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[1163]

Peter Schnyder an
Bullinger
Biel,
29. August 1538

Autograph: Zürich StA, E II 360, 335-337 (Siegelspur) Ungedruckt

Einen der beiden von Bullinger erhaltenen Briefe gab er durch [Niklaus] Wyttenbach an [Peter] Im Haag und [...]Nägeli weiter. Den andern las er mit Betrübnis; nachdem er, wie bereits mitgeteilt, zusammen mit [Rudolf] Rebstock und dem Meier [Valerius Göuffi] wegen des Wörtchens "nüt"[in der Abschrift des Lutherbriefs vom 27. Juni]in Sorge war, sind ihnen zwei weitere abweichende Abschriften aus Zürich zu Gesicht gekommen. Um zu verhindern, daß der Zürcher Rat und der Stadtschreiber [Werner Beyel] der Nachlässigkeit bezichtigt würden, schickte er zwei der Abschriften zur Berichtigung an [Beyel], bekam sie aber an entscheidender Stelle unkorrigiert zurück; nun ist er ratlos, wie er die Sache dem Bieler Rat und den Landpfarrern gegenüber vertreten soll. Hat in Treue zu Zürich gehandelt und möchte nicht als unruhiger Geist gelten. Versucht Luther gerecht zu werden, steht aber auf festem Glaubensgrund und wird keinen Verlockungen erliegen. Grüße. Fortunatus [Andronicus] erzählte, daß mit Bucer über eine allgemeine Synode unter Einbezug der französischen Berner Gebiete gesprochen worden sei und daß Bucer in einer Vorlesung die Gegenwart Christi im Brot mit Exodus [3, 2]begründet habe.

Pacem et veritatem a domino per Iesum Christum. Amen.

Binas a te literas 1 per puerum meum 2 accepi, frater in Christo charissime atque in domino multum colendissime. Unas dedi prestanti viro Im Hag per Witenbachium nostrum, quas ei a nec non et Negali 3 nomine b legendas porrexit c mutuo sese ad piam et non pervicacem quandam d constantiam adhortantes.

c Text beim Öffnen des Siegels beschädigt.
12 Über Ägidius Gunther und sein Anliegen ist sonst nichts bekannt.
a vor ei gestrichenes et.
b vor Negali und nach nomine gestrichene Klammer.
c vor porrexit gestrichenes unlesbares Wort.
d quandam über der Zeile nachgetragen.
11 Nicht erhalten.
2 Unbekannt.
3 [Hans Franz oder Hans Rudolf]Nägeli.

Alteras ego accepi et legi quidem ingenti animi mei merore hac de causa: Audisti, qua ratione tibi super hac vocula "nüt"scripserim 4 et quid maiorem 5 nostrum ac Rebstocckium nec non et me molestaverit. Wir kondend nit druß komen 6 , et non imerito quidem ablegato nuntio Tigurino 7 cum literis, quas tibi ex commissis senatorum 8 dederam, advenit Iacobus 9 ex Tiguro ostendens literas 10 , quas descripsit a Rhellicano nostro, aliter sonantes non ex parte e vocule f , que clara erat, sed in aliis verbis, namlich: "Doch g glich wol der warhafftig lib unnd bluot unsers herren."h 11 Hoc die etiam advenerat ex Tiguro der Niderlender venditor librorum (nescio, quo nomine vocatur)12 . Is etiam ostenderat literas 13 habentes hec eadem verba, que minime litere Tigurine habebant, sed prorsus vacabant i .

Tum totus tremebundus offendiculum timens hoc k precavere studens, ne nostri ansam surriperent, si res ad senatum deveniret, calumniandi tam senatum quam scribam 14 Tigurinum l , quasi minus in tam ardua re super ipsos intenti essent, sed pocius negligentes m , excitabam ex bono et optimo corde, quod hactenus et nunquam mihi n defuit, a Tigurinis, puerum meum (quem humaniter excepisti) literas Iacobi et easdem, quas nuntius Tigurinus o adportavit, comendans Tigurum ad scribam mittens obnixe p ab eo pecieram, ut literas perspiceret eaque, que deessent, corrigeret, deffectum q ei ob oculos ponens, ut ne ipse male audiret etiam a nostris. Es hatt doch niemet künden drauß komen noch verston. Eximas et tu r , candide frater, hec verba et vide, quid videas et intelligas et s quid alios in t velis erudire. Das habend wir in

e ex parte über gestrichenem hac nachgetragen.
f vocule korrigiert aus vocula.
g vor Doch gestrichenes Der warhafft lib under dem brot.
h Von Doch glich wol bis herren vom Schreiber unterstrichen.
i vacabant vom Schreiber korrigiert aus vabant.
k hoc über der Zeile nachgetragen.
l Tigurinum am Rande nachgetragen.
m in der Vorlage neglientes.
n mihi über der Zeile nachgetragen.
o Tigurinus über der Zeile nachgetragen.
p vor obnixe gestrichenes eum.
q in der Vorlage deffendum.
r et tu über der Zeile nachgetragen.
s vor et gestrichenes tu.
t vielleicht zu ergänzen: his.
4 Schnyders Brief ist nicht erhalten. Wie sich aus dem Folgenden ergibt, bezog er sich auf eine Unklarheit in einer (nicht erhaltenen) Abschrift des Lutherbriefes
vom 27. Juni 1538 an die reformierten Orte der Eidgenossenschaft (WA Briefwechsel VIII 241f, Nr. 3240). Gemeint ist wohl die Stelle S. 242, Z. 7f: "daß wir allhie nicht[!] lehren ...". Vgl. unten Z. 11-14.
5 Valerius Göuffi, 1533-1548 Meier von Biel; s. Emil Anton Bloesch, Verfassungsgeschichte der Stadt Biel von der Frühzeit bis zum Sturz des Familienregiments im Jahre 1798, Biel 1977 (Typoskript), S. 124.
6 es nicht verstehen.
7 Unbekannt.
8 der genannten Rebstock und Göuffi (s. Z. 8f).
9 Jakob Würben.
10 Eine weitere, ebenfalls verlorene Abschrift des Lutherbriefes; s. oben Anm. 4.
11 WA Briefwechsel VIII 242, 9f.
12 Quirinus von Leiden.
13 Nicht erhalten.
14 Werner Beyel.

still gehapt, niemet ein wuort davon nit gesagt. Adveniente autem u puero literas incorreptas v adfert, nisi quod voculam "nüt" correxit; cetera, daran der hafft gelegen 15 , ne w puncto quidem attigit, unnd sind eben die, die wir vor warend 16 . Nihil certi nobis constat, nihil certi in tam serioso negotio diffinire audemus, cum constet etiam nobis per Vittenbachium Bernatium litere non quemadmodum nostre sonare 17 . Quid igitur nos possumus x ||336 respondere super quesita senatui nostro, quid fratribus in agro, quibus reddende essent y litere in lingua Gallica? Quis enim ipsis litteras Lutheri ex Germanica lingua in Latinam translaturus, cum non habeamus totae ac integre sicut Bernates et cetere ecclesie z ? Er ist ein munck, nut mit im ze schaffen haben wir, meyster. Und also ists ergangen und stat noch also.

Das alles hab ich auß trewem gmiet wellen furkomen 18 ; so stat es eben wie allweg 19 , das ich mich schier muoß überreden 20 , was aa ich ye der stat ze nutz und eren allwegen (das weyst gott) thuon und gesuocht, ouch mit minem grossen schaden 21 , solle mir für ein unruow ermessen 22 werden. Het ich doch lassen durchin gon 23 und ließ es noch also gon, das etlich thuond, so were ich deß verdacht (unriebig) uber 24 , hett yetz gen Zurich an den statschriber nit geschriben ab , den ich doch fur minen guoten herren (wie es mir joch alwegen 25 ergangen) gehapt hab, het vermeint, er hatt das thuon, darumb ich es im entlichen und fruntlichen geschriben hab 26 .

Nun, min lieber herr und bruoder, ich habs nit mögen underlassen, euch, das mich truckt, in trewen klagnen, et vix me possum a lachrimis abstinere; videmus enim undique ecclesiam hac fece infectam, et quum opus esset oblatrantium ora obtrudere scriptis Lutheri ac , sanam (qui alias non sanus est) et integram non habemus. Monitis tuis, sicut in litteris tuis accepi, obsecundaho ad . Gott geb mir ein guott gmiet, und das ich von yederman ein recht iuditium halte 27 , es sei gegen Luthero oder anderen. Mir ist nie newt reyß 28

u autem über der Zeile nachgetragen.
v in der Vorlage incorres.
w vor ne gestrichenes unlesbares Zeichen.
x nach possumus gestrichenes, nur teilweise lesbares d[...].
y vor essent gestrichenes sunt.
z von cum non habeamus bis ecclesie am Rande nachgetragen.
aa vor was gestrichenes aller.
ab nit geschriben am Rande nachgetragen.
ac scriptis Lutheri vom Schreiber korrigiert aus scripte Luthere.
ad in der Vorlage obesecundabo, über gestrichenem obsecundo.
15 wo der Knoten war.
16 und stehen dort, wo wir zuvor standen.
17 Eine nach Bern gesandte Abschrift des Lutherbriefs liegt in Bern SIA, A V 1455, Nr. 128.
18 verhüten.
19 immer.
20 daß ich beinahe mir selbst sagen muß.
21 Schnyder spielt auf seine Absetzung als Pfarrer im zürcherischen Laufen im Jahr 1536 an; vgl. HBBW VII, S. 35, Anm. 1.
22 angelastet.
23 durchgehen lassen.
24 dann gälte ich nicht als Unruhestifter.
25 auch immer.
26 nämlich die zurückgeschickten Briefe zu berichtigen (vgl. oben Z. 24-26).
27 gerecht urteile.
28 nichts Gehässiges?

von im minem ae hertzen vor gesin von 12 jaren haar. Ich hab ein bruoder 29 , der mir lange jar bekant, ist yez bey mir gewesen, sagt mir wu[ort?]af von Luthero; er ist zuo dem dritten mal selbs mit dem Appenzeller 30 zuo dem Luther gangen, dann er eben dozemal ouch da gewesen etc. Ego statui pedes meos supra firmam petram 31 , ex qua mihi satis aperta emanavit fidei mei ag certitudo atque sinceritas propinata a preceptoribus ac magistris non penitendis. Hac contenta ero; nolo enim fontem aque vive 32 effundere et aquam e cisterna et lacuna putrida haurire ac bibere 33 . Bibant, qui velint. Das specklin ist under die ah fallen glegt 34 , nöwsse ai 35 ich; lecke, schlöne 36 , sidtkuste 37 , schnape, gittlose 38 , schmecke ak , versuoche, wer welle. Ich mein, werind wir mit etlichen in die sach gangen, wie si es vor inen hattend, uns were yetz der lon wuorden von denen geschwinden, helen, nassen knaben 39 .

Nun welle ||337 uns der guötig gott erhalten, sinen friden und saegen gaeben. Amen. Matrem 40 , uxorem 41 tuam, omnes fratres meos saluta, quorum fidei et caritati me spero semper esse comendatum.

Ex Biela, 29. augusti 38.

Petrus tuus al .

Pridie dierum advenit ad nos Gallus quidam ex Argentina am nomine Fortunatus 42 , quem optime norit Casparus 43 noster. homo pius nec sectator Lutheri.

ae kann auch als minen gelesen werden.
af Im engen Einband nicht lesbar.
ag vor fidei gestrichenes nec.
ah under die über gestrichenem uff die nachgetragen.
ai vor nöwsse gestrichenes nösse.
ak schnape, gittlose, schmecke am Rande nachgetragen.
al nach tuus von anderer Hand ergänzt Schniderus.
am ex Argentina am Rande nachgetragen.
29 Unbekannt.
30 Niklaus Appenzeller überbrachte Luther den Brief der reformierten Orte vom 4. Mai; vgl. oben Nr. 1128, Anm. 8.
31 Vgl. Ps 40 (39 Vulg.), 3.
32 Vgl. Apk 21, 6.
33 Vgl. HBBW VI, S. 170, 34f mit Anm. 4; Wander III 1439, Nr. 25.
34 Vgl. Wander IV 679.
35 schnuppere.
36 nasche.
37 picke wie ein Sittich[?].
38 esse gierig.
39 schlauen, glatten, geriebenen Burschen.
40 Anna, geb. Wiederkehr.
41 Anna, geb. Adlischwyler.
42 Fortunatus (Eustache) Andronicus (André), gest. nach 1549, stammte aus Südfrankreich. 1531 wurde er - von Farel zur Reformation aus Straßburg in die Grafschaft Neuenburg berufen - Pfarrer von Bevaix (Kt. Neuenburg). 1533-1538 wirkte er als Pfarrer in Orbe (Kt. Waadt); im Oktober und November 1533 hielt er sich in Genf auf, wo er vermutlich auch predigte. Nach seiner (im vorliegenden Brief angesprochenen) Reise nach Straßburg und Basel, wo er sich bis Mitte August aufhielt und mit Calvin verkehrte, gab er sein Amt in Orbe auf und wirkte fortan in Cully und Villette (Kt. Waadt). Im Januar 1543 wurde er vom Berner Chorgericht vom Vorwurf ungebührlicher Reden gegenüber Frauen und Mädchen freigesprochen. Im Jahr 1549 wurde er vom Pfarrerkapitel seines Amtes enthoben. - Lit.: Corr. des réformateurs II, III, V, VII, VIII (Reg.); Henri Vuilleumier, Histoire de l'église réformée du Pays de Vaud, Bd. IV, Lausanne 1933, S. 495; HBLS I 370.
43 Kaspar Megander.

Is mira dixit de Bucero, quem admodum statuant et conentur tentare de quadam synodo generali, de hoc cum eo loquentes, quomodo etiam possint Galli sub ditione Bernatum adesse et fieri presentes etc. Mi Bullingere, es ist bi miner trew kein bessers, dann wen si anwerbend 44. , das man inen widersag. Land uns mit lieb und unverworren 45 , sitzend uff dem nest still. Is Fortunatus dixit mihi, quo modo audierit Bucerum in lectione publica hunc locum Exo[di] 3, [2]an tractare: "Apparuit autem ei dominus in flamma ignis" et ex hoc probare presentiam Christi in pane 46 etc.

[Adresse auf S. 338:] Clarissimo viro Heinricho Bullingero, ecclesie Tigurine antistiti ao .