Heinrich-Bullinger-Briefwechseledition, Universität Zürich © Heinrich Bullinger-Stiftung Arpa Bibliothek Textbreite Schriftgröße

[3180]

Ambrosius Blarer
an Bullinger
[Konstanz],
Dienstag, 1 [0]. April 1548 1

Autograph: Zürich StA, E II 357, 264 (Siegelspur) a Teildruck und zusammenfassende

Übersetzung: Blarer BWII 693f Nr. 1519

[1]Der bedauernswerte Claude d'Aliod hat Blarer, dessen Bruder Thomas sowie Vetter Konrad Zwick eindringlich gebeten, sich aus Nächstenliebe bei den Zürchern dafür einzusetzen, dass er die Zürcher Stadt und Landschaft [trotz seines Aufenthaltsverbots]betreten darf So könne er seine Schulden eintreiben und tilgen sowie seine Ware verkaufen und alle Parteien zufriedenstellen. -[2]Bullinger möge beim Zürcher Rat hierfür eine Ausnahmegenehmigung und eine achttägige Fristverlängerung zur Schuldentilgung bewirken, damit d'Aliod sich nach Kräften persönlich um die Rückzahlung bemühen kann. Ließe er seine Geschäfte nämlich von jemand anderem ausführen, müsste er mit großen [finanziellen] Einbußen rechnen. -[3]D'Aliod ist ein anständiger, gottesfürchtiger Mann, der aber auf seiner Suche [nach Gott] vom rechten Weg abgekommen ist. Doch gibt er vor, seine Irrlehren stets nur auf Nachfrage von Gelehrten, nie aber unter einfachen Leuten verbreitet zu haben. Auch sei er stets bereit gewesen, sich eines Besseren belehren zu lassen. Aber trotzdem habe man ihn verleumdet und [1547 in Augsburg]verhaftet. -[4]Blarer konnte bisher noch nicht mit ihm über dessen Ansichten sprechen, möchte das aber bald eingehend nachholen. Hoffentlich ist d'Aliod einsichtig, denn ergeht in seinem großen [Glaubens]eifer fehl. Möge ihn Gott bessern! In Konstanz ist nichts darüber bekannt, dass d'Aliod versucht hätte, jemanden von seiner Meinung zu überzeugen. Das hätten die Konstanzer nicht gebilligt. Er ist noch Konstanzer Bürger. -[5]Bullinger möge sich daher dafür einsetzen, dass d'Aliod seine Geschäfte dieses eine Mal noch persönlich in Zürich und Winterthur abwickeln darf Andernfalls entstünde ihm ein großer finanzieller Schaden, weil der Wert seiner Waren bei der [drohenden]Zwangsversteigerung zu gering angesetzt würde. [Diese kann er nur abwenden, indem] er seine Schulden bei seinen Zürcher Gläubigern [NN]innerhalb der nächsten zehn Tage begleicht. Blarer versucht, das Geld für ihn aufzubringen. -[6]Er wird Bullingers Brief [nicht erhalten] morgen oder übermorgen beantworten.

a Ohne Schnitt- oder Nadelstichspuren.
1 Blarer datiert den vorliegenden Brief unten in Z. 34 eindeutig auf den 12. April 1548, gibt jedoch in seinem folgenden Schreiben von Freitag, dem 13. April 1548 an, dass er ihn am "Zinstag", demnach also am Dienstag,
dem 10. April 1548, verfasst hat. Hätte er den Brief aber tatsächlich am 12. April geschrieben, wäre eher damit zu rechnen, dass er diesen statt mit dem Wochentag mit "gestern" datiert hätte; s. Nr. 3184,22.


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Fürgeliepter herr und brüder. Diser arm, eilend mensch, Claudius 2 , hat mynen lieben brüder 3 , ouch minen v[etter] C[onraten] Z[wick] und mich gar ernstlich und trungelich 4 angesucht 5 , das wir ime weilten um gottes und der liebe willen beholfen 6 sin, damitt er möchte bey euch so lang platz haben 7 , byß er mitt seinen schuldigern und glöbigern rechnete 8 , und seinen krom 9 zu nutz verwenden 10 und des onwerden 11 und allso yederman züfriden steilen.

Ist demnach unser aller dreyer gantz fruntlich, best geflissen bitt an euch, wellind von unser wegen bey ewern herren 12 anhalten 13 , nachdem 14 ime sunst die statt und land verbotten 15 , das er doch noch diß mal selbs hinein dörffte und seine sachen, best er möchte 16 , verrichten, diewyl ers nitt on seinen grossen nachtail durch amen

2 Claude d'Aliod, auch gen. Wassermann. - Er wurde aufgrund seines Glaubens an die absolute Einheit Gottes und seiner Ablehnung der Göttlichkeit des Heiligen Geistes und Christi im Jahr 1534 aus Basel, Bern und Zürich sowie aus Konstanz, Memmingen und Ulm verwiesen. Dennoch hatte er das Konstanzer Bürgerrecht am 31. April 1541 erhalten. Seinen 1545 und 1550 nachweisbaren Steuersatz von 3 Schilling hatte er 1547 nicht bezahlt, was auf finanzielle Schwierigkeiten hindeuten könnte; s. HBBW IV, Nr. 370, Anm. 39; Konstanz StadtA, A 1V Bürgerbuch, Bd. 5, S 104; L Steuerbücher, Bd. 123 (1545), [ohne Seitenzählung]; Steuerbücher der Stadt Konstanz, Bd. 3: 1540-1620, bearb. y. Peter Rüster, Konstanz 1966, S 34, Nr. 164; S 89, Nr. 1500. - Anlass für den vorliegenden Brief war vermutlich, dass d'Aliod samt Frau und Kind wohl in der zweiten Februarhälfte 1548 aus Zürich ausgewiesen worden war; s. Zürich StA, F III 32, Seckelamtsrechnungen 1547/48, S 77.
3 Blarers Bruder Thomas, dazumal Konstanzer Reichsvogt, sowie sein Vetter Konrad Zwick gehörten dem Konstanzer Kleinen Rat an; s. Konrad Beyerle, Die Konstanzer Ratslisten des Mittelalters, hg. y. der Badischen historischen Kommission, Heidelberg 1898, S 236-238.
4 eindringlich; s. SI XIV 1111f.
5 ersucht.
6 behilflich.
7 möchte bey euch ... platz haben: Zutritt in die Stadt und Landschaft Zürich erhalte; vgl. SI V 257.
8 (finanziell) abgerechnet hat; s. SI VI 116. - Zur ausstehenden Schuldenabrechnung dAliods s. Nr. 3184,29-32. 38f.
9 seinen Krom: seine Ware; s. SI III 809 s.v. Chram. -D'Aliod handelte u.a. mit medizinischen Schriften, die sich, wie die Dringlichkeit seiner Einreise und die drohende Zwangsversteigerung seiner Waren nahelegen, in einem Lager in Zürich befunden haben dürften; s. oben Z. 31-33 sowie Nr. 3184,3-6.
10 zu nutz verwenden: zu Geld machen; vgl. SI IV 890; XVI 425.
11 des onwerden: die (Ware) verkaufen; s. SI XVI 1351.
12 Gemeint ist der Zürcher Rat.
13 inständig bitten; s. SI II 1227.
14 weil; s. SI XIII 1111.
15 Trotz d'Aliods Ausweisung aus Stadt und Landschaft Zürich durfte er sich zunächst noch zeitweise in der Stadt aufhalten, wie seine Tätigkeit als Briefbote belegt. Er wurde zuletzt nachweislich am 17. Juni 1544 mit einem Brief Blarers von Konstanz nach Zürich geschickt. Weshalb ihm der Zutritt später gänzlich verwehrt wurde, ist unbekannt; s. HBBW XIV, Nr. 1936,13f; zur Ausweisung s. oben Anm. 2.
16 best er möchte: so gut er vermag.


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andern thain 17 kan, und das ime der terminus 18 doch um acht tag erstreckt 19 . Wurde er 20 sich umsechen seines besten vermögens 21 , das er gellt uffbrechte und zalung thäte.

Er ist ainmal ain frommer 22 mensch, der gott forcht 23 und sucht und gut condition 24 verlassen hat. Daneben geht er mitt ettlichen fantaseyen 25 um, die nitt grund habend. Nympts aber hoch 26 , das ers nienen 27 begert hab zu säen under ainfaltig leut. Aber wol etwa, wann 28 er darum von verstendigen angereddt worden, seye er onbeschwärt 29 gewesen, sein mainung anzezögen 30 , aber mitt aller undergebegung 31 , das er sich gern welle berichten 32 lassen und nitt uff seiner mainung beston. Aber man hab im 33 sölichs allweg glich anderst ussbracht und uffgenomen 34 .

Ich hab noch gar nichts mitt im seiner meinung halb gereddt, dann ich bysanher 35 nitt zeyt noch weyl 36 gehapt. Hab aber mut 37 , bald mitt im desshalb zu handlen 38 , und mich seiner mainung gruntlich zu erkundigen, der hoffnung, er werde sich wol weysen 39 lassen. Er hat ain grossen, aber irrigen yfer. 40 Der herr gott welle es alles an

17 tun.
18 der terminus: die Frist; s. SI XIII 1610 s.v. Termin. - Gemeint ist die in Zürich festgesetzte Frist, innerhalb derer d'Aliod seine Schulden tilgen musste, um die Zwangsversteigerung seiner Waren abzuwenden. Diese sollte, wie unten in Z. 32f angegeben, am 22. April 1548 enden. Mit der von Blarer erbetenen Verlängerung hätte d'Aliod demnach bis zum 30. April 1548 für die Begleichung seiner Schulden Zeit gehabt.
19 erstreckt: verlängert werde; vgl. SI XI 2168.
20 Wurde er: Dann würde er.
21 sich umsechen seines besten vermögens: sich nach Kräften bemühen.
22 anständiger; vgl. SI I 1295.
23 fürchtet.
24 güt condition: den rechten Weg; vgl. Kirsch 649.
25 Irrlehren; vgl. Grimm XIII, 1822. - D'Aliod hatte unmittelbar nach seiner Ankunft in Augsburg im September oder Oktober 1546 begonnen, seine antitrinitarische Lehre zu verbreiten und einige Anhänger um sich zu scharen. Zudem hatte er sich in einem an den Augsburger Rat gerichteten Schreiben als Prophet des ungeteilten Gottes vorgestellt und für seinen Glauben geworben. Fr und seine Anhänger wurden daraufhin auf Veranlassung der Augsburger Prediger im Januar 1547
vom Rat verhört und anschließend verhaftet. D'Aliod selbst schwor im Gegensatz zu einigen seiner Gefolgsleute von seiner Lehre ab und musste die Stadt im Februar 1547 verlassen. Im Juni desselben Jahres scheint er sich wieder in der Nähe von Konstanz aufgehalten zu haben; s. HBBW XIX, Nr. 2759,93-103 mit Anm. 50; Nr. 2786,81f; Nr. 2805,31-34; XX, Nr. 2935,52-54 mit Anm. 37.
26 Nympts aber hoch: Fr gibt aber vor.
27 nie.
28 wenn.
29 gerne bereit; s. SI IX 2076.
30 darzulegen; vgl. SI XVII 380.
31 Vermutlich meint Blarer "mitt aller undergebegung" im Sinne von: unter Vorbehalt.
32 berichtigen.
33 im ... ussbracht: über d'Aliod ... verbreitet; s. SI V 718.
34 (ihn) verhaftet; s. SI IV 737. -Zu d'Aliods im Januar 1547 erfolgter Festnahme in Augsburg s. oben Anm. 25
35 bisher; s. FNHDW IV 472.
36 Gelegenheit; s. SI XV 1215. 37 die Absicht; s. SI IV 581.
38 mitt im ... zu handlen: mich mit ihm zu befassen; s. SI II 1402.
39 belehren; vgl. SI XVI 1930.
40 Siehe oben Anm. 25.


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ime verbesseren! Wir habend hie nie erfaren können, das er yeman 41 understanden 42 hab, sein mainung einzereden, dann wir es sonst nitt für güt gehapt 43 hetten. Er ist noch unser burger 44 .

Bitt euch aber von unser aller wegen, das best euch möglich ze thain, das er doch noch dißmal selbs zu euch und gen Wynterthur dörffte, sine sachen zü verrichten, damitt ime sein wahr 45 und krom nitt umsonst auso hingehn 46 musse, dann 47 es inn 48 vyl costet 49 Wurde 50 aber im 51 yetzuund im verganten 52 umm gar ain schimpfliches angeschlagen 53 . Er müsß noch in 10 tagen von dato 54 gewiß 55 by euch sin und yederman zü friden stellen. Ich will sechen, wa 56 ich das gellt uffbring.

Ad tuas literas 57 cras aut perendie respondebo. 12. 58 aprilis 1548. Tuus Ambr. Bl.

[Adresse auf der Rückseite:] D. Heinricho Bullingero suo. Tiguri. 59

41 irgendjemanden.
42 versucht; s. SI XI 619.
43 gehalten.
44 Zu d'Aliods Konstanzer Bürgerrecht s. oben Anm. 2.
45 Ware.
46 abhanden kommen.
47 weil.
48 ihn.
49 Gemeint ist: Ihm würde daraus ein großer Schaden entstehen.
50 [Es] würde.
51 ihm.
52 im verganten: im Falle einer (Zwangs)versteigerung; s. SI ll 380. - Offensichtlich wurde d'Aliods Handelsware aufgrund seines Zahlungsverzugs zur öffentlichen Versteigerung beschlagnahmt.
53 ummb gar am schympflichs angeschlagen: preislich viel zu gering angesetzt; vgl. SI VIII 791 s.v. schimpflich; IX 383 s.v. anschlahen.
54 in 10 tagen von dato: innerhalb der nächsten
zehn Tage (d.h. bis zum 22. April 1548).
55 zahlungsfähig; s. SI XVI 2030.
56 ob.
57 Nicht erhalten. - Da Bullingers Brief die Nachfrage bezüglich Octavien Blondel aus Blarers Schreiben vom 30. März 1548 beantwortet haben muss, wie dessen Brief vom ca. 15. April 1548 darlegt, kann der hier erwähnte, nicht erhaltene Brief Bullingers in Anbetracht der etwa zweitätigen Reisezeit zwischen Zürich nach Konstanz frühstens Anfang April 1548 und spätestens kurz vor dem Abfassungsdatum des vorliegenden Briefes am 12. April 1548 verfasst worden sein; s. Nr. 3173,601, Nr. 3185,27-30.
58 Richtig ist aber Dienstag, der 10. April; s. oben Anm. 1.
59 Der Überbringer des vorliegenden Briefes war entweder Georg Escher vom Luchs oder Hans Konrad Escher vom Luchs; s. Nr. 3184,1 mit Anm. 2.