Heinrich-Bullinger-Briefwechseledition, Universität Zürich © Heinrich Bullinger-Stiftung Arpa Bibliothek Textbreite Schriftgröße

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Berchtold Haller an
Bullinger
[Bern],
6. Juni [1534]

Autograph: Zürich StA, E II 343, 39 (Siegelspur) Teildruck: Corr. des réformateurs III 186

Will die Reise des Ludwig von Diesbach nach Zürich benützen, um Bullinger dringend zu ermahnen, er solle sich dafür einsetzen, daß bei den bevorstehenden Wahlen an Stelle des angeblich ausscheidenden Bürgermeisters [Diethelm] Röist, [Hans Rudolf] Lavater oder ein anderer «frommer» Mann gewählt werde. Es gibt Gerüchte, wonach in Zürich manche den Sieg [Philipps von Hessen]in Württemberg bedauerten; wohl darum erhielt auch Bern von Zürich keine Mitteilung darüber. Vorsicht gegenüber von Diesbach ist ratsam. In Genf legte ein Priester [Louis Bernard]inmitten der Pfingstmesse sein Ornat ab und bekannte sich zum evangelischen Glauben. Haller wünscht die Zusendung des nächsten gedruckten Teils von Bullingers Kommentar zum 1. Korintherbrief.

S. Quandoquidem nobilis ille Ludoicus a Diesbach 2 , vir in fide nostra satis pius, uxorem vero habens piissimam, ein Mettelinen 3 . Tigurum petiturus erat, nolui, urbem vestram meis ineptiis vacuus inequitaret, potissimum ea de causa, quod iam instat vestri magistratus deligendi dies, qui nos a eo fortius urget, quod experimur quottidie, quantum referat pium 4 habere magistratum.

a nach nos gestrichen potissimum.
1 Die Jahreszahl ergibt sich aus der Erwähnung des Krieges in Württemberg (s. Anm. 8).
2 Ludwig von Diesbach, 1484-1539, war in den Mailänderkriegen Anführer von Reisläufern. 1519 wurde er wegen unerlaubten Reislaufs in Württemberg vom Berner Rat mit der Todesstrafe bedroht und verbannt, 1520 jedoch begnadigt, 1521 Mitglied des Großen Rates. Von 1522-1524 war er Landvogt zu Lugano (Lauis). Als Gegner der Reformation gab er 1526 sein Berner Bürgerrecht auf, erhielt es aber 1535 wieder, wurde auch in den Rat gewählt und mit Botschaften nach Genf und Savoyen betraut, wegen Schulden jedoch erneut abgesetzt. Seine schwer verschuldete Herrschaft Signau verkaufte er 1536 an Bern. Hallers Bemerkungen im vorliegenden Brief lassen vermuten, daß Bullinger den Berner vorher
nicht gekannt hat. - Lit.: EA III/2 846. 1163. 1169. 1174; EA IV/Ia 1542 und Reg.; EA IV/IC 569. 576. 581f. 758; Die Berner Chronik des Valerius Anshelm, hg. v. Historischen Verein des Kantons Bern, 6 Bde., Bern 1884-1901, Bd. III 419. IV 137. 175. 336. 447. 503. 519. V 143(?). 173. 325. VI 187. 218. 227 (im Register ist zwischen ihm und seinem gleichnamigen Vater, 1452-1527, nicht unterschieden; die andern Stellen betreffen seinen Vater); Ch. de Ghellinck Vaernewyck, La généalogie de la maison de Diesbach, Gand (Gent) 1921, S. 176. 233-241 und Reg.; HBLS II 712.
3 Euphrosine Mötteli vom Rappenstein, s. Ghellinck Vaernewyck, aaO, S. 239f.
4 Nämlich: reformationsfreundlich, evangelisch, vgl. Veronika Günther, «Fromm» in der Zürcher Reformation. Eine wortgeschichtliche Untersuchung, Aarau 1955, S. 213f.


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Obsecro igitur, ut tu, qui rerum vestrarum maxime conscius es, maxime cures, quatenus Pius urbi praeficiatur consul. Audimus Röstium iam ab officio amovendum 5 . Huic succedat, curabis, vel Lafaterus 6 vel alius quispiam, cui res Christi magis sit cordi quam Antroniorum 7 favor et blandiciae, qui item virum praestet non meticulosum, sed constantem. Rumor apud nos est nonnullis victoriam Wirtenbergicam 8 ex corde dolere, atque ita, ut pii obtinere non potuerint, quatenus vestri nostratibus nova nunciarent gaudia 9 . Utcunque hoc te admonitum volumus, qui tecum Christum amant et quos urbs nostra habet potissimos hac in re. Nihil rerum conferes cum tabelhone 10 hoc, quam quod benignius eum salutes, si tibi occurrent: Neophitus est 11 .

Ceterum Gebennis hac pentecoste 12 cum innumeri caenam peragerent dominicam, accessit palam sacrificulus quidam 13 et habitu chorali et almutio 14 indutus. Qui quamprimum ad mensam pervenit, omnia in terram proiecit veterem hominem exuens 15 coram ecclesia et se evangelio domini captivum 16 exhibens, ut in miraculum cunctis cesserit.

Nulla alioqui apud nos sunt nova. Tu scribe, et siquid ex Corinthiis 17 excusum est, fac, Cristophorus 18 mittat.

6. iunii hora 9. pomeridiana.

Tuum minimum numisma 19 .

[Adresse auf der Rückseite:] An Meister Heinrich Bullinger, predicanten ze Zürich, sinem geliepten herren und bruder.

5 Das Gerücht von der Absetzung Diethelm Röists war falsch, vgl. die nachfolgende Anm.
6 Hans Rudolf Lavater wurde erst 1544, im Todesjahr von Röist, zum Bürgermeister Zürichs gewählt, s. HBBW II 32, Anm. 30 und 284, Anm. 1.
7 Spottname für die V Orte, s. HBBW II 88, Anm. 3.
8 Gemeint ist der Sieg von Landgraf Philipp von Hessen bei Lauffen am Neckar am 12./13. Mai 1534 im Krieg zur Wiedereinsetzung Herzog Ulrichs von Württemberg, s. Wille 176-187 und oben S. 178, 5-14. 188f, 23-33.
9 Eine Mitteilung von Zürich an Bern über den Sieg bei Lauffen ist tatsächlich nicht erhalten.
10 Ludwig von Diesbach, s. Anm. 2.
11 Obwohl sich von Diesbach um diese Zeit, ein Jahr vor seiner Wiederaufnahme als Berner Bürger, offenbar zum reformierten Glauben bekannt hat, schien Haller eine gewisse Vorsicht gegenüber diesem «Neubekehrten» für ratsam zu halten.
12 Pfingstsonntag, 24. Mai 1534.
13 Louis Bernard, Priester in Genf, s. Corr. des réformateurs III 186; Naef, Genève II 361.
14 Eine Art Mütze; Bestandteil der Chorkleidung.
15 Kol 3, 9.
16 Vgl. Eph 4, 1.
17 Bullingers «Commentarius in priorem Pauli ad Corinthios epistolam» erschien im Juni 1534 in Zürich (HBBibl I 53).
18 Christoph Froschauer.
19 Wortspiel auf: Haller.