[3150]
Autograph: Zürich StA, F II 351, 63 (Siegelrest) a Druck: Vadian BW VI 706f Nr. 1597
[1]Vadian kann sich nicht verkneifen, den vielbeschäftigten Bullinger nicht nur (wie so oft)
mit ernsthaften Angelegenheiten, sondern auch mit kurzweiligen Nachrichten zu belästigen
oder gar zu erfreuen. -[2]Kürzlich hat einer [N.N]die Tragödie "Passio. Wie der
Durchleüchtigst hochgeborn Fürst und Herr, Herr Johanns Friderich Hertzog zu Sachssen
[..] Von Kayser Karel dem fünfften [..]bekriegt unnd gefangen ist worden"] über die
Gefangenschaft [von Johann Friedrich I., Kurfürst von Sachsen,]und über die Niederlage
aller [schmalkaldischen]Städte in Form einer Leidensgeschichte des Kurfürsten verfasst
und dafür die Passion Christi wortreich und in schändlicher Weise verdreht. Und es gibt
nichts, das Vadian mehr missfällt als zu sehen, wie diese Spottschriften eine so heilige und
wahrhaft göttliche Sache in so übler Weise verunstalten und regelrecht öffentlich verhöhnen.
Viel lieber als diejenigen, die sich nicht scheuen, die Heilige Schrift für weltliche (wenn
auch erinnerungswürdige) Ereignisse in anstößiger Weise zu missbrauchen, sind ihm jene
Dichter, die auf Grundlage von [antik-paganen] Werken christliche Gedichte zusammenstellen
(obwohl Hieronymus selbst [solche Werke] wiederholt verurteilt). Derjenige, der
Vadian zum Lesen des Stücks aufgefordert hat, erregte daher dessen Zorn. Vadian schickt
Bullinger die Schrift, damit dieser selbst feststellen kann, was für einen Wahnsinn man
sich in dieser furchtbaren Zeit erlaubt. Die übrigen Schriften, die Vadian anbei schickt,
sind lesenswert. Sie drücken nämlich ein gewisses Mitgefühl aus und mahnen zudem off
en die mehr als tyrannische Verschlagenheit an, zu welcher [Kaiser Karl V]neigt, der
nach eigenem Urteil nur Gott untersteht. -[3]Karl V. hat vergangene Woche auf einerbriefe_vol_21-232 arpa
großen Bühne auf dein Augsburger Weinmarkt Amtslehen verliehen. Herzog Moritz von
Sachsen erhielt feierlich die Kurwürde und mit dem [Blut]banner Teile Blutgerichtsbarkeit].
-[4]Beinahe alle Fürsten sind noch Lin Augsburg] und halten Rat. Die [Vertreter] der
Reichsstädte sollen dabei nicht berücksichtigt werden. -[5]Karl V. soll seine Wachtmeister
und Kriegsknechte aufgefordert haben, alljene zu melden, die Lazarus von Schwendi ehrverletzend
verunglimpft haben, nachdem sie die letzten Worte von Sebastian Vogelsberger vor
dessen Hinrichtung gehört hatten. So sollen diese an Leib und Gut gestraft werden können.
-[6]Der Scharfrichter [NN]soll, wie man glaubhaft berichtet, allen Sympathisanten
Frankreichs nach der Enthauptung der drei Männer [Vogelsberger, Jakob Mantel und Wolf
Thomas]öffentlich gedroht haben: Wenn sie sich nicht vorsahen, werde sie die gleiche Strafe
ereilen! -[7]Der französische König Heinrich II. soll sich daher in Acht nehmen! Denn
viele zweifeln nicht daran, dass der Kaiser ihm nicht nur im eigenen, sondern im Namen
aller Fürsten befehlen wird, Herzog Karl III. von Savoyen die Länder dies- und jenseits der
[Alpen]zurückzugeben. -[8]Bullinger wird zudem [noch]sehen, dass auf dem Reichstag
weitreichende Pläne zur Wiedereinverleibung der Eidgenossenschaft ins Reich gefasst
wurden. Ach, möge sich das doch zum Guten wenden und nicht den Eidgenossen, sondern
den Urhebern solcher Pläne schaden! -[9]Vadian geht davon aus, dass [der Kaiser]seine
Beschlüsse gänzlich als die der Reichsstände ausgegeben wird. Und diesen wird man sich
freiwillig unterwerfen müssen, wenn man nicht in kaiserliche Ungnade fallen möchte. Und
niemand [aus den Reichsständen](die doch so ehrlich sind!) gibt zu, dass dieses Vorgehen
gegen die [evangelischen, noch nicht mit dem Kaiser ausgesöhnten]Reichsstädten und die
Eidgenossen gerichtet ist! -[10]Die Zürcher mögen ihre Häupter emporheben [Lk 21, 28]!
Grüße.
||63v. S. Mihi imperare non possum, colende Bullingere, quin te vel occupatissimum non seriis modo (quod saepe tamen soleo), sed ludicris etiam et nugis nescio obruam, dicam, an oblectem.
Nuper quidam tragoediam 2 illam captivitatis Saxonicae et totius urbium calamitatis in historiam convertit passionis electoris eamque ad rem abusus est hystoria passi Christi, quam vafre admodum et argute detorsit. Sed nihil est, quod mihi plus displiceat, quam dum video pasquillos illos tanta libidine et procacitate rem tam sanctam ac vere divinam sensibus tam foedis et affectatis viciare et tantum non palam traducere. Et longe gratiores mihi sunt, qui de poetarum fabulis centones consuunt, religioni nostrae subscribentes (quanquam et ipsos alicubi damnet Hieronymus), quam qui prophanas ad res, quantumvis memoratu dignas, eloquio illo
briefe_vol_21-233 | arpa |
---|
coelesti non sine grandi scandalo abuti non verentur. Proinde nihil mihi nisi fellis multum ingessit, qui ludum illum, ut legerem, hortatus. Atque sane illum ipsum ad te mittere volui, ut, quanta sit plerorumque in his exulceratissimis temporibus insaniendi libertas, tute ipse considerares. Reliqua, quae mitto, non perinde indigna sunt, quae legantur. Habent enim aliquid commiserationis et praeter astum plus quam tyrannicum palam etiam admonent, quo tendat illius 3 animus, qui suo arbitrio uno tantum minor est Jove, e[tc]b .
Kayserliche maiestat hat die vergangen wochen lechen gelichen 4 auf amer großen pruggen 5 zu Augspurg amm weinmark und under anderm dem churfürsten Mauritzen daß churfürstenthümb c Saxen mit vil prachtz und ainem großen fannen 6 zugestelt. 7
Die fursten sind noch vasthin 8 all beyainandern, die gond ouch allain zu radt. Von den stetten säche man niemand an 9 .
Und soll der kayser seinen wachtmaistern und allem kriegsvolk zu Augspurg vorlesen ha-||63r. ben laßen, alle die anzüzaygen, die demm von Schwenden 10 auf Vogelspergers 11 gethane red an seinem abschaiden 12 seiner eren schmeleren und imm darzu 13 reden 14 weltend, damit dieselben nach gebür 15 an leyb und gut gestraft werden könnend.
Wie 16 der nachrychter 17 die drey mann endthouptet, [etc.], hat er (wie man glauplich 18 sagt) offentlich gerett, eß söllind sich alle, die frantzösisch 19 sind, wol ummsechen 20 : Dann wie eß denen 21 gangen sey, also werde es andern ouch gan.
Videat igitur de se tutando Gallus. Nam multi sunt, qui non ambigunt, quin legem ei certam et saeveram quidem praescripturus sit (non suo dumtaxat, sed principum omnium nomine) d caesar, ante omnia vero de terris cis et citra montanis
briefe_vol_21-234 | arpa |
---|
principi Sabaudic 22 restituendis.
Et videbis de nobis itidem in ordinem redigendis non levia illis in commitiis consilia captata. Quae utinam bene vortant 23 , nec in nostra, sed in authorum redundent capita!
Es wirt alles under demm hütlin 24 gemaine, usw., stenden dess reychs fürgetragen und angebotten werden mit demm anhang 25 : Wo man nit welle, daß man demmnach zu handlen verursacht 26 werde, d[ess] man lieber überhaben sein 27 wehe. Da wirt nun der kayser gern zu allen gnaden willig sein wellen, insofern wir dasjenig, so mit allen stenden dess reychs beschlossen, etc., auff unsern 28 hals ze legen und imme zu ghorchen, etc., urbüttig 29 sein werden. Es laßt sich der niemand 30 , gar ain warhaffter gesell, 31 heyter 32 merken 33 , daß spyl sey über die stett 34 und die Schweytzer angericht 35 .
Levate igitur capita vestra 36 et in domino valete. Sangalli, 25. februarii anno 1548. Vad.
[Adresse darunter:] Domino Henrych[o]f [Bullingero, ...] urbis Tigur[inae episcopo, ...].