Heinrich-Bullinger-Briefwechseledition, Universität Zürich © Heinrich Bullinger-Stiftung Arpa Bibliothek Textbreite Schriftgröße

[3153]

Johannes Calvin
an Bullinger
Genf
Donnerstag, 1. März 1548

Autograph: Zürich StA, E II 368, 5 (Siegelabdruck) a Druck: CO XII 665-667, Nr. 999; englische Übersetzung: Letters of Calvin II 146f Nr. CCXVIII

[1]Da zuvor kein verlässlicher Briefbote zur Verfügung stand, schreibt Calvin erst jetzt. Denn nun soll der Zürcher Gesandte [Andreas Schmid] in Genf sein, den er nicht ohne einen Brief für Bullinger wieder abreisen lassen möchte. -[2]Er geht nicht auf die lange und sorgfältige Stellungnahme Bullingers zu seinem Gutachten Tuber die Schrift "De sacramentis"]ein. Es besteht nämlich kein Grund zu streiten! Er hat ja in seinem Gutachten auf Bullingers Wunsch hin (als Freundesdienst!) all jenes vermerkt, was ihm nicht gefiel, anderen missfallen und bei frommen Gelehrten auf Missbilligung stoßen könnte. Hierzu kann Bullinger auch gern eine andere Meinung haben. Es wird sicherlich nicht das letzte Mal sein, dass Calvin sich eine größere Eintracht zwischen ihnen beiden wünscht... Für ihn ist die Auffassung, dass sich Christus durch die Sakramente vermittle, wichtiger als für Bullinger. Aber das ändert nichts daran, dass sie an den gleichen Christus glauben und in ihm eins sind! Vielleicht kommt es ja eines Tages zu einer größeren Übereinstimmung. -[3]Calvin hielt stets mehr von klaren Worten als von Spitzfindigkeiten und wurde für diese Deutlichkeit im Ausdruck selbst von jenen gelobt, die anderen Unklarheit unterstellen. Nie gibt er etwas vor, nur um den Leuten zu gefallen. Deshalb kann man ihm auch keine Hinterhältigkeit vorwerfen! Seine verständliche Lehrweise lässt weder Argwohn noch den Vorwurf der Unklarheit zu. Schließlich bemüht sich Calvin darum, rechtgläubig und aufrichtig zu lehren. Obwohl er dabei nicht bei allen gleichermaßen auf Zustimmung trifft, soll man deswegen nachsichtig mit ihm sein. Es war deshalb überraschend für ihn, als er neulich in Basel über einen Freund [Oswald Myconius?] von der Beschwerde der Zürcher erfuhr, er vertrete in seinem Kommentar [zum ersten Korintherbrief]eine andere Lehrmeinung, als er ihnen versichert hatte. Dazu nur dies: Er äußert sich in Genf nicht anders als in Zürich. Woher dieser Vorwurf auch stammen mag: Ergeht lieber von einem Missverständnis beim Freund aus. Bis jetzt ist er nämlich trotz aller Gefahren nie davon abgewichen, seine Meinung deutlich zu äußern, damit er durch seine Ausführungen, die mit seiner innigsten Überzeugung in Einklang stehen, auch die Stursten zu etwas Nachgiebigkeit veranlasse. Weshalb hätte er nun diese Haltung ohne zwingenden Grund aufgeben sollen? Wenn er jedoch die Menschen nicht für seine Auffassung gewinnen kann, dann genügt es ihm zu wissen, dass Gott [dereinst]die Richtigkeit seines Bekenntnisses bezeugen wird. -[4]Der Gesandte [Schmid] wird über die Lage in Frankreich ausgiebiger und besser berichten können, als es in einem Brief möglich ist. Wäre sie doch erfreulicher! Tatsächlich erfährt man aber tagtäglich nur schlechte Neuigkeiten. Zweifellos blieb [Schmid](obwohl er vermutlich Anweisung hatte, sich dem ganzen papistischen Unrat zu entziehen) nichts anderes übrig, als der schändlichen Entweihung der Taufe zuzuschauen. -[5]Grüße, besonders an Konrad Pellikan, Theodor Bibliander, Rudolf Gwalther und die übrigen

a Ohne Schnitt- oder Nadelstichspuren.


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Pfarrkollegen und Schullehrer. Segenswünsche. [6][P.S.:]Calvins Kollegen lassen Grüße ausrichten. Viele Grüße an Bullingers Frau [Anna, geb. Adlischwyler]und Familie.

S. Quid obstiterit, quominus tibi citius responderim, vix scio, nisi quod nondum se obtulit certus nuncius, qui me ad diligentiam excitaret. Nunc vero, cum legatum 1 urbis vestre hic 2 esse audirem, committere nolui, ut sine meis literis discederet.

Longam illam responsionem 3 , in qua omnia, de quibus te b admonueram, accurate diluere conaris, silentio pretereo. Quid enim attinet inter nos disceptare? Notaveram in libro tuo 4 , que vel mihi non placerent vel possent aliis displicere vel que puis ac doctis vins probatum in diffiderem. Feceram id tuo rogatu. Functus sum amici officio. Si tu aliter sentis, per me tibi liberum est. Hoc quidem non postremum esset in votis meis, ut penitus inter nos conveniret. Verum utcunque maior Christi communicatio mihi in sacramentis constet, quam verbis tuis exprimas, 5 non tamen propterea desinemus eundem habere Christum et in ipso unum esse. Aliquando forte in consensum pleniorem coalescere dabitur.

b In der Vorlage de.
1 Der Zürcher Bannerherr Andreas Schmid. — Er war am 13. Januar 1548 als Vorsteher der eidgenössischen Gesandtschaft zur Taufe von Claude de France, Tochter von König Heinrich II. von Frankreich, aufgebrochen, die am 7. Februar in Fontainebleau stattgefunden hatte. Am 11. Februar trat die Gesandtschaft die Rückreise an und erreichte am 22. Februar das von Fontainebleau rund 380 Kilometer entfernte Lyon. Von dort schickte Schmid am 23. Februar 1548 erstmals einen kurzen Bericht über die bisherige Reise an den Zürcher Rat (Zürich StA, A 225.2, 48-49). Laut Schmids Angaben hatte die Gesandtschaft vor, ihre Reise am 27. Februar fortzusetzen. Wie vorliegender Brief darlegt, erfolgte der weitere Rückweg über Genf; s. Nr. 3102, Anm. 9; Nr. 3109,2-4; Nr. 3136,36f mit Anm. 9 und Anm. 24.
2 in Genf.
3 Nicht erhalten. — Bei dem Schreiben handelt es sich um Bullingers Stellungnahme zu Calvins Gutachten vom 25. Februar 1547 (HBBW XIX, Nr. 2825). Dieses hatte Letzterer auf Bullingers Wunsch hin über dessen Ende 1545 verfasste, damals aber noch ungedruckte Schrift "Dc sacramentis" erstellt. Bullinger war von der Kritik seines Genfer Kollegen anscheinend wenig begeistert und antwortete zunächst nicht darauf Erst nach
Calvins folgendem Brief vom 19. September 1547 (HBBW XX, Nr. 3015) schickte er wieder einen Brief nach Genf; s. HBBW XIX, Nr. 2825, Anm. 1 und 2; zur Schrift "Dc sacramentis" s. auch Nr. 3149, Anm. 16. — Da Calvin das hier erwähnte, nicht erhaltene Schreiben am 23. Januar 1548 an Pierre Viret weitergeleitet hatte (CO XII 653f Nr. 990), kann Bullinger dieses in Anbetracht der im Durchschnitt etwa neuntätigen Reisezeit von Zürich nach Genf nicht nach Mitte Januar 1548 abgeschickt haben. Da er Calvin sicherlich erst nach dessen Brief vom 19. September 1547 geantwortet haben dürfte, ergibt sich für die Datierung des verschollenen Briefes der Zeitraum von Anfang November 1547 bis Mitte Januar 1548.
4 Notaveram in libro tuo: Calvins Formulierung deutet zwar daraufhin, dass die kritischen Anmerkungen auch direkt in die nicht erhaltene Abschrift von "Dc sacramentis"eingetragen wurden. Es ist jedoch in Anbetracht des oben genannten, äußerst umfangreichen Gutachtens von Calvin wahrscheinlicher, dass "in libro tuo"hier im Sinne von "bezüglich deines Buches" zu verstehen ist; s. Georges II 125.
5 Zur bis anhin ungelösten Abendmahlsfrage zwischen Bullinger und Calvin vgl. auch Nr. 3147,16-20.


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Ego ingenuitatem semper amavi. Argutiis non delector. Et perspicuitatis laudem mihi tribuunt, qui alios obscuritatis insimulant. Itaque nec vafrities mihi obiici potest, qui nihil astute in hominum gratiam simulo. Et simplicior est mea docendi ratio, quam ut sinistram aliquam suspitionem admittat, et magis explicata, quam ut obscuritatis nomine offendere debeat. Quodsi aliis non pereque satisfacio, danda est venia, quia bona fide, quod mihi datum est, ac sincero candore profiteri studeo. Quare nuper miratus sum, cum Basilee essem, tuam querelam, que ab amico referebatur, 6 me aliter docuisse in meis commentariis 7 , quam vobis essem pollicitus. Respondi uno verbo, quod verum erat non aliter me Tiguri loqui quam Geneve. Quamquam hoc totum, qualecunque erat, malui eius errori, qui narrabat, tribuere. Ego, cum mihi periculosum esset liquido profiteri, quod sentiebam, adeo non deflexi a recta linea, ut libere et constanter ex intimo animi mei sensu loquendo vel rigidissimos ad aliquam moderationem flecterem. Cur nunc nulla necessitate proposita mutarem et consilium et animum? Verum id hominibus si minus persuadeo, contentus ero deo confessionis mee teste.

De rebus Gallicis 8 plura et melius referet legatus vester, quam ego literis complecti queam. Utinam essent eiusmodi, que libenter audires! Sed nihil quotidie affertur nisi triste. Utut abstinere iussus fuerit ab omnibus inquinamentis papatus, hoc certe non potuit effugere, quin foedam sacri baptismi profanationem cerneret. 9

Vale, eximie vir et frater in domino plurimum colende. Salutabis diligenter meo nomine d.d. Pellicanum, Bibliandrum, Galtherum et reliquos symmystas ac

6 Womöglich hatte Calvin während seines Aufenthalts in Basel in der zweiten oder dritten Februarwoche 1548 dort auch seinen Freund Oswald Myconius getroffen; s. Paul Wernle, Calvin und Basel bis zum Tode des Myconius, Tübingen 1909, S. 57-59 mit Anm. 264.
7 Calvins 1546 in Straßburg erschienene Schrift "Commentarii in priorem epistolam Pauli ad Corinthios"(VD16 B5052; Bibliotheca Calviniana I Nr. 46/2) zeugt von einem bucerischen Einfluss auf Calvins Lehre und dürfte daher Bullingers Unmut erregt haben; s. Consensus Tigurinus. Heinrich Bullinger und Johannes Calvin über das Abendmahl, hg. y. Emidio Campi und Ruedi Reich, Zürich 2009, S. 16 mit Anm. 27. - Offensichtlich hatte Calvin während seines Aufenthaltes in Zürich im Februar 1547 eine den Zürcher Theologen entgegenkommende Haltung zu strittigen Punkten eingenommen, die diese jedoch nicht in Einklang mit seinen Ausführungen in der genannten Schrift bringen konnten. -
Zu Calvins damaligen Aufenthalt in Zürich s. HBBW XIX, Nr. 2787,53f; Nr. 2825, Anm. 2. -Bullinger wurde bereits knapp drei Jahre zuvor durch den Brief von Leonhard Serin vom 18. August 1545 auf die vom Zürcher Abendmahlsverständnis abweichende Lehre Calvins hingewiesen; s. HBBW XV, Nr. 2217,36-48.
8 Zur Lage der Evangelischen in Frankreich und dem Einfluss der Altgläubigen auf Heinrich II. s. Nr. 3109, Anm. 7; Nr. 3119,24-29; Nr. 3136,52-54. 81-88; Nr. 3148,7-11.
9 Schmid nahm nicht nur an Taufzeremonie von Claude de France teil. Es fiel ihm auch die Aufgabe zu, die Königstochter zur Kirche zu tragen; s. Nr. 3102, Anm. 9; EA IV/1d 928 k. - Zu Calvins strikter Ablehnung der Teilnahme an päpstlichen Zeremonien s. Nr. 3166, Anm. 11; CO V 253. - Dass die eidgenössischen Gesandten an der papistisch abgehaltenen Taufe teilnehmen müssten, gab bereits Georg Frölich am 17. Dezember 1547 zu bedenken; s. HBBW XX, Nr. 3094,29-34.


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ludimagistros. Dominus Jesus vos spiritu suo regat vestrisque pus laboribus benedicat ac vos tueatur incolumes! Geneve, calendis martiis 1548. Ioannes Calvinus tuus.

c College etiam mei omnes vos reverenter salutant. Uxori familicque tue plurimam salutem. c

[Adresse auf der Rückseite:] Ornatissimo viro d. Henricho Bullingero, Tigurine ecclesiæ fido pastori, fratri et symmyste charissimo. 10