Projektseite Bullinger - Briefwechsel © Heinrich Bullinger-Stiftung
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[1639]

[Ambrosius Blarer] an
Bullinger
[Konstanz],
24. Juni [1542]

Autograph: Zürich StA, E II 343a, 287r.-v. (Siegelspur); [Beilage 2 :]222v.-r. Teildruck und zusammenfassende Übersetzung: Blarer BW II 128-130, Nr. 949

Dankt für Bullingers Brief den er wegen großer Inanspruchnahme nicht umfassend beantworten kann. Bedauert den Tod von Leo [Jud]; die Kirche wird leider immer mehr ihrer Stützen beraubt. Ist sich noch unsicher, wohin er den von Bullinger geschickten Schüler [Melchior Fäselin?] senden will, daher wird er ihn vorläufig auf eigene Kosten bei sich behalten. Dank für den Teil von Bullingers [Matthäuskommentar], den Jakob Velocianus [Funcklin] überbracht hat, fand allerdings zur Lektüre noch keine Zeit; Zwicks Frau bedankt sich sehr für die ihr und ihrer Begleitung von Bullinger erwiesene Freundlichkeit, die sie alle gerne erwidern möchten. Grüße. [Beilage:]Blarer ist immer willig, [Bullinger], [Diethelm]Röist und die Stadt Zürich mit Nachrichten zu versorgen. Hat von Vorkehrungen gegen die Eidgenossen noch nichts gehört. Ungewisse Nachrichten aus Ungarn; Versammlung der [kaiserlichen] Truppen vor Wien; die Türken haben sich in Ofen [Buda] verschanzt, anderen Gerüchten zufolge haben sie die Stadt abgebrannt und verlassen. Aus Augsburg erhielt er Nachricht, dass die Türken mit 300'000 Mann anrücken, aus Venedig wird jedoch berichtet, dass sie keinen größeren Zug planen, sondern allein einen Angriff auf [Ferdinand I.], um dann Ungarn ihrem Bundesgenossen, dem Woiwoden [Petru V. Rares], zu überlassen; wegen der Einmischung des Reichs soll für den nächsten Sommer eine Großrüstung geplant sein, um Italien und Österreich anzugreifen. Aus Mailand wird von der Rüstung der Franzosen berichtet, was auch der Augenzeuge und Konstanzer Bürger [Hieronymus] Hürus bestätigte; auch Kaiser [Karl V.] und Papst [Paul III.] rüsten sich; [Franz I.] gibt vor, dass er gegenüber Mailand den Frieden bewahren, aber eine Markgrafschaft, die im Besitz von drei sich gegenseitig bekämpfenden Brüdern war, angreifen werde. Grüße; schreibt in Eile.

S. Literas tuas 3 , mi venerande et charissime frater, inter summas occupationes accepi, ut omnino ex votis meis respondere nunc non vacet. Leonis 4 optimi et pientissimi pectoris translatio grave nobis vulnus inflixit oculos ad nostra convertentibus; 5 nam quod ad ipsum adtinet, valde sibi gratulamur, quod gravissimae molis vinculis in istis omnium rerum periculosis perturbationibus sese relaxaverit aeternum victurus in summa tranquillitate cum Christo, cui credidit, cui tam strenue indefatigabili studio militavit. In nos vero recidunt ista mala, quod ecclesiae columinibus quotidie magis atque

1 Das Jahr ergibt sich aus dem Inhalt des Briefes, der sich in die Korrespondenz zwischen Blarer und Bullinger im Jahr 1542 einfügt, sowie aus der Erwähnung des Todes von Leo Jud (Z. 2-4).
2 Die erwähnten Ereignisse weisen den Text eindeutig dem Sommer 1542 zu. Die Zugehörigkeit der Beilage zu diesem Brief ist
sehr wahrscheinlich, da Bullinger in seinem Brief vom 30. Juni (unten Nr. 1642, 2f) auf sie Bezug zu nehmen scheint.
3 Nicht erhalten.
4 Leo Jud.
5 Leo Jud war am 19. Juni gestorben; s. oben Nr. 1638.

magis destituimur, quae iactura non video sic male constitutis omnibus rebus, quomodo possit ullo unquam tempore sarciri omnibus quotidie pueris ad peiora labentibus et iugum disciplinae insolentius iactantibus, ut non immerito multis lachrymis et summo dolore eruditissimorum virorum, qui sani sunt fide, mortem totis animis deploremus. Vixit omnino Leo noster hic ad iustam aetatem victurus etiam summa cum laude apud gratam, si qua futura est, posteritatem, atque utinam domini benignitate ipsi quoque propediem hinc ad optatissimam patriam evolare possimus! Nihil profecto magis in votis habemus, quorum dominus nos compotes faciat.

Adulescentulum 6 , quem misisti, nondum statui, quo mittere velim; nam eaedem hic quae istic obstant difficultates, quo minus haerere et pergere, ut caepit, in suis studiis queat. Haeret hic meo sumptu tantisper, dum dispicere liceat, qua ratione sibi consulatur.

lacobus Velocianus 7 partem enarrationem tuarum 8 reddidit, quam legendo nondum attigi; gratiam vero maximam habeo, quod miseris. Non potest consobrini Zviccii uxor 9 satis depredicare summam illam humanitatem, qua eam cum toto suo sodalicio istic tractastis. Quo nomine, ubiubi casus aliquis feret, gratias vobis dignas referre studebimus. 287v.

|| Salutant te nostri omnes. Saluta fratres et amicos, inprimis Gvaltherum, amicissimum nostrum, cui nunc omnino scribere non licuit. Dominus nobis Theodorum 10 quam primum restituat 11 ! Vale, pectus meum venerandum et charissimum.

24. iunii, hora 3a. p[omeridian]a.

[Adresse darunter:] Suo venerando et charissimo fratri d. Heinricho Bullingero, Tiguricen[sium] antistiti syncerissimo. Zürich. 222v.

|| [Beilage:] Der zeytungen 12 halber darff es by mir kains bittens; dann ich euch, ouch meinem günstigen, l[ieben] herr Rösten 13 und gmainer statt Zürich dermassen genaigt bin, das ich euch ouch by aigner bottschafft warnen und anzaigung thain 14 wellte, so etwas gewisses oder globwirdigs an a mich gelangte, das euch zu nachtail raichen möcht. Des sollt ir euch ongezweyffelt zu mir getrösten und versechen und euch daran gentzlich lassen, das ich euch diß orts 15 nichts verhalten will.

a Korrigiert aus ans.
6 Es handelt sich wohl um den später erwähnten Melchior Fäselin; vgl. unten Nr. 1648, 44-48.
7 Jakob Funcklin.
8 Bullingers Matthäuskommentar (HBBibl I 144); s. zuletzt oben Nr. 1624, 63-68.
9 Amalia, geb. Muntprat; vgl. oben Nr. 1632, 8.
10 Theodor Bibliander.
11 Zu Biblianders Gliederkrankheit oder Gicht s. oben Nr. 1621, 5f.
12 Nachrichten.
13 Diethelm Röist.
14 tun, leisten.
15 diesbezüglich.

Aber der aidgenossen halber (uber das gmain übel reden, so allenthalb diß zügs 16 halber beschicht) hört man gar nichts, das man naismans 17 vorhabens seye, etwas wider sy fürzenemmen; man acht aber, so man baß 18 zu ruwen komme und man baß möge, werde man baß thain; das wirt nun die zyt zu erkennen geben.

Auss Ungern sind die zeytung ungewysß, dann allain das die unsern langsam versamlet werden und innerhalb kurtzen tagen nitt uber 12'000 tusend zu rosß und fuß daniden zu Wien versamelt sind gewesen; 19 acht man, es werde nicht oder wenig usgericht. Ofen halber, wiewol ich schreiben 20 hab, das der Turck 21 dasselbig zum besten muniert 22 und verbasteyet 23 , ouch aller ding mitt profiand und geschütz versechen, ouch mitt solichem zusatz 24 verwart und gesterckt, das ers gedenck zu behalten, noch danecht 25 kommend yetz in der yl fliegend mären 26 , er solls alles abbrent und verlassen haben, welchs doch nitt gloplich usß vylerlay ursachen, so yetz nitt mögen geschriben werden. Der warhait werden wir bald bericht.

Von Augspurg hab ich brieff von denen, so ir kuntschafft und factoreyen 27 byß gen Constantinopel haben, wie der Turck aigner person mitt 300'000 anzüche. 28 Das wirt mir gantz aigentlich 29 geschriben. Dargegen kompt schreiben von Venedig, das der Turck diß jar kein gwaltigen züg thain well, sonder dieweyl sich das romisch reych des königs 30 annem, wider den er allain zu kriegen und Ungerland dem Weyda 31 zubehalten gedacht hab alls seinem pundtsgenosse, welle er uff nechstkunfftigen summer sich zu wasser und land verfasst machen 32 und allenthalb mitt seinem höchsten vermögen in Italia und Österreich etc. angreyffen. ||222r. Aber die zeytung von Augspurg habend mir bysanher noch nitt gefält 33 , derhalb ich disem wenig glouben gib.

So sind unß gwüss zytung 34 kommen uss Mayland, wie treffelich sich der Frantzoß 35 sterck; hab yetzund by ainander 7'000 raisiger und mehr dann 60'000 knecht. Ist unser burger ainer, ain Hüruß 36 , uff mittwoch heruß kommen;

16 Feldzug. - Gemeint ist der von den katholischen Orten Frankreich gewährte Zuzug; vgl. etwa oben Nr. 1634.
17 irgendeines.
18 besser.
19 Zur Sammlung der Truppen im Feldlager vor Wien s. Traut 56-61.
20 Die hier und weiter unten zitierten brieflichen Nachrichtenquellen sind nicht erhalten.
21 Sultan Suleiman I.
22 ausgerüstet.
23 befestigt hat.
24 Besatzung.
25 dennoch.
26 Berichte.
27 Geschäftsbeziehungen.
28 Zu den Gerüchten über einen neuerlichen Ungarn-Feldzug des Sultans Suleiman I. vgl. Traut 102-105.
29 explizit.
30 Ferdinand I.
31 Gemeint ist wohl der moldauische Woiwode Petru V. Rares (1527-38, 1541-46).
32 vorbereiten, rüsten.
33 haben mich bisher nicht getäuscht.
34 Nicht erhalten.
35 Franz I.
36 Es handelt sich wohl um den Konstanzer Hieronymus Hürus (Hurus, Hyrusius, gest. 1564), der am 17. September 1542 in einem Brief an Johannes Zwick (Zürich

gantzer tag ain wagn und karr am andern begegnet seyen, die nichts dann geschütz und artelerey fürend, alles uber den Montenyß 37 etc., sagt wunder von grosser rustung. So sterckt sich der kaiser 38 ouch treffelich. Dem schickt ouch der papst 39 knecht zu, das man maint, er werde der knecht sovyl ze wegen bringen, das er dem Frantzosen ain schlacht mög lyferen. Der Frantzos gybt für 40 , das er diß jar nitt in Mayland welle, sonder den anstand halten, der dann noch ain jar weren soll; 41 sagt aber, das er ain margraffschafft 42 einnemen welle, die dann drey brüder 43 innegehapt und ainer den andern vertriben hab etc.; die namen sind mir abgefallen. Aber die herren 44 truwen ainander ubel; habend ainander offt ergrempt 45 .

Ich kann nitt mehr, muß uffhören. Habend also in grosser yl für gut. Sagt mir meinem sunder gunstigen, l[ieben] herr burgermaister Rösten 46 , sinem sun 47 und sunsfrauwen 48 vyl dienst, gutz und grutz. Ich kans nitt uberlesen; ich hab in grosser yl geschriben.

ZB, Ms F 43, 627) von einer Italienreise berichtete. Einem Konstanzer Patriziergeschlecht entstammend, war Hürus 1535 in Basel immatrikuliert, Thomas Blarer fungierte als Vormund; 1536 zog er nach Tübingen, 1539 war er in Bologna immatrikuliert, 1541 hielt er sich in Rom auf. 1550 war er Mitglied des Großrates der Stadt Konstanz, 1552 bis 1560 Mitglied des Kleinrates; seine Nachkommen wurden 1579 in den Reichsadelsstand erhoben. Er war ein enger Anhänger und Vertrauter der Blarer und nahm zusammen mit Thomas Blarer 1548 am Augsburger Reichstag teil; 1553 und 1555 wurde er für den Besuch der Predigten Ambrosius Blarers in Rickenbach (Kt. Thurgau) bestraft. Zudem ist eine dem Ambrosius Blarer gewidmete Gedenkmedaille von Hürus erhalten (Blarer-Gedenkschrift, Abb. 1 mit Anm. a auf S. 221). 1560 schrieb Hürus einen Brief an Bullinger aus Konstanz. - Lit.: Frieda Maria Huggenberg, Die Herren von Schönau und die Hürus, in: Schriften des Vereins für Geschichte des Bodensees und seiner Umgebung LXXV, 1957, S. 111-113; Wolfgang Zimmermann, Rekatholisierung, Konfessionalisierung und Ratsregiment. Der Prozeß des politischen und religiösen Wandels in der österreichischen Stadt Konstanz 1548-1637, Sigmaringen 1994. -Konstanzer Geschichts- und Rechtsquellen XXXIV, S. 231, Nr. 72; Kindler von Knobloch III 184-186.
37 Der Mont Cenis zwischen Piemont und Savoyen.
38 Karl V.
39 Paul III.
40 sagt, gibt zur Kenntnis.
41 Der Waffenstillstandsvertrag von Nizza war am 18. Juni 1538 für zehn Jahre geschlossen worden; er blieb formell gültig bis zur offiziellen Kriegserklärung Franz' I. an den Kaiser.
42 Es handelt sich vermutlich um die Markgrafschaft Saluzzo; vgl. Armando Tallone, Gli ultimi marchesi di Saluzzo dal 1504 al 1548, in: Studi Saluzzesi, Pinerolo 1901. - Biblioteca della Societa Storica Subalpina X, S. 327-335.
43 Giovanni Ludovico, Francesco und Gabriele di Saluzzo.
44 Franz l. und Karl V.
45 hintergangen, Böses angetan.
46 Diethelm Röist.
47 Jakob Röist.
48 Barbara, geb. von Ulm.