[3015]
Johannes Calvin
an Bullinger
Genf,
19. September 1547
Autograph: Zürich StA, E II 368, 4 (Siegelspur)
Druck: CO XII 590f, Nr. 946;
Teilübersetzung: Schwarz, Calvin I 401f, Nr. 212;
englische Ubersetzung: Letters of Calvin 11129-131, Nr. CCVII[J] Es sind schon sechs Monate vergangen, seitdem Calvin wie gewünscht Bullingers Schrift
["De sacramentis"]1 zusammen mit dein von ihm verfassten Gutachten dazu [HBBW XIX, Nr.
2825, vom 25. Februar 1547] an Bullinger geschickt hat. Seitdem hat er nichts mehr gehört.
Dabei wurde er doch Von Bullinger während seines Besuches in Zürich zu einem regelmäßigen
Briefaustausch angehalten. Unterdessen hörte Calvin einige Male von Durchreisenden aus
Zürich, kann sich aber nicht erinnern, je etwas von einem sich nach Zürich begebenden
Reisenden vernommen zu haben. Sollte Bullinger wieder einmal eine Gelegenheit zum Schreiben
haben, möge er sie doch nutzen! -[2] Über die Lage in Deutschland erfährt Calvin leider
mehr, als ihm lieb ist, nie aber etwas über die ihm so wichtige Stadt Konstanz. Die Straßburger
hatten große Angst, dass Kaiser Karl V. bei ihnen überwintern würde, und sagen auch
(Thurgau) einem Metzger weitergab,
welcher ihn erst am 9. Oktober Blarer
überreichte; s. Nr. 3037,2-7.
jetzt, dass sie ihn nicht in die Stadt ließen, wenn sie von anderswoher Unterstützung bekämen. 2
Was sagen denn die eidgenössischen Städte 3 dazu? Die Gerüchte, dass der Kaiser diese angreifen
werde, haben sich seit den Unruhen in Italien 4 wieder gelegt. Calvin fürchtet, dass die
Italiener aus Angst vor dem Kaiser wie gelähmt sind. Dieser soll schon Piacenza und Parma
besetzt und Pier Luigi Farnese 5 getötet oder jedenfalls besiegt haben. Nach diesem Erfolg wird
er sich wohl noch in diesem Jahr Italien unterwerfen. Und falls er sich dann bereits nach
Straßburg begeben hätte, wird er diese Stellung halten, um die Eidgenossen anzugreifen.
-[3]Jetzt ist es an der Zeit, dass die [eidgenössischen Städte]sich beraten. Wenn sie schweigen,
liefern sie sich dem Kaiser aus. Doch das braucht man Bullinger nicht zu sagen. Calvin
weiß, dass die [Zürcher]mutig sind und dagegen ein Mittel finden wollen. Die Nachbarn 6
hingegen sind töricht, da sie nicht überlegen wollen, wie man diese Bestie [Karl V.]bändigen
könnte. Wenn sie freiwillig zugrunde gehen wollen, möge der Herr wenigstens seine Auserwählten
früh genug zum Widerstand anleiten! Zu Recht schrecken die [eidgenössischen Städte]
vor einem engen Verhältnis mit Frankreich zurück. Ein solches wäre tatsächlich nicht angebracht.
Doch versteht Calvin nicht, warum sie vor jeglichem Vertrag mit Frankreich zurückweichen.
-[4]Der Überbringer dieses Briefes ist der junge [Michel Roset]7 der Sohn eines
mit Calvin befreundeten Genfer Ratsherrn [Claude Roset]8 , welcher ihn uni eine Empfehlung
für seinen Sohn gebeten hat. [Michel]soll, soweit Calvin weiß, beim Zürcher Seckelmeister
[Jakob Werdmüller]wohnen, um sein Studium in Zürich fortsetzen zu können. Er verfügt schon
über Grundkenntnisse, lernt rasch und ist dem Studium geneigt. Bullinger möge ihn in seinem
und in Calvins Namen den Zürcher Lehrern nachdrücklich empfehlen, damit sie ihn nicht wie
einen Fremden behandeln. -[5]Grüße an alle, auch von den Kollegen. Der Herr behüte die
Zürcher und segne ihre Arbeit. Besonders seien auch Anna [geb. Adlischwyler] und die Kinder
gegrüßt.
herr in Genf und Politiker mit verschiedenen
Ämtern. Von 1560 bis 1612 amtierte
er alle vier Jahre im Wechsel als
Syndic bzw. Erster Syndic. Er reiste viel
und verfasste 1562 "Les chroniques de
Genève"(hg. y. Henri Fazy, Genf 1894).
Roset war eine der einflussreichsten Genfer
Persönlichkeiten in der zweiten Hälfte
des 16. Jhs. Von ihm sind zwei Briefe an
Bullinger aus den Jahren 1556 und 1563
überliefert. - Lit.: Beze, Corr., passim;
Richard Feller und Edgar Bonjour, Geschichtsschreibung
der Schweiz vom
Spätmittelalter zur Neuzeit, Bd. L Basel/Stuttgart
21979 S. 250-253; HLS X
450f (mit weiterer Lit.).