Heinrich-Bullinger-Briefwechseledition, Universität Zürich © Heinrich Bullinger-Stiftung Arpa Bibliothek Textbreite Schriftgröße

[3087]

Johann Leopold Frey
an Bullinger
Biel,
1. Dezember 1547

Autograph: Zürich StA, E II 360, 439 (Siegelspur) Ungedruckt

[1]Frey dankt für Bullingers Antwort [nicht erhalten]auf seine kleine Frage [die er im Brief Nr. 3075 gestellt hatte]. Er hat nun die ihm von Bullinger empfohlene Steile von Augustin nachgeschlagen. Doch den Passus bei Hieronymus konnte er nicht einsehen, da weder ihm noch seinen Kollegen eine Hieronymus-Ausgabe zur Verfügung steht. Deshalb möge Bullinger ihm wie angeboten diese Stelle bei Gelegenheit abschreiben, falls sie tatsächlich, auf Freys Frage antwortet. Die Stelle bei Augustin (sofern Frey dies beurteilen kann) stellt klar, warum ein Verwandtschaftsgrad, der in der Heiligen Schrift erlaubt ist, von weltlichen Satzungen verboten wird; was auch Bullinger unterstreicht, wenn er schreibt, dass man aus dem, was den Vorfahren gestattet war, nicht sogleich schließen darf es sei uns immer noch erlaubt. Jedoch beantwortet dies nicht Freys Frage: Er will wissen, was er einem Laien sagen soll, wenn dieser ihn fragt, warum das mosaische Gesetz eine Ehe zwischen Cousins, die ja blutsverwandt sind, gestattet, aber eine Ehe zwischen einem Mann und der mit ihm nicht blutsverwandten Tochter der Schwester seiner Frau verbietet. Bullinger möge Freys früheren Brief erneut lesen und seine Antwort dazu mitteilen. -[2]Frey und seine Kollegen nahmen mit Betrübnis den Tod von Heinrich Buchter zur Kenntnis. Dass Johannes Haller [von Augsburg]wohlbehalten zurück ist, hat hingegen alle, die ihn kennen, sehr gefreut. Gott verleihe diesem Tapferkeit, Weisheit und echte Frömmigkeit. -[3]Doch was hört man da? Rudolf Gwalther soll in noch größeren Schwierigkeiten stecken als vorher, und hielte clic Angst vor Kaiser Karl V. die katholischen Gegner nicht zurück, würden diese ihm Gewalt antun! Ganz Solothurn ist in Rage: Gwalther sei schlimmer als Zwingli! Eine Tragödie folgt der anderen. Wie traurig! Grund genug, um sich Sorgen um Gwalther und das gemeinsame Vaterland zu machen. Gott errette den für die Wahrheit kämpfenden Gwalther! - [4] Gruße an Bullinger und an die Seinen, auch von den Kollegen.

S. P. Gratias habeo tibi summas, pater, quod ad meam quaestiunculam respondere dignatus es. Consului super hoc negocio divum Augustinum eo, quem indicasti, libro et capite. 2 Hieronymum 3 non habeo, neque eum ex

1 In Freys Brief Nr. 3075 vom 13. November. -Bullingers Antwort ist nicht erhalten.
2 Bullinger hatte vermutlich auf Augustin, De civitate dei, 15, 16, hingewiesen. Dort erklärt Augustin zunächst den rechtlichen Unterschied zwischen den Ehen der Urmenschen und der späteren Menschen. Er
geht dann auf die Ehen zwischen blutsverwandten Cousins und Cousinen ein, die zuvor durch göttliches und menschliches Gesetz erlaubt waren und erst von Kaiser Theodosius I. verboten wurden (Quintus tomus operum ... Augustini Hipponensis episcopi, complectens XII libros de civitate dei per b. Lodovicum


Briefe_Vol_20-686arpa

nostris quisquam habet. Proinde, sicuti promittis, eum mihi locum, ubi vacabit, describe, precor, si forsitan is meo intellectui congruentius respondeat ad motam quaestionem. Quantum enim intelligo d. Augustinum, huc eius verba spectant, a ut ostendat a , quare gradus fraternalium in sacris admissus legibus polyticis inhibeatur. Tuque hoc agis: Non confestim, si quid permissum patribus, id nobis quoque heere, nec gradum istum prohibitum, ergo licitum. 4 Me vero nihil istorum torquet, sed quomodo, cum gradus iste admittatur in lege Moseos, per eandem prohibeatur, qui remotior videtur, quod scilicet non licet per Mosaicam legem ducere coniugis sororis filiam. 5 Sed denuo, si ad manum habes, meam relege epistolam, deinde mihi, quid talia roganti idiotae (si forte id eveniat) respondendum sit, explicato. 6

Mortem d. Buchten 7 tristi animo accepimus, sed fatis cedendum. Quod autem redditus est nobis Hallerus 8 , id vehementer gaudemus, quotquot eum novimus! Det illi dominus spiritum fortitudinis, intelligentiae atque pietatis verae. 9 Amen.

Sed quid novi rursum rumoris spargitur? D. Gvaltherum maioribus nunc involutum periculis, quam prius erat, et nisi metus caesaris 10 retineret adversarios 11 , non cohibituros ipsos se, quin illum vi potitum irent. 12 Totum Solodurnium

a-a Über der Zeile nachgetragen.
Vivem, non paucis adiectis per Des. Erasmum Roterodamum, Basel 1529, S. 2790. -Bullinger besaß diese Ausgabe; s. HBBibl III 70-75, Nr. 10 -; CChr-L XLVIII 476-479.
3 Bullinger hatte sich vermutlich auf Hieronymus' Aussage in dessen Quaestiones sive traditiones Hebraicae in Genesim (zu Gen 11, 29) bezogen: "Necdum quippe inter patruos, et fratrum filias, nuptiae fuerant lege prohibitae, quae in primis hominibus etiam inter fratres et sorores initae sunt." (Omnium operum ... Hieronymi Stridonensis tomus quartus epistolarum ... complectens ... quae ad expositionem divinae scripturae faciunt, una cum argumentis et scholiis Erasmi Roterodami, Basel 1516, f. 94r.). -Bullinger besaß diese Ausgabe; s. HBBib1 III 122- 126, Nr. 107 -; CChr-L LXXII 15,19-22.
4 Vgl. auch Bullingers Bemerkung in seinen Dekaden, II, 10: "Nihil ad nos pertinet, quod Jacob legitur duabus coniugatus sororibus." (HBTS III/I 233,361).
5 Bezug auf Lev 18, wo einem Mann eine Ehe mit einer (ihm blutsverwandten) Cousine erlaubt, eine solche aber mit der (mit ihm nicht blutsverwandten) Nichte seiner Frau verboten wird.
6 Dass die im AT erlaubte, aber von der römischen Kirche verbotenen Ehe zwischen Cousins schließlich auch von protestantischen Kirchen verboten wurde (s. dazu Nr. 3088, Anm. 12), wird wohl der Grund gewesen sein, warum es damals zu der von Frey hier gestellten Frage kommen konnte, auf die es vonseiten jener, die vorgaben, sich nur auf die Schrift beziehen zu wollen, keine befriedigende Antwort geben konnte.
77 Heinrich Buchter war am 15. Oktober gestorben; s. Nr. 3041, Anm. 13.
8 Johannes Haller war Mitte Oktober wohlbehalten von Augsburg nach Zürich zurückgekehrt; s. Nr. 3017, Anm. 38.
9 Vgl. 2Tim 1, 7.
10 Karl V.
11 Gemeint sind die katholischen Orte der Eidgenossenschaft.
12 Die Rede ist von Gwalthers "Endtchrist". Siehe dazu schon Nr. 2879, Anm. 3 und Anm. 5; Nr. 2881,31-33; Nr. 2958,30; Nr. 2978,97f. -Völlig unerwartet flammte im November diese Polemik erneut auf; s. Nr. 3051, Anm. 3; EA IV/1d 889 cc.


Briefe_Vol_20-687arpa

frendet 13 ! Zvinglio multo intollerabiliorem clamant! Tragaedia vix una finita, iam ludere alteram coepisse, etc. hec atque huiusmodi recitata percelluerunt animum meum, quia cum illius, tum communi patriae saluti metuo. Quicquid vero est, cupio id scire. Dominus, cuius ille veritatem atque lucem clarissimam diligit atque propugnat, ipsum nosque omnes e manibus persequentium nos eripiat. 14

Salutant te nostri. Saluta meo nomine tuos. Vale. Biellnis, kalendis decembris 1547.

Tuus ex animo Io. Leopoldus Fry.

[Adresse auf der Rückseite:] Doctissimo piissimoque viro d. Heinrycho Bullingero, patri meo colendissimo. Tiguri.