[3022]
Pierre Viret und Guillaume Farel
an Bullinger
Genf,
28. September 1547
Autograph Virets mit Nachschrift von Farel: Zürich StA, E II 368, 233
(Siegelspur)
Druck: CO XII 591-593, Nr. 947;
Französische Ubersetzung: Pierre Viret d'après lui-meme,
hg. y. Charles Schnetzler, Henri Vuilleumier und Alfred Schroeder,
Lausanne 1911, S. 76-79, Nr. 15[1] Viret wurde vom Genfer Ratsherrn [Claude]Roset um eine Empfehlung für dessen Sohn
[Michel]gebeten, der zur Ausbildung nach Zurich kommt 1 und beim Seckelmeister [Jakob
Werdmüller] wohnt. Viret kann diese Bitte nicht abschlagen, weil er schon seit Langem mit
Roset befreundet ist und weil ihm die Kirche, seine Heimat 2 , die Studien und die Frömmigkeit
am Herzen liegen. Diese kann erfordern, indem er sich für Knaben einsetzt, die aufgrund ihrer
Ausbildung eines Tages der Kirche und dem Vaterland behilflich sein werden. Der junge
[Michel] lässt das Beste erhoffen. Es wäre wünschenswert, dass junge Leute wie er Fortschritte
machen und die in sie gesetzten Erwartungen nicht enttäuschen, zumal die Gefahr
besteht, dass Virets Heimat wieder in die alte Barbarei, von der sie sich gerade erst befreit
hat, gestürzt wird. 3 Denn in dieser Gegend werden die sprachlichen Disziplinen sehr verachtet.
-[2]Die Kirchen und Schulen seiner Heimat haben weder Pfarrer noch Lehrer und würden
zugrunde gehen, wenn Gott ihnen nicht aus dem Ausland, besonders aus Frankreich, gelehrte,
gottesfürchtige Männer für den Kirchen- und Schuldienst zuführen würde. Dass jeden Tag so
viele Gelehrte dahin strömen, liegt an den Verfolgungen, von denen ganz Frankreich schon seit
Beginn der Verbreitung der evangelischen Lehre heimgesucht wird (hoffentlich kommen bessere
Zeiten und andere Verhältnisse!). Sofern und solange es möglich ist, sollte man also von
der Gelegenheit, die Studien zu fördern, Gebrauch machen. -[3]Man muss für die Wissenschaften,
den Unterricht und die Erziehung der jungen Leute sorgen, denn Letztere sind die
Hoffnungsträger und werden einst das Steuer der Kirche übernehmen, wenn die jetzige Generation
vom Herrn heimgerufen wird. Dank sei Gott, dass der angesehene Berner Rat die
Studien nicht geringschätzt, sondern sich darum kümmert! Demnach erhofft sich Viret viel
Gutes für die Schule in Lausanne, die bereits mit ausgezeichneten Gelehrten versehen ist, zu
denen täglich noch weitere dazu kommen. 4 Was unter so guten Vorzeichen begonnen hat, möge
mit Gottes Hilfe noch weiter gedeihen! Bullinger soll dazu beitragen, indem er durch seinen
Einfluss und sein Ansehen den Bernern die Schule von Lausanne ans Herz legt. Wurden doch
die Anstrengungen aller guten Männer dazu führen, endlich einmal die für die Kirche und die
Studien so schädlichen Abendmahlsstreitigkeiten beizulegen, und zwar nicht nur in Bern, sondern
auch in der Berner Landschaft und in dem von ihnen besetzten Gebiet 5 Bullinger und
seine Gleichgesinnten sollen nach Kräften zur Eintracht beitragen, damit die ganze Kirche
nicht noch zugrunde geht. Dies ist Virets Bitte. 6_[4]Bullinger möge den jungen [Michel]den
Lehrern, die für seine Erziehung und Ausbildung verantwortlich sind, ganz besonders ans Herz
legen, damit Claude Roset (auf dessen Wunsch vorliegender Brief verfasst ist) feststellen kann,
wie wirkungsvoll Virets Empfehlung bei Bullinger ist! - [5] Alle lassen grüßen. Auch die
Kollegen und vor allein Konrad Pellikan, Theodor Bibliander, Rudolf Gwalther und Konrad
Gessner seien gegrüßt. -[6][Eigenhändige Nachschrift Farels:] Fare! wünscht Bullinger und
seinen Kollegen alles Gute. Mögen die ihnen anvertrauten Kirchen gute Fortschritte im Herrn
Nicht lange vor der Abfassung dieses
Briefes, am 25. August 1547, hatte der
Berner Rat die erste Ordnung dieser
Schule bestätigt; s. ebd., S. 61. Zu den
dort tätigen Professoren s. ebd., S. 233f.