SPIELMANNS GESCHICHTEN DER SAHEL
HERAUSGEGEBEN VON LEO FROBENIUS
1921
VERLEGT BEI EUGEN DIEDERICHS/JENA
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MIT EINER KARTE DER SAHARA UND
EINER BILDERTAFEL / TITEL- UND
EINBANDZEICHNUNG VON F. H. EHMCKE
16. Der Leichenräuber (Gindolegende)
Ein Kaddo mit Namen Sogole vom Stamme der Gindo wohnte im Dorfe Wailla, in der Landschaft Ende. Sogole war fleißig und arbeitete emsig. Er wußte auch Lieder zu singen und sang häufig.
Wenn ein Hogon gestorben war, hatte man die Sitte, ihm einen halben Barren Salz und ein neues Kleid beizufügen. Man ließ den Leichnam von der Felsspitze eines Berges an Stricken herab. Männer ließen sich an Stricken herab. In einer Höhle wurde der Leichnam mit den Beigaben untergebracht und dann die Niesche
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vermauert. Darauf kehrten die Männer an ihren Stricken zurück, und nun glaubte man den Leichnam für alle Zeiten gesichert. Sogole aber ging überall dahin, wo ein Hogon begraben und in einer Felsspalte vermauert ward. Nachts ließ er sich dann an einem Stricke hinab, raubte dem Toten das Kleid und das Salz und kehrte zurück. Wenn er arbeitete oder wenn eine Festlichkeit war, sang er seine eigenen Lieder, und darin rühmte er sich dann dessen, was er hier ausgeführt habe. Das ging eine lange Zeit so.
Eines Tages nun starb der Hogon von Baguru. Sogole hörte das und machte sich sogleich auf den Weg nach Baguru und kam auch dort zum Begräbnis an. Bei der Leichenfeier sang Sogole. Er sang: "Die Leute versenken ihre gestorbenen Hogone an Orten, an denen die Weihen und Adler nisten. Sie geben den Gestorbenen Gaben mit, die kein Mensch erreichen soll, der nicht fliegen kann wie die Weihen und wie die Adler. Aber Sogole-Gindo ist wie eine Weihe, ist wie ein Adler. Er weiß hinabzusteigen in die Nester der Hogone und nimmt die Eier aus. Nur einer kann das, das ist Sogole." Die Leute von Baguru hörten das. Die Leute von Baguru sangen: "Wenn jemand hier solch schmutzige Arbeit sucht, wird er schlechten Lohn dafür erreichen."
Die Leute von Baguru sagten: "Wir wollen aufpassen und einige Leute zur Seite des Grabes in der Felsnische unterbringen." Sie ließen an Stricken den Leichnam des Hogon mit seinen Gaben herab. Sie ließen einige Leute herab. Die Leute vermauerten den Leichnam. Dann kehrten einige Leute an den Stricken zurück. Einige Leute blieben aber unten. Nachts nahm Sogole einen starken Strick und ließ sich an ihm hinab. Er wollte mit den Händen die Mauer der Grabkammer aufreißen. Da packten ihn die Männer, die unten auf ihn gewartet hatten. Die Leute sagten: "Du hast die Gewohnheit zu stehlen, aber heute hat dein Gesang ein Ende." Sogole sang: "Das Küken lacht heute über den Löwen." Die Leute banden Sogole und sagten: "Du weißt ja wohl, weshalb das geschieht." Sogole sang: "Wenn man eine Mütze seitwärts des Weges allein im Grabe liegen sieht, denkt man, ein anderer habe sie verloren und sie gehöre nun niemand mehr."
Die Leute von Baguru töteten Sogole. Sie schnitten ihm den Kopf ab, die Hände und Füße. — Noch heut singt man davon: "Sogole bestahl alle toten Hogone. Aber dem Hogon von Baguru vermochte er nichts zu nehmen."
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