Heinrich-Bullinger-Briefwechseledition, Universität Zürich © Heinrich Bullinger-Stiftung Arpa Bibliothek Textbreite Schriftgröße

[335]

Ambrosius Blarer an
Bullinger
Konstanz,
11. März 1534

Autograph a : Zürich ZB, Ms F 62, 31r.-32r. (Siegelspur) Zusammenfassende Übersetzung und Teildruck: Blarer BW I 477f; Teildruck: CSch V 12

Bestätigt, daß der Betrug des französischen Königs Deutschland beunruhige. Schwenckfeld, der in Memmingen fast wie eine Gottheit empfangen wurde, reinigt sich bei Gervasius [Schuler]und Simprecht [Schenck] von Vorwürfen, zürnt Blarer wegen dessen Warnungen vor ihm und täuscht viele Leute. Bittet, Schuler zur Wachsamkeit zu mahnen und herauszubringen, was Leo [Jud]Schwenckfeld geschrieben hat. Schwenckfeld macht mit einem angeblichen Brief an Blarer viele Leute glauben, er habe ihm den Mund gestopft. Mit [Schuler]und andern hat Schwenckfeld über die Trinität, die Fleischwerdung und den verherrlichten Leib Christi diskutiert. Er lehrt Christi Gottheit nach der Auffahrt, die Wort-Werdung des Fleisches, Christi Leiden nach beiden Naturen und die Taufe als Zeichen des christlichen Bekenntnisses. Er behauptet, seine Lehren empfange er aus der Schrift und der direkten Offenbarung. Sobald er [Schulers]Brief beantwortet hat, schickt er ihn. Grüße.

2 geringen (SI I 702).
3 gemeint ist: in bezug auf den reformierten Glauben.
4 voll Vertrauen, Zuversicht.
5 standhalten, beharren (SI XI 703f).
6 gemeint: und noch immer erleiden. -
Bullinger denkt an die Niederlage von Kappel 1531 und die Demütigung Zürichs im Mandatstreit 1533.
7 beständig, fest (SI X 1426-1436).
a Mit Randbemerkungen von J. H. Hottinger.


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Gratia Christi tecum.

Sic est, ut scribis 1 , ornatissime Bullingere: Multum toti Germaniae nostri incommodabit astutissimi et perfidissimi Galli impostura 2 , de qua alias 3 .

Nihil enim possum praeter hoc unum, quod C[aspar] Schwenckfeldus Memingae 4 fuit magnifice a consulibus 5 ac caeteris exceptus, quibus ita se personata sua sanctimonia venditavit, ut numen quoddam coelitus ad se delapsum crediderint. Purgavit se multis apud Gervasium 6 nostrum et Simpertum 7 de calumniis, quas sibi a me impactas adfirmavit 8 vehementer mihi iratus, quod ecclesias aliquot admonueram, ne sanctulo illi in speciem et facundissimo homini nimium haberent fidei, ita ut illinc multi ad me scripserint 9 anxie dehortantes, ne porro in hunc modum pergam. S[chwenckfeldum] virum esse bonum ac vere sanctum, cuius omnis vita et doctrina Christum resipiat, dignum, quem christiani omnes observent et adorent. Ita dementavit simplices

1 Nicht erhalten.
2 König Franz' I. Absprachen mit Papst Clemens in Marseille (s. oben S. 38f, 89-92) und mit Landgraf Philipp von Hessen zu Bar-le-Duc im Januar 1534 zur Unterstützung eines Krieges um Württemberg sowie die Vertuschungsversuche beunruhigten Deutschland, vgl. Wille 146-171; Blarer BW I 470.
3 Blarer kommt aber nicht mehr darauf zurück.
4 Kaspar Schwenckfeld begab sich am 3. März von Mindelheim nach Memmingen, wo er nur wenige Tage blieb, s. CSch V 3. 10. 12; Blarer BW I 475. 479.
5 Memmingens Bürgermeister waren Hans Keller (in den geraden Jahren 1520-1542) und Eberhard Zangmaister (in den ungeraden Jahren 1527-1535)(und nicht Hans Ehinger, wie CSch V 12 angibt), s. Peter Eitel, Die oberschwäbischen Reichsstädte im Zeitalter der Zunftherrschaft. Untersuchungen zu ihrer politischen und sozialen Struktur unter besonderer Berücksichtigung der Städte Lindau, Memmingen, Ravensburg und Überlingen, Stuttgart 1970. - Schriften zur südwestdeutschen Landeskunde, Bd. 8, S. 201. 236.
6 Gervasius Schuler.
7 Simprecht Schenck, um 1485-1559, aus Wertingen (bayr. Schwaben), Weltpriester (?), dann Dominikaner (?), trat in das Kartäuserkloster Buxheim (bei Memmingen) ein, wurde spätestens 1523 reformierter Pfarrer zu Meilen, Anfang 1525 Gastprediger in Memmingen, wo er festgehalten wurde trotz den Bitten Zürichs, ihn den Meilenern wieder zu geben. Kurz nach seiner Verheiratung mußte er auf Druck des Schwäbischen Bundes im Juli 1525 weichen, hielt sich in Zürich auf und konnte nach dem Speyrer Reichstag
1526 wieder nach Memmingen berufen werden, dessen Reformator er nach Christoph Schappeler wurde. Als Vertreter Memmingens an der Berner Disputation 1528 dürfte er Bullinger kennengelernt haben. Der redegewaltige, ursprünglich milde Mann wurde zu einem streitbaren, standhaften Zwinglianer. Mit Schuler verstand er sich gut. Im Auftrag Blarers reformierte er 1534 Altingen und Remmingsheim in Württemberg. Um ihn wegen eines Fehltrittes still aus Memmingen wegzubringen, erwirkten Blarer, Bucer und Capito 1535 einen Studienurlaub in Straßburg. 1536 wurde Schenck Pfarrer in Kempten, 1539 in Herrenberg (bis zum Interim), 1549 Katechist und 1551 Superintendent in Dornstetten im Schwarzwald. - Lit.: AZürcherRef 550. 641; Blarer BW I. II Reg.; Vadian BW III-V Reg.; Z X 59 und Reg.; Emil Schenck, Simprecht Schenck. Das Lebensbild eines schwäbischen Reformators, Darmstadt 1938. -Beiträge zur Geschichte der Familie Schenk, hg. von Rudolf Schäfer, Heft 5; Pfarrerbuch 498f (ungenau); Wolfgang Schlenck, Die Reichsstadt Memmingen und die Reformation, Memmingen 1969. - Memminger Geschichtsblätter 1968, S. 44, Anm. 131 und Reg.
8 Schwenckfeld klagte wiederholt über Blarers und Bucers Warnungen vor ihm, vgl. Blarer BW I Reg.; Blarer-Gedenkschrift 178 und Reg.
9 Diesbezügliche Schreiben aus Memmingen an Blarer sind nicht erhalten. Belege für solche, auch nicht mehr erhaltene Briefe von Hans Friedrich Thumb und Wilhelm von Zell und aus Esslingen ergeben sich aus Blarer BW I 428. 436. 441. 445. 451. 471; HBBW III 239, 40-44.


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istos et bonos homines, ut multis iam laboribus et scriptionibus revellendus mihi sit ex illorum animis. Quod utinam tam feliciter succedat, quam fortiter ego adnitar personam hypocritae detrahere. Tu dominum constanter et ardenter praecare, ut ecclesiam suam ab ista peste plane exitiabili quam primum liberet. Gervasium extimula, hic diligenter advigilet, ne parum prudenti gravis iste lupus turbas det ovibus Christi, id quod et ego pro virili facere nunquam cessavero.

|| 31v. Accepit Schwenckfeldus literas a Leone 10 . Tu diligenter expiscare a Leone b , ecquid [!] ad hunc scripserit. Nam eas Memmingae nemini voluit legere. Ubi autem resciveris ex Leone, fac me de hoc certiorem.

lactat Schwenckfeldus passim apud omnes ecclesias se dedisse ad me nescio quas literas, cum ne greek 11 quidem unquam ad me scripserit. Interim exemplar earum literarum omnibus praelegit 12 , ut credant ipsum os mihi obturasse.

Contulit 13 cum Gervasio et aliis verbi minstris de trinitate, de personarum in divinis secretione, de incarnatione, de conditione corporis glorificati Christi, inter quae ista quoque: «1. Der her Jesus Christus hat alles creaturlich wesen durch das crütz und lyden hingelegt, allso das er yetzund nach menschlicher natur nach siner uffart auffhört ain creatur genempt zu werden. 2. Christus ist nach der uffart eben das worden, das gott was. 3. Nitt allain ist das wort flaisch worden, sonder och das flaisch das worden, das das wort was, on vermischung der naturen. 4. Der gantz Christus nach baiden naturen hat gelitten im flaisch» etc. Baptismum non initiationis, sed professionis christianae symbolum esse affirmat. || 32r. Reclamantibus in nonnullis dixit: «Wolan, lieben brüder, ir werdts noch vyllicht alls lernen. Ich hab solich ding nitt allain uss der schrifft, sonder durch die offenbarung des herren» etc. Sed eripit epistolam tabellio 14 . Nunc respondendum mihi est ad Gervasii epistolam 15 . Alioqui hanc ipsam tibi misissem. Sed proxime misero 16 .

Tu bene vale et me ama, ut facis. Saluto omnes sanctos.

Constantiae, 11. martii anno 1534.

Tuus Ambrosius Blaurerus.

[Adresse auf der Rückseite:] Clarissimo viro d. Heilreycho Bullingero, venerando fratri in Christo.

b a Leone am Rande nachgetragen.
10 Leo Jud schrieb seinen letzten, nicht mehr erhaltenen Brief - eine Absage - an Schwenckfeld am 25. Dezember 1533, s. oben S. 35, Anm. 12.
11 auch nicht das Geringste, keinen Federstrich.
12 Schwenckfeld hatte tatsächlich an Blarer geschrieben, doch erhielt dieser den heute verlorenen Brief erst später und ließ ihn
unbeantwortet, s. A. Blarer an Bucer, 7. «März» [richtig: April] 1534, Blarer BW I 483-485; CSch V II.
13 Dieses Gespräch ist einzig durch Blarers Brief an Bullinger überliefert, abgedruckt von hier an in CSch V 12.
14 Unbekannt.
15 Schulers Brief und Blarers Antwort sind nicht erhalten.
16 Ob Blarer Schulers Brief nach Zürich sandte, ließ sich nicht mehr feststellen.