Heinrich-Bullinger-Briefwechseledition, Universität Zürich © Heinrich Bullinger-Stiftung Arpa Bibliothek Textbreite Schriftgröße

[357]

Berchtold Haller an
Bullinger
[Bern],
18. April 1534

Autograph: Zürich ZB, Ms F 62, 320 (Siegelspur) Ungedruckt

Sendet die von Bullinger ausgeliehenen Schriften dankend zurück. Berner Ratswahlen: [Wolfgang von] Wingarten wieder im Rat, Säckelmeister [Bernhard Tillmann] aber nicht; sechs neue jüngere Räte; Georg Schöni wurde Venner; [Sebastian] von Diesbach zog nach Freiburg, sein Bruder [Hans Rudolf], als Feind des reformierten Glaubens verdächtigt, wurde auch nicht gewählt. Die Synode wurde auf den 22. April festgesetzt. In Genf predigen [Guillaume]Farel und [Pierre] Viret. Freiburg verlangt darum von Genf die Auflösung des Bündnisses, Genf weigert sich; ein Schiedsgericht soll darüber in Lausanne entscheiden. Haller vermutet einen Plan der Katholiken: Die Genfer sollten wegen des Glaubens angegriffen werden, damit die V Orte und die Walliser den Bernern, die Genf beschützen mußten, umso leichter in den Rücken fallen könnten. Die vier reformierten «Banditen» von Solothurn, die sich auf bernischem Gebiet aufhalten, werden von den Eidgenossen zum Anlaß genommen, den Krieg anzufangen. [Simon]Sulzer lobt die Gastfreundschaft der Zürcher. Haller bittet um Nachrichten. Megander will seinen Kommentar zum Epheserbrief drucken lassen; die Zürcher sollen ihn begutachten.

S. Remitto ea, quae mihi credidisti 1 , charissime Heinrice, quibusque quaestionibus meis iam multis et insolentibus sic satisfecisti, ut amplius nihil obiicere possim.

In senatum rediit Wingarterus 2 , quaestor 3 vero minime, quod multorum odia in se multo iam tempore concitarit[!]. Additi sunt sex alii, viri, quod ad verba attinet, satis pii, sed iuvenes rerum inexperti, et nisi dominus illorum corda et consilia direxerit, vereor, ne aliquando Roboamiticos praestent consultores 4 . Georgius Schöni 5 vir et studiorum et ministrorum , patronus, non indoctus etiam, in laniorum pandaretum 6 praeter omnium spem est electus successitque Hagio. Sic igitur omnia satis faeliciter successerunt. Der schultheiß von Diesbach 7 hat by unß das burgrecht uffgäben, sich entsetzt und gen Friburg zogen; sitzt uff disen tag kein Diesbacher imm kleinen ratt, dess

1 Wahrscheinlich handelt es sich um die von Haller am 14. März 1534 verlangten Nachschriften von Biblianders Vorlesungen, bzw. um Bibelkommentare und andere Schriften Bullingers, s. oben S. 86, Anm. 1.
2 Wolfgang von Wingarten war im Frühjahr 1534 wegen Ehebruchs für kurze Zeit abgesetzt, s. HBBW II 89, Anm. 14.
3 Bernhard Tillmann, der als Säckelmeister im Dezember 1533 durch Franz Nägeli abgelöst wurde, s. HBBW III 276, 62f.
4 Gemeint ist die Unbesonnenheit und der kompromißlose Radikalismus der jungen Ratgeber Rehabeams, vgl. 1 Kön 12, 8-11.
5 Georg (Jörg) Schöni, dessen Geburtsjahr unbekannt ist, kam 1525 in den Großen und 1530 in den Kleinen Rat, wurde 1527 Gerichtsschreiber und zugleich Hofmeister in Königsfelden. Er war einer der
Protokollführer (Notarii) an der Berner Disputation 1528 und von daher Bullinger bekannt. Im April 1534 wurde er als Nachfolger Peter Im Haags (s. Z. 9f) zum Venner zu Metzgern gewählt. Öfters diente er als Gesandter ins Welschland. Von einer Ratsbotschaft nach Lyon und Paris im Mai-Juni 1534 kehrte er mit Fieber heim und erlag diesem im Juli 1535 bei einem Besuch in Königsfelden. - Lit.: EA IV/Ib. c. Reg.; Die Berner Chronik des Valerius Anshelm, hg. v. Historischen Verein des Kantons Bern, 5. Bd., Bern 1896, S. 142. 201. 230, 6. Bd., Bern 1901, S. 180, 185; Z IX 103. 324. 347; LL XVI 449; HBLS VI 235.
6 Venner der Metzgerzunft.
7 Sebastian von Diesbach, s. HBBW III 106. Anm. 12.


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sich kein Berner verdencken mag, hett doch der schultheiß noch ein bruder 8 by unß, ein vast 9 erberen 10 , verstendigen; aber diewil er verdacht als unser religion missgünstig, hett es imm gfält in der election. Unsere brüder uff dem land habend eins synodi begert; wirt jetz uff 22. aprilis. Acht wol, wärde nitt vil sunders darinn gehandlet; doch was zufalt, wil ich dich berichten 11

Ze Jenf prediget Farellus und jetz nach imm Viretus 12 , adolescens doctissimus. Habend die von Friburg das burgrecht von eim ratt grosß und klein, ja ouch von der gmeind erfordret 13 ; coguntur enim hoc facere, alioqui Antronii 14 faedera ab iis exacturi sunt. Die von Jenf hend inen das burgrecht nitt wellen hinuß geben, sunder recht botten 15 ; ist jetz der rechtstag ze Losanna 16 . Und das die practick: sobald das burgrecht inen hinusgäben, werdend si angfochten von dess globens wägen, in achtung Bern werd si understan 17 ze schirmen und inen zuzihen. Sobald das gschicht, werdent die Walliser den Bernern uff den versinen 18 nachzihen, Antronii vero aut Argoiam aut aliam ditionis partem angustiabunt.

Fier panditen von Soloturn 19 sind hinder uns zogen 20; die werdent all eidgnossen ab unserm ertrich manen 21 ; wo wir sy darüber joch 22 schon 23

8 Hans Rudolf von Diesbach (der Bruder des Sebastian), 1482-1546, war der Stammvater der spätern Diesbach von Liebisdorf. Er stand zuerst in französischen Diensten, wurde 1505 Meyer (Vertreter des Bischofs von Basel) in Biel und kam 1515 erstmals in den Großen Rat Berns. 1525-1531 war er Landvogt zu Grandson. 1533 kaufte er Urtenen und Mattstetten. Von 1533 an gehörte er wieder dem Großen und von 1538 an dem Kleinen Rat Berns an. Öfters diente er als Gesandter nach Frankreich, Aosta und ins Welschland. So erreichte er 1534 mit Georg Schöni die Befreiung von zwei ihres Glaubens halber in Lyon inhaftierten Genfern. Er äufnete den Ursula-Zurkinden-Fonds zugunsten Armer. - Lit.: EA IV/I b. c. d. Reg.; Die Berner Chronik des Valerius Anshelm, hg. v. Historischen Verein des Kantons Bern, Bde. 4-6, Bern 1893-1901, Reg.; Ch. de Ghellinck Vaernewyck, La généalogie de la maison de Diesbach, Gand (Gent) 1921, S. 257-260 und Reg.; HBLS II 712.
9 sehr (SI I 1112).
10 ehrbaren, ehrwürdigen.
11 Dies tat Haller am 3. Mai, s. unten S. 156f, 42-85.
12 Zu den Anfängen der Reformation in Genf s. oben S. 87-90; vgl. auch Naef, Genève II 469-509.
13 Eine freiburgische Gesandtschaft verlangte in Genf zwischen 27. und 30. März 1534 die Auflösung des Bündnisses wegen der Begünstigung der Reformation durch den Genfer Rat und forderte die
Rückgabe des Burgrechtsbriefes, s. EA IV/IC 297-299.
14 Spottname für die V Orte, s. ausführlicher HBBW II 88, Anm. 3.
15 das Schiedsgericht angerufen. - Der Rechtstag wurde zunächst auf den 12. April 1534 in Lausanne festgesetzt, s. EA IV/IC 299.
16 Der Rechtstag fand am 13. und 14. April in Lausanne statt und wurde am 28. April fortgesetzt. Trotz der Proteste der Genfer und der Berner Abgeordneten erging das Urteil, daß das Bündnis zwischen Freiburg und Genf «aufgehoben und abgetan» und der Burgrechtsbrief von Genf an Freiburg auszuhändigen sei, s. EA IV/IC 303-306 und 316f.
17 in der Erwartung (SI I 79-81), daß Bern sie zu beschützen (SI VIII 1297f) versuchen werde (SI XI 619).
18 auf den Fersen (SI I 1022f).
19 Gemeint sind vier der infolge des Aufstandes der Reformierten vom 30. Oktober 1533 aus Solothurn Vertriebenen: Hans und Rudolf Roggenbach, Heinrich von Arx und Hans Hubler, die schließlich zur Selbstjustiz griffen und die Solothurner Landschaft beunruhigten, s. Haefliger 199; vgl. HBBW III 226, Z. 55-57 und Anm. 42.
20 haben Zuflucht bei uns gesucht (s. SI II 1414).
21 alle [katholischen?] Eidgenossen werden diese ermahnen, unser Gebiet zu verlassen (s. SI IV 293).
22 auch (SI III 6).
23 wie es sich gehört (SI VIII 846).


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zum rechten enthalten 24 wend, wird der krieg sin anfang han. Das ist jetz die sag by unß. Sust hab ich nüt nüws.

Sultzer kan nitt gnug verrümen üwer eerren, liebs und guts, imm bewysen 25 ; er wirt bald selbs schriben 26 . Lieber, lass unß wissen, was nüws von Franckfurt kummen 27 . Leo hett mir gschriben 28 . Weiß wol, du bist schuldig daran. Wil imm bald wider schriben 29 . Tabellio ille servus 30 bibliopolae nostri 31 est, cui tuto credere potes, si quae secretiora sunt. Megander inprimi vult sua in Ephesios 32 . Quaedam vidi, sed paucissima. Rellicani stilus est, is suo labore omnia in ordinem redegit 33 Indicabitis vos, quam prelis omnia sint digna 34 .

Vale.

18. aprilis anno 34.

Tuus Berch. H.

[Adresse auf der Rückseite:] Heinrico Bullingero, ecclesiaste Tigurino, fratri suo germano omniumque charissimo.