Heinrich-Bullinger-Briefwechseledition, Universität Zürich © Heinrich Bullinger-Stiftung Arpa Bibliothek Textbreite Schriftgröße

[313]

Bullinger an
Joachim Vadian
[Zürich],
3. Januar 1534

Autograph: Zürich StA, E II 342, 23r.-24v. (Siegelspur) Gedruckt: Füssli I 111-117; Vadian BW V 143-146; Teilübersetzung: Rudolf, Aussöhnungsversuch 516; Teilregest: QGT VIII 255

Besuchte Konstanz, um über die Einheit der Kirche gegen die Schismatiker Rat zu halten. Wie groß die Gefahr ist, zeigen Bucers Nachrichten [Nr. 290]über die von einem Schüler [Melchior]Hoffmans erregten Unruhen in Münster. In Schwenckfelds Wirken und Lehre sieht er die Ursache für die täuferischen Wirren sowie für die Verunsicherung Leo Juds. Der Umgang mit Schwenckfeld schadet [Jakob] Ziegler, Johannes Sapidus und Sebastian Franck. Dominik [Zili]könnte gefährdet sein. Zürich unterstützt die Bemühungen [Jakob Meyers], Zürich, Bern und Basel zu einigen. Teilt aus Briefen Berchtold [Hallers][Nr. 307. 309]mit, wie die Rekatholisierung Solothurns voranschreitet und daß Berner Gesandte dort und Solothurner Gesandte in Bern deswegen vorsprachen, sowie daß [Hans] Franz Nägeli anstelle [Bernhard] Tillmanns Säckelmeister wurde. Die Vereinbarung zwischen dem französischen König und dem Papst werde zu einem Krieg um Württemberg führen und so die Eroberung Mailands durch Frankreich ermöglichen. Der König fürchtet nur, daß die Eidgenossen Truppen gegen ihn stellen, was die Pensionenherren unter Ausnutzung der Wirtschaftsmisere gegen Zürichs Rat versuchen werden. Wenn schon, dann will offenbar Gott durch sie den Papst und den König vernichten. Über die bernische Gesandtschaft zum französischen König hat Berchtold [Haller]wenig berichten wollen. Bittet um Nachrichten aus Augsburg und ermuntert Vadian, an seinem Werk [Epitome]weiterzuarbeiten.

Gratiam et vitae innocentiam a domino.

Scripsi non multis ante diebus 1 Constantiam nos adiisse 2 consultandi de unitate ecclesiae contra schismaticos gratia. Periculum enim esse, ne brevi incendium a per Germaniae ecclesias maximum a schismaticis quibusdam suscitetur, qui Donatistarum et Novati [!] revocantes haeresim 3 ecclesiae alias afflictae satis multum sint incommodaturi. Nec fefellit opinio. Nam superiore prioris anni mense scribit Bucerus 4 Monasterium Westphaliae, quod pulchre evangelicum receperat dogma, misere nunc tumultari [!]. Omnia

a incendium am Rande nachgetragen.
1 Ein vor wenigen Tagen verfaßtes Schreiben Bullingers an Vadian ist nicht erhalten; der letzte vorangehende Brief ist vom 21. September 1533 (HBBW III, Nr. 263).
2 Bullinger weilte mit Konrad Pellikan, Heinrich Utinger und Werner Steiner zwischen dem 5. und 11. Oktober 1533 in Konstanz, wo er sich mit Ambrosius Blarer und andern Konstanzer Geistlichen beriet, s. HBBW III 220, Anm. 15.18 und 238, Anm. 7.
3 Die Lehre eines «radikalen Geist- und Märtyrerchristentums» durch Donatus, seit 312(?) Bischof von Karthago (s. Heinrich Karpp, in: RGG II 239-241; HBBW III 255, Anm. 7-8), und die auf den führenden Theologen und Presbyter in Rom, Novatian (nach 251), zurückgehende Ablehnung einer Wiederaufnahme in Verfolgungen
abgefallener Christen (s. Paul Löffler, in: RGG IV 1539f) führten zu eigenen, in Nordafrika bzw. im Osten einflußreichen, auf Distanz zum Staat bedachten, ab 411/412 verfolgten Kirchen. Bullinger zieht eine Parallele zur Verbreitung schwenckfeldischer und täuferischer Lehren in Süddeutschland, welche die von Ambrosius Blarer aufgebauten Gemeinden gefährdeten, vgl. Ernst-Wilhelm Kohls, Blarer und Bucer, in: Blarer-Gedenkschrift 177; HBBW III 219, Anm. 7.
4 Die folgenden Angaben entnimmt Bullinger den Briefen Bucers vom 30. November [1533] an ihn (HBBW III, Nr. 290, S. 236, 11f) und an Leo Jud (Konzept: Straßburg, Archives du Chapitre de St.-Thomas, 151 (Ep.Buc. 1), Nr. 178, S. 638-644; Teildruck: QGT VIII 215, bes. Z. 20-25; vgl. auch Bucer DS V 111f).


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enim urbis templa esse claussa excepto uno, in quo VI populi fretus declamet insignis quidam Hoffmannicae sectae 5 discipulus 6 adversus sancti senatus et omnium piorum consensum, esseque huius turbae authorem 7 Svenckfeldium 8 , qui primus hoc virus, sed clanculo, quibusdam propinavit, qui nunc omnia b simulans et dissimulans Augustae agat. Vereor autem, ne et ibi aliquid monstri alat. Certe Blaurerus admodum conquaeritur 9 . Dogmata hominis forsan nosti, evangelium hactenus non esse praedicatum vere, hactenus nullam esse collectam ecclesiam, ecclesiam nostram nihil aliud esse quam tyrannidem, ut quae armis et aedictis senatorum nitatur, in ecclesia nullum esse gladium, populum enim ecclesiasticum esse spontaneum, sectas non esse extinguendas. Catabaptizmum et catabaptistas non omnino improbat. Hoffmanni dogma de carne Christi coelitus delata primus invenit, etsi iam dissimulet
b vor omnia gestrichen ipse interim.
5 Die nach Melchior Hoffman «Melchioriten» benannte Partei der Täufer.
6 Gemeint ist Bernhard Rothmann, s. Robert Stupperich, in: RGG V 1200; Die Schriften Bernhard Rothmanns, bearb. v. Robert Stupperich, Münster in Westfalen 1970. - Veröffentlichungen der Historischen Kommission Westfalens XXXII, s. bes. Einleitung S. XIX. 46f, Anm. 2; Deppermann 296-302 (Kapitel: «Hoffmans Bedeutung für die Theologie Bernhard Rothmanns»).
7 Vgl. Bucer an Ambrosius Blarer, 16.November 1533 (Blarer BW I 442f) und oben Anm. 4.
8 Kaspar (von) Schwenckfeld von Ossig, 1489-1561, Vertrauter und vor seiner Schwerhörigkeit 1523 auch Berater des Herzogs Friedrich II. von Liegnitz, wirkte durch Schriften und als Laienprediger für die Reformation Schlesiens. Sein spiritualistisches Abendmahlsverständnis trennte ihn von Luther, der in ihm neben Karlstadt und Zwingli «den dritten Kopf der verderblichen sakramentiererischen Sekte» sah. Oekolampad und Zwingli veröffentlichten 1527/28 je eine seiner Schriften mit empfehlenden Vorworten, was König Ferdinand I., den Oberherrn Schlesiens, zu Schwenckfelds Verbannung veranlaßte. Dieser hielt sich 1529-1533 in Straßburg, darauf in Augsburg, 1535-1539 in Ulm und nach seiner Verdammung durch den Theologenkonvent von Schmalkalden 1540 als unsteter Flüchtling bei ihm wohlgesinnten Adeligen und Bürgern Süddeutschlands auf, geschätzt als Seelsorger, Erbauungsschriftsteller und Mystiker sowie wegen seiner Sittenstrenge und seiner Toleranzideen. Seine spiritualistische Christologie - Vergottung der unkreatürlich verstandenen Menschheit Christi - machten Zwingli
bei der Begegnung 1529 in Straßburg zu seinem Gegner. Diese für Schwenckfeld zentrale Lehre und seine Meinung, daß die wahren Christen für sich lebten und nur Gott bekannt seien, seine Ablehnung der kirchlichen Ordnung, der Schriftautorität, der Kindertaufe und der Zeremonien - bei strikter Distanzierung von den Täufern - sowie seine Beziehungen zu Radikalen bedrohten die Einheit der (Kirch-)Gemeinden und des christlichen Staates, welche umgekehrt Bullinger mit dem Ausbau der Bundestheologie verteidigte. «De testamento seu foedere dei unico et aeterno», 1534 (HBBibl I 54) ist gegen Schwenckfeld gerichtet. Auch Bucer, Blarer und Frecht hielten ihn trotz ihres Burgfriedens von Tübingen 1535 für einen Kirchenspalter. Als sich Schwenckfeld am 16. Januar 1542 aus Justingen brieflich an die Zürcher Pfarrer wandte (CSch VIII 83-87), lehnten diese am 1. Februar 1542 jedes Gespräch als aussichtslos ab und überließen die Antwort Vadian, der darauf seine dritte Schrift gegen Schwenckfeld veröffentlichte (HBBibl I 707). Auch der Annäherungsversuch vom Herbst 1545 wurde abgewiesen (CSch IX 328f). Schwenckfelds Schriften sind ediert im CSch. - Lit.: Z VIII 567f, Anm. 2 und Reg.; Gottfried Maron, in: RGG V 1620f (mit Lit.); Johann Loserth und [Gerhard] Hein, in: ML IV 135-139; Selina Gerhard Schultz, Caspar Schwenckfeld von Ossig (1489-1561), Pennsburg, Pennsylvania, 1977; Yasukazu Morita, Bullinger und Schwenckfeld, in: HBGesA II 143-156; R. Emmet McLaughlin, Schwenckfeld and the Strasbourg Radicals, in: MQR LIX, 1985, 268-278; Fast 33f. 44-47 und Reg.; Moeller, Zwick 211-216; Blarer-Gedenkschrift, Reg.
9 Vgl. Ambrosius Blarer an Bullinger, 2. Dezember 1533 (HBBW III 238f, 17-44).


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10 . Vidi tamen literas Leoni nostro scriptas 11 , in quibus asserit. Multa sunt illius hominis impia et seditiosa dogmata, quibus Leonem - tibi dictum putato - adeo turbarat, ut et illa non modica causa fuerit, quod Constantiam ierim. Sed sibi, deo laus, restitutus Leo. Post acerrimam Schvenckfeldi increpationem ad finem epistolae C tandem adiecit: «Quia te spiritu Satanae agi video, iam tibi extremum vale dico» 12. Miror ego, quomodo versutus ille daemon se magnorum amicitiis virorum insinuare possit. Hominem ex facie non novi. Multas eius epistolas ad 23v. || Leonem et Carolstadium legi 13 , quem utinam sibi non tam haberet familiarem! Saepe me salutavit literis 14 . Ego vero hominis, utpote cuius ingenium mihi semper fuit suspectissimum, detrectavi amicitiam, quam semper timui exitialem fore aliquando viris bonis. Nec video, quid vel Zieglero 15 vel Ioanni Sapido 16 contulerit. Certe si
c ad finem epistolae am Rande nachgetragen.
10 Vgl. Deppermann 186-191 (Kapitel «Schwenckfeld und Hoffman»).
11 Kaspar Schwenckfeld an Leo Jud, 3. März 1533 (CSch IV 747-771), 5. Juli 1533 (CSch IV 801-811) und 10. September 1533 (CSch IV 824-843); vgl. HBBW III Nrn. 300. 301; Fast 33f. 44.
12 Zitiert aus Leo Juds Brief an Kaspar Schwenckfeld vom 25. Dezember 1533, der nicht erhalten ist, vgl. CSch V 4-6 sowie unten S. 82, 21-23.
13 Die Briefe Schwenckfelds an Andreas Karlstadt sind verloren, s. CSch IV 899.
14 In den Briefen an Leo Jud (Anm. 11) finden sich nur allgemeine Grüße an die Mitbrüder, namentliche an Bullinger müßten demnach in jenen an Karlstadt (Anm. 13) gestanden haben.
15 Jakob Ziegler von Landau an der Isar, um 1470-1549, Astronom, Mathematiker, Geograph und Theologe. Er führte nach seinem Studium in Ingolstadt und Wien ein unstetes Gelehrtenleben in Deutschland, Mähren, Ungarn und Italien, wo er zu einem Gegner des Papsttums wurde und zu evangelischen Theologen Kontakt suchte. Mit Bucers Unterstützung kam er 1531 nach Straßburg in Capitos Haus. Enttäuscht von den dogmatischen Streitigkeiten und den in der Straßburger Juni-Synode 1533 aufgestellten, gegen Täufer und Freigeister gerichteten, der Obrigkeit den Bann zugestehenden 16 Glaubensartikeln, begab er sich gegen Ende Februar 1534, um einer drohenden Untersuchung zu entgehen, nach Baden-Baden und wandte sich wieder einem gemäßigten Katholizismus zu. 1539 ging er nach Altshausen, 1541-1543 war er Theologieprofessor in Wien, danach lebte er am Hof des Bischofs Wolfgang von Salm in Passau. Ziegler, der selbst 1526, 1532/33 und 1540 an Vadian schrieb und
in Briefen an Zwingli, Vadian und Blarer gelegentlich erwähnt wird, dürfte von da und von seinem wissenschaftlichen Werk her den Zürcher Theologen bekannt gewesen sein; in seiner Abwendung von den Straßburger Prädikanten sah Bullinger einen Einfluß Schwenckfelds, der mit Ziegler bekannt war (s. CSch V 5). - Lit.: QGT VII. VIII Reg., bes. VIII 22.234; Z VIII 358f. XI 304f. 389; Vadian BW IV. V Reg.; Blarer BW I 475f; Karl Schottenloher, Jakob Ziegler von Landau an der Isar. Ein Gelehrtenleben aus der Zeit des Humanismus und der Reformation, Münster 1910. - RGST 8-10 (im Zusammenhang mit dem vorliegenden Brief s. bes. S. 282-296); Gerhard Müller, in: RGG VI 1907f; s. auch HBBW II 44, Anm. II.
16 Johannes Sapidus (Hans Witz), 1490-1561, wurde nach seinem Studium in Paris Ende 1510 Rektor der Schule seiner Vaterstadt Schlettstadt, die unter ihm ihre höchste Blütezeit erlebte. Er führte das Griechische ein und wirkte für die Reformation, weshalb er 1525 abgesetzt wurde. Er ging nach Straßburg, wo er 1528 Leiter der Lateinschule am dortigen Predigerkloster wurde. Am neuen Sturm'schen Gymnasium, welches 1539 mit seinem Schauspiel «Anabion sive Lazarus redivivus» eingeweiht wurde, war er zuerst Lehrer der dritten Klasse, ab 1540 Professor für Poetik. Er schrieb viele Epigramme und Epitaphe, u. a. zum Tod des Erasmus und seines Schülers Wilhelm Zwingli. Sapidus schrieb zweimal an Zwingli und wird in dessen Briefwechsel gelegentlich erwähnt. Gegen die 16 Glaubensartikel (QGT VIII 25-29) hegte er an der Vor- und Nachsynode 1533 Bedenken, worin Bullinger eine Beeinflussung durch Schwenckfeld sah. - Lit.: Z VIII 60f. IX 521f und Reg.; QGT VIII Reg.; Paul Merker, Der elsässische Humanist Johannes Sapidus, in: Beiträge zur Geistes- und Kulturgeschichte


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verum est, quod audio, profecto doleo tantos viros tam turpiter et foede commaculari. Nec Sebast[ianus] Francus 17 hanc picem nisi probe commaculatus deseret. Haec vero maximo cum dolore scribo. Misere alias quatitur tentationibus ecclesia, ut hoc dissidio careret, nisi quosdam spiritus ageret factionis et superbiae. Verum ita nobis vivis exemplis ob oculos revocat dominus veterem ecclesiae historiam, qui et tentationi procul dubio faelicem dabit eventum d . Tu curaveris, Vadiane vigilantissime, ne Dominicus 18 noster,
d eventum über gestrichenem successum.
der Oberrheinlande, Franz Schultz zum 60. Geburtstag gewidmet, hg. von Hermann Gumbel, Frankfurt a. M. 1938. - Schriften des Wissenschaftlichen Instituts der Elsaß-Lothringer im Reich an der Universität Frankfurt, NF 18, S. 79-111; Johannes Ficker und Otto Winckelmann, Handschriftenproben des sechzehnten Jahrhunderts nach Straßburger Originalen. Zweiter Band. Zur Geistigen Geschichte, Straßburg 1905, S. 78; Gustav Knod, in: ADB XXX, 369-371.
17 Sebastian Franck, um 1500-1542, aus Donauwörth, war nach Studien in Ingolstadt und am Dominikanerkolleg in Heidelberg, wo er Brenz, Bucer und Frecht begegnete, katholischer Hilfsgeistlicher im Bistum Augsburg und 1525-1528 evangelischer Prädikant in Dörfern um Nürnberg, wo er in Kontakt mit Hans Denck kam. Als freier Schriftsteller lebte er 1528-1530 in Nürnberg, darauf in Straßburg, wo seine «Chronica, Zeytbuch und Geschychtbibel» 1531 gedruckt, vom Rat auf Verlangen des Erasmus beschlagnahmt und eingestampft, Franck verhaftet und dann ausgewiesen wurde. Von Kehl aus versuchte er sein «Weltbuch» zum Druck zu bringen, es erschien erst 1534. 1532 arbeitete er als Seifensieder in Esslingen, von 1533 an als Drucker und Buchhändler in Ulm, wo er 1534 das Bürgerrecht erlangte, 1535 vorübergehend und 1539 endgültig ausgewiesen wurde. Darauf konnte er in Basel mit Druckern zusammenarbeiten und im Mai 1541, anderthalb Jahre vor seinem Tod, das Bürgerrecht erwerben. Der Theologenkonvent von Schmalkalden 1540 verurteilte ihn zusammen mit Schwenckfeld. Francks Geschichtswerke sind Kompilation und Auseinandersetzung mit der Theologie. Seine spiritualistischen Gedanken sind am besten aus den (allerdings verschieden deutbaren) «Paradoxa», 1534, bekannt. Er stellte die Geschichte über die Bibel, welche nur ein historisches Zeugnis sei, und legte so den Grund zur Bibelkritik. («Das verbütschiert mit siben Sigeln verschlossen buch», 1539, stellt die Unverständlichkeit der Bibel dar.) Die Geschichte
ist für ihn ein Kampf zwischen Gottes unveränderlichem Wort (Geist) und dem in ständig neuer Maske auftretenden Bösen (Fleisch), welche auch die katholische oder reformierte Kirche sein kann, die er beide verwirft. In Christus sah er nicht den Erlöser, sondern das vollkommene Vorbild des Menschen, der aus sich zur wahren Erkenntnis gelangen und so Gott in sich und danach in der Welt finden könne. In Unkenntnis von Francks Denken war Bullinger ihm anfänglich gewogen wegen der anerkennenden Zitierung seiner frühen Schriften in der «Chronica», die, er später benutzte (s. HBBW II 254, 25f und Anm. 12; Fast 30. 46f und Reg.). Francks Verbindung mit Schwenckfeld hielt er für ein Abweichen vom richtigen Weg. - Lit.: Christoph Dejung, Wahrheit und Häresie. Eine Untersuchung zur Geschichtsphilosophie bei Sebastian Franck, Diss. Zürich 1979 (mit Lit. und kritischer Sichtung bisher überlieferter Daten); Horst Weigelt, Sebastian Franck und Caspar Schwenckfeld in ihren Beziehungen zueinander, in: Zeitschrift für bayerische Kirchengeschichte 39, 1970, S. 3-19; Winfried Zeller, in: RGG II 1012f; Robert Stupperich, in: NDB V 320f; André Séguenny, in: TRE XI 307-312; Klaus Kaczerowsky, Sebastian Franck Bibliographie, Wiesbaden 1976; Christoph Dejung, in: Bibliotheca Dissidentium. Répertoire des non-conformistes religieux des seizième et dixseptième siècles, édité par André Séguenny, t. VII, Baden-Baden 1986. - Bibliotheca Bibliographica Aureliana CVI, S. 39-119.
18 Dominik Zili (Cili, Zyli), gest. am 17. August 1542, war wohl ein unehelicher Sohn des St. Galler Bürgermeisters Heinrich Zili. Nach dem Studium in Basel (1517) und Wien (1518-1519) wurde er 1521 Schulmeister in seiner Heimatstadt. Er führte Johannes Kesslers «Lesinen» (die diesem verboten worden waren) weiter, predigte 1524 als erster evangelischer Laie in der St. Lorenzenkirche, wurde 1525 Helfer und war von 1527 bis zu seinem Tode Pfarrer daselbst. Am 7. März 1529 hielt er die erste reformierte Predigt im Münster (in der Klosterkirche). Er war 1527 und von 1531 an Eherichter.


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ad factiones natus et caput intricatissimum, hisce gerris et impostorum tricis prorsus illaqueetur. Periculum timeo, nihil certi scio. Svenckfeldius frequens et impudens est in scribendis literis et amicitia ambienda, maxime ubi sperat se aliquid impetraturum 19 . O miserum et hac parte pestiferum Argentoratum, e quo nobis tam inauspicatae provolant aves 20 ! Sed satis dolori indultum hactenus.

Iam quid in concordia triadis 21 sarcienda actum sit, paucis sic accipe. Consul Basileiensis 22 inpraesentiarum nihil aliud postulavit, quam ut Tigurini condonent Bernatibus, si quid noxae aut negligentiae designarint. Deinde comes et faciles sint, si de concordia christiana offeratur consilium. Responsum est unanimi diacosiorum consensu: Bernam amamus, nec ullum nobis in eos odium. Quodsi illi negligentius quicquam egere, condonamus facile nec recusamus audire, si quid nobis offeratur consilii etc. Speramus ergo facile coalituros animos. Instigavimus praeterea consulem, ne caussae foeliciter coeptae desint Basileienses 23 . Scripsimus Bernam per omnia sacra quosdam obtestati 24 . Breviter, pii quique ominantur faustissime. Praecor ergo dominum, ut fessis rebus dexter et maturae [!] auxiliares manus admoveat.

|| 24r. De Solodorensibus 23. decembris sic scripsit Berchtoldus 25 : «Miseramus 4 legatos, qui caussam 8 exulum agerent et de verbi dei libertate, quemadmodum

1536 wurde er nach Rheineck (Kt. St. Gallen) ausgeliehen. Er schuf 1533 das erste Gesangbuch der schweizerisch-evangelischen Kirchen und ist wahrscheinlich Hauptverfasser der St. Galler Liturgie. Er nahm teil an der Badener und der Berner Disputation sowie an verschiedenen Ostschweizer Synoden und am Basler Religionsgespräch 1536, wo er für den Ausgleich mit Wittenberg war. Gegen Zwingli trat er für den Kirchenbann und die Selbständigkeit der Kirche gegenüber dem Staat ein; auch lehnte er den Synodaleid ab. Dadurch geriet er mit seinen Mitbrüdern und dem St. Galler Rat in Konflikt und zu Unrecht in den Verdacht, täuferischem Einfluß offen zu sein. Vadians mäßigender Haltung ist es zu verdanken, daß der eigenwillige, heftige, aber hilfsbereite Mann sich in St. Gallen halten konnte. Zilis Bibliothek bildet den ersten Grundstock der Kantonsbibliothek Vadiana. Er ist Mitunterzeichner von unten Nr. 487 und schrieb 1537 und 1539 selbst an Bullinger. - Lit.: Kessler, Sabbata, Reg.; Vadian BW III-VII, Reg.; Basel, Matrikel I 334; Wien, Matrikel II 453 (als: Dominicus Metanus de Sancto Gallo); Wilhelm Ehrenzeller, Geschichte der Familie Zili von St. Gallen, Lebensbilder und Schicksale aus fünf Jahrhunderten St. Gallischer Stadt-Geschichte, (St. Gallen) 1928, S. 20-31; Egli, Analecta I 107f. 113-121. 130. 136-149; Staerkle 273f; Markus Jenny, Geschichte des deutschschweizerischen evangelischen Gesangbuches im 16. Jahrhundert, Basel 1962, S. 157-162; Bätscher, Kirchen- und Schulgeschichte, Reg.; Conradin Bonorand, Personenkommentar II zum Vadianischen Briefwerk, St. Gallen 1983. - Vadian-Studien II, S. 160. 170. 408f; Z VIII 507, Anm. 16; HBLS VII 659; Stückelberger 26.99.
19 Entgegen Bullingers Aussage ergriff Schwenckfeld selten solche Initiativen, sondern hielt sich an den Grundsatz, nur auf an ihn gerichtete Briefe zu antworten, s. CSch IV 749. V 5.
20 Straßburgs liberale Politik gegen Täufer und Freigeister endete mit der Juni-Synode 1533, s. HBBW III 145, Anm. 8; Fast 43f.
21 Um die Einigkeit der drei Städte Zürich, Bern und Basel bemühten sich vor allem Oswald Myconius und der Basler Bürgermeister Jakob Meyer, s. Rudolf, Aussöhnungsversuch; HBBW III Nrn. 304. 306 und 310.
22 Jakob Meyer, s. HBBW III 263, Anm. 5 und 277, Anm. I.
23 Die wohl gegen Ende 1533 erfolgte, nicht mehr erhaltene Antwort der Zürcher an die Basler ist in einem Schreiben Basels an Bern vom 5. Januar 1534 zusammengefaßt, s. ABaslerRef VI 397; EA IV/IC 236f; s. noch HBBW III Nr. 310.
24 Die gleichzeitige Antwort der Zürcher an die Berner läßt sich nicht mehr nachweisen, vgl. HBBW III 250, 24f und Anm. 8.
25 Berchtold Haller an Bullinger, 23. Dezember 1533, woraus Bullinger zusammenfassend


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ipsi Solodorenses Helvetiorum legatis polliciti fuerant. Sed quod liberam verbi e dei praedicationem attinebat, ne verbum quidem ex nostris audire dignabantur. Unde legati nostri re infecta redierunt. Interim monebamur, Solodorenses 14. decembris sacrificulum nephandis sacris praefecturos f parrochiae Kriegstetten 26 . Da aber die ohren grycht dero vonn Bernn sind, und die von Solothurn selbs den handel deß gloubens malefitzisch halltend, ilico monebantur a senatu Solodorenses, a Bernatibus g , ne facerent; sed et 300 viri in agro Bernensi ordinati, qui armata h manu resisterent temeraiis ausis, si secus fieri non posset. Id ubi Solodorenses resciverunt, legatum ablegant Lucernam. Quid is impetrarit, nescio. Hoc unum scio, quod 18. decembris Solodorenses 4 legatos Bernam miserunt, qui verbis blandissimis coram senatu comparuerunt. Qui prius Bernensium legatos audire dedignabantur ultro offerentes se permissuros, ut caussa exulum dirimatur. Interim verbi dei nullam mentionem habuerunt. Respondere nostri se nolle quicquam agere in caussa exulum, nisi et fidei negotium immisceatur. Quod si fieri nequeat, iam nihil se acturos, maxime cum ita fieri flagitent ipsi exules, homines pii et constantes. Addidit senatus se palam conquesturum proximis Badenis comitiis, quod fidem violent et pacta rescindant.» 28. decembris idem sic scribit 27 : «Misit nunc denuo senatus noster legationem ad Solodorenses propter exules et verbi libertatem. Non credis nec describi potest aut dici populi huius insania et impius furor. 25 pastores et verbi praecones amandarunt. Ex Alsatia et Brisgauvia turmatim advolant sacrificuli. Nulla est apud istos vel aequitatis vel veritatis ratio. Scribam brevi, quid actum sit. 57 cives iam ex Solodoro migrarunt. Jetzt fahend sy an und verbietents inn der statt, und so einer ye daruß will, heyssend sy inn sin gut werden und schetzen. Schetzt ers ze wolfeyl, so mag imms der nächst nach gelegtem pfandtschilling abzühen. Will er aber ye hinweg, so muß er ye von 10 gl. I gäben. Ich zeygs, wie es mir anzeygt ist. Sy bollwerckend häfftig inn [iro]i statt.» Hactenus Berchtoldus. Addidit et illud 28 : «Tilom[ann]us k a questurae offitio semotus est, surrogatus v[e]ro l Franciscus Nägeli.»

||24v. Quae de instituto regis Gallorum et pactis cum papa divinas, tam vera sunt, ut nihil unquam verius dictum sit, nempe quod ille Mediolanum ambit 29 . Huius enim gratia Germaniae proceres in Ferdinandum pro Wirtembergensi

e verbi am Rande nachgetragen.
f in der Vorlage praefecturum.
g a Bernatibus am Rande nachgetragen als ein erläuternder Zusatz Bullingers.
h in der Vorlage armatu.
i-l Rand abgerissen, ergänzt nach Vadian BW.
zitiert, s. HBBW III 271f, 27-47.
26 Die Ortsangabe ist ein erläuternder Zusatz Bullingers. In Kriegstetten (Kt. Solothurn) besaß Bern bis 1665 die hohe Gerichtsbarkeit, s. HBLS IV 546.
27 Das Folgende ist frei zitiert aus Berchtold Haller an Bullinger, 30. (nicht: 28.!) Dezember 1533, s. HBBW III 276, 49-53. 57-61.
28 Aus demselben Brief, s. HBBW III 276, 62f.
29 Eine diesbezügliche schriftliche Vermutung Vadians ist nicht erhalten, doch sahen auch die Habsburger hinter den Marseiller Absprachen zwischen Papst Clemens VII. und König Franz I. den Plan, Frankreich freie Hand für Eroberungen in Italien zu geben, s. Müller 249. 252. 257.


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principe armat 30 , ut Germanus miles Germanico bello impeditus Gallis Mediolanum diripiendum capiendumque libere cedat 31 . De Helvetiis nulla illi cura maior, ni adversa illi ferant arma. Satis illi nos inter nos dissere m . Quamquam non dubitem, pensionarios 32 nihil non tentaturos. Fortassis abutentur famis occasione et misera maleque suada vulgi pauperie. Nos tamen non cessabimus nostros dechortari, nec senatus noster cessabit. Quodsi omnino exercitus educatur, fortassis n in fatis est, ut iustissimus deus° et impium pontificem et fastu luxuque perditum regem una cum avarissimis sceleratissimisque satellitibus semel fundere funditusque delere velit 33 . Dominus non sinet inultum iam tot annis effusum sanguinem innoxium.

Verum audi, quod mirabere: Bernates legationem amandarunt ad Gallorum regem, consulem a Wattenwyl et Wingarterum 34 . De ea legatione sic scripsit Berchtoldus 35 : «Rediit consul a rege. Non autem petimus auxilium ab Assyriorum rege, sed pacem iam dudum pactam servari volumus. Defertur fides nostra perfidiae et seditionis, maxime nunc exemplo Solodorensium. Ne ergo hostes sentiremus, quos amicos credebamus, missa est legatio. Legationis occasionem silebo. Caussam habes, et quod petitum est, impetratum audio. Plura non licet. Haec autem soli tibi scripserim.» Hactenus Berchtoldus. Nec ego plura nunc potui.

Tu si quid ex Augusta 36 habes, indica. In coepto opere 37 labora et me tibi commendatum habe.

Vive et vale.

3. ianuarii, hora noctis 10., 1534.

Hein. tuus.

[Adresse darunter:] Clarissimo viro D. Ioachimo Vadiano, amico imprimis charo et syncero.

m Wohl, wie Vadian BW V 146, Anm. o, vermutet, für dissentire verschrieben.
n-o von fortassis bis deus am Rande nachgetragen für im Text gestrichenes quis novit num fata semel.
30 Frankreich war schon im Dezember 1533 bereit, einen Drittel der Kriegskosten zur Eroberung Württembergs durch Herzog Ulrich und Philipp von Hessen zu zahlen, s. Wille 131. 145. 147.
31 Von diesen Verhandlungen und den Kriegsgefahren erfuhr Bullinger vom 22. November 1533 an, s. HBBW III 234, 43-49. 237, 12. 248, 11-15. 250, 8f. 252f, 3-10.
32 Pensionsherren, «Pensiöner», Bezüger von Pensionen, d. h. von Sold für Truppen und Truppenwerbungen (SI IV 1394).
33 Anfang Dezember 1533 überwog die Furcht, daß sich die politische Lage für die Eidgenossenschaft unheilvoll auswirke, s. HBBW III 243f, 22-48.
34 Zur bernischen Gesandtschaft, die im Dezember 1533 zum französischen König ging, gehörten Schultheiß Hans Jakob von Wattenwyl und Bannerhauptmann Wolfgang von Wingarten, s. HBBW III 271, Anm. 9 und 10.
35 Die folgenden Angaben sind den Briefen Berchtold Hallers an Bullinger vom 23. und 30. Dezember 1533 entnommen, vgl. HBBW III 271, 19-22 und 275f, 38-45.
36 Zur letzten Tagung des Schwäbischen Bundes in Augsburg vom Dezember 1533 bis 8. Februar 1534 s. unten S. 44f, Anm. 9. 12f; S. 65, Anm. 8. In den erhaltenen Briefen Vadians an Bullinger finden sich keine diesbezüglichen Angaben.
37 Gemeint ist Vadians Schrift «Epitome trium terrae partium» (s. HBBW III 134, Anm. 18 und unten S. 92, 13-15. 146, 8. 177, 69), welche im September 1534 erschien und Bullinger gewidmet ist (Widmungsbrief unten Nr. 419, s. S. 267, Anm. 70).