Heinrich-Bullinger-Briefwechseledition, Universität Zürich © Heinrich Bullinger-Stiftung Arpa Bibliothek Textbreite Schriftgröße

[312]

Johannes [Bullinger] an
Bullinger
[Ottenbach,
Januar 1534]

Autograph: Zürich StA, E II 441,91 (Siegelspur) Ungedruckt

Neujahrsgruß. Ein durchreisender Franzose berichtete, daß der französische König nach Italien ziehe, um die Städte, die der Papst seinem Sohn [Heinrich]in die Ehe gegeben habe, zu besetzen. Hans Junker und der Gesandte [Antoine II Lamet]werden mit Geld in die Eidgenossenschaft kommen und neue Söldner verlangen. Des Königs Schwester [Margareta von Navarra] halte am Evangelium fest. Morelets Bruder liege seit langem um des Glaubens willen gefangen. Schultheiß Hans Jakob von Wattenwyl von Bern hat mit dem französischen König verhandelt und ist nun wieder auf dem Rückweg.

Fausta primordia huius anni tibi precor etc.

Lieber brüder, es ist am samstag znacht zu Ottenbach ein franczsos 2 , acht vast gwaltig 3 ubernächt gsin, nach mir gschickt (ut interpres essem). Hat gseit, der kung 4 zuich mit einem reisygan 5 zug gegam Montaniß 6 die stet zu besetzen, vom bapst sinem sun ingen 7 . So köm Hans Junckar 8 uff liechmis 9 mit einem gwaltigan herran 10 und grossam gelt, die eidgnossan zu bezalan

1 Die Einordnung des Briefes ergibt sich aus dem Inhalt, er ist nach dem Jahreswechsel (s. Zeile 1) und vor Lichtmeß (s. Zeile 5 f), also vor dem 2. Februar, geschrieben worden.
2 Unbekannt.
3 wie mir scheint, ein recht mächtiger.
4 Franz I., König von Frankreich.
5 mit kriegsbereitem Heer (Grimm XVI 387; vgl. SI VI 1325).
6 Der Alpenpaß Mont-Cenis, von Frankreich her einer der Hauptübergänge nach Oberitalien.
7 in Besitz gegeben (SI II 82). — Am 28. Oktober 1533 hatte Papst Clemens VII. seine Nichte, Katharina von Medici, mit Heinrich, dem Sohn des Königs von Frankreich, getraut. Über das «Hochzeitsgeschenk» des Papstes ist lediglich bekannt, daß Franz I. vorgeschlagen hatte, dem jungen Paar Urbino, Mailand, Parma und Piacenza - Gebiete, die zum Teil zum Kirchenstaat gehörten - zu übergeben. Siehe Müller 251; vgl. auch HBBW III 234.
8 Hans Junker, Goldschmied, von Rapperswil, gest. 1538, stand ab spätestens 1521 bis zu seinem Tode als Söldnerführer und Werber im Dienste des französischen Königs (im Jahre 1526 diente er vorübergehend Venedig und dem Papst). Am 18. Januar 1530 schrieb er mit Hauptmann Hans Kaltschmid im Auftrag des Gesandten Louis Daugerant de Boisrigaut an Zwingli, um sich über die Bereitschaft Zürichs zu einem französischen Bündnis
zu unterrichten (s. Z X 404-407, Nr. 961). In Frankreich zum Gardeleutnant und Königlichen Rat avanciert, war Junker mehrmals in finanziellen Missionen (Pensionengelder) in die Eidgenossenschaft unterwegs (s. Rott, Représentation Diplomatique I Reg.). Im Oktober 1533 war er Augenzeuge des Aufstandes der Reformierten in Solothurn (s. Amiet/Sigrist, 39f und Anm. 38). Schimpfreden, die Junker in Frankreich gegen Bern ausgestoßen hatte, führten im Sommer 1534 zu seiner Festnahme in Aarau. Dies hatte etwelche Kompetenzstreitigkeiten auf der Tagsatzung zur Folge. Junker gelang es allerdings zu flüchten. (Siehe unten S. 240, 10-22 und EA IV/IC Reg.) Er hielt sich darauf wieder in Frankreich auf, machte 1536 als Hauptmann den Feldzug nach Avignon und 1537/1538 als Oberst den Zug ins Piemont mit. Von einem Briefwechsel Junkers mit Bullinger ist nichts bekannt. — Lit.: Th[eodor] von Liebenau, Hans Junker von Rapperswyl, in: Anzeiger für Schweizerische Geschichte, NF VI/4-5, 1890, S.78-81; Z X 404, Anm. 2; HBLS IV 424.
9 Lichtmeß: 2. Februar.
10 Louis Daugerant de Boisrigaut schrieb am 3. Januar 1534 an die sieben katholischen Orte, die in Luzern tagten, Antoine de Lamet werde im Auftrag des Königs mit einer «guten Summe Geldes» bald nach Lichtmeß in der Eidgenossenschaft eintreffen. Siehe EA IV/IC 238 zu n und 262 m. Die Pensionen-Nachzahlungen


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und darnach von inan vordaran 20 tusant man in das Meilandt (das vermögendt die lender 11 nit; tu, quid sub herba latet 12 , coniice). So hat er mir gseit, des kungs schwester 13 leb noch vast 14 am evangelio, sig aber nie gfangen gsyn; wol sig des Morletten brüder 15 jeczt lang gfangen gsin und noch um des evangeliums willan etc.

Wittar so ist der von Wattenwil 16 , [schul]thes [zu] Bern 2 , bym küng selbs gsyn, lang mit im ghanlat 17 . Mag nieman wussen, waß. Doch im groß eer anthan, und kung und eer 18 vast wol eiß 19 , und jeczt uff dem weg heim 20 . Der 21 ist ouch inet 22 8 tagen bym kung gsyn. Rit ernstlich 23 in die pündt 24 l

Vale.

Ioannes tuus.

[Adresse auf der Rückseite:] An M. Heinrichen Bullinger, minen bruder, zu Zurich.

a [schul]thes [zu] Bern am Rande nachgetragen; Text wegen engem Einband teilweise nicht zugänglich.
des französischen Königs wurden in jener Zeit jeweils auf November und auf Lichtmeß entrichtet. Siehe ebd. 262 h.
11 die V Orte.
12 Vgl. Otto 373, Nr. 1905.
13 Margareta d'Angoulême, Königin von Navarra.
14 fest, stark (SI I 1111f).
15 Der einzige bekannte Morelet, der aufgrund seiner religiösen Gesinnung verfolgt wurde, war Antoine Morelet du Museau (Maurus Musaeus), Seigneur de la Marche-Ferrière (um 1500-1552). Er war ein Sohn des Generals Jean Morelet du Museau, des französischen Gesandten bei den Eidgenossen (gest. 1529 in Freiburg i. Üe.). Er war Schüler des Humanisten Nicolas Bérauld. Wegen seiner Neigung zur reformierten Lehre mußte er -gerade in jener Zeit, in die dieser Brief fällt -Paris verlassen. Er ließ sich in Basel nieder und erhielt dort 1535 das Bürgerrecht. In Basel scheint er auch Calvin kennengelernt zu haben. 1536 hielt er sich kurze Zeit in Genf auf. Im Jahre 1537 wurde er vom französischen König amnestiert und zurückberufen. Morelet war daraufhin u. a. in diplomatischer Mission bei den protestantischen Ständen im deutschen Reich. Von 1543 an war er als vorerst außerordentlicher, dann als ordentlicher Gesandter Frankreichs in der Eidgenossenschaft tätig. Auch in dieser Funktion blieb
er der reformierten Sache zugetan, wie dies Charles du Moulin 1553 bezeugte, als er über den Nachfolger Sébastien de l'Aubespine, abbé de Bassefontaine sagte, dieser sei «minus candidus minusque rehgioni favens quam decessor Moreletus» (du Moulin an Bullinger, 3., 17. und 18. September 1553. Zürich ZB, Ms F 62, 368). Morelet hatte in seinen beiden letzten Lebensjahren mit Bullinger mehrmals Briefe gewechselt, von denen diejenigen Bullingers verloren sind. - Lit.: Corr. des réformateurs VII Reg.; Peter G. Bietenholz, Basle and France in the Sixteenth Century. The Basle Humanists and Printers in Their Contacts with Francophone Culture, Genève 1971. - Travaux d'humanisme et renaissance CXII; Bouvier, 203-209; Amerbach, Korr. VI 288, Anm. 10; Gast, Tagebuch 231-233, Anm. 21; Rott, Représentation Diplomatique I 564. 565; Contemporaries II 460 f.
16 Hans Jakob von Wattenwyl.
17 verhandelt (SI II 1402).
18 er.
19 einig (SI I 270 f).
20 Zur Reise der Berner Gesandtschaft an den französischen Hof, welche vor dem 23. Dezember 1533 abgeschlossen war, s. HBBW III 271, 19-22 mit Anm. 10 und unten S. 70 f, 6-14.
21 Gemeint ist wohl der oben genannte Franzose, der in Ottenbach übernachtet hatte. 22 vor nicht mehr als.
23 schnell, eilig (SI I 466).
24 das Bündnerland.