Heinrich-Bullinger-Briefwechseledition, Universität Zürich © Heinrich Bullinger-Stiftung Arpa Bibliothek Textbreite Schriftgröße

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Béat Comte 1
an die Zürcher Pfarrer und Gelehrten
Baden,
Donnerstag, 23. Februar 1548

Autograph: Zürich StA, E II 359, 2834 (Siegelspur) a Druck: CO XII 661f Nr. 996

[1]Die Kirche von Lausanne wird immer noch von diesem [calvinistischen]Ungeist geplagt. Dabei erweist er sich als so verschlagen und listig, dass ihm leider wohl sehr viele ins Netz gehen werden. Es wird eine Frömmigkeit und eine sehr aufsehenerregende Selbstkasteiung geheuchelt, sodass die Lausanner von dieser frevelhaften Lehre eingenommen werden könnten. Dieser höllische Dämon bringt (als wäre er nie weg gewesen!) den Engel des Lichts [Satan] in die Herzen der Lausanner und sät das Unkraut seines Irrglaubens zwischen die Saat [des wahren Glaubens], die Gott einst gesät hat. -[2] Unter diesen [vom Dämon Befallenen] nimmt Pierre Viret, der Antistes der Lausanner Kirche, den ersten Platz ein. Er hatte behauptet, dass die Stelle zu Christi Himmelfahrt bei Lukas [Lk 22, 69] mit der realen und leiblichen Präsenz im Abendmahl vereinbar sei! Als ihm daraufhin André Zébédée, der Vorsteher des Lausanner Stipendiatenkollegs, [in einem Colloquium]widersprach, klagte er diesen an, sodass Zébédée sich vor dem Berner [Rat] verantworten musste. Virets weiteren gottlosen und unerhörten Aussprüche sollen hier aber nicht weiter ausgeführt werden, weil Comte davon hoffentlich bald persönlich in Zürich berichten wird. -[3]johannes Calvin, der Vorsteher der Genfer Kirche, fördert zum Nachteil des Glaubens diesen neuen Widersacher Viret. Vor gar nicht allzu langer Zeit hatte er gewagt, über den hochgelehrten und seligen Huldrych Zwingli Folgendes zu schreiben: "Einige geben sich alle Mühe, um Zwinglis [Lehre]unangetastet zu lassen. Doch seine Auffassung von der Eucharistie war falsch, weil sie dem wahren Nutzen des Abendmahls entgegenstand."Soweit Calvin. Wie ketzerisch und blasphemisch das ist, sollen die Vorsteher der Zürcher Kirche selbst beurteilen. Zudem sollen sie sich etwas überlegen, um diese unseligen Dämonen [mit Hilfe]des Heiligen Geistes Christi in die Schranken zu weisen! -[4]Grüße.

Ecclesiae Tigurine doctoribus atque episcopis Beatus Comes S.D.

Non cessat impius ille spiritus 2 cribrare nos et modis mirabilibus nostras impetere ecclesias. Adeo vafer est et versipellis, adeo astute et callide malus, ut valde metuam,

a Mit Schnittspuren.
1 Béat Comte [Beatus Comes Donzarensis), von Donzère (Dép. Drome, Frankreich), der in Lausanne lebte, betätigte sich zu dieser Zeit als Arzt; s. HBBW IX, Nr. 1288, Anm. 5.
2 Gemeint ist die von Johannes Calvin geprägte reformatorische Lehre, die auch vorsah, die
Autorität des Pfarrers zu stärken, um so eine Kirchenzucht begründen zu können. Zudem vertrat Calvin eine von Zwinglis Lehre abweichende, unten in Z. 16-20 erwähnte Auffassung bezüglich der Gegenwart Christi in der Abendmahlsfeier. Von der zwinglischen


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ne plerosque nostrorum in suam nassam pelliciat. Pietatem simulat et plane mirandam mortificationem quandam carnis, ut impium dogma suum nostris persuadeat. Angelum lucis 3 refert tartareus ille demon in nostrorum, ut insinuatus, animos. Zizanium 4 impietatis suae ei interserat sementi, quam jam ohm fecit dominus.

Atque inter eos primas tenet Viretus 5 , Lausanensis episcopus, cui quoniam in faciem resistere ausus est Andreas Zebedeus 6 , collegii Lausanensis primarius. Bernam 7 in ius ab eodem ipso Vireto vocatus est indidemque coactus causam dicere, nimirum, quod ausus fuerit repugnare asserenti Vireto locum illum Luce, qui est de ascensione Christi in coelos, 8 nihil facere contra realem ac corporalem eiusdem Christi in coena presentiam, asserenti, inquam, pleraque alia nefanda et hactenus inaudita, quae (quoniam, ut spero, vobiscum coram sum brevi tractaturus) b nunc scribere pretermittam.

Huic novo antagoniste 9 supra fidem favet Calvinus, archiepiscopus Gebenensis 10 , qui non ita pridem ausus est in hec verba de doctissimo atque beate memorie viro d. Zvinglio 11 scribere: "Alii", inquit, "in eo sunt toti, ut salvus sit Zvingius. Falsa tamen eius et perniciosa fuit de re eucharistie opinio, ut qui verum eius usum disiecerit et dissipant."12 hec ille. Que quam sint impia et blasphema, vos, o venerandi episcopi, iudicate. Ac cogitate, ut sancto Christi spiritu impiis istis daemonibus resistatur.

Valete. Badis Helvetiorum 13 , 7. calendas martias 1548. Vester ex animo confrater Beatus Comes Donzarensis.

[Ohne Adresse.]

b Klammern ergänzt. Partei wurde gar befürchtet, dass ein neues Papsttum in Lausanne errichtet werden könnte; s. Henri Vuilleumier, Histoire de l'Eglise réformée du Pays de Vaud sous le régime bernois, Bd. 1: L'age de la Réforme, Lausanne 1927, S. 660f.
3 Vgl. 2Kor 11, 14.
4 Unkraut; s. Kirsch 3024. -Vgl. Mt 13, 24-30.
5 Pierre Viret, Antistes der Kirche von Lausanne. -Comte wirkte in den Jahren 1538 bis 1545 als dessen zweiter Pfarrer in Lausanne; s. HBBW IV, Nr. 338, Anm. 26; IX, Nr. 1288, Anm. 5.
6 André Zébédée, Vorsteher des Stipendiatenkollegs und Lektor der freien Künste in Lausanne; s. HBBW IX, Nr. 1336, Anm. 18. - Die Auseinandersetzung zwischen ihm und Viret erfolgte anlässlich der Disputation der 99 Thesen über das Abendmahl und das Amt
des Pfarrers am 21. September 1547 in Lausanne; vgl. Crousaz, L'Académie 92f; Vuilleumier, aaO, S. 641; Michael W. Bruenig, Calvinism's First Battleground. Conflict and Reform in the Pays de Vaud 1528-1559, Dordrecht 2005, S. 183-186.
7 Bern.
8 Lk22,69.
9 Widersacher, griech. grec - Gemeint ist Viret.
10 von Genf.
11 Huldrych Zwingli.
12 Vgl. Calvins Brief an André Zébédée vom 19. Mai 1539; s. COX 346, Nr. 171. - Zu Calvins Meinung über Zwinglis Abendmahlsverständnis s. auch Fritz Blanke, Calvins Urteile über Zwingli, in: Zwa XI/2, S. 66-92.
13 Badis Helvetiorum: Baden (Kt. Aargau).