Heinrich-Bullinger-Briefwechseledition, Universität Zürich © Heinrich Bullinger-Stiftung Arpa Bibliothek Textbreite Schriftgröße

[3125]

Jodocus Kilchmeyer
an Bullinger
Bern,
Dienstag, 31. Januar 1548

Autograph: Zürich StA, E II 360, 75 (Siegelabdruck) a Ungedruckt

[1]Kilchmeyer sieht sich genötigt, seine unbedeutenden, alltäglichen Aufgaben kurz ruhen zu lassen, um Bullinger von den weltlichen Aufgaben etwas entlasten zu können. So kann sich dieser umso mehr den kirchlichen Angelegenheiten widmen. -[2]Zum Ersten: Bullinger forderte in seinem vormaligem Brief [nicht erhalten] einen Beleg über die Rückzahlung [der Schulden] von Kaspar Seidensticker an Ambrosius Blarer und insbesondere an den von Bullinger erwähnten [Jakob Funcklin]. Kilchmeyer hat jedoch keine entsprechende

d In der Vorlage pauco. -
a Mit Schnittspuren.
7 Kardinal Cristoforo Madruzzo, Bischof von Trient.
8 Karl V.
9 Paul III.
10 Zur Verlegung des Konzils nach Bologna durch Paul III. s. Nr. 3113, Anm. 4. - Zur Antwort des Papstes, die Madruzzo vor den Reichsständen übermittelte, s. Nr. 3108,5-8
mit Anm. 4; Pastor V 640.
11 Hier vermutlich im Sinne von absondern; s. ML W IV 1192f.
12 scilicet unterstreicht hier die Ironie der Aussage.
13 Zur vom Kaiser initiierten Übergangsregelung s. Nr. 3111,15-17; HBBW XX, Nr. 3094,19-23 mit Anm. 14f.


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Quittung erhalten. Als Kilchmeyer mit Seidensticker zusammentraf bat er diesen, Bullingers Forderung nachzukommen. Seidensticker gab allerdings an, dass so eine Quittung gar nicht nötig sei, wenn er einen Beleg vom Gläubiger erhalte. Und dass Bullinger eine solche Quittung bereits erhalten hat, geht aus seinem letzten Brief [nicht erhalten]hervor, dem er allerdings irrtümlich ein anderes Schriftstück [zur Weiterleitung an Seidensticker] beigelegt hatte. Kilchmeyer wird Seidensticker, der nun weit weg im Bernbiet [in Thunstetten] wohnt, bei nächster Gelegenheit brieflich dazu auffordern, ihm dieses [irrtümlich zugestellte]Schriftstück sofort zuzuschicken. Es besteht also kein Grund, an Kilchmeyers Zuverlässigkeit zu zweifeln! -[3]Zum Letzten: Bullinger soll sich keine Sorgen um das vom Maienfelder Bürger [N.N.]geschickte und für Benedikt Bühler bestimmte Geld machen, das Kilchmeyer von Bullinger durch die Übermittlung von Felix von Egg erhalten hatte. Kilchmeyer hat sich bereits um alles gekümmert. Zudem hat er hierfür schon eine für den Schuldner bestimmte und mit einem Siegel versehene Quittung erhalten, die gleichzeitig Bullinger und ihn entlastet. -[4]Falls Kilchmeyer tatsächlich etwas beim Berner Rat auszurichten vermag, sollte der Berner Stadtbote [NN]jeden Moment nach Zürich auf brechen, um das Geld sowohl für die bisherigen Berner Stipendiaten am Zürcher Großmünster [Johann Knechtenhofer, Abel Mühlhofer, Jonas Danmatter, Ismael Buchser und Samuel Schnewli] als auch für die neuen [NN] zu überbringen. Kilchmeyer wird auch dafür sorgen, dass jener Bote die Quittung [Bählers] im Namen aller Beteiligten mitbringen wird. -[5]Am 17. Januar dieses Jahres wurden der altbekannte Johannes Ulrich Göppel und Benedikt Schürmeister durch einen Berner Ratsentscheid aus der Zofinger Kirche entlassen. Warum? Weil jene lutherisch ausgerichteten Prädikanten undeutliche und verwirrende Ansichten über das Amt des Pfarrers und das Abendmahl gelehrt haben, die sich weder ziemen noch der Kirche dienlich sind! Kilchmeyer hat vermutlich während der kräfteraubenden Verhandlung [vor dem Berner Rat]einige vor den Kopf gestoßen. Falls das ein Fehler war, dürfte dieser nebst seinen übrigen Verfehlungen verzeihbar sein, zumal er nichts getan hat, wofür er sich vor Gott fürchten müsste. -[6][Schürmeister und Göppel]hatten diese Strafe schon lange verdient! Soviel Kilchmeyer weiß, wurde Schürmeister vom Schwäblein Göppel mit schwäbischer List verführt! Sobald Schürmeister in seiner eidgenössischen Einfalt und Frömmigkeit begreift, dass er nicht nur falsch gehandelt hat, sondern auch dass die Strafe angemessen ist, wird sich Kilchmeyer mit aller Kraft darum bemühen, ihm andernorts eine angemessene Stelle zu verschaffen. Gott sorge dafür, dass Bullinger ihm ja keinen Schwaben mehr schickt noch empfiehlt! -[7]Nur ein Blinder könnte nicht bemerken, was in Bern durch die beiden ausgelöst wird, nachdem sie [entlassen]wurden! -[8] Was Kilchmeyer für seine eigene Zukunft vorhat, wird er beizeiten und mit Entschlossenheit dem Zürcher Rat unterbreiten, in dessen Dienst er seinen Lebensabend verbringen möchte. Wenn man wenigstens nur auf sein Alter Rücksicht nehme würde! -[9]Es grüßen Eberhard von Rümlang, Johannes Wäber und Nikolaus Pfister, die wachsam bleiben. Grüße an [Johannes] Fries, [Johann Jakob]Ammann und die anderen Kollegen.

S. Cogis me, doctissime vir, ut abiectis paulisper negotiis, quibus quottidie obruor, mihi vel horulam ad te scribendi rapiam, maxime ut te sublevem secularibus negociis, quo ecclesiasticis promptius servire possis.


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Caput illud est: Quittanciam 1 [si doctis placet) b Casparem Sydenstyker et Ambrosium Blauerum attinentem vel illum anum 2 potius, de quo scribis, ipse non vidi. Sed litere 3 tue tunc ad me scripte significarunt, te a Caspare quitanciam exposcere. De quo cum virum convenirem, ut satisfaceret votis seque per omnia gratum erga te exhiberet, respondit, opus non esse, sed potius, ut ipse huiusmodi literas a creditore accipiat, satis ei factum esse. Quas te habere et alteras ad nos misisse per errorem litere 4 tue novissime liquido testantur. Ceterum quandoquidem Caspar ille nunc procul a nobis et urbe [in agro tamen urbis) sedeat, 5 quamprium potero, scribam ad eum, ut, si huiusmodi literas suis vel annexas vel inclusas a te acceperit, 6 confestim ad me mittat. Quo facto non est, ut dubites de fide mea.

De postremis vero pecuniis Benedicto Beler 7 pertinentibus missisque a quodam cives 8 Meyenfäldensi 9 et mihi abs te per Foelicem ab Egg 10 redditis, nolim quicquam te afficias. Omnia sunt summa fide per me executa. Quittanciam quoque super hac re mecum habeo sigillatam pro debitore, pro te et me satisfacientem omnesque nos ab hoc negotio absolventem.

Spero omni momento ad vos venturum publicum tabellarium 11 pecunias stipendiariis nostris apud vos in litterario ludo militantibus novosque 12 , si quid valebit

b Dieses und das folgende Klammerpaar ergänzt. -
C In der Vorlage Caspares.
1 Quittung; s. Niermeyer 1146 s.v. quietantia. - Gemeint ist ein Beleg über die Rückzahlung der Schulden von Kaspar Seidensticker (Seidenstricker) an Ambrosius Blarer und an den Konstanzer Prediger Jakob Funcklin. Seidensticker hatte seine Schulden zunächst nur teilweise zurückgezahlt. Auf Blarers Bitte hin betraute Bullinger daraufhin Kilchmeyer in einem nicht erhaltenen Brief mit der schließlich erfolgreichen Schuldeneintreibung. Blarer bedankte sich am 23. November 1547 bei Bullinger für die Übermittlung von Seidenstickers Brief mit dem geschuldeten Restbetrag. Dem Schreiben Seidenstickers lag aber offensichtlich keine Quittung bei, weshalb diese nun nachträglich verlangt wurde; s. HBBW XX, Nr. 3040,65-77, Nr. 3056,69-72 und 79-84; Nr. 3083,10f.
2 Jakob Funcklin.
3 Nicht erhalten.
4 Nicht erhalten. -Bullingers Schreiben muss, um vor dem Abfassungsdatum des vorliegenden Briefes bei Kilchmeyer eingegangen zu sein, vor dem 28. Januar 1548 verfasst worden sein.
5 Seidensticker wirkte damals als Prediger in Thunstetten; s. HBBW XX, Nr. 3040, Anm. 67.
6 Bullinger hatte das Schriftstück offensichtlich mit Bitte um Weiterleitung an Seidensticker nach Bern geschickt.
7 Benedikt Bähler, gest. 1558, ehemals Chorherr in Interlaken, war der erste evangelische Prädikant in Thurnen (Kt. Bern) und wirkte dort bis 1558; s. ABernerRef 597, Nr. 1465; Pf-Bern 147.
8 Unbekannt.
9 aus Maienfeld (Kt. Graubünden).
10 Der ansonsten unbekannte Felix von Egg taucht zusammen mit Johannes Haller in der Schauspielerliste des Dramas "Des herren wingartten" von Jakob Ruf auf das am Pfingstmontag, dem 26. Mai 1539, aufgeführt worden war; s. St. Gallische Handschriften in Auszügen, hg. y. Gustav Scherer, St. Gallen 1859, S. 73.
11 Unbekannt.
12 Die Berner schickten seit Ende 1546 Stipendiaten zum Studium nach Zürich; s. HBBW XX Nr 273 la 26-45 -Die Namen der neuen


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diligentia mea et prevalebit, adducturum. Cui tum quoque et illam quitanciam 13 ad te omnium nomine perferendam curabo.

Decima septima die ianuarii anni praesentis 48 Göppelius noster 14 et Benedictus Schurmeyster per senatus nostri magnifici decretum ab ecclesia Zoffingensi moti sunt ac abdicati. Qur data opera? Spiritu Lutherano infecti obscuriores implicatiores hactenus fuerunt de ministerio cenaque dominica docentes, quam deceat ecclesieque consultum fuerit. Qua in re preter sudores passos arbitror me nonnullos offendisse. 15 Sed transeat error iste, si erratum est, cum ceteris meis peccatis. In hac re nihil per me factum est, de quo dominum celi terreque metuam.

Dudum enim digni fuerunt! 16 Sed quondam novi d. Benedictum per Suevulum 17 illum Göppelium seductum Suevicaque arte circumventum. Ut 18 sibi consonans prius damnum quam causam intellexerit natura eydtgnossischer einfaitikeit und fromkeit, summis viribus curabo, ut alio in ioco pro dignitate sua ei prospiciatur. 19 Suevum nullum ad me mittas, rogo, neque commendes, habeat dominus omnem curam precor.

Studenten aus Bern sind unbekannt. -Seit Juli 1547 studierten Ismael Buchser und Samuel Schnewli als Berner Stipendiaten in Zürich; s. HBBW XX, Nr. 2931, Anm. 5 und 6. - Von den Berner Stipendiaten Johann Knechtenhofer, Johannes Fädminger, Abel Mühlhofer und Jonas Danmatter, die im Januar 1547 zum Abschluss ihres Studiums nach Zürich geschickt worden waren, hatten mindestens Danmatter und Fädminger zum Zeitpunkt des vorliegenden Briefes Zürich bereits verlassen, da diese noch 1547 in Scherzligen (Kt. Bern) bzw. Brugg nachgewiesen sind; s. HBBW XVIII, Nr. 2710, Anm. 52 (wo allerdings die Vermutung, dass Fädminger Zürich bereits 1546 verlassen haben könnte, nicht zutreffend ist); XIX, Nr. 2764; Nr. 2783a im Anhang des vorliegenden Bandes.
13 Gemeint ist die Quittung Bählers über das erhaltene Geld; s. oben Z. 16-18.
14 Hier gemeint: der altbekannte. -Bullinger war bereits seit spätestens Januar 1547, sicherlich aber schon weitaus früher über die Streitigkeiten informiert, die der Zofinger Prädikant Johannes Ulrich Göppel verursachte; s. HBBW XIX, Nr. 2747. -Der Konflikt der seit 1545 in Zofingen tätigen lutherisch gesinnten Zofinger Prädikanten Göppel und Benedikt Schürmeister mit dem zwinglisch ausgerichteten Aarburger Pfarrer Peter Schnyder wurde
am 17. Januar 1548 vor dem Berner Rat ausgetragen. Beide Zofinger Prädikanten wurden ihres Amtes enthoben; s. Nr. 3116; HBBW XIX, Nr. 2747, Anm. 4. -Nach dem erfolglosen Versuch einiger Zofinger Unterstützer der lutherischen Seite, Widerspruch gegen das Urteil einzulegen, erfolgte die ausführliche Urteilsbegründung erst am 6. März 1548; s. Hans Rudolf Lavater, Johannes Goeppel, Prädikant zu Rohrbach 1527-1545 und zu Zofingen 1545-1548, in: Jb. des Oberaargaus 21, 1978, 168f.
15 Kilchmeyer hatte als einer der Schiedsmänner an der Verhandlung teilgenommen; s. Nr. 3116, Anm. 11.
16 Subjekt sind Göppel und Schürmeister.
17 Schwäblein. - Der Ausdruck ist pejorativ gemeint.
18 Hier: Sobald. -Schürmeister, der bei der eigentlichen Verhandlung am 17. Januar nicht anwesend gewesen war, wandte sich aufgrund seiner Bestürzung über das Urteil an den Aarburger Landvogt Vincenz Pfister, um eine weitere Anhörung vor dem Berner Rat zu erwirken. Diese muss nach dem 7. Februar stattgefunden haben; s. Nr. 3116,32f. 100-105 und Anm. 2.
19 Schürmeister sollte spätestens ab August 1548 eine Stelle in Brugg innehaben; s. HBBW XIX, Nr. 2747, Anm. 4.


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Sed quid per illos effectum sit apud nos, postquam ditati 20 fuerint, nemo nisi cecus videre nequit. 21

Que ipse destinarim facturum me firmiterque proposuerim, suo die et hora intelliget sanctissimus senatus noster Tigurinus, sub quorum 22 obediencia spiritum reddere decrevi. Si modo senectutis mee, de quo non dubito, rationem habituri sint. 23

Salvere et valere te iubent d. Eberhardus a Rümlang, Textorius 24 Nicolaus Artopeus 25 die wir all z Bern kein fyrtag hend 26 Salutabis nomine meo Frysium 27 mihi charissimum, d. Ammianum 28 compatrem meum, ceterosque omnes fratres. Datum Berne ad lucernam 29 , 31. ianuarii anno 1548.

20 Ironisch zu verstehen. -Kilchmeyer hofft offensichtlich, dass die Strafe, die den beiden erteilt wurde, diese bessern und damit "bereichern" wird.
21 Kilchmeyer spielt hiermit auf den aufflammenden Konflikt innerhalb der Berner Kirche zwischen den lutherisch ausgerichteten Pfarrern Beat Gering und Simon Sulzer auf der einen Seite und der zwinglisch gesinnten Partei auf der anderen Seite an; s. Nr. 3116, Anm. 142 und unten Z. 42f.
22 Gemeint sind die Zürcher Ratsherren.
23 Der damals 60-jährige Kilchmeyer hatte mit dem Verweis auf sein Alter schon am 2. Juli 1547 seine Hoffnung geäußert, in Bern von Johannes Haller ersetzt und selbst nach Zürich zurückberufen zu werden. Er wiederholte dies Mitte August 1547 in Gegenwart der Zürcher Bürgermeister Johannes Haab und Hans Rudolf
Lavater; s. HBBW XX, Nr. 2937,38-41 und Anm. 25; Nr. 3056,18-25.
24 Johannes Wäber, Kilchmeyers Helfer am Berner Münster.
25 Der Schulmeister Nikolaus Pfister.
26 kein fyrtag hend: Gemeint ist hier, dass sich all die zuvor genannten, die zwinglisch ausgerichtet waren, weiterhin gegen die lutherische Strömung in Bern ohne Unterlass einsetzen werden.
27 Johannes Fries, Lehrer am Großmünster.
28 Johann Jakob Ammann, Zürcher Schulherr, der schon in HBBW XX, Nr. 2937,35 von Kilchmeyer als Gevatter bezeichnet wird.
29 ad lucernam: bei Kerzenlicht.
30 Der Überbringer des vorliegenden Briefes war der oben in Z. 19-22 erwähnte Berner Stadtbote [N.N.].
I. K., tuus semper.

[Adresse auf der Rückseite:] Dem fromen und wolgelerten meyster Heynrich Bullinger, Zurich, predicant zum großen Munster, minem lieben günner und bruder. 30