Heinrich-Bullinger-Briefwechseledition, Universität Zürich © Heinrich Bullinger-Stiftung Arpa Bibliothek Textbreite Schriftgröße

[3154]

Joachim Vadian
an Bullinger
St. Gallen,
Freitag,
2. März 1548

Autograph: Zürich StA, E II 351, 65 (Siegelspur) a Druck: Vadian BW VI 707f Nr. 1598

[1]Bullinger möge sich der Sache des Briefüberbringers, Pfarrer Itelhans Bertz von Romanshorn, annehmen, der vom Antronius [Abt Diethelm Blarer von Wartensee von St. Gallen] sehr schlecht behandelt wird. Den Grund hierfür konnte der [zuständige]Thurgauer Landvogt Leonhard Holzhalb bis zum heutigen Tag nicht herausfinden. Als Bertz neulich bei Vadian in St. Gallen war, hat der Abt seine Verhaftung angeordnet, ließ hierfür bewaffnete Wachen aufstellen und die Wege absperren, damit er ihm nicht entkommen könne! Als Vadian und Bertz davon erfuhren, machten sie den Plan des Abts und seiner Schergen durch eine gewitzte List zunichte. Während die postierten Männer bis weit in die Nacht Wache hielten, gelangte Pfarrer Bertz über einen Umweg schon am nächsten Tag wohlbehalten zu den Seinen zurück. Seitdem ist er aber im Gebiet des Abtes nirgends mehr sicher! Es wäre wohl das Beste, wenn Bertz mit Hilfe des Landvogts Holzhalb den Abt zur Schlichtung des Falles zu einer der nächsten Badener Tagsatzungen vorlüde. Denn der Abt scheint die ganze Angelegenheit bis zur Amtseinführung des folgenden Thurgauer Landvogtes [Niklaus Cloos aus Luzern]verzögern zu wollen. Bullinger möge also veranlassen, dass dem rechtschaffenen Mann in Zürich geholfen werde, damit dieser nicht aufgrund der Verleumdungen ins Exil gehen muss. Vadian schätzt ihn nicht aufgrund seiner Umgänglichkeit, sondern weil er so standhaft für die evangelische Lehre eintritt. -[2]Vadian ist sehr dankbar für die Zusendung [der ersten]Lagen von Bullingers Schrift [ et digestio temporum"]und wünscht, dass ihm auch die übrigen zukommen. Seine hohe Meinung von der Schrift steht aber bereits fest. Doch auch [andere]Gelehrte werden das Werk als ein

c-c Am Rande nachgetragen. -
a Ohne Schnitt- oder Nadelstichspuren.
10 Überbringer des vorliegenden Briefes war Andreas Schmid; s. oben Z. 2f sowie Bullingers
Brief an Johannes Calvin vom 26. Mai 1548 [Zürich StA, E II 342, 205).


briefe_vol_21-244arpa

wertvolles Handbuch für all jene ansehen, die sich für die Apostelgeschichte interessieren. Der St. Galler Johannes Kessler sollte auch ein Exemplar bekommen, da dieser ein durchaus fähiger Gutachter ist! -[3]Bullinger möge Theodor Bibliander bitten, Vadian auch sein [neustes] Werk [ ratione communi omnium linguarum et literarum commentarius] zuzuschicken. -[4]Grüße.

S.P.D. Ego tibi, vir optime et doctissime, caussam parochi 1 a Romisshorn, qui has meas perfert, ex animo commendo. Misere ipsum tractat et valde contemptim Antronius 2 . Nec potest in praesentem usque diem caussas tantae indignationis extorquere praefectus Durgavie Holtzhalmus 3 . Nec ita pridem, quum homo optirnus apud me Sangalli ageret, de eo capiendo Antronius decrevit dispositis passim armatis et mire praeclusis itineribus, ne elabi ullo modo posset. Quod ubi rescivirnus, ridiculo, sed vafro tamen stratagemate 4 ita consilium Antronii et grassatorum elusimus, ut ipsis ad multam noctern excubantibus parochus interim (sed longiore tarnen itinere) incolumis ad suos crastino die pervenerit. Proinde nullus ei locus intra illius ditionem tutus est. Consultissimum esset meo iudicio, ut Itelianus noster d. Holtzhalmi patrocinio adiutus diem diceret Antronio ad Thermas vel proxima in comitia 5 vel rnox inde futura. Videtur enim hic rem omnem in alius praefecti adventum dilaturus. Dabis igitur operam, uti per tuos pro virili adiuvetur, ne demum calumniis obrutus solum vertere non sine gravi suorum offensione cogatur. Arno ego hominem non tarn ob morum facilitatem, quam ob eximiam constantiam, qua sanae nostrae religioni addictissimus est.

De missis ad me chartis 6 tui epitomati b,7 longe maximas ago gratias petoque, ut reliquas itidem ad me mittendas cures. Neque meo opus est iudicio, quod sane mire

b In der Vorlage epitomatis. - Vadian verwendet hier das Partizip Perfekt Passiv von epitomare (zusammenfassen) im Genitiv Neutrum und muss wohl vergessen haben, das "s" am Ende zu streichen.
1 Itelhans Bertz, gest. 1556, war Pfarrer in Romanshorn (Kt. Thurgau). Den Zorn des St. Galler Fürstabts Dietheim Blarer hatte er sich seiner Meinung nach zugezogen, weil er sich gegen die (Wieder)einführung der Messe in Romanshorn gewehrt und zudem für den Sieg von Kurfürst Johann Friedrich I von Sachsen, einem der beiden Anführer des schmalkaldischen Bundes, gebetet hatte; s. Knittel, Thurgau-II 219; Vadian BW VI 638, Nr. 1550.
2 Gemeint ist der oben in Anm. 1 genannte St. Galler Fürstabt. - Zu der polemischen Bezeichnung Antronius s. HBBW XVII, Nr. 2517, Anm. 5.
3 Der Zürcher Leonhard Holzhalb (auch Holzhalm), zu dieser Zeit Landvogt im Thurgau;
s. Nr. 3118, Anm. 3.
4 List; s. Kirsch 2692. 5 Die folgenden Tagsatzungen zu Baden sollten am 12. März und am 12. Juni 1548 beginnen; s. EA IV/1d 926. 953. -Damit eine Verhandlung der Angelegenheit zwischen dem Fürstabt und Bertz noch unter dem Schutz von Holzhalb stattfinden konnte, musste sie bis Ende Juni 1548 geführt werden, da Holzhalb als Thurgauer Landvogt im Juli 1548 durch den Luzerner Niklaus Cloos abgelöst werden sollte; s. Nr. 3118, Anm. 3; EA IV/1d 1101. - Vadian befürchtete wohl, dass Bertz durch den altgläubigen Cloos weniger Unterstützung erfahren dürfte.
6 Lagen; s. Kirsch 506.
7 Bullingers Schrift "Series et digestio temporum"


briefe_vol_21-245arpa

in illo adquiescit. Sed iudicabunt doctissimi dignum esse ipsum [librum, Ut] c omnes, qui apostoli lectione delectantur, manibus terant. Cuperem et K[esslero 8 no]stro exemplum transmitti. Nam et ipse iudex est minime proletarius.

Oro autem, meo nomine appellare d. Bibliandrum velis, ne et sua me lucubratione carere sinat. 9

Vale. Sangalli, postridie calendarum martii, anno domini 1548. Ioachimus Vadianus.

[Adresse auf der Rückseite:] Praestantissimo viro d. Heinrycho Bullingero, clarissimo urbis Tigurinae episcopo, domino et amico colendissimo. 10

c Hier und unten Textverlust durch Papierverlust.
(HBBibl I 176; VD16 B9689) erschien zwischen dem 28. Januar und dem 10. Februar 1548; s. Nr. 3121, Anm. 1. -Die hier erwähnten ersten der insgesamt neun Lagen, die Bullinger mit einer eigenhändigen Widmung für Vadian versah, ließ sich dieser nach Erhalt der übrigen Lagen zu einem Buch zusammenbinden; s. Bibliotheca Vadiani. Die Bibliothek des Humanisten Joachim von Watt nach dem Katalog des Josua Kessler von 1553, unter Mitwirkung von Hans Fehrlin und Helen Thurnheer bearb. y. Verena Schenker-Frei, St. Gallen 1973, S. 373, Nr. 1152. -Zu Bullingers eigener Einschätzung seines Werks s. Nr. 3156, 1-3.
8 Johannes Kessler.
9 Gemeint ist, dass Theodor Bibliander sein jüngstes Werk "Dc ratione communi omnium linguarum et literarum commentarius" (VD16 B5330; BZD C382) an Vadian senden möge. Die Schrift, die gemäß der datierten Vorrede nicht vor dem 6. März 1548 erscheinen sollte, befand sich bereits seit einigen Wochen in der Drucklegung bei Christoph Froschauer d.Ä. s. Nr. 3139,20-27; Bibliander, aaO, Bl. a[4],r. -Vadian erhielt ein ihm handschriftlich gewidmetes Exemplar als Geschenk; s. Bibliotheca Vadiani, aaO, S. 23, Nr. 74.
10 Der Überbringer des vorliegenden Briefes war Itelhans Bertz; s. oben Z. 1f mit Anm. 1.