Heinrich-Bullinger-Briefwechseledition, Universität Zürich © Heinrich Bullinger-Stiftung Arpa Bibliothek Textbreite Schriftgröße

[340]

Berchtold Haller an
Bullinger
[Bern],
21. März 1534

Autograph: Zürich StA, E II 343, 26 (Siegelspur) Ungedruckt

Wird das ihm durch Balthasar und David überbrachte Material gut durchsehen. Mußte auf Drängen der verfolgten Solothurner Reformierten über Frieden und Krieg predigen. Hat über das rechte Verhalten der Obrigkeit gesprochen. Es stellte sich auch die Frage, ob es nicht richtig wäre, den unterdrückten Glaubensbrüdern mit Waffengewalt beizustehen. Aus Paris hört man Schlimmes. Seit der Annäherung des Papstes an Frankreich [durch die Heirat Katharinas mit Heinrich]sind [Noël]Béda und andere «Sorbonnisten» nach Paris zurückgekehrt. Die Bücher von Erasmus und Melanchthon sind verboten worden, und Verfolgungen haben eingesetzt. Unterdessen ist der Landgraf [Philipp] von Hessen in Lothringen [in Bar-le-Duc]mit dem französischen König [Franz I.]zusammengetroffen. Einige sprechen von einem großen Truppen- und Geldangebot des Königs. Andere reden von einer Heirat zwischen dem jungen Herzog [Christoph] von Württemberg und der Tochter des Herzogs von Lothringen, [Anna]. Der Schultheiß [Hans Jakob von Wattenwyl]glaubt an eine französische Betrügerei auf Kosten des Landgrafen. Auf Ostern werden in Bern wohl acht neue Räte gewählt werden müssen. Befürchtet, daß [Wolfgang von]Wingarten wegen Ehebruchs abgesetzt werden muß. Hofft auf gute Wahlen. Simon Sulzer wird bei Bullinger gewesen sein und ihm berichtet haben. Segenswünsche. Wegen Lenzburg wird er zeitig von sich hören lassen. Basel hat ein Glaubensbekenntnis angenommen. Fragt Bullinger, ob Bern dem Beispiel folgen solle.

6 Der katholischen Orte.
7 Vgl. Ez 17, 7-10; Sir 10, 15; Mt 3, 10. 15, 13.
8 Vgl. Ps 25, 22; 1 Makk 4, 11.
9 Bullingers «Commentarius in Petri epistolam ultramque» erschien im März 1534 (HBBibl I 52).
10 Vadians Schrift «Epitome trium terrae partium» erschien im September 1534, s. oben S. 39, Anm. 37 und unten Nr. 419.
11 Gewiß Rudolf Stoll, s. oben S. 87, Anm. 9.


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Gratiam et pacem a domino.

Ich hab, allerliepster herr und bruder, von Baltazar 2 und David 2 enpfangen ein gantzen huffen a 3 , das mich hoh erfreuwt, und imm hertzen, dann ich immerdar gspür ein getrüwen warhafften bruder an dir, dem min unwissen und b anligen och dermassen ze hertzen gatt, das ich nitt meer zumuten könde. Ich wil mitt guter muß 4 alle ding besichtigen 5 .

Der fünf positionen halb, die aller dingen ein summarium sind, bin ich wol zefriden 6 ; dann wie ich dir darum geschriben, hett sich in mittler zit zutragen uss dem stupfen 7 und anwysen 8 der lidenden Salodurneren, daß ich von frid und krieg hab söllen und mussen predigen 9 Hab ich den handel 10 nitt uss sömlichem wol gegründtem 11 grund an die hand genommen von 12 testament und kilchen, sonder vom magistrat, in der alten kilchen ingesetzt, von Christo und den apostlen bestätiget, und der gsetzt in ducem pacis et belli und äben 13 das beschlossen 14 , das och du; gilt desßhalb din geist minem kleinfügen 15 gwaltige zügnus 16 . Und manglen äben 17 noch einß, diewil Solodurner unser brüder dess globens halb sind und von irem magistrat von dem evangelio getrengt und in vil wäg genötiget werdent 18 ob unserm magistrat gezimme, sin läben darzestrecken 19 wider die atheos 20 Salodurenses 21 , zu hilff der undertruckten. Faedera equidem hoc non possunt 22 nec civitas illa. Sed quid iuxta dei verbum liceat, uno verbo significabis.

Lieber, verzih mir minen überlangen schriben. Ich kan nitt anders. Ich wen 23 , wie all puren thund, min nott sölle jederman anligen 24 , wie mir selbs.

a nach huffen gestrichenes empfangen.
b und übergeschrieben.
c im Text pacem.
1 Unbekannt.
2 Unbekannt.
3 Worum es sich im einzelnen handelte, war nicht zu ermitteln.
4 Muße.
5 besehen, bedenken (s. SI VII 270).
6 Vielleicht handelte es sich um Gedanken zur Obrigkeit, wie sie von Bullinger unter dem Titel «Quod in ecclesia christi magistratus sit, qui iure illam adversus haereticorum seditiones et tyrannorum incursiones defendat. 1534» in sechs Punkten niedergelegt worden sind (s. Zürich ZB, Ms S 34, 190).
7 Mahnen, Anspornen, Betreiben (SI XI 1182f).
8 Drängen (s. Grimm XIV/I 1, 1085).
9 Haller hatte sich schon in mehreren Briefen zur Problematik Christentum und Waffengewalt/Krieg geäußert und dazu Bullingers Meinung erbeten. Siehe HBBW III 86, 85-87 (17. März 1533). 241, 24-242, 57 (3. Dezember 1533). 274,3-275,18 (30. Dezember 1533).
10 Angelegenheit, Sache (SI II 1397).
11 begründetem (SI II 778).
12 ausgehend von (s. SI I 841).
13 genau, gerade (SI I 44).
14 Schluß gezogen (s. SI IX 714).
15 geringen, unbedeutenden (s. SI I 701).
16 Vgl. Röm 8,16.
17 nur (SI I 45).
18 Um die Jahreswende 1533/1534 leitete die Solothurner Obrigkeit eine entschiedene Rekatholisierungspolitik ein, siedelte die reformierten Familien aus und setzte die verbliebenen Prädikanten auf der Landschaft ab. Siehe Amiet/Sigrist II 45.
19 einzusetzen, hinzugeben (SI XI 2176).
20 die Gottlosen.
21 Um die Jahreswende 1533/1534 wurde tatsächlich der Ausbruch eines bernisch-solothurnischen Krieges befürchtet (s. Amiet/Sigrist II 47).
22 Vgl. die Bestimmungen zum Gewaltverzicht bei Streitigkeiten unter Bundesgliedern im Bundesvertrag der VIII Orte (unter ihnen Bern) mit Freiburg und Solothurn von 1482; EA III/I 700.
23 erwarte (Grimm XIII 650).
24 angelegen sein (SI III 1210).


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Von Pariß hab ich vernummen, daß es träffelich 25 übel statt. Sid desß bapsts früntschafft 26 sind die vertribnen Sorbonisten als Beda 27 und ander 28 ze Pariß wider ingelassen. Erasmi und Melanchtonis d alle bücher, och grammatica, verbotten 29 . Ein gruselich persecution angfangen 30 . In mittler zit ist Cattorum princeps selbs apud regem Galliarum in Lothoringia gsin 31 . Was da ghandlet, weist man nitt. Etlich sagend, er hab Cattum zu eim hoptman über 10000 fusknecht und 2000 reisiger 32 gesetzt und gäbe imm 40000 kronen järlichen 33 . Etlich sagend, er habe ein bruttloff 34 gemacht mitt dem jungen hertzogen von Wirtemberg 35 und desß Lutringers tochter 36 . In summa: Huius persuasus est consul 37 imposturae Gallicae doctissimus, Cattum seduci et decipi. Proinde cavendum illi, ne Gallo quippiam fidat. So vil hör ich von den dingen sagen.

Es gat uns übel mitt unserm magistrat. Ich glob, man werd uff ostren 8 senatores nüw müssen setzen 38 . Timeo pandaretum Wingarterum ob scortationem amovendum. Orate omnes, ut dominus spiritu suo electorum corda dirigat.

d nach Melanchtonis gestrichenes och.
25 sehr, überaus (SI XIV 395f).
26 Verwandtschaft, Freundschaft (SI I 1307f). - Die Vermählung Katharinas, der Nichte Clemens' VII., mit Heinrich, dem Sohn des französischen Königs, am 28. Oktober 1533 stand im Zusammenhang mit einer Annäherung des Papstes an Frankreich. Siehe Müller 251.
27 Der im Mai 1533 durch königlichen Beschluß von der Sorbonne und von Paris weggewiesene Noël Béda konnte im Januar 1534 zurückkehren (s. Bourrilly/Weiss 204f. 225f und Farge, Paris Doctors, 33).
28 François Le Picart und wahrscheinlich auch Nicolas Le Clerc (zu diesen beiden s. Farge, Paris Doctors, 262-266 und 248-252). Sie mußten sich zusammen mit Roussel im Frühjahr 1534 für das Werk «Oraison faite au roi de France par les trois docteurs de Paris bannis et relégués requérans d'estre rappelés de leur exil» verantworten und wurden wegen Majestätsbeleidigung eingesperrt (s. unten S. 120, Anm. 30).
29 Ein solches Verbot läßt sich für diese Zeit nicht belegen.
30 Im November 1533 hatten die Verfolgungen begonnen (s. BourrillyWeiss 224f).
31 König Franz I. und Landgraf Philipp von Hessen waren am 28. Januar 1534 in Bar-le-Duc zusammengetroffen (s. Keller 42f).
32 Berittene Kriegsknechte (SI VI 1326f).
33 Der Vertrag von Bar-le-Duc enthielt nur finanzielle, keine militärischen Abmachungen. Der französische König verpflichtete
sich, für Landgraf Philipps Württemberg-Feldzug einen Drittel der Kriegskosten (75000 Kronen) zu übernehmen. Die Grafschaft Mömpelgard wurde an Franz I. verpfändet. Herzog Ulrich von Württemberg erhielt ein Geschenk von 75000 Kronen. Siehe Wille 147 und Keller 43.
34 Verlöbnis, Hochzeit (SI III 1117f).
35 Christoph von Württemberg.
36 Die 1522 geborene Anna von Lothringen, Tochter von Anton, dem Herzog von Lothringen.
37 Wahrscheinlich Schultheiß Hans Jakob von Wattenwyl, der im Dezember 1533 die Berner Gesandtschaft an den französischen Hof angeführt hatte (vgl. HBBW III 271).
38 Zwei der Räte, die ersetzt werden mußten, waren Venner Niklaus von Graffenried und Altschultheiß Sebastian von Diesbach, die durch ihre Verwicklung in die Bestechungsaffäre um die Jahreswende 1533/1534 ihre Ämter verloren hatten (s. oben S.54f, 21-30 und Anm. 10, S. 71, 27-37 und Tillier III 314-316) Am 25. Januar war auch Bernhard Tillmann aus dem Rat ausgeschieden (s. oben S. 54, 4-20), nachdem er bereits im Dezember 1533 vom Amt des Säckelmeisters entfernt worden war (s. HBBW III 276, 62f). Zum Fall des Wolfgang von Wingarten s. die folgende Anm.
39 Bannerhauptmann Wolfgang von Wingarten wurde tatsächlich wegen Ehebruchs für kürzere Zeit abgesetzt (s. HBBW II 89, Anm. 14).


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Ich acht 40 , Simon Sultzerus sye nun by dir gwäsen 41 , hab dir och anzeigt, so vil er gewist. Alle ding wil ich dir eigentlich 42 und gar bald schicken 43 . Salvi sitis, omnes concionatores et lectores.

Lentzburg halb wil ich noche sinen 44 und dich zittlich gnug lassen wissen

Es habend die Baßler ein confession dess globens den iren angemutet 46 . Meinend ettlich, wir söllends by uns och thun. Möcht dich wol darumm hören. Sobald ich bottschafft han, wil ich aber schriben.

Vale. In grosser iI.

21. martii anno 34.

Tuus B. H.

[Adresse auf der Rückseite:] Heinrico Bullingero, ecclesiastae Tigurino doctissimo, fratri charissimo suo.