantinopoli misisse legationem ad Gallum 26 , quae referat imperatorem 27 ac Ferdinandum misisse ad Turcam 28 et petiisse inducias unius anni, et consumato anno pollicitum Ferdinandum duas praecipuas Ungariae urbes, at Turcam renuisse, quod nescio quid in fide Caroli et Ferdinandi desideret. Praeter hoc (quod mirum) fertur Turcam filio regis Galliarum, duci Aureliensi, 29 offerre in uxorem filiam regis Poloniae, 30 et eam si ducat, daturum se totam Ungariam quiete et sine tributo possidendam. Mihi certe non fit verisimile propter sponsalia regis Poloniae et filiae Ferdinandi, 31 quam hodie dicunt in itinere esse ad sponsum quingentis equitibus.

Maurum 32 Gallum heri intelleximus venturum huc nomine sui regis et mansurum aliquamdiu, id quod horreo; nam tametsi bonus vir est et mihi amicus, interim est tamen legatus et minister sui regis. Vereor, ne quid mali sit laturus secum, nisi praeveniat spiritus evangelii. Sunt familiae satis nominatae apud nos, quae interim tamen declinant ad inopiam. Si sic acturus est itaque Maurus, qualiter novi legatos Galli semper egisse in Helvetiis, periimus. Siquid huius ergo futurum est, incertus sum, quid agam.

Ex Anglia literis significatum est Buttlero 33 regem totum esse in parando bello c . Emit ad suam classem naves 60, quas et iam ad se perduxit. 35 Quid velit, ignoratur. Divinant tamen vel contra Gallum parari vel ut caesarem ex Hispania educat, postquam ei sint omnia clausa itinera. Tractatur, ut Scotia deinceps Anglo subiiciatur. 36

c Vor bello ein gestrichener Buchstabe.
25 Sultan Suleiman I.
26 König Franz I. —Eine entsprechende Gesandtschaft ließ sich nicht nachweisen; zu einem Schreiben des Sultans an den König vom April 1543 vgl. Ion Ursu, La politique orientale de François Ier (1515-1547), Paris 1908, S. 141.
27 Karl V.
28 Auch über diese Gesandtschaft ist sonst nichts bekannt.
29 Karl von Valois, Herzog von Orléans (1522-1545), der dritte Sohn von König Franz I. — Lit.: [Jean-Charles] Roman d'Amat, in: Dictionnaire de biographie française, Bd. VIII. Paris 1959, Sp. 573f.
30 Welche der Töchter von König Sigismund I. gemeint ist, bleibt offen.
31 Zur Hochzeit von Sigismund II. August von Polen und Erzherzogin Elisabeth von Österreich am 6. Mai s. oben Nr. 1711, Anm. 31.
32 Antoine Morelet du Museau, Seigneur de la Marche-Ferrière, hielt sich von März bis September 1543 in der Eidgenossenschaft auf, um Truppen für den französischen König anzuwerben; s. Edouard Rott, Histoire de la Représentation Diplomatique de la France auprès des Cantons Suisses, de leurs Alliées et leurs Confédérés, Bd. I: 1430-1559, Bern 1900, S. 295. 411-413.
33 Ein entsprechender Brief an John Butler liegt nicht vor.
34 Heinrich VIII.
35 In den Jahren 1542/43 vergrößerte sich die königliche Flotte nur um vier Schiffe, von denen eines gekapert und drei neu gebaut wurden; s. Tom Glasgow Jnr.. List of Ships in the Royal Navy from 1539-1588 — The Navy from its Infancy to the Defeat of the Spanish Armada, in: The Mariner's Mirror 56, 1970, S. 299-307 (hier S. 301).
36 Vgl. oben Nr. 1732.

Scripturus eram de conatu Argentinensium; 37 sed quia rumores nimium variant, tacendum arbitror, donec darius, quicquid est, cognovero.

De comitiorum Nurenbergensium 38 consultationibus siquid habes, aliquando significabis.

Vale in Christo cum tua domo cumque Pellicano et Theodoro 39 et Gvalthero, cui dic a Quirino me libellum, quem misit, accepisse 40 et tertio scribere a penultimis 41 ipsius incepisse et per negocia nunquam venire potuisse ad finem; quam rem profecto miratus sum. Scribam tamen propediem.

Basileae, 14. maii anno 1543.

Os. Myconius

tuus. Commendatos habeas Vallesianos, qui meas tibi reddunt. Alter est nepos Georgii ab der Flü 42 , alter canonicus Sedunensis 43 . Favent evangelio ut qui maxime, digni certe, ut amice excipiantur.

[Adresse auf der Rückseite:] D. Heinricho Bullingero, Tigurinorum episcopo, charissimo colendissimoque in domino suo. Z[üric]h d .

d Teilweise auf das nicht mehr vorhandene Verschlussband geschrieben.
37 In den Verhandlungen zwischen Metz und Wilhelm von Fürstenberg, die am 15. Mai in Straßburg begannen und mit dem Abschied vom 21. Mai endeten, wurde erfolglos versucht, die Lage der Protestanten in Metz zu verbessern; vgl. PC III 380-383. 387-390. 391; Wagner, Fürstenberg 236-239.
38 Zum Nürnberger Reichstag s. oben Nr. 1715, Anm. 13.
39 Theodor Bibliander.
40 Rudolf Gwalther hatte sich am 6. Mai brieflich bei Myconius erkundigt, ob seine durch Quirinus von Leiden übersandten "Argumenta omnium tam veteris quam novi testamenti capitum" (Zürich, Christoph Froschauer, 1543; BZD C 322) angekommen seien; s. St. Gallen Kantonsbibliothek (Vadiana), Ms 34 (VBS V), 186.
41 Der vorausgegangene Brief Gwalthers (ebd., 177) datiert vom 25. Februar und wurde zusammen mit dem erwähnten Büchlein durch Quirinus überbracht.
42 Georg Supersaxo (de Saxo, Auf der Flüe), von Ernen (Kt. Wallis), geb. um 1450, gest. 1529, Kastlan von Mörel (1477), Val d'Anniviers (1478) und Brig (1490/1491), Zendenhauptmann von Sitten (1478) und Landesschreiber (1482-1495), gelangte vor allem durch Solddienste und Pensionen zu großem Reichtum und politischem Einfluss. Ab etwa 1509 führte sein erbitterter Kampf gegen Matthäus Schiner, den er zuvor gefördert hatte, im Wallis zu anarchischen Zuständen. 1529 wurde er vom Landrat verurteilt und floh nach Vevey, wo er starb. Sein Verwandter, von dem hier die Rede ist, ließ sich nicht identifizieren. —Lit.: HBLS VI 609.
43 Unbekannt.