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Salz ist wertvoller als Gold
E s war einmal ein König, der hatte drei Töchter mit Namen Agnes, Ludmila und Maruschka und liebte sie von Herzen. Er war schon alt und des Herrschens müde und sann oft darüber nach, welche der drei nach seinem Tode Königin werden sollte. Die Wahl fiel ihm schwer, denn er liebte sie alle drei gleichermaßen. Nach langem Überlegen entschloß er sich, jene zu seiner Nachfolgerin zu bestimmen, die ihn selber am innigsten liebte. Er rief die Prinzessinnen vor seinen Thron und sprach zu ihnen:
»Meine lieben Töchter! Ich bin alt und schwach geworden und werde nicht mehr lange unter euch weilen. Bevor ich nun sterbe, will ich eine von euch zu meiner Nachfolgerin ernennen. Zuvor aber will ich prüfen, welche von euch mich am liebsten hat. Sage du mir, Agnes, meine Älteste, wie liebst du deinen Vater?«
»Ach, liebster Vater, ich liebe dich mehr als Gold!« antwortete Agnes und küßte ihm die Hand.
»Und du, Ludmila, wie sehr liebst du mich denn?«
»Ach, mein gutes Väterchen«, rief das Mädchen und umarmte den König, »ich liebe dich wie meinen Brautschmuck.«
»Und nun du, meine Jüngste, sage mir, wie du mich liebst?«fragte der König und wandte sich mit dieser letzten Frage an Maruschka. »Ich, Vater, liebe dich -wie Salz!« antwortete sie nach kurzem Bedenken und sah den König mit allerliebsten Augen an.
»Wie, du böses Mädchen, du liebst deinen Vater bloß wie Salz! Schäme dich doch!« riefen da die beiden Schwestern empört.
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»Ja, wie Salz liebe ich meinen Vater!« wiederholte Maruschka einfach.
Da wurde nun auch der alte König böse. Er konnte nicht verstehen, daß Maruschka ihre Liebe zu ihm mit einer so geringen Sache verglich, die jedermann, auch der ärmste Mensch besaß und für nur wenig Geld erwerben konnte.
»Geh mir aus den Augen, du undankbares Mädchen!« rief er. »Ich will dich erst dann wiedersehen, wenn den Menschen Salz wertvoller als Gold und Edelsteine erscheinen wird. Dann komme zurück - dann will ich dich gern zur Königin machen!«
Daß jemals eine derart schlimme Zeit kommen könne, daran glaubten weder der alte König noch seine beiden älteren Töchter.
Ohne ihm zu widersprechen, mit Tränen in den Augen, verließ die stets gehorsame Maruschka das Schloß ihres Vaters. Einsam und verlassen stand sie auf der Straße und wußte nicht, wohin sie ihre Schritte wenden sollte. Schließlich entschloß sie sich, einfach der Richtung des Windes zu folgen. Sie wanderte über Berge und Täler, bis sie zu einem dichten Birkenwäldchen kam. Dort trat eine alte Frau ihr in den Weg. Maruschka grüßte freundlich und wünschte der Alten einen guten Morgen. Die Alte sah die rotgeweinten Augen des Mädchens und sagte voller Mitgefühl:
»Was bedrückt dich denn, mein Kind, daß du weinst?«
»Ach, Mütterchen!« antwortete Maruschka. »Fragt nicht nach meinem Kummer! Ihr könnt mir doch nicht helfen!«
»Vielleicht doch!«sagte die Alte und lächelte. »Offne mir dein Herz und sage mir, was dich quält! Wo graue Haare sind, da ist auch Vernunft.«
Ermutigt erzählte Maruschka, was sich begeben hatte, und fügte weinend hinzu: »Ich will ja gar nicht Königin werden, aber ich möchte allzugern meinen Vater von der aufrichtigen Liebe, die mich zu ihm erfüllt, überzeugen!«
Die Alte ließ Maruschka ruhig zu Ende erzählen, obwohl sie von allem Anfang an gewußt hatte, welches der Grund ihres Kummers war, denn sie war keine gewöhnliche alte Frau -sondern eine gute
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Fee. Freundlich faßte sie das Mädchen bei der Hand und forderte es auf, in ihre Dienste zu treten. Maruschka zeigte sich überglücklich und ging mit der Alten. Die gute Fee führte sie in ihr Waldhäuschen und gab ihr zu essen und zu trinken. Als sich Maruschka gesättigt hatte, fragte die alte Frau: »Kannst du Schafe hüten? Kannst du melken? Kannst du spinnen und weben?«
»Nichts von alledem habe ich gelernt!« antwortete das Mädchen traurig. »Aber wenn Ihr es mir zeigen wollt, will ich's versuchen, und sicherlich werde ich rasch lernen!«
»Das will ich gerne tun und dich in allem unterweisen. Sei nur immer schön brav und tu, was ich dir sagen werde. Wenn sich die Zeit findet, wird dir Glück und Freude daraus wachsen!«
Maruschka versprach, folgsam zu sein, und da sie fleißig und guten Willens war, lernte sie rasch, und die Arbeit machte ihr viel Freude. Indessen lebten die beiden älteren Prinzessinnen auf dem Schloß beim Vater in Saus und Braus. Mit falschen Worten und vorgetäuschten Liebkosungen umgarnten sie den alten König und erbaten sich von ihm täglich neue und neue Geschenke. Die älteste Prinzessin stand den großen Teil des Tages vorm Spiegel und kleidete sich in prächtige Gewänder, während ihre Schwester sich mit Gold und Edelsteinen schmückte und des Tanzens nicht genug bekommen konnte. Ein festliches Mahl reihte sich ans andere, und die Mädchen hatten nichts weiter als nur ihr Vergnügen im Sinne.
Da gingen dem alten König die Augen auf, und er mußte erkennen, daß seinen Töchtern Prunk, Schmuck und Tanzen lieber waren als er. Er erinnerte sich der aufrichtigen Liebe seiner jüngsten Tochter, die ihn geherzt und geliebkost hatte, und verstand nun, daß er sie allein zur Königin hätte ernennen sollen. Wie gerne hätte er sie zurückgeholt, wenn er nur gewußt hätte, wo sie zu suchen wäre! Sobald er aber daran dachte, daß sie gesagt hatte, sie liebe ihn nur so, wie man Salz liebt, wurde er wieder ärgerlich und zweifelte erneut an ihr.
Eines Tages sollte ein Festmahl im Schloß gegeben werden. Da stürzte kurz davor der Koch vor des Königs Thron und rief:
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»Herr, ein großes Mißgeschick hat uns befallen! Das Salz in der Küche und auch im ganzen Lande ist plötzlich ausgegangen. Es scheint wie aufgelöst. Womit soll ich denn nun die Speisen salzen?«
»Kannst du denn nichts anderes zum Würzen verwenden?«fragte der König ärgerlich.
»Oh, Herr, welches von allen Gewürzen könnte wohl das Salz ersetzen?« rief der Koch voller Verzweiflung.
Auf diese Frage nun wußte der König keine Antwort zu geben. Er wurde sehr böse und befahl dem Koch, das Festmahl ohne Salz zu bereiten.
>Wenn es dem Könige selber recht ist - mir soll es sicherlich recht sein!<dachte der Koch und ließ ungesalzene Speisen zur Königstafel bringen. Den Gästen wollten die Gerichte nicht munden.
Der König entsandte Boten nach allen Windrichtungen, um Salz zu holen, doch alle kehrten unverrichteterdinge und mit leeren Händen ins Schloß zurück. Das gleiche Mißgeschick nämlich hatte auch die Nachbarländer betroffen, und wer noch einen kleinen Salzvorrat besaß, wollte sich für alles Gold in der Welt nicht davon trennen.
Auf Befehl des Königs bereitete der Koch nun nur süße Speisen und Gerichte, für die kein Salz gebraucht wurde. Aber auch diese Speisen wollten den Gästen auf die Dauer nicht schmecken, und als sie sahen, daß keine Änderung abzusehen war, verließ einer nach dem anderen das königliche Schloß. Die beiden Prinzessinnen waren untröstlich, aber auch sie konnten nichts ändern und mußten die Gäste ziehen lassen.
Aber nicht nur die Menschen, auch das Vieh in den Ställen litt unter dem Salzmangel. Die Kühe, Ziegen und Schafe gaben nur noch wenig Milch - es war ein Unglück fürs ganze Land. Die Menschen wankten müde zur Arbeit und wurden schwach und krank. Auch den König und seine beiden Töchter verschonte die Krankheit nicht. Nun erst erkannten sie, welch eine treffliche Gabe des Himmels das Salz war und wie gering sie diese sehr zu Unrecht geschätzt hatten. Bittere Vorwürfe, daß er Maruschka unrecht getan habe, bedrückten des Königs Gewissen schwer.
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Während dieser Zeit lebte das Mädchen in der Hütte im Walde glücklich und zufrieden. Sie konnte nicht ahnen, wie schlecht es ihrem Vater und den beiden Schwestern daheim erging. Die weise Fee freilich wußte genau, wa sich dort zutrug. Und eines Tages sagte sie zu Maruschka:
»Immer habe ich dir gesagt, daß einmal deine Stunde kommen wird. Deine Stunde hat nun geschlagen - kehre nach Hause zurück!«
»Ach, mein gutes Mütterchen, wie sollte ich denn je zurückkehren, da mich der eigene Vater aus dem Hause gewiesen hat«, antwortete das Mädchen und fing an zu weinen.
Da erzählte ihr die gute Fee getreulich alles, was sich während ihrer Abwesenheit im Lande begeben hatte, daß nun die Worte an ihren Vater wahr geworden und er erkannt habe, daß Salz wertvoller als Gold und Edelsteine sei.
Ungern schied Maruschka von der guten Fee, die sie so viele nützliche Dinge gelehrt hatte, doch ihre Sehnsucht nach dem Vater war erwacht, und sie konnte es kaum noch erwarten, ihn wiederzusehen.
Du hast mir treu gedient, Maruschka«, sagte die Alte beim Abschied, »und ich will dich gut entlohnen. Sage mir, was du dir wünschst!«
»Ihr wart gut zu mir und habt mich vieles gelehrt«, antwortete Maruschka, »ich will nichts weiter von Euch, Mütterchen, als ein bißchen Salz, das ich meinem Vater bringen will.«
»Und du hast sonst keinen Wunsch? Ich könnte jeden deiner Wünsche erfüllen«, fragte nochmals die gute Fee.
»Nein, nichts mehr begehre ich, Mütterchen, als das Salz«, beharrte Maruschka.
»Weil du das Salz so hoch zu schätzen weißt, möge es dir niemals daran fehlen!«sprach die Alte. »Nimm hier diese kleine Weidenrute, und wenn einmal der Mittagswind zu wehen beginnt, folge ihm. Geh durch drei Täler und über drei Berge, dann halte ein und berühre den Boden mit der Weidenrute. Die Erde wird sich vor dir öffnen, und du tritt getrost dann ein! Was du dort finden wirst, behalte - es sei dir zu eigen.«
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Dankend nahm Maruschka die Weidenrute und bewahrte sie sorgfältig. Dann gab ihr die alte Frau noch ein Beutelchen, das sie mit Salz füllte. Schweren Herzens nahm das Mädchen Abschied von dem kleinen Waldhäuschen, das ihr zur zweiten Heimat geworden war, und begab sich, von dem Mütterchen begleitet, auf den Heimweg. Weinend versicherte Maruschka noch, daß sie gern wiederkommen wolle, um die alte Frau zu holen und sie für immer mit aufs Schloß zu nehmen.
»Bleibe nur stets gut und gehorsam«, sagte die Alte lächelnd, als sie den Rand des Birkenwäldchens erreicht hatten, »und es wird dir wohl ergehen!«
Als ihr Maruschka nochmals für ihre Güte danken wollte - war sie verschwunden.
Verwundert stand das Mädchen da, doch die Sehnsucht nach dem Vater ließ sie nicht lange verweilen, und sie eilte dem Schlosse zu. Sie war ärmlich gekleidet, und da sie den Kopf in ein Tuch gehüllt hatte, wurde sie von niemandem erkannt. Die Diener im Schlosse verweigerten ihr den Eintritt zum König, denn er läge krank und schwach im Bette. »Ach, laßt mich doch eintreten«, bat sie da, »ich bringe ein Geschenk, das dem König seine verlorene Kraft und Gesundheit wiedergeben wird!«
Als der König das hörte, befahl er, das Mädchen zu ihm zu bringen. »Gebt mir ein Stück Brot!« bat Maruschka, als sie vor dem Könige stand.
»Salz kann ich dir mit dem Brote aber nicht reichen lassen!« seufzte der König, »denn wir haben im Schloß kein Stäubchen davon.«
»Das Salz habe ich!« rief Maruschka und öffnete ihren Beutel, streute ein wenig aufs Brot und reichte es dem Könige.
»Salz! Hört, ihr Leute«, rief der König entzückt. »Wie soll ich dir nur für deine Gabe danken? Sage mir, was du dir wünschst!«
»Nichts wünsche ich mir sehnlicher, als daß du, mein geliebtes Väterchen, mich wiederum zu dir nimmst und mich ebenso liebst wie das Salz hier«, antwortete ihm Maruschka und enthüllte ihr liebliches Antlitz.
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Der König war überglücklich, als er seine jüngste Tochter wiedersah. Er bat sie um Verzeihung, doch Maruschka küßte und streichelte ihren Vater nur und hatte auch schon alles Unrecht, das ihr geschehen war, vergessen.
Schnell verbreitete sich nun im Schlosse und auch im ganzen Lande die Botschaft, daß die jüngste Tochter des Königs heimgekehrt sei und Salz mitgebracht habe. Jeder, der im Schlosse erschien und um Salz bat, bekam etwas davon aus dem Beutelchen, das nie leer wurde.
Der König wurde gesund, und voller Freude berief er eines Tages seine Edelleute vor sich und verkündete ihnen, daß er Maruschka zu seiner Nachfolgerin bestimmen wolle.
Maruschka wurde gerufen und unter großem Jubel des Volkes zur Königin ernannt. Da strich ein warmer Windhauch leise über ihre Wange, und es war ihr, als höre sie die Stimme der alten Frau im Walde.
Sie erkannte das Zeichen, das ihr der Mittagswind gab, und beschloß, ihm zu folgen. Rasch vertraute sie sich ihrem Vater an, nahm die kleine Weidenrute zur Hand und schritt in der Richtung des Windes aus. Sie wanderte über drei Berge und durch drei Täler und blieb dann stehen, wie es ihr die alte Frau geboten hatte. Mit ihrer Rute schlug sie auf den Boden, und, siehe da, die Erde öffnete sich, und Maruschka trat ein. Sie stand inmitten eines großen Saales, dessen Wände und Boden wie aus Eis gebaut zu sein schienen. Von allen Seiten liefen winzige Männlein herzu, die alle hellstrahlende Fackeln trugen.
»Sei uns willkommen, o Königin!« riefen sie. »Wir haben deine Ankunft seit langem erwartet! Unsere Gebieterin befahl uns, dich in dieses unterirdische Reich einzuführen, denn es gehört dir!«
So sprach und wisperte es von allen Seiten, die kleinen Wesen hüpften und tanzten ihre Fackeln schwingend um Maruschka herum. Sie kletterten an den Wänden hinauf und sprangen über die glitzernden Kristalle, die wie Edelsteine im Fackellicht blitzten.
Die kleinen Männlein führten Maruschka durch weite Gänge, von
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deren Decken silberschimmernde Eiszapfen hingen. Sie geleiteten sie in Gärten, in denen rote Eisrosen und andere wunderbare Blumen blühten. Dann brachen sie eine der schimmernden Blüten ab und reichten sie Maruschka -doch kein lieblicher Duft entströmte ihrem Kelche.
»Was soll denn all das bedeuten?«fragte das Mädchen verwundert.
»Noch niemals habe ich solche Pracht gesehen!«
»All das ist Salz!«riefen die Männchen im Chor. »Nimm davon, soviel du magst -der Vorrat ist unerschöpflich!«
Maruschka dankte den kleinen Wesen von ganzem Herzen und kehrte ans Tageslicht zurück. Der Eingang zum unterirdischen Reiche aber schloß sich nicht wieder.
Als sie nach Hause zurückkehrte und ihrem Vater von diesem wunderbaren Erlebnis erzählte, erkannte dieser, mit welch unschätzbarem Reichtum seine Tochter von der alten Frau im Birkenwalde überschüttet worden war.
Maruschka sehnte sich sehr nach der alten Frau und eilte mit einem großen Gefolge zum Birkenwäldchen, um sie zu finden und für immer ins Schloß zu bringen, wie sie es ihr beim Abschied versprochen hatte. Aber sosehr sie sich auch bemühte und den Wald kreuz und quer durchsuchte - es wollte ihr nicht gelingen, die Hütte wiederzufinden, und das Mütterchen blieb verschwunden.
Nun erst wurde es Maruschka klar, daß die alte Frau niemand anders als ihre gütige Fee gewesen war. Sie kehrte heim und lebte, von ihren Untertanen geliebt und geehrt, noch viele lange Jahre.
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