Heinrich-Bullinger-Briefwechseledition, Universität Zürich © Heinrich Bullinger-Stiftung Arpa Bibliothek Textbreite Schriftgröße

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Jodocus Kilchmeyer
an Bullinger
Bern,
Montag, 2. April 1548

Autograph: Zürich StA, E II 359, 2836 (ohne Siegelspur) a Teildruck: CO XII 679f Nr. 1007

[1]Kilchmeyer erstattet trotz seiner erdrückenden Aufgaben Bericht aus Bern, da es immerhin um Bullingers Ehre sowie das Heil Gottes und der Kirche geht, die es mit allen Mitteln zu schützen gilt! -[3]Beat Gering hat in seiner Predigt am Gründonnerstag [28. März 1548]nach langen, lutherisch anmutenden Ausführungen über die leibliche Gegenwart Christi sowohl im Himmel zur Rechten Gottes als auch beim Abendmahl behauptet, dass auch Bullinger dies in seinem Kommentar zum 1. Korintherbrief Kapitel 10f vertrete. Vermutlich wollte er durch die Erwähnung von Bullingers Namen Martin Luthers Irrlehre (dessen Name er bei seinen Ausführungen verschwieg!) Anerkennung verschaffen und so die einfachen Leute (die es nicht besser wissen) in die Irreführen. -[3] Unmittelbar nach der Predigt schickte Kilchmeyer einen seiner Schüler [NN.] mit einem Brief zu Gering und bat als Zeichen des Entgegenkommens um die schriftliche Erklärung, wie und wozu er Bullingers Kommentar inmitten seiner Predigt erwähnt habe. Er wolle sich schließlich ungern auf seine alterstauben Ohren verlassen. Gering lehnte dies zunächst aus fadenscheinigen Gründen ab, schickte ihm dann aber doch innert einer Stunde das beiliegende Briefchen [nicht erhalten] mit den von ihm in seiner Predigt genannten Stellen aus Bullingers Schrift. Die eingehende Lektüre und die Besprechung mit Johannes Wäber offenbarten sehr große Unterschiede zwischen der Predigt und dem Schreiben. Im Namen Bullingers wurde die Kirche mehr geschädigt als belehrt! -[4]Kilchmeyer hat sich (falls er nicht falsch liegt) folgendes Vorgehen überlegt: Bullinger soll dem Berner Rat zunächst seine Auffassung zur leiblichen Gegenwart Christi und seine entsprechenden Darstellungen im Kommentar zum i. Korintherbrief schriftlich darlegen. Zudem soll er den Grund für das Schreiben benennen:

a Mit Schnittspuren.


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Er habe gerüchteweise erfahren, dass Gering sich bei seinen Bemerkungen über die leibliche Gegenwart Christi beim Abendmahl auf ihn bezogen hatte. Da man jedoch die meisten Gerüchte nicht einfach glauben könne, erkundige er sich nun höflich beim Berner Rat nach der Wahrheit. Wenn es sich so verhalten haben sollte, sei er nötigenfalls bereit, sich wie ein treuer Kirchendiener zu verteidigen und alles in Bewegung zu setzen, damit die heilige, heilbringende und ewige Wahrheit nicht in seinem Namen in Verruf komme und die einfachen Leute getäuscht werden. So wird Gering gezwungen, Rechenschaft abzulegen, und vielleicht sogar endlich abgesetzt werden! Und auch, wenn es nicht dazu kommen sollte, wäre der Berner Kirche [wenigstens]Bullingers rechte Lehre und Gerings Versuch der Verbreitung seiner eigenen [lutherischen Auffassung] in dessen Namen offenkundig. -[5]Im März hatte [der Berner Rat]Pierre Viret und einige andere Kirchendiener der Lausanner Pfarrerschaft nach Bern berufen, da böswillig und entgegen der alten Anordnung eine Überprüfung eines Kirchendieners [André Zébédée]abgehalten worden ist. Darüber hinaus hatten diese Lausanner zuvor auch noch 99 an der Kirchentür angeschlagene und unverständlich formulierte Schlussreden disputiert. Bullinger kann durch die Überprüfung der beiliegenden zehn Schlussreden [nicht erhalten]leicht erkennen, worauf diese abzielen. -[6]Der Berner Rat hat eine abschließende Begutachtung der 99 Schlussreden durch eine Kommission angeordnet, die sich aus dem Berner Chorgericht, einigen Ratsmitgliedern und allen Pfarrern zusammensetzt. Die Pfarrer wurden beauftragt, eine zuverlässige deutsche Übersetzung der lateinischen Schriften anzufertigen. Zudem sollten die Lausanner Pfarrer eine Begründung ihrer Schlussreden vorlegen. Die von der Kommission erarbeiteten Ergebnisse und Übersetzungen sollen dem Berner Rat übergeben werden. Die [zwinglischen] Berner Pfarrer sind (zum Ruhm Gottes!) hierauf vorbereitet. Der Rat wird den üblen Streit hoffentlich mit einem Urteilsspruch beenden, sofern er nicht (statt Frieden und Eintracht) das Entstehen eines neuen Irrglaubens aus derartigen Streitgesprächen wünscht. -[7]Sobald Bullinger und seine Zürcher Kollegen die beiliegenden zehn Schlussreden begutachtet haben, mögen sie diese samt ihrem sehr erwünschten Urteil zu jeder einzelnen Behauptung alsbald zurückschicken. -[8]Kilchmeyer hat sich unverzüglich auf die Suche nach der [von Bullinger fälschlicherweise] an Kaspar Seidensticker [verschickten]Quittung begeben. Als Zeugnis hiervon schickt er den beiliegenden Brief [nicht erhalten], den er von Seidensticker bekommen hat. Im Übrigen ist er für Bullingers zahlreiche, trostspendenden Briefe sowie für das Buchgeschenk über die Apostelgeschichte ["Series et digestio temporum"], das er vor einigen Tagen von einem vornehmen Mann [N.N.]erhalten hat, sehr dankbar. -[9]Grüße, auch an Bullingers Frau Anna [geb. Adlischwyler]und Familie. Die Kollegen soll Bullinger von Kilchmeyer, Eberhard von Rümlang, Nikolaus Pfister und Johannes Wäber grüßen. Erneuter Gruß. -[10]Das gewünschte Schreiben von den Berner Schulherren [Pfister und Rümlang]dürfte sicherlich bald in Zürich eintreffen.

S. Licet fere prostratus iaceam, dilectissime frater, sub nimio pondere laborum, quibus subinde prernor, tarnen, quia urget dignitas nominis tui et imprimis gloria omnipotentis dei atque ecclesie salus modis plane omnibus et propaganda et tuenda, ecce velut omnibus solutus ac liber sequentia tibi significo.


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In die cene dominice proxime preterita 1 Battus 2 ille foster ad populum concionem faciens, cum plura dixisset et de presentia Christi corporali et in celo ad dexteram patris et in cena iuxta Lutheranam philosophiam existentis, intulit: "Und also schribt ouch Heinrich Bullinger, ein lerer eier kuchen Zürich, über 1. Cor. cap. 10. et 11. 3", cupiens, quantum ego intelligere potui, que hactenus docuit ex Lutheri lacunis, verum Lutheri nomine tacito, tui nominis publicatione 4 firmare sicque ignorantes ac simplices quasi vi in errorem seminatum abducere.

Hic ego protinus finita concione quendam 5 ex discipulis meis datis ad Battum literis misi efflagitans per pacis aeterne symbolum, ut scriptis per manum suam me dignaretur erudire, quomodo et in quem finem scripta tua publicato nomine tuo in medium produxerit: malle enim me manui sue quam auribus meis credere, quando per aetatem nonnihil surde facile falli queam. Peticionem meam primum (nescio, quas occupationes caussatus) b denegavit. Ceterum ad intervallum unius hore ad me misit cartulam, quam tibi mitto, 6 nuncians hic me habere, que ex commentariis tuis pro concione docuerit. Que cum diligenter legissem et d. Textorio 7 communicassem, aliter iudicare non potuimus quam verba de pulpito iactata literis ad me missis quam longissime distare minimeque convenire. Atque ita ecclesiam sub nomine tuo potius offendit quam docuit docenda et inculcanda!

Offero itaque hac in causa tibi mentem et consilium meum discuciendum. Et, si repertum fuerit non aberrare me a scopo veritatis, oro, pro solercia tua in hunc modum prodire velis: Primum ad magnificum senatum 8 scribe, quid sencias de presencia Christi corporali, quidque commentaria tua de hac re doceant. Deinde causam adde, cur hec scripseris: nempe te publico rumore percepisse Battum sub nomine tuo quedam de Christi corporali presencia in cena in populum sparsisse. Quia vero fama plerumque incerta et non protinus pro veritate accipienda, te suppliciter rogare, ut senatus te edoceat tibique veritatem aperiat. Quo facto te paratum tua, si opus fuerit, ut fidelem ecclesiæ ministrum defendere moturumque omnem lapidem 9 , ne sancta

b Klammern ergänzt.
1 In die ... preterita: Am Gründonnerstag, dem 29. März 1548.
2 Beat Gering, der als Pfarrer in Bern wirkte und lutherische Ansichten vertrat. -Zum damals schwelenden Konflikt zwischen der lutherischen und der zwinglischen Partei Berns s. Nr. 3116, Anm. 142.
3 1Kor 10f. -Bullingers Kommentar zum 1. Korinther war erstmals 1534 als "Commentarius in priorem Pauli ad Corinthios epistolam" bei Christoph Froschauer d.Ä. in Zürich gedruckt und 1537, 1539 und 1544 nochmals in den Gesamtausgaben von Bullingers Kommentaren zu den apostolischen Briefen herausgegeben
worden; s. HBBibl I 53; 84-86. - Eine moderne Edition auf Basis der Ausgaben von 1534 und 1537 erfolgte 2012 (HBTS III/6 227-464).
4 öffentliche Nennung.
5 Unbekannt. -Eine Liste der bekannten Schüler in Bern aus dem Jahr 1548 findet sich in den Matricula Scholae Bernensis (Bern StA, B III 1010), S. 45-48.
6 Die Beilage ist nicht erhalten. 7 Johannes Wäber, Helfer am Berner Münster.
8 ad magnificum senatum: an den Berner Rat.
9 Vgl. Adagia 1, 4, 30 (ASD II/I 429, Nr. 330).


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et salutifera aeternaque veritas uspiam sub nomine tuo male audiat simplicesque decipiantur. Sic enim fore existimo Battum ad rationem reddendam compulsum exitum 10 sibi maturare iampridem meritum. Quod si non successerit, tarnen ecclesiam Bernensem intelligere, quam probe tu scripseris atque docueris, quidve Battus fuerit conatus sub nomine tuo introducere ac plantare.

Deinde Petrus Viretus cum nonnullis c aliis ministris ex classe 11 Lausannensi ad Bernam vocati fuerunt superiori mense propter examen ibidem super aliquo ministro 12 sinistre ac contra pristinum ordinem habitum. Insuper et 99 conclusiones ecclesiæ valvis affixas Lausanne disputarunt. 13 In quibus quid quesierint ac sophisticis verborum ambagibus phalerisque 14 contenderint, ex 10 illis, quas tibi legendas atque examinandas mitto, 15 facile intelligere poteris.

Senatus semel decrevit || v conclusiones a consistorio nostro 16 primum examinari adiunctis quibusdam ex senatorio ordine una curn ministris ecclesiæ omnibus, quorum diligencia et labore, que Latine scripta erant, in Germanicam linguam verterentur. Simulque precepit, ut argumenta sua Lausannenses ostenderent, quibus conclusiones tueri et pro veritate stabilire tentarint. Deinde mandatum est nobis 17 fideliter discussa atque interpretata ad senaturn referre omnia. Stamus itaque nunc pro dei gratia parati et armati singulis horis expectantes, quando iubeamur deprehensa et in Germanicam versa senatui offerre, qui sentenciam de universis ferens maledicte semel contentioni, ut firmiter speramus, finem impositurus est, si alioqui mavult pacem et concordiam quam gloriam Grecam 18 et ex huiusmodi disputationibus subinde novas videre ac pati hereses.

Perlectas conclusiones ac diligenter a te fratribusque vestris, qui in et doctrina tecum laborant, examinatas, quam primum poteris, remitte addito illo,

c In der Vorlage nonullis.
10 Gemeint ist die Amtsenthebung.
11 Gemeint ist die gesamte Körperschaft der Pfarrer von Lausanne. Die Classe besteht aus mehreren Colloques (kleineren regionalen Körperschaften vom Pfarrern). Ein Teil der Pfarrer wurde am 6. März 1548 auf den 6. April nach Bern vorgeladen; s. zur kirchliche Struktur des Waadtlandes Vuilleumier 278-289; zur Schule und zur Vorladung Crousaz, L'Académie (besonders S. 93f).
12 André Zébédée. - Zu dessen Streit mit Viret infolge einer Lausanner Disputation s. Nr. 3116, Anm. 142; Nr. 3147, Anm. 6.
13 Der Text dieser 99 Thesen ist derzeit noch unbekannt. Die erhaltenen Vorstufen dieser Texte werden in Michael W. Bruening, The Lausanne Theses on the Ministry and the Sacraments (1547-1548), in: Zwa XLIV, 2017,
417-443 vorgestellt und veröffentlicht.
14 Hier im Sinne von trügerisch, unecht; vgl. Kirsch 2147 s.v. phaleratus.
15 Die Beilage ist nicht erhalten. - Eine Abschrift der zweiten Schlussrede, die sich Bullinger eigenhändig angefertigt hatte, findet sich in Zürich StA, E II 437, 469f.
16 a consistorio nostro: vom Berner Chorgericht. Dieses Richtergremium setzte sich aus zwei Kleinräten, zwei (später vier) Großräten und zwei Prädikanten zusammen; s. Quervain 25; Guggisberg, Bern 177.
17 Gemeint ist die oben in Z. 43f genannte Kommission, die sich aus dem Berner Chorgericht, weiteren Ratsmitgliedern und den Berner Pfarrern zusammensetzte.
18 Gemeint ist weltlicher, vergänglicher Ruhm; vgl. 2Makk 4, 15.


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quidnam ipsi de singulis senciatis, quorum sentenciam audire quam cupidissime desydero.

De investiganda quittancia 19 nihil plane cunctatus sum. Quod, ut darius videres, literas 20 a Caspare nuper missas meis adnectens tibi mitto ingentes tibi referens gratias et de frequentibus tuis literis, quibus me consolari non cessas, et de libello 21 tuo in acta apostolica, quo me preteritis diebus per quendam nobilem 22 condonasti.

Vale in domino una cum uxore 23 , liberis 24 familiaque omni. Et fratres omnes nomine meo, d. Eberhardi 25 , Artopoei 26 , Textoris 27 saluta. Iterum vale. Ex Berna, 2. aprilis 1548.

Sentenciam, quam a scholarchis 28 nostris expectatis, brevi, ni fallor, habebitis. Tod. Kilchmeyer, tuus semper.

[Ohne Adresse.]

19 Bullinger hatte zuvor versehentlich ein falsches Schriftstück an Kaspar Seidensticker geschickt, um dessen Rücksendung sich Kilchmeyer zu kümmern versprach; s. Nr. 3125,10-13.
20 Die Beilage ist nicht erhalten.
21 Bullingers "Series et digestio temporum" (HBBibl I 176; VD16 B9689); s. auch Nr. 3154, Anm. 7.
22 Unbekannt.
23 Anna, geb. Adlischwyler.
24 Zu deren Namen s. Nr. 3116, Anm. 11.
25 Eberhard von Rümlang.
26 Nikolaus Pfister.
27 Johannes Wäber.
28 Zum Gremium der Berner Schulherren s. Nr. {3116, Anm. 14. -Die ausstehende Strafe für die Berner Studenten hatte Kilchmeyer bereits am 11. März 1548 angekündigt; s. Nr. 3159,27-29.