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[1121]

Martin Edelmann' an
Bullinger
[Krummenau],
8. April 1538

Autograph: Zürich StA, E II 355, 96 (Siegelspur) Ungedruckt

Verwahrt sich gegen das Gerücht, sie [die reformierten Toggenburger] werteten ihre weltlichmateriellen Interessen höher als Gottes Wort, und versichert, daß sie sich in einem eventuellen Vergleich [mit Abt Diethelm] als erstes die Erhaltung der reformierten Lehre ausbedingen, dann erst weltliche Herrschaftsrechte und die Befreiung vom "Fall" anstreben würden; sollte es zu einem Prozeß kommen, müßten sie auf dem Kauf[vertrag] bestehen. Bittet, ihre Haltung auch Leo Jud darzulegen.

Gnad und fryd von gott, dem vatter, durch Christum Jesum, unsern heren.

Wüssend, frommer, wysser und wollgelerter herr, wie mir durch gloubwirdig lüt fürkommen 2 ist, das wir, von der graffschafft Dockenburg 3 , verseit und verleidiget 5 werdent gegen üch, wie wir die söllend sin, die wenig betrachtind 6 die eer gottes und sines worts, sonder allein dem unseren, wie wir das zytlich möchtind 7 erjagen, nachtrachtind. So wüssend, frommer herr, das uns dem meerteil in disem fa! unrecht geschicht; dann unser fürnämen 8 bißhar nie anders gsin ist, dann, wo in der guttigkeit 9 in unserem handel 10 Martin Edelmann, von Krummenau (Kt. St. Gallen), gest. nach 1555 (s. EA IV/1e 1375), um 1530-1540 Ammann des Gerichtsbezirkes Thurtal, setzte sich kraftvoll für die Reformation und für die Unabhängigkeit des Toggenburgs ein. Zu Ende des Zweiten Kappelerkrieges protestierte er bei den Zürchern, als diese den Friedensvertrag ohne Einschluß des Toggenburgs ausgehandelt hatten (s. Walter Ammann, Die Reformation im Gaster, in: Zwa VII/4. 1940, S. 258f), und in den Verhandlungen über die Rückerstattungsforderung von Abt Diethelm 1538 wie auch im Rechtsverfahren gegen diesen 1539/40 erwies er sich als entschiedener Verfechter toggenburgischer Autonomierechte. Aus seinem Briefwechsel mit Vadian sind drei Schreiben, aus demjenigen mit Bullinger ist eines erhalten geblieben. — Lit.: EA IV/1c 1075. 1153. 1183; Vadian BW V Nr. 841, 1003 und 1053; Johannes Rütiner, Diarium 1529-1539, hg. y. Ernst Gerhard Rüsch, Textband 11/2, St. Gallen 1996, Abs. 294a. 359d; HBLS II 780.

2 zu Ohren gekommen. Toggenburg (Kt. St. Gallen).
~ verleumdet. angezeigt.
6 im Auge haben. könnten.
8 Absicht.
~ Vergleichsverfahren. Am 1. April 1538 hatten die 4 Schirmorte des Klosters St. Gallen (Zürich, Luzern, Schwyz, Glarus) in der Auseinandersetzung zwischen Abt Diethelm und den Toggenburgern einen Vergleich vorgeschlagen, der den Loskauf des Toggenburgs (vgl. unten Anm. 24) aufheben sollte, aber auch Garantien für die Erhaltung der reformierten Lehre vorsah (s. EA IV/1c 952f). Während der Abt akzeptierte, stellten die Toggenburger vorerst weitergehende Forderungen (ebd. 954f), lenkten aber, von Zürich gedrängt, ein und gaben nach dem Abschluß des

gehandelt würde, das wir voruß und ab 11 diß begert habend, das wir by gottes wort und gsunnder leer des evangelis möchtind blyben, demnach das regiment 12 , dardurch a sölichs geschirmpt wirt, uns zugesteit wurde 13 . Dann wir sunst das wol erkennen mögend, obglich uns sust vil zugeseit wurde gotteswort halb, das wir uns desse besorgen müssend, es möchte uns villicht b ze langen tagen 14 sölichs schlechtlich gehalten werden; wie es dann ettlichen biderben 15 lüten meer ergangen ist, weliches on zwiffell üch unverborgen ist. In summa, es ist unser meinung nie anders gesin: So in der güttigkeit unser handel möchte gehandlet werden (weliches uns vast 16 lieb were), dann das wir gottes wort c voruß und vorab begert, demnach das regiment oder die manschafft 17 und nachlassen der fälen 18 , und dasselbig om wärd 19 , als sich desse fromm, biderb lüt, die in der sach güttigklich handletind, möchtind erkennen 20 . Es ist aber nit minder 21 , so es zu einem rechten 22 sölte kommen, das wir des kouffs nach aller wyß, maß und gestalt [beg]erend d 23 , wie er ergangen ist, und wir desse brieff unnd sygel habend 24 . Söliches, wollgelerter herr, hab ich üch wöllen ze wussen thun, darmit ir unsers willens und meinung bericht wurdint, darmit ir nit lichtlich denen, so uns und unseren handel vor üch verunglimpffend, glouben gebind, und üch hiemit och zum früntlichesten und truwlichesten gebetten haben, das ir gegen üweren herren und oberen uns das best (als wir üch und inen dann e aller eeren und gutz vertrüwend) reden und thun wöllind. Wo wir sölichs f und sonders ich om üch verdienen könnend, wöllend wir bereit und gutwillig sin.

a vor dardurch gestrichenes zu unseren hand.
b langen vom Schreiber korrigiert aus langens.
c in der Vorlage wors.
d [beg]erend am Rande nachgetragen, teilweise verdeckt.
e vor dann gestrichenes all.
f vor sölichs gestrichener unlesbarer Buchstabe.
sog. Toggenburger Landfriedens vom 22. Juli 1538 die Kaufurkunde zurück. Vgl. dazu Karl Wegelin, Geschichte der Landschaft Toggenburg, 2. Teil, St. Gallen 1833, S. 111-115: s. auch HBBW VI, S. 366, 5-10 mit Anm. 7, und S. 372f, 2-13 mit Anm. 3.
11 zuallererst.
12 die weltlichen Herrschaftsrechte.
13 In diese Zeit fällt wohl Edelmanns Äußerung, es sei besser, dem Abt die weltliche
Herrschaft abzutreten, damit die geistliche eher bewahrt werden könnte (s. Rütiner, aaO, Abs. 359d).
14 auf die Dauer.
15 rechtschaffenen.
16 sehr.
17 die weltliche Herrschaft.
18 Befreiung vom "Fall" (Abgabe an den Lehensherrn beim Todesfall). -Vgl. den 3. Artikel des Vergleichsvorschlages vom 1. April 1538 (oben Anm. 10).
19 zu einem Preis.
20 wie diesen rechtschaffene Ehrenleute ... festsetzen würden.
21 Davon läßt sich nichts abmarkten.
22 Rechtsverfahren.
23 daß wir auf dem Kauf ... bestehen.
24 Zum Loskauf des Toggenburgs vom Kloster St. Gallen im Jahre 1530, von Zürich und Glarus besiegelt, vgl. Gottfried Egli, Die Reformation im Toggenburg, Diss. phil. Zürich, Schaffhausen 1955, S. 157f.

Hiemit sind gott bevolhen und grützend wir üweren trüwen mitarbeiter in göttlichem wort, Leonem Iudae, welichem ir disse g unser meinung och wöllend furhalten 25 , darum ich üch vast wil gebetten haben.

Datum 8. aprilis anno etc. 38.

U[wer] w[illiger] Martin Edelman,

amman im Turtal 26 .

[Adresse auf der Rückseite:] Dem frommen, wyssen und wolgelerten Meister Heinrich Bullinger, predicanten ze Zürich, minem insonders günstigen und lieben herren.