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Basler Nachrichten

Geistesarbeit und Rendite

Zur Abgeordnetenversammlung der Schweizerischen Geisteswissenschaftlichen Gesellschaft in Locarno

R. S. Wir nehmen die Delegiertenversammlung der Schweizerischen Geisteswissenschaftlichen 'Gesellschaft, die übers letzte Wochenende in Locarno stattgefunden hat, zum Anlass, ein paar grundsätzliche Aspekte aufzuzeigen.

Heute ist auf der ganzen Welt von Grundlagenforschung die Rede, von der Förderung der wissenschaftlichen Arbeit, von der Heranbildung fähiger Wissenschaftler. Gewaltige Summen werden auch bei uns für die Atomphysik und die praktische Anwendung der Atomkraft aufgewendet, und zwar ebensosehr von privater wie von staatlicher Seite. — Ferber ist es allgemein in der Schweiz Uebung geworden, dass mehr und auch weniger notleidende Gewerbszweige und Wirtschaftsgruppen den Vater Bund um Subventionen angehen, bittend, fordernd oder schamlos heischend, je nachdem... Doch zurück zur Wissenschaft: Wenn von ihr gesprochen wird, so meint man meistens die Naturwissenschaft, allenfalls noch die Medizin. Beide Disziplinen sind auch für den einfachen Mann im Volke notwendige Selbstverständlichkeiten. Warum? Weil sie ihm mittelbar oder unmittelbar zugute kommen. Daher dünkt ihn auch ihre Unterstützung richtig und angemessen. Diese etwas kurzsichtige Schau machen sich sehr oft auch gewisse Politiker zu eigen,

 

weil es populärer Ist, etwas zu vertreten, das wirtschaftlichen Nutzen oder Gesundheit verspricht.

Neben diesen «nützlichen» Wissenschaften gibt es nun auch solche, die in mancher Augen unnütz sind, weil sie in keiner Weise zu wirtschaftlichem Fortkommen oder zum allgemeinen Komfort oder zur Förderung des Wohlfahrtsstaates beitragen, also etwa Philosophie, Kunstgeschichte, Philologie, Volkskunde. Sie werden — ähnlich wie Kunst, Dichtung, Musik — zwar freundlich geduldet und allenfalls geschätzt. Aber niemand denkt daran, ihren Vertretern und deren Arbeiten die notwendige materielle Basis zu geben. Wir wollen nicht' ungerecht sein: Es gibt eine grosse Anzahl Vereine und Gesellschaften, in denen sich gleichgesinnte Menschen zusammenschliessen, um eben diese geisteswissenschaftlichen Gebiete zu betreuen. Jahr für Jahr werden Tausende von Beiträgen bezahlt — fast immer ;ind es schlichte Scherflein von Privaten —, ehrenamtlich verwaltet und den Werken, meist Publikationen, lieset Vereinigungen zugeführt. Ferner ist durch die Schaffung des Nationalfonds, durch das Wirken der Pro Helvetia und zahlreiche kantonale Einrichtungen wie Kunst- und Literaturkredite das geistig produzierende Schaffen einigermassen unterstützt. Das «einigermassen» wird zu einem «unzureichend», wenn man die Förderung der wirtschaftlich interessanteren Gebiete vergleichsweise danebenstellt. Es ist nun einmal so dass

 

als lebensnotwendig nur das gilt, was materiell erfassbar Ist, also alles was dem physischen Leben Bestand und Dauer gibt. Man unterschätzt darüber gewöhnlich die Gefahr, die von der geistigen Unterernährung her droht. Erst wenn ihre Auswirkungen spür- und sichtbar werden, wird gewöhnlich geholfen; aber dann ist es in der Regel schon zu spät. — So ist denn

 

alles, was In unserm Lande auf geisteswissenschaftlichem Gebiet gearbeitet wird, in irgend einer Weise ein Bollwerk gegen Vermassung, geistige Verödung und seelische Verflachung

und daher von noch viel höherer Wichtigkeit als rein wirtschaftsstützende Massnahmen. Wer diese Tatsache erkannt hat, der muss es begrüssen, wenn, wo es irgendwie geht, das von direkten Zwecken freie geistige Schaffen auch materiell ermöglicht wird. Die Hilfe macht sich tausendfach bezahlt.

So ist es auch durchaus legitim und begrüssenswert, dass die verschiedenen geisteswissenschaftlichen Vereinigungen den Bund um Subventionen angehen. Wenn man die einzelnen Beträge ansieht, dann ist man erstaunt über ihre Niedrigkeit. Solche Vereinigungen richten eben nicht mit der grossen Kelle an, vielmehr werden die Mittel möglichst spesenfrei für die Finanzierung wichtiger Aufgaben verwendet. Dass die Publikationen die grössten Summen verschlingen ver steht sich am Rande. Die Druckkosten sind (nicht zuletzt dank der Konjunktur, von der die Wirtschaft einseitig profitiert) in den letzten Jahren enorm gestiegen. Und

 

Mitgliederbeiträge und private Zuschüsse allein vermögen die Defizite nicht zu decken.

Die Schweizerische Geisteswissenschaftliche Gesellschaft, in der die meisten wissenschaftlichen Gesellschaften nichtnaturwissenschaftlicher oder -medizinischer Observanz vereinigt sind, legt nun dem Departement des Innern ein globales, aber im einzelnen spezifiziertes Subventionsgesuch vor.

 

Die total erbetene Summe beträgt 266 360 Franken.

Sie soll u. a. folgenden Werken und Institutionen zukommen, von der im Grunde jeder geistig interessierte Schweizer direkt oder indirekt profitiert: Gesellschaft für Urgeschichte, Geschichtsforschende Gesellschaft, Gesellschaft für Volkskunde, Philosophische Gesellschaft, Gesellschaft für Schweizerische Kunstgeschichte (Kunstdenkmäler!), Gesellschaft für Psychologie, Heraldische Gesellschaft, Numismatische Gesellschaft. Ferner den wichtigen Zeitschriften «Museum Helveticum» (eine Zeitschrift, die die ganze Altertumswissenschaft umfasst), «Schweizerische Musikdenkmäler«, «Linguistic Atlas of England» (von der Schweiz. Akademischen Gesellschaft betreut), dann der Herausgabe einer Paracelsusschrift «Liber de Nymphis» (von der sich Sprach. und Märchenforschung viel versprechen), schliesslich dem grossangelegten und von Prof. W. von Wartburg hingebungsvoll betreuten Französisch-Etymologischen Wörterbuch. — Dies nur ein Ausschnitt.

So wünschen wir der Schweizerischen Geisteswissenschaftlichen Gesellschaft und uns Schweizern überhaupt, dass ihre Bemühungen um die Werte des Geistes durch eine Bewilligung ihres massvollen Gesuches die verdiente Anerkennung der Behörden finden.

Die Delegiertenversammlung in Locarno vom 11./12. Oktober

Ag. In Locarno fand die Delegiertenversammlung der Schweizerischen Geisteswissenschaftlichen Gesell