Heinrich-Bullinger-Briefwechseledition, Universität Zürich © Heinrich Bullinger-Stiftung Arpa Bibliothek Textbreite Schriftgröße

[599]

Georg Distel an
Bullinger
Entringen,
24. Juni 1535

Autograph: Zürich StA, E II 441, 117 (Siegelspur) Ungedruckt

Ist wohlauf, hat jedoch nach der Ankunft in Entringen seine (Tochter?] Salome verloren und stößt in seiner Gemeinde auf offenen und versteckten Widerstand einflußreicher Personen. Konrad [Hermann, gen.]Schlupfindheck wird Weiteres berichten.

Fryd, gnad und barhertzikait von gott, dem vatter, durch Jhesum cristum, unsern heiland etc., darzu, was ich eeren und guts vermag, lieber herr gfatter und gebieter.

Ich [da]nck a uch [altz z]ytt alles [g]uts etc. b , laß uch wyssen, das ich früsch und gsund bin mit sampt minem hußgesind. Das horte ich ouch von hertzen von uch, uwerm hußgsind ze sagen.

Als ich gen Entringen komen, ist mir das Salome 2 gestorben und mir wenig ingangen, das ich ettwan hunger kan hab und die pfrunden noch nicht uffericht 3 . Doch muß ich mich lyden von des worts wegen. Ja min volck gantz widerspennig, sonders der schultheß 4 im flecken und die rychter, ouch die richysten

a-b von [da]nck bis etc. am Rande nachgetragen, Rand im engen Einband nur teilweise zugänglich (Ergänzungen nach der Abschrift Johann Jakob Simlers, Zürich ZB, Ms S 38, 143).
1 Verschiedenes spricht dafür, daß Distel entgegen bisheriger Annahme (s. HBBW II, S. 186, Anm. 1) nicht aus der Schweiz, sondern aus Schwaben stammt: ein Eintrag in der Wiener Matrikel (s. ebd.), Distels eigene Herkunftsangabe (HBBW II, S. 188, 31: Eripolitanus für Erythropolitanus [Rottenburger]?) sowie sein neuer Wirkungsort Entringen (unweit vom katholisch gebliebenen Rottenburg). Der vorliegende Brief läßt außerdem sprachliche Eigenheiten erkennen, die an der Schweizer Herkunft des Schreibers zweifeln lassen. Nachzutragen bleibt, daß Distel am 21. November 1534 als Schulmeister von Zofingen zwei Malter Korn zugesprochen erhielt und bei dieser Gelegenheit im Berner Ratsmanual als alt Schulmeister von Bremgarten bezeichnet wird (Bern StA, A II 121, S. 171), was seine enge Beziehung zu Bullinger und dessen Familie erklärt.
Vermutlich hatte er 1531/32 der Rekatholisierung Bremgartens weichen müssen. In Entringen soll er kurz nach 1538 durch die fürstliche Kirchenvisitation seines Amtes enthoben worden sein (Pfarrbeschreibung für die Pfarrei Entringen Dekanats Herrenberg Generalats Tübingen, 1905, S. 7 [Pfarrarchiv Entringen, III 11]); 1540 wurde die Gemeinde mit einem lutherischen Pfarrer versehen (s. Gustav Bossert, Jodocus Neuheller, Neobolus, Luthers Tischgenosse, in: ARG XIV, 1917, S. 296).
2 Über Distels Tochter(?) Salome ist sonst nichts bekannt.
3 rechtskräftig (SI VI 220).
4 Schultheiß von Entringen war Jakob Grüninger [Grieninger], ein Gegner der Reformation; vgl. Carl Friedrich Haug, Mittheilungen aus seinem Leben und aus seinem Nachlasse, für die Verwandten und Freunde als Manuskript gedruckt, Stuttgart 1869, S. 84. Grüninger wird (über die von Haug genannten Daten hinaus) noch im September 1534 als Schultheiß genannt, s. Stuttgart HStA, B 201 U 266.


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sich möchtig partyen und den gmeynen, fromen volck werck, lehen und hyiff abschlahen, die selben, so dem evangelio anhenging, vor gericht mit der thau vervolget, und wir als unser part wol geursacht wäre, sy vor fürsten oder sinem regiment zu verclagen. Ja, mir uff kantzel hinden fron altar 5 geschißen, ouch galgen gemalet an die tafflen 6 hinder dem altar et reliqua etc. Darumb ich wol 20 artickel wider sy hette, wölches ich als lyd durch gottes wort der reformacion. Deshalb ich geursachet, in 7 ir schalck zu straffen und die grindhuben 8 abzeziehen nach minem ampt schuldig und pflichtig, dadurch ich zygen 9 , ich fall mit gwalt c darin, das die warhait nit ist, sonder meer vor den frummen gemant, baß 10 zu straffen. Das thur ir ich ouch etwa d , mit giety sy erman und zu in in ratt gang, das wol vier mal e geschehen, sy nach der geschrift ermant abzestan, dem nach uff der kantzel ernstlich und dapffer, als ainem, dem sin ampt angelegen und zu statt zu verwalten. Bitt üch und alle unsere brieder, das sy gott für mich und für das mir vom herren empfolhen ist, bitten wöllent um besserung. Man hert kom 11 von ainem flecken als von dem, das vor langen jaren im bapstumb irre pfaffen nie haben riebig gelaßen etc. Gott gnad unß allen. Von andren sagen 12 wirt uch Conradus Schlupff in die heck 13 , pfarrer zu Seeberg 14 , wol underrichten. Nit mer, dann gott sy mit uch, allem uwerm hußvolck.

Griessen wir alle brieder und gutt herren etc.

Datum zu Entringen etc. 35., uff Joannis Baptiste.

Jörg Distel, pfarrer zu Entringen etc.

Uß groß yll hab ich uch nit latin künden schryben, darumb zürnent nit. Es gatt andern predicanten vast allen wie mir etc.

[Adresse auf der Rückseite:] Fidelissimo et eruditissimo M. Heinrico Bullingero, ecclesiasti Tigurino, compatri ac preceptori suo charissimo etc. Zürich.

c in der Vorlage gwat.
d in der Vorlage ewa.
e in der Vorlage man.
5 Hochaltar (SI I 208).
6 auf das Bild (SI XII 507-512).
7 ihnen.
8 Gemeint ist wohl eine Art Pechhaube, mit welcher in einer schmerzhaften Prozedur die grindige Kruste vom Kopf gerissen wurde; vgl. Grimm IV/I 6 374.
9 beschuldigt.
10 besser.
11 kaum.
12 Reden, Gerüchten (SI VII 375-377).
13 Konrad Hermann; s. unten Nr. 621, Anm. 6. Die Identifikation des in einem Brief Berchtold Hallers an Bucer erwähnten "Schlupfindheggius" mit Schwenckfeld (so z. B. Pollet, Bucer II 420, Anm. 5) ist dementsprechend zu korrigieren.
14 Seeberg (Kt. Bern).