Name: Rathmann: Vorname: Heinrich R.,
Rathmann's Vater war ein mäßig begüterter Bauer und Oelmüller, der mit den Seinigen den alten Wohnort verließ, weil die tödtlich endende Mißhandlung eines Sohnes durch den rohen Dorfschulmeister ihm den Aufenthalt daselbst verleidete. Er zog in das benachbarte Städtchen Bergedorf und legte einen Kramladen an, wobei sich aber die wirthschaftlichen Verhältnisse verschlechterten. Erschwerte dies auch dem von Kindesbeinen an wißbegierigen, strebsamen Sohne Heinrich die wissenschaftliche Ausbildung, so nahm sich doch der wackere Rector Mascho zu Bergedorf des Knaben an und gab ihm besonderen Unterricht in den alten Sprachen. So vorbereitet bezog er Ostern 1768 die Universität Halle, wo er sich, da auch bald der Vater starb, durch Unterrichten am Waisenhause und Privatstunden die Mittel zum Studium verdienen mußte. Schon 1771 wurde ihm am Pädagogium ein öffentliches Lehramt anvertraut. Nachdem er dann von 1774 —77 ein beschwerliches Doppelamt als Rector und Diakonus zu Neuhaldensleben verwaltet hatte, berief ihn das Vertrauen des Abts und Generalsuperintendenten Resewitz zum Prediger und Oberlehrer der Schule zu Kloster Berge bei Magdeburg, als welcher er sechszehn Jahre mit großer Hingebung und Erfolg wirkte. Auch die Leitung des mit dieser Schule verbundenen Lehrerseminars war ihm übertragen. Seit dem Jahre 1793 war er dann bis zu seinem Ende Prediger und Seelsorger der vereinigten Gemeinden Pechau und Calenberge, Magdeburg gegenüber rechts der Elbe. Stets von seinen Oberbehörden und Amtsgenossen geehrt, wurde R. 1798 mit der Kirchen und Schulinspection des zweiten Jerichow'schen Kreises betraut und versah diese Aufgabe seit 1806 ganz allein. Um diese Zeit erhielt er auch den Titel Superintendent und wurde bei Errichtung der preußischen Consistorien 1816 Consistorialrath. Zweimal — in den Jahren 1780 und 1797 — vermählt, wurden ihm nur in seiner zweiten Ehe drei Söhne geboren, die sammt ihren Nachkommen zumeist in geistlichen und richterlichen Aemtern wirkten und bezw. noch wirken. — Da R., in einfachen bürgerlichen Verhältnissen aufgewachsen, das wissenschaftliche Studium aus starkem angeborenen Triebe und den geistlichen Beruf aus innerlicher Neigung und Ueberzeugung ergriffen hatte, so gab sich auch in seiner amtlichen Wirksamkeit eine ursprüngliche Kraft und Frische segensreich zu erkennen. Diese Regsamkeit bekundete sich aber auch im Gedankenaustausch mit gleichstrebenden Freunden in der von ihm vor nun über hundert Jahren mitbegründeten, noch fortbestehenden, immer aus zwölf Mitgliedern zusammengesetzten wissenschaftlichen Mittwochsgesellschaft, der "Lade" , an der z. B. Gleim, der R. sehr schätzte, theilnahm und zu dem Köpken, Funk, Rolle, der berühmte Kanzelredner Propst Hanstein in Berlin, Basedow u. a. gehörten. Wurde hier auch, dem Geiste der Zeit entsprechend, theilweise ein etwas überschwenglicher Freundschaftscultus getrieben, so war doch diese Gesellschaft eine wissenschaftlich und geistig keineswegs unfruchtbare. Selbst mit dem Freundschaftsvirtuosen Gleim unterhält sich R. über die Rochow'schen und Basedow'schen Bestrebungen auf dem Gebiete des Schulwesens, wofür er von Jugend auf ein feuriges Interesse bekundete. Diesem und seinem langjährigen Verkehr mit Basedow verdanken wir die äußerlich zwar nicht sehr umfangreichen, aber für das Verständniß dieses merkwürdigen Bildungsstürmers überaus wichtigen"Beyträge zur Lebensgeschichte Joh. Bernh. Basedow's aus seinen Schriften und aus andern ächten Quellen gesammelt" . Magdeburg 1791. Ohne diese verständnißvollen, wenn auch zuweilen von allzu vortheilhafter Auffassung getragenen Mittheilungen würde uns ein wesentliches Hülfsmittel zum Verständniß Basedow's und seiner Unternehmungen fehlen. Das wissenschaftliche Hauptwerk Rathmann's aber ist seine "Geschichte der Stadt Magdeburg" , die von Anfang darauf angelegt bis zur Gegenwart fortgeführt zu werden, in vier Bänden doch nur bis zum Jahre 1680 und zum Uebergänge der Stadt an Brandenburg: Preußen gedieh. Die Bände erschienen 1800, 1801, 1803, der vierte in zwei Hälften 1806 und
1816. Zwischen diesen Jahren lag die französische Fremdherrschaft und von
1813 —14 eine Zeit schwerer Heimsuchung während der Belagerung des Pechau
nahe benachbarten Magdeburg. Dieses Werk ist die Frucht einer langen sorgfältigen
Vorbereitung, die mittelbar sogar bis auf die Zeit seines Hallischen
Lehramts, bei welchem er den Geschichtsunterricht auf der obersten Stufe ertheilte,
zurückreicht. Wenn auch kein archivalisches Quellenwerk im engsten Wortbegriffe,
ist es doch mit getreuer sachkundiger Benutzung aller dem Bearbeiter zugänglichen
Hülfsmittel, worüber er in den Vorreden Auskunft gibt, ausgeführt. Er bot
damit zum ersten Male eine zusammenhängende, gut lesbare und heute noch
werthvolle Darstellung dieser merkwürdigen Stadtgeschichte. Anerkennung verdient
neben der geschickten Sichtung der Hülfsmittel das ernste Bestreben nach
Wahrheit und Richtigkeit. Der Verfasser läßt statt eigner Betrachtung die
Quellen, die er gewissenhaft anführt, möglichst selbst reden. Mit Recht empfiehlt
die anerkennende Beurtheilung von Bd. 2 u.3 in der Allgem. Deutschen (Nikolai'schen)
Bibl. (Bd. 96, 2, 365) Rathmann's Werk den Schriftstellern im
historischen Fach als Muster der Gewissenhaftigkeit. Mit Uebergehung der von
ihm herausgegebenen Predigten und Aufsätze in verschiedenen Zeitschriften und
in Ersch u. Gruber's Encyklopädie und einer kurzen Zusammenfassung der Hauptereignisse
von magdeburg im 18. Jahrh. ist noch seine schätzbare 1812 erschienene
Geschichte der Schule zu Kloster Berge" zu erwähnen. In kürzerer Gestalt
war dieselbe schon im August 1790 in der Deutschen Monatsschrift veröffentlicht.
Mit dem Kopfe ein echtes Kind der Aufklärungszeit, wußte doch R. auch den
Segen und die guten Seiten des Pietismus, vornehmlich aber einen A. H. Francke
und den Bergischen Abt Steinmetz, zu schätzen und zu verehren. — Die Absicht
der sehr zahlreichen Freunde und Verehrer Rathmann's, ihm in Magdeburg ein
größeres Penkmal zu errichten, gelangte nicht zur Ausführung, wohl aber bewahrt
die Erinnerung an ihn sein Bild im Sitzungssaale des dortigen Magistrats.
Ein besseres, von Sieg in Oel gemalt, befindet sich im Besitze eines Enkels, des
Geh. Justiz und Kammergerichtsraths H. Rathmann in Berlin.Vgl. Heinrich Rathmann. Eine biogr. Skizze vom Superint. Abel in
den Sächs. Provinzial-Blättern, herausgeb. von Joh. Carl Müller. 2. Bd.
July bis December 1821, Erfurt, S. 118 —133, auch Sonderschrift desselben
Erfurt 1822. — Briefe Rathmann's an Gleim in der Gleim'schen Familien-Stiftung
zu Halberstadt und briefliche Familiennachrichten. Die Nachrichten
über die Herkunft sind vom Consistorialrath H. Rathmann in Wernigerode
an Ort und Stelle ermittelt. Magdeb. Geschichtsblätter, 23. Jahrg. (1888)
S. 292 —323.
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