Heinrich-Bullinger-Briefwechseledition, Universität Zürich © Heinrich Bullinger-Stiftung Arpa Bibliothek Textbreite Schriftgröße

[3123]

Ambrosius Blarer
an Bullinger
[Konstanz],
Dienstag,
31. Januar 1548

Autograph: Zürich StA, E II 357, 292 (ohne Siegelspur) a Teildruck und zusammenfassende Übersetzung: Blarer BW II 682f Nr. 1506

[11 Blarer bedauert, dass er die Briefe von Georg Frölich [Nr. 3111], die Bullinger nun erhält, nur knapp nicht in seinen letzten Brief [Nr. 3118]einfügen konnte. Frölich hat bezüglich der allgemeinen Lage [der Protestanten]nichts anderes an Blarer geschrieben als an Bullinger. Hoffentlich lässt Gott seine väterliche Gnade walten. -[2]Die Konstanzer erhielten bisher keine Antwort Lauf ihr Versöhnungsgesuch]. Einige glauben, dass Kaiser Karl V von der ganzen Angelegenheit keine Kenntnis habe und die Versöhnung von einigen mit hinterlistigen Absichten aufgeschoben wird. Möge Gott die Versuche der Gegner vereiteln. -[3]Matthäus Zell, der, wenn sich Blarer nicht irrt, sein Predigeramt in Straßburg mehr als dreißig Jahre zuverlässig ausgeübt hat, ist am 9. Januar 1548 verstorben. Zuvor hatte er den Straßburgern unter anderem vorausgesagt, dass sie statt des Evangeliums Christi künftig wieder den römischen Götzen [den Papst]anbeten werden. -[4]Philipp Melanchthon wird in Augsburg zu einem vom Kaiser einberufenen [Religions]gespräch erwartet, über das er auch mit Martin Frecht korrespondierte. -[5]Vielerorts in Pfalzgraf Ottheinrichs Territorium, Pfalz-Neuburg, wird wieder die papistische Messe gelesen, weil das Fürstentum als Geschenk Karls V an Herzog Wilhelm IV von Bayern ging. Dennoch bestünde für Ottheinrich noch die Hoffnung, sein Fürstentum zurückzuerlangen, wenn er in der Religionsangelegenheit [Kompromisse]dulden würde. Die diesbezüglichen Beratungen mit Gelehrten quälen den erschöpften Pfalzgraf sehr. Zudem ist sein Fürstentum mit 700'000 Gulden verschuldet. Und obwohl das Herzogtum nun den Regenten wechselte, sollen die Gläubiger auf kaiserlichen Erlass hin trotzdem ihr Geld weiterhin nur von Ottheinrich zurückfordern! -[6]Die kaiserlichen Mandate gegen die Konstanzer wurden in Ravensburg und andernorts erneut verkündet. Die Zukunft von Konstanz ist ungewiss. -[7]Grüße an alle, besonders von Blarers Bruder Thomas und seinem Vetter Konrad Zwick. Joachim Rheticus sei auch herzlich gegrüßt. -[8]Bullinger möge den liebenswerten Marcell Dietrich von Schankwitz und seine Frau [Anna, geb. Zehntmeier]grüßen. Weitere Nachrichten für Schankwitz haben die Konstanzer nicht. Bullinger kann ihm immer alles aus den Briefen aus Konstanz berichten. So kann Blarer zwei Fliegen mit einer Klatsche schlagen. Er kann jetzt aber nicht weiterschreiben. -[9]Man bete, dass sich die Konstanzer in der Religion richtig und ihrem Namen entsprechend standhaft verhalten. -[10]Blarer möchte endlich die Auskunft über das sichere Fiebermittel erhalten, worum er schon früher [mit HBBW XX, Nr. 3082]gebeten hatte. -[11] Im Juni 1531 wurde beim Kölner Drucker Peter Quentel ein Buch unter dem Titel "Onus ecclesiae"gedruckt, das viele prophetische Sprüche und Offenbarungen von Merlin, Methodius, Hildegard und Brigitta enthält. Wenn es in Zürich erhältlich ist, möge Bullinger es für Blarer kaufen und ihm den Preis nennen. Blarer möchte es sehr gern haben. -[12]Erneuter Gruß.

a Mit Schnittspuren.


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Leti nostri litere 1 , quas h[ic ia]m b accip[i]s, venerande et charissime frater, illa ipsa hora nuper adferebantur, qua meas 2 ad te dederam, ut v[e]hementer doleret tantillo tempusculo alteras [inv]ol[uis]se c antevertisse. Nihil scribit Letus ad me, nisi quod hic accipis, quod [ad] communes quidem res pertineat. Dominus sic omnia suae virtutis dextera moderetur, ut [pate]rnam suam benignitatem usque experiri liceat.

Nostris nihil adhuc respondetur, 3 nec desunt, qui affirment caesarem omnia istec ignorare et nostram caussam a nonnullis astutissimo quodam consilio in alius temporis occasionem reiici. Speramus autem dominum omnia secus, quam adversarii cupiunt, conversurum.

Matthaeus Zellius, [A]rgentorati concionator annis plus, ni fallor, triginta fuit summa fide et spiritus alacritate, 9. ianuarii mortem vita commutavit, insignia quaedam Argentoratensibus vaticinatus atque inter cetera hoc etiam fore, ut evangelii Christi loco Romanum rursus idolum sint adoraturi, etc., multaque id genus alia. 4

Philippus Melanchthon Auguste in horas expectatur ad colloquium illud, quod cesar instituit, 5 qua de re Philippus ipse ad Frechtum nostrum scripsit 6 , etc.

In plerisque locis Otthonis 7 Palatini missa ista papistica rursus emersit, 8 quandoquidem ea ditio nunc principi Baioarie 9 a cesare est donata. Quamquam est Otthoni spes nonnulla illius recuperande aperta, si aliter, que religionis sunt, reformari ferat, etc., cuius rei caussa exhaustus princeps apud pie eruditos consilia captat seque vehementer torquet. Sein land ist noch um 700'000 fi. versetzt 10 . Aber yetz, so es

b Hier und unten ist der Brieftext beschädigt, sodass einige Lesungen unsicher sein könnten. -Diese Beschädigung war bereits zu Zeiten von Johann Jakob Simler (1716-1788) vorhanden, der statt jam, das gemäß des Schriftbefundes nicht vertretbare una las. -
c Simlers Lesung avolando ergibt hier keinen Sinn.
1 Gemeint ist Georg Frölichs Brief an Bullinger vom 18. Januar (Nr. 3111), der auf der leergebliebenen Rückseite keine Adresse aufweist; s. Nr. 3111, Anm. 18.
2 Blarers Brief vom 24. Januar (Nr. 3118).
3 Zum Konstanzer Versöhnungsantrag an Kaiser Karl V. s. zuletzt Nr. 3110,21-23 mit Anm. 30.
4 Vor seinem Ableben am 9. Januar 1548 hatte der 1477 geborene Straßburger Pfarrer Matthäus Zell Befürchtungen geäußert, dass es bald zu einer Gegenreformation in Straßburg kommen würde; s. Elsie Anne McKee, Katharina Schütz Zell, Leiden, usw. 1999, Bd. 1, S. 118-121; Bd. 2, S. 76-78.
5 Zu Melanchthons Einladung nach Augsburg s. Nr. 3120,30f mit Anm. 19.
6 Der Brief Melanchthons an Martin Frecht wurde ca. am 22. Januar 1548 in Wittenberg verfasst; s. MBW-T XVIII, Nr. 5042.
7 Pfalzgraf Ottheinrich von Pfalz-Neuburg.
8 Zur Rekatholisierung von Pfalz-Neuburg unter Otto Truchseß von Waldburg-Trauchburg s. Nr. 3115, Anm. 30.
9 Herzog Wilhelm IV. von Bayern.
10 verpfändet; s. SI VII, 1684f. - Ottheinrich hatte das Fürstentum vom Beginn seiner Regentschaft im Jahr 1522 bis zum Jahr 1544 enorm verschuldet, sodass bereits zu dieser Zeit der Verkauf an Bayern ernsthaft erwogen wurde. Um dies zu verhindern, hatten im August 1544 die Stände Pfalz-Neuburgs beschlossen, die Schulden des Pfalzgrafen zu übernehmen. Im Gegenzug verzichtete der Pfalzgraf zu ihren Gunsten auf die Ausführung der Regierungsgeschäfte; s. HBBW XX, Nr. 2935, Anm. 44; Sigmund Riezler, Geschichte Baierns, Bd. 4: 1508-1597, Gotha 1899, S. 327f.


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in ain ander hand kommen, mandiert der kaiser de plenitudine potestatis, das kain creditor ainchen 11 bürgen, sonder allain h[ertzog] Ott Hainrichen selbs um die schuld anforderen sölle by verlierung 12 seiner schuld, etc.

Zu Ravenspurg hat man yetzund die kaiserlichen mandat 13 wider unß ouch verkündten und ettlich anderen mehr orten, das wir uns nitt gnug verwunderen können, wa es doch mitt uns hinuß welle. Der herr gott schicks nach gnaden!

Nostri omnes officiosissime te iubent salvere, praecipue germanus 14 meus frater 15 cum consobrino Zviccio 16 ac ceteris. Salveant tui omnes cum venerandis fratribus symmystis ac omnibus, qui nos in Christo Jesu diligunt, quorum perpetuis interpellationibus apud gratiae thronum adiuvari totis visceribus cupimus. Joachimum illum Rhetum 17 , ut meis verbis amantissime salutes, multum te quaeso.

Meinen gunstigen, lieben schwager 18 Marcell Dietrichen 19 sampt seiner lieben h[usfrowen] wellt von mir und den minen allen fruntlich grüetzen. Wir habend im nichts news ze schreiben, dann 20 was ir von unß yederzyt vernempt. Una igitur fidelia duos parietes, 21 etc. Ich muß uffhören.

Ah, orate pro nobis, quantum potestis ardenter, ut ne quid unquam vel christiana professione vel nomine nostro indignum designemus.

De praesenti quodam remedio adversus febrim te non adeo pridem admonueram, 22 ut me redderes, si liceret, certiorem. Expecto igitur, quid aliquando respondeas.

Est liber quidam Colonie in edibus Quentellianis impressus anno 31. mense iunio, cui titulus Onus ecclesiae, 23 nihil aliud quam rhapsodias multarum prophetiarum et revelationum Merlini, Methodii, Hildegardis, Brigitte, etc. complectens. 24 Hunc

11 irgendeinen.
12 Verlust.
13 Gemeint sind die Mandate, die der Kaiser 1547 gegen Konstanz erlassen hatte. Konstanz wurde durch diese wirtschaftlich sanktioniert; s. HBBW XX, Nr. 3053, Anm. 4; Nr. 3110, Anm. 30.
14 leiblicher.
15 Thomas Blarer.
16 Konrad Zwick.
17 Joachim Rheticus, geb. 1514, gest. 1574.
18 lieben schwager: liebenswerten. -Hier wird auf keine tatsächliche Verwandtschaft hingewiesen. Vielmehr ist die Bezeichnung als Ausdruck der persönlichen Verbundenheit zu verstehen; s. Fischer V 1229.
19 Marcell Dietrich von Schankwitz. - Zu seinem Aufenthalt mit seiner Frau Anna, geb. Zehntmeier, in Zürich s. Nr. 3110, Anm. 37.
20 als.
21 Vgl. Adagia 1, 7, 3 (ASD 11/2 129, Nr. 603).
22 Blarer hatte gehört, dass der Schwager eines
Zürcher Wirtes ein wirksames Mittel gegen Fieber kannte. Er bat Bullinger in seinem Brief vom 23. November 1547 um Auskünfte hierüber. Bullinger hatte ihm bereits zwei Tage später brieflich zugesichert, sich danach zu erkundigen; s. HBBW XX, Nr. 3083,14-16; Nr. 3085,20f
23 Die Schrift Berthold Pürstingers, Onus ecclesiae (VD16 P2933), wurde 1531 in Köln in der Offizin Peter Quentels gedruckt. Es handelt sich hierbei um eine bearbeitete Fassung des bereits 1524 in Landshut erschienen Werks (VD16 P2928. P2929); s. Josef Schmuck, Die Prophetie "Onus Ecclesiae"des Bischofs Berthold Pürstiger. Religiöse Kritik der Zustände in Kirche und Welt aus den ersten Jahren der Reformation, Wien 1973, S. 5f
24 Das Werk enthält prophetische Schriften, die Merlin, Methodius von Olympus, Hildegard von Bingen und Brigitta von Schweden zugeschrieben werden.


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rogo, si istic venalis prostat, ut meo nomine emendum cures meque de precio certiorem facias, nam habere vehementer cupio. Vale. 31. ianuarii 1548. Tuus A. Bi. [Adresse auf der Rückseite:] D. Heinricho Bullingero, amico modis omnibus summo. 25